Je globalisierter, einförmiger und kleiner unsere Welt im übertragenen Sinn wird, desto beliebter werden Reisen, die ein (kalkuliertes) Abenteuer in fernen Gegenden versprechen. In Regionen, in denen der schädliche Einfluss des Menschen noch nicht ganz so offensichtlich ist. Kamtschatka und der nördliche Pazifik sind so eine Region. Dieses Video und dieses Bord-Tagebuch berichten von einer Reise mit dem Expeditions-Kreuzfahrtschiff MS Bremen an den Rand der Welt.
Expedition Kamtschatka
An den Rändern der bekannten Welt: drei Wochen mit dem Kreuzfahrtschiff MS Bremen durch den Nordpazifik von Japan nach Alaska – ein Bord-Tagebuch.
23 Tage benötigt das Expeditions-Kreuzfahrtschiff MS Bremen für die 4.272 Seemeilen vom japanischen Otaru bis nach Nome in Alaska. Viele der Inseln und Regionen auf diesem Kurs werden nur sehr selten von Menschen aufgesucht.
Freitag, 23. Juni 2017, Otaru, Japan
Von Tokio sind wir zwei Stunden in den Norden auf die japanische Insel Hokkaido geflogen, deren Hauptstadt Sapporo spätestens seit den Olympischen Winterspielen 1972 jedem Österreicher ein Begriff ist, weil Karl Schranz dort disqualifiziert wurde. Vom Flughafen der Millionenstadt sind es noch zwei Busstunden bis in den Hafen Otaru, wo die MS Bremen auf die Passagiere der Kreuzfahrt nach Kamtschatka und anschließend quer über den nördlichen Pazifik nach Alaska wartet.
Das Entscheidende ist, dass solche Ziele mit dem Flugzeug, Auto oder Bahn gar nicht erreichbar sind. Man muss per Schiff übers Meer oder die Flüsse hinauf kommen. Expeditions-Kreuzfahrten wie mit der MS Bremen sind daher die wohl sinnvollste Kreuzfahrtform überhaupt: Sie sind die einzige Möglichkeit, um nach Kamtschatka zu reisen, die russischen Kurilen zu besuchen, die Bering-Insel zu erkunden oder den Inselbogen der Aleuten für sich neu zu entdecken.
Kein Wunder, dass Reisen mit der MS Bremen in diese Weltregion auf Jahre hinaus vorab ausgebucht sind. Maximal 155 Passagiere nimmt das Schiff auf seinen spektakulären Routen wie dieser mit um die Welt. Es herrscht eine entspannte, nach wenigen Tagen sogar fast familiäre Atmosphäre.
Die Crew begrüßt die neuen Gäste an der Pier mit einem Glas Sekt, das Einchecken dauert nur wenige Minuten. Die Kabinen der Bremen sind hell, freundlich und modern. Wer allerdings glaubt, sich nun sofort von den Strapazen der Anreise entspannen zu können, sieht sich getäuscht. Denn vor den Erfolg haben die Götter den Schweiß gesetzt – in diesem Fall in Person der Sicherheitsoffizierin, die um 17.30 Uhr die gesetzlich vorgeschriebene Seenotrettungsübung für die Passagiere durchführt.
Dann heißt es "Leinen los"! Begleitet von den rhythmischen Klängen einer japanischen Trommlergruppe auf der Pier nimmt die MS Bremen Fahrt auf, nicht ohne zum Abschied dreimal das Schiffstyphon ertönen zu lassen. Und zwar in einer Lautstärke, die so manchen Passagier erschrocken zusammenzucken lässt.
Um 18.30 Uhr versammeln sich die Passagiere im Club. Kreuzfahrtdirektorin Gabriele Engler stellt das Reiseleitungs- und Expeditionsteam dieser Reise vor. Anschließend geben Expeditionsleiter Thomas Hammerich und Ausflugsleiter Karsten Rose einen kurzen Ausblick auf das Programm der nächsten Tage und den Ausflug von Korsakov nach Yuzhnow-Sachalinsk.
Kurz nach dem Abendessen fordert der Körper endgültig seinen Tribut. Jetlag und Erschöpfung von der Anreise lassen uns so wie die meisten anderen Passagiere ohne weitere Vergnügungen in den Schlaf sinken.
Samstag, 24. Juni 2017, Rishiri, Japan
04.30 Uhr. Aufgrund der Zeitverschiebung durch den Flug ist es schwer, guten Schlaf zu finden. Schon vor einer Stunde ist es hell geworden. Wir fahren bei neun Grad Außentemperatur durch ein graues, nur leicht bewegtes Meer unter einem grauen Himmel, aus dem es etwas regnet, fast genau mit Kurs Norden zur Vulkaninsel Rishiri: ein beliebtes Outdoor-Ferienziel vor Hokkaido, das wir gegen 7.00 Uhr erreichen sollen.
07.00 Uhr. Tief hängen die Wolken über Rishiri-Fuji bzw. Oshidomari, dem kleinen Hafen von Rishiri, während wir anlegen. An der Pier werden bunte Fahnen geschwenkt. Jemand hat sich mit einem Ganzkörperkostüm als Wakami-Alge verkleidet – eine örtliche Spezialität, die Vorbild für das Maskottchen der Vulkaninsel ist. Würde die Sonne scheinen, könnte man den Vulkan in seiner fast perfekten Form bewundern, doch das spielt es heute nicht. Es heißt, er ähnle in seiner Form dem Stromboli.
Es ist doch für den ganzen Tag leichter Regen vorhergesagt. Wir frühstücken dennoch draußen: Achtern gibt es hinter dem Salon ein Außendeck, das mit Heizlampen erwärmt werden kann. Mit japanischer Schmusemusik beschallt, unterhalten wir uns mit anderen Passagieren übers Wetter und vergangene Erlebnisse.
Die fast kreisrunde Insel Rishiri ist mit 182 Quadratkilometern Fläche mehr als doppelt so groß wie die Nachbarinsel Rebun, ist aber mit ca. 6.000 Einwohnern etwas spärlicher besiedelt. Die meisten Besucher – aus Japan, viele westliche Touristen verirren sich nicht hierher – kommen entweder als Tagestouristen oder aus sportlichem Ehrgeiz, also um den Gipfel zu besteigen oder die Insel zu umrunden.
12.00 Uhr. Wir machen einen Spaziergang entlang der Küste zu einem kleinen Leuchtturm, um den auf vulkanischem Gestein Lilien und Heckenrosen blühen. Der Rishiri-Fuji verbirgt sich weiterhin schamhaft hinter Wolken, aber es ist fast windstill und mild. Ein Souvenirgeschäft hat geöffnet, es gibt Blumen, Magneten (auf ihnen ist praktischerweise der Rishiri-Fuji zu sehen) und eine Gedenkstätte für einen hier verehrten Sänger, bei der man auf Knopfdruck Musik abspielen kann. Einheimische kommen und fotografieren die Bremen, Passagiere fotografieren die Einheimischen. Dazwischen steht das grüne Kelp-Männchen und winkt. Die Wolkendecke bleibt geschlossen, beim Mittagsbuffet gibt es gebackenen Fisch mit Kartoffelsalat.
14.00 Uhr. Vor dem Auslaufen des Schiffes versammelt sich eine Schulklasse im Hafen. Die Kinder interviewen die Passagiere: Where do you come from? Dann ertönt das Schiffstyphon drei Mal, und wir legen ab. Die Kinder haben mittlerweile Verstärkung von Fahnenschwingern und Anwohnern bekommen, gemeinsam wird gesungen und getanzt. Eine rührende Vorführung, die viel Applaus von den Passagieren einbringt. Good bye, see you next year, steht auf einem riesigen Transparent, das nun entrollt wird. Dann taucht die Bremen wieder in den Nebel ein, innerhalb von Minuten verschwindet Rishiri hinter einer weißen Wand.
16.00 Uhr. Ganz kurz, aber wirklich ganz kurz, kommt die Sonne heraus und die Basis des Vulkans ist zu sehen, aber das ist nur ein letztes Aufflackern einer letztendlich vergeblichen Hoffnung. Wir nehmen Kurs auf Wakanai auf Hokkaido, wo ein sogenannter technischer Stopp eingelegt werden wird, sprich, das Schiff wird für die Ausreise aus Japan von den Behörden freigegeben.
17.00 Uhr. Zodiac-Einweisung. Es gibt trockene und nasse Anlandungen. Für letztere benötigt man Gummistiefel, Zodiacwesten und Parkas, die zur Verfügung gestellt werden. Eine wasserfeste Überhose, Handschuhe und eine Haube sollte man selbst von zu Hause mitbringen. Man steigt von einem Sidegate eine Außenstiege und dann in das Zodiac, das spezielle Schlauchboot für Anlandungen. Es wird erklärt, wie man sich dabei verhält – im Prinzip eine einfache Sache, wenn man das einmal gemacht hat. Man bekommt schnell gute Routine und fühlt sich bald sicher.
18.00 Uhr. Wakanai, der nördlichste Punkt Japans. Angeblich gibt es hier nur acht Sonnentage im Jahr. Heute ist einer von den 357 anderen Tagen. In der Panorama-Lounge wird ein Ausreisebüro eingerichtet, in dem japanische Beamte jeden einzelnen Pass samt Passagier prüfen. Danach gibt es ein Foto mit dem örtlichen Maskottchen, einer Art Riesenpanda, und verschweißte Algen als Geschenk. Anschließend wird das Abendessen serviert, wie immer exzellent und mit praktisch perfektem Service. Wie laufen aus und sind auf Kurs Russland.
21.00 Uhr ist gleich 23.00 Uhr. Während der Nachspeise erreicht unseren Tisch mit der Nummer 24 die mehr oder weniger schockierende Nachricht, dass die Schiffsuhren in der Nacht um zwei Stunden vorgestellt werden – eine wahrlich kurze Nacht steht bevor. Nach Korsakov, unserem nächsten Hafen an der Südspitze der Insel Sachalin, sind es nur wenige Stunden durch die Soya-Straße.
Sonntag, 25. Juni 2017, Sachalin/Russland
06.00 Uhr. Ankunft in Korsakov auf Sachalin. Bedeckt, drei Grad. Vom Kabinenfenster aus erkenne ich einen großen Hafen. Wir müssen hier zunächst einmal auf die russischen Behörden warten. Aber das ist Sache der Besatzung, die Passagiere gehen zuerst einmal gemütlich zum Frühstück – wie immer wird es entweder im Restaurant serviert oder man bedient sich am Buffet in der Panorama-Lounge. Hier gibt es auch einige Sitzplätze an Deck, wo man es sich unter Heizlampen bequem machen kann. Später müssen alle zur Gesichts- und Passkontrolle antreten, die recht professionell abläuft.
09.00 Uhr. Mit Bussen fahren wir von der Hafenstadt Korsakov nach Yuschno-Sachalinsk. In die 160.000-Einwohner-Stadt sind es ungefähr 45 Minuten. In einem Kulturzentrum werden die Passagiere traditionell mit Brot und Salz begrüßt, dann gibt es eine Folklore-Vorführung des Solovoshki-Ensembles. Weitere Stopps sind die russisch-orthodoxe Kirche, ein sehenswertes Museum, das in einem Gebäude aus japanischer Zeit (1905 bis 1945) untergebracht ist, und der Siegesplatz, auf dem ein Panzer, ein Museum und eine neue Kirche miteinander um Aufmerksamkeit konkurrieren. Es bleibt kühl und windig, aber der Regen macht zum Glück eine Pause.
Die Öl- und Gasfelder im Norden Sachalins bestimmen das Leben auf der fast 900 Kilometer und an manchen Stellen nur wenige Kilometer breiten Insel. Viele Städte und Orte aus sowjetischer Zeit sind mittlerweile verlassen. Im Gegenzug sind mehr oder weniger abgeschottete Siedlungen für die Öl- und Gasarbeiter entstanden. 20 Prozent der Einwohner sind Nachfahren koreanischer Zwangsarbeiter aus der Zeit japanischer Herrschaft, die nach der sowjetischen Besetzung bleiben durften und heute Teil der Gesellschaft sind.
Auf Sachalin herrscht sechs bis sieben Monate im Jahr "Väterchen Frost", der Sommer beschränkt sich auf einige Wochen im August und September. Glaubt man der Reiseleiterin Itina, türmt sich der Schnee im Winter bis in den ersten Stock der Häuser. Aber nicht nur das schwierige Klima, auch häufige Erdbeben machen das Leben kompliziert und unberechenbar. In die Literaturgeschichte eingegangen sind die komplizierten Lebensbedingungen auf Sachalin durch die Berichte und Romane Anton Tschechows, der als Arzt von St. Petersburg hierher geschickt wurde, um eine Studie über die Lage der Zwangsarbeiter und Gefangenen zu erstellen, und der auch selbst schon während der Anreise erkrankte.
14.00 Uhr. Ein steifer Wind drückt die Bremen in Korsakov an die Pier. Wir brauchen die Hilfe eines Schleppers, um sicher abzulegen. Dann fahren wir zunächst einmal mit Kurs 217 Grad, um dann nach dem Kap Aniva nach Norden umzudrehen. Die Parkas (dicke rote Jacken) und Gummistiefel werden ausgegeben. Bei den Jacken nehme ich eine etwas größere Variante, damit ich meine Kamera beim Einsteigen in die Zodiacs darunter vor Spritzwasser schützen kann. Zwei Mitarbeiter der russischen Reiseagentur, Dennis Kuguk und Vladimir Kaysin, sind nun bis Petropawlowsk an Bord. Ohne Einheimische geht hier gar nichts.
17.00 Uhr. Vorschau ("Precap") auf die bevorstehenden Aktivitäten. Expeditionsleiter Thomas Hammerich berichtet, dass wir morgen um etwa 9.00 Uhr die kleine Insel Tyuleniy vor Sachalin erreichen werden. Allerdings sieht die Wettervorhersage nicht gut aus. Hohe Wellen könnten eine Fahrt mit den Zodiacs unmöglich machen. Angeblich soll der Wind im Laufe des Vormittages nachlassen. Wir können bis etwa 14.00 Uhr warten, dann müssen wir Kurs auf die Kurilen nehmen, um den Fahrplan einzuhalten.
18.30 Uhr. Kapitäns-Empfang! Die Herren haben Anzug und Krawatte angelegt, die Damen kommen im eleganten Kleid oder Hosenanzug. Es ist dies neben dem Abschiedsdinner in drei Wochen der einzige Anlass, für den diese Kleidungsstücke mitgenommen werden. Bei allen anderen Abendessen ist eher legere Kleidung angesagt.
Kapitän Jörn Gottschalk, der schon auf vielen Hapag-Lloyd-Schiffen war, ist ein launiger Gastgeber. Zum für den nächsten Tag angesagten Regen meint er nur: "Gut für die Haut." Gegen Seekrankheit würden vor allem ausgedehnte Waldspaziergänge helfen (für die bevorstehende Nacht sind zwei bis drei Meter hohe Wellen angesagt), bei den nächsten Ausflügen würden uns "gut durchtränkte" Inseln erwarten. Ein Thema ist auch die "offene Brücke": Wenn man sich ruhig verhält und die Offiziere nicht nervt ("Übrigens, ich habe auch ein Schiff ..." oder ähnlich), kann man auch als Passagier tagsüber meist auf die Brücke und der Führungscrew bei der Arbeit zusehen.
Dann gibt es das Abendessen: Um einen Eindruck zu vermitteln, was auf diesem Sektor auf der Bremen so alles geboten wird, sei hier die Empfehlung der Küchenchefin Yvonne Happe wiedergegeben. Zunächst eine Variation von der Königskrabbe mit verschiedenen Saucen, dann eine getrüffelte Kartoffel-Lauchsuppe mit Rahm sowie Garnelen mit Mango Chutney auf gebrannter Ananas. Nachdem ein Schokoladen-Chili-Sorbet für Ausgleich gesorgt hat, wartet frischer Fisch aus Otaru: ein gebratenes oder pochiertes Filet von der Gelbflossen-Makrele mit Salsa-Cruda-Mangold und Süßkartoffel-Püree. Den Abschluss machen mit Grand Marnier marinierte Erdbeeren an Bourbon-Vanilleeiscreme sowie ein Käse-Büffet. Gute Nacht!
Montag, 26. Juni 2017. Kurs Tyuleniy vor Sachalin
Mäßiges Schaukeln in der Nacht bei rund drei Meter hohen Wellen, trotzdem ist guter Schlaf mit nur einer einzigen Unterbrechung möglich.
07.30 Uhr. Wir stehen auf. Vor dem Kabinenfenster zeigt sich ein graues Meer, aus dem weiße Gischt hochgepeitscht wird. Wir schätzen Windstärke fünf bis sechs. Wir gehen zum Frühstück.
09.00 Uhr. Die Bremen erreicht Tyuleniy, einen riesigen Feldklotz, von starker Brandung umtost. Die nur knapp 650 Meter lange und 110 Meter breite Insel ist von Menschen unbewohnt, sie beherbergt jedoch eine der größten Kolonien des Nördlichen Seebären. Über der Insel kreisen riesige Schwärme von Lummen, in der Luft mischt sich ihr Geschrei mit dem Tosen des Meeres.
Die Besatzung lässt das Sidegate hinunter. Aber das ist ein bisschen Show für die weniger erfahrenen Passagiere, denn es ist völlig klar, dass die Dünung zu stark fürs Einsteigen in die Zodiacs und einen Ausflug zur Insel ist. Das Programm wird also umgestellt. Bis Mittag gibt es einige Bordaktivitäten, vielleicht bessern sich ja die Bedingungen bis zum Nachmittag. Wir gehen hinauf zum Ausguck neben der Brücke und nehmen mit dem bordeigenen Feldstecher die Insel ins Visier. Ein gigantisches "Manhattan der Tiere" mitten im Nirgendwo des Ochotskischen Meeres. Fast jeder Quadratmeter ist von einem Lebewesen besetzt, das den eroberten Platz ununterbrochen gegen Rivalen verteidigen muss.
Zu sehen ist auch ein zweistöckiges Gebäude. Kapitän Gottschalk erzählt, dass es einmal ein Hotel hätte werden sollen. Heute ist die Insel freilich Teil eines Nationalparks, auch mit den Zodiacs darf man sich ihr maximal bis 300 Meter nähern.
Hören wir also, was Linda Rudin, unsere Meereskundlerin am Bord, über die Robben zu erzählen hat: Sie sind Verwandte der Marder und Bären. Es gibt Ohrenrobben und Hundsrobben, erstere sind sehr schnell und aggressiv, die Ohren sind besser sichtbar. Die Bezeichnungen Seebär und Pelzrobbe meinen das gleiche Tier, damit ist die größte Verwirrung einmal beseitigt. Fische und Tintenfische bilden ihre Nahrung. Der Stellersche Seelöwe ist größer und hat einen helleren Pelz, fällt mit einem dicken Hals und seiner Mähne auf. Auch für ihn ist Fisch die Hauptnahrung. Seehunde wiederum sind meist gefleckt, ganz ähnlich der ebenfalls gefleckten Largha-Robbe, die aber mehr Punkte auf dem Fell hat. Das Walross schließlich ist erst viel weiter nördlich zu finden. Es hat große Hauer, um damit seinen massigen Körper aufs Eis zu ziehen.
13.00 Uhr. Es steht fest, dass eine Zodiac-Fahrt hier nicht stattfinden kann (weiterhin Windstärke fünf Beaufort und zwei Meter hohe Wellen). Wir lichten also den Anker und nehmen Kurs auf Chirpoy, eine Kurileninsel, 300 Seemeilen Richtung Südost quer über das Ochotskische Meer, die wir morgen um 12 Uhr erreichen sollen. Der Nachmittag ist eine willkommene Gelegenheit, sich etwas auszuruhen. Schön langsam wird es etwas heller und die Windstärke sinkt auf vier.
17.00 Uhr. Die meisten Passagiere hören sich einen Vortrag des Biologen Dr. Eckart Pott über Möwen, Alken und Kormorane an, also Vogelarten an den Küsten von Nordpazifik und Beringmeer. Interessante Vögel sind zum Beispiel die Alken, die wie die Pinguine zum Jagen ins Wasser gehen und zur Fortbewegung die Flügel benutzen. Dazu gehören etwa die Taubenteiste oder die Brillenteiste, aber auch Papageienschnabelalk, Schopfalk, Zwergalk und Bartalk. Kormorane wiederum gehören zu den Ruderfüßern, alle vier Zehen zeigen nach vorne. Sie jagen unter Wasser mit Fußantrieb. Die Dreizehenmöwen bauen Nester in den Felswänden, ebenso die Klippenmöwe mit ihren roten Beinen.
Häufig zu sehen sind Dickschnabellumme (schwarz-weiß gefärbt) und Trottellumme. Eissturmvögel gehören in die Gruppe der Röhrennasen. Sie sind mit Albatrossen verwandt und sehr gute Segelflieger. Der berühmte Papageitaucher (Hornlund) gehört genauso zu den Alken wie der Gelbschopflund. Sie brüten ganz oben auf den Felsen in Höhlen im Gras. Wir können aber auch hoffen, Räuber zu sehen – Wander- und Beringfalken sowie Weißkopf-Seeadler und Riesenseeadler mit einer Spannweite bis 2,30 Meter. Letztere sind nur auf der asiatischen Seite der Beringstraße zu sehen
19.00 Uhr. Der Seegang hat nachgelassen, gegen 22.00 Uhr wird es finster und wir lassen uns in den Schlaf schaukeln.
Dienstag, 27. Juni 2017. Kurs Chirpoy, Kurilen
07.00 Uhr. Es bleibt bedeckt und regnet leicht, aber die See ist ruhig. Um 8.00 Uhr gibt es Frühstück im Club. Man kann zu dieser Tageszeit nicht nur eine große Vielfalt an Eierspeisen und Omeletts bestellen, sondern zum Beispiel auch Rumpsteak mit geschmortem Zwiebel auf Toast oder Nürnberger Bratwürstchen mit Kartoffelrösti. So viel Luxus im Ochotskischen Meer bzw. kurz vor Ostrov Chirpoy, der Kurileninsel! In der Bordausgabe der "Salzburger Nachrichten", die jeden morgen außen an der Kabinentür wartet, geht es um die Beliebtheitswerte österreichischer Spitzenpolitiker – eine Nachricht wie vom Mars.
Es sind nur noch etwa 24 Seemeilen bis Chirpoy. Der Kapitän meldet sich um 9.00 Uhr übers Bordlautsprechersystem. Wir haben Windstärke zwei Beaufort, die Prognose für unsere geplante Anlandung ist gut. Gut gelaunt kommen die Passagiere in die Panorama-Lounge, wo der Geologe Horst Kämpf über den Pazifischen Feuerring, Erdbeben und Tsunamis spricht. In den letzten Jahrzehnten hat es entlang der Aleuten, in Kamtschatka und Alaska gleich mehrere sehr starke Erdbeben mit einer Magnitude von mehr als neun gegeben.
12.00 Uhr. "Wale, Wale, Wale!" Die sonore Stimme von Kapitän Gottschalk kommt über das Bordsystem mitten in die Geologie-"Vorlesung". Die Passagiere stürmen aus dem Saal und hinaus auf die Steuerbordseite des Schiffes. Und tatsächlich: In der nun spiegelglatten See tümpelt nur 200 Meter entfernt ein Pottwal, der ab und zu einen fotogenen Blas ausstößt. Der Kapitän hat das Schiff gestoppt, damit alle das Tier gut beobachten können. Zehn Minuten geht das so, dann zeigt der Pott seine Fluke (Schwanzflosse) und taucht in Richtung Kurilengraben ab.
13.00 Uhr. Diese Glückssträhne hält aber leider nicht an. Zwar sehen wir auf der kleinen Insel Chirpoy zwischen Nebelfahnen die Fumarolen (Austrittsstellen von Vulkangasen) vom letzten Ausbruch des Schichtvulkans im Jahr 2015 ganz deutlich. Aber Landen ist unmöglich: Wir müssen aufgrund der starken Brandung aufgeben. Die Bremen wäre aber nicht die Bremen, wenn es keinen "Plan B" gäbe. Wir nehmen Kur auf die Nachbarinsel Brad Chirpoy. Dort werden die Boote zu Wasser gelassen für eine Rundfahrt entlang der Vulkanküste, bei der auch zahlreiche Stellersche Seelöwen beobachtet werden können.
Nach 17.00 Uhr. Überraschenderweise lichtet sich der Nebel plötzlich – und im Licht der Nachmittagssonne werden die Vulkankegel beider Inseln sichtbar. Ein geradezu magischer Moment nach den zahlreichen grauen Stunden der letzten Tage. Damit nicht allzu viel des Erlebten in Vergessenheit gerät, gibt es um 18.30 Uhr noch einen Rückblick auf die Ereignisse der vergangenen Tage und Expeditionsleiter Thomas Hammerich stellt das Programm für die nächsten beiden Tage vor. Unser Schiff aber hat schon die nächsten 113 Seemeilen in Richtung der Kurileninsel Yankicha in Angriff genommen.
Mittwoch, 28. Juni 2017, Yankicha, Kurilen
Frühmorgens sind nur einige grüne Hänge zu sehen, der Rest von Yankicha wird von dichtem Nebel verborgen. Yankicha ist die vor etwa 9.400 Jahren entstandene Caldera eines Vulkans, in deren Flanke später eine Öffnung entstanden ist, die den Krater mit Meerwasser geflutet hat. Die Insel ist Brutplatz für mehrere 10.000 Paare Schopfalken, mehrere Tausend Lummen sowie Kamtschatka- und Dreizehenmöwen. Für die Bremen ist die Lücke im Kraterrand nicht tief und breit genug, aber mit den wendigen Zodiacs ist die Einfahrt bei günstigen Wind- und Wellenverhältnissen möglich. Nachdem das Expeditionsteam die Fahrrinne durch eine Boje markiert hat, können auch die Passagiere an Land gehen.
Die Landestelle liegt an einem sandig-kiesigen Strand. Wir steigen durch dichtes, hohes Gras den Kraterrand hinauf. Von oben bietet sich ein phantastischer Blick – nicht nur in den Krater hinein, sondern auch aufs Meer hinaus. Unten liegen inmitten bunt blühender Wiesen die Ruinen mehrerer kleiner Holzhütten, die vor langer Zeit von Fischern als Sommerquartier genutzt wurden. Ein großartiger Anblick sind Tausende von Schopfalken, die in dichten Schwärmen von ihren Bruthöhlen in den Kraterwänden aufs Meer und wieder zurück fliegen. Um die Landestelle schleicht ein Fuchs, der keine Scheu vor den Menschen zeigt, die in sein Reich eingedrungen sind, er inspiziert sogar eines der Zodiacs.
Um 12.00 Uhr kehrt das letzte Zodiac zur Bremen zurück. Dann wird der Anker gehoben und das Schiff nimmt Kurs auf Atlasov, die nächste Kurileninsel auf unserem Bogen in Richtung Kamtschatka. Der Nachmittag vergeht an Bord in Ruhe. Endlich ist Zeit, um nachzulesen und zu sortieren.
In der kommenden Nacht werden die Schiffsuhren neuerlich vorgestellt, diesmal um eine Stunde. Unsere Zeitzone ist jetzt dann schon die von Petropawlowsk (plus zehn Stunden zur europäischen Sommerzeit). Während des Nachmittags war es eher nebelig. Aber auch jetzt, während wir entlang der Kurilen auf dem Ochotskischen Meer nach Nordwesten gleiten, ist die See bei Windstärke zwei ruhig. Zeit, in die Bücher der Bordbibliothek zu sehen.
Donnerstag, 29. Juni 2017, Atlasov, Kurilen
07.30 Uhr. Trotz Hochnebels und nur vier Grad kann man beim Frühstück auch draußen am Lido-Deck mit Aussicht sitzen. Es ist fast windstill, und die Heizlampen helfen. Es besteht Hoffnung, dass die Wolken irgendwann das Weite suchen und die Vulkaninsel sich in ihrer ganzen Pracht zeigt. Wir sind um 8.30 Uhr als erste Gruppe ("Gelb") für die Anlandung eingeteilt. Während die Zodiacs zu Wasser gelassen werden, ziehen Kormorane vorbei.
Zuletzt ist der Seitenvulkan von Atlasov 1996 ausgebrochen. Wir landen nahe eines der Kegel an einem schwarzen Strand. Im Gras dahinter gibt es hölzerne Überreste einer kleinen Ansiedlung. Auf der anderen Seite sieht man einen verfallenen Leuchtturm und die Überreste des Frauen-Gulags, der sich hier in sowjetischer Zeit befand. An einem Ende des Strandes ist eine Lavawand eingestürzt und hat einen Doppelstrand gebildet. Eine Passagierin, deren Wärmeempfinden – wie sie uns erzählt hat – gestört ist, nimmt ein Bad im Ochotskischen Meer, das hier etwa sechs Grad hat. Ganz oben am Vulkankegel brüten die Kormorane. Später entdecken wir Fußspuren eines Rotfuchses. Hier gab es einmal eine Fuchsfarm. Und als man sie aufließ, entließ man auch die Tiere einfach in die Wildnis.
An manchen Stellen findet sich Müll, den russische Fischer zurückgelassen haben. Spuren jüngerer russischer Aktivitäten zeigen sich in einem 2011 errichteten Gedenkkreuz in der Nähe der ehemaligen Unterkünfte. Es erinnert an die Besitznahme der Kurilen durch Russland im Jahr 1711. Auf einem Kreuz angebracht ist die Inschrift "300 Jahre russische Erde". Das Kreuz wurde von der Partei "Unser Haus Russland"gestiftet.
Der über 2.300 Meter hohe Vulkan selbst verbirgt sich jedoch hinter einer tief liegenden Wolkendecke. Und das ändert sich auch nicht, bis wir gegen 12.00 Uhr den Anker lichten. Der Legende nach wurde der Vulkan Atalasov von den anderen Vulkanen auf Kamtschatka ins Exil aufs Meer geschickt, weil sie wegen seiner Schönheit eifersüchtig waren. Das kann aber nicht an einem derart nebeligen Tag wie heute passiert sein.
Der Kapitän teilt uns per Bordlautsprecher seine Pläne mit. Wir fahren jetzt weiter nach Osten, in 1,5 Stunden benützen wir die Zweite Kurilenstraße (zwischen Ochotskischem Meer und Pazifischem Ozean, diese werden von Norden nach Süden gezählt). Insgesamt sind es nur 37 Nautische Meilen bis zu den Pitchiy-Inseln.
13.30 Uhr. Nun sind wir in der Zweiten Kurilenstraße zwischen den Inseln Shumshu und Paramushir. Hier gibt es eine kleine Stadt, Severo Kurilsk. 2.500 Menschen leben hier hauptsächlich von der Fischindustrie mit Krabben und Jakobsmuscheln.
15.30 Uhr. Anlandungen sind auf Pitchy Island nicht möglich, aber auch nicht notwendig, denn die Hauptattraktionen, Largha-Robben und Seeotter, sind besser vom Boot aus zu beobachten. Die Inseln selbst bestehen aus fantastischen Vogelfelsen mit Lummen, Papageientauchern, Kormoranen und Kamtschatka-Möwen. Sie alle bevölkern dieses Tierparadies am Rande der Welt, durch das sanfte Wellen rauschen, die unter Wasser den dichten Kelp wiegen. Innerhalb von Minuten sind unsere Zodiacs von den Seeottern umzingelt, die Eindringlinge werden neugierig beäugt. Und fast eine kleine Sensation: gepunktete Largha-Robben.
Nachher sitzen wir beim Tee am Lido-Deck in der wärmenden Sonne und besprechen diese erstaunliche Stunde. Wir blinzeln zu den Felsen hinüber, wo jetzt die Zodiacs mit der zweiten Ausbootungsgruppe unterwegs sind. Und so haben wir uns letztendlich doch mit den Kurilen versöhnt, nachdem – wie auch der Kapitän einräumte – zu Beginn "ein bisschen der Wurm drinnen war".
19.30 Uhr. Während des Abendessens im Restaurant wird Fisch serviert, den die Besatzung am gleichen Nachmittag bei Ptichy Island gefangen hat. Und während Backbord die Wolken wie von Zauberhand verschwinden und geradezu kitschige Blicke auf die von Eis bedeckten Vulkane Kamtschatkas freigeben, schlägt dort ein Buckelwal zur Nachspeise einen Salto. Kein Witz, so geht dieser unglaubliche Tag wirklich zu Ende!
Freitag, 30. Juni 2017, Russkaya-Bucht, Kamtschatka
Beim Aufwachen kurz vor sechs Uhr präsentiert sich die Vulkankette Kamtschatkas im milden Morgenlicht. Wir fahren in die von Bergriesen gesäumte Russkaya-Bucht. Hier leben einige Fischer, Kajak-Sportler aus Petropawlowsk campen mit Zelten. Schnell erfahren wir, dass wir die geplante Wanderung zu einem Wasserfall oberhalb der verfallenden Gebäude nur in der Gruppe und in Begleitung russischer Guides unternehmen können, da gestern eine Bärenmama mit zwei Jungen genau dort gesichtet wurde. Tatsächlich finden wir die Losung, während wir zwischen kleinen Fischerhütten, Metallschrott und verfallenen Gebäuden über matschige Wiesen hinaufsteigen. Es ist richtig heiß geworden, und viele Passagiere schwitzen, weil sie aus lauter Angst vor "sibirischer Kälte" mit den Parkas angelandet sind, die bei Sonnenschein und 18 Grad viel zu warm sind.
Der russische Guide, mit Leuchtfackel und Bärenspray ausgerüstet, berichtet von seinem Autounfall 50 Kilometer außerhalb von Petropawlowsk: Das Auto ein Totalschaden, der Bär war tot.
Zum Gaudium der Passagiere hat die Küchencrew mittlerweile eine Erbsensuppe mit Würsteln im Kessel angelandet, dazu gibt's seltsamerweise Champagner. Gegen 13.00 Uhr sind alle wieder zurück an Bord am Lido-Deck, dort gibt es ein Mittagsbuffet. Heute sitzen mehr Passagiere draußen, es ist der erste wirklich warme Tag der Reise. Angeblich aber gibt es in der Russkaya-Bucht jeden Sommer nur etwa zehn solche wunderbaren Tage.
Nachher verlassen wir die Bucht, umfahren Kap Kekurny und landen an einem Kiesstrand vor einer Lagune an. Dieses Mal dauert die Erkundungsprozedur der Crew etwas länger, bevor die Passagiere ausgebootet werden, da es sich um eine Erstanlandung von Hapag Lloyd Cruises handelt. Und man kann sagen, es zahlt sich aus: Ein lang gezogener Kiesstrand, an dem das Anlanden aufgrund der stärkeren Brandung etwas schwierig ist. Man muss schon den richtigen Zeitpunkt zwischen zwei Wellen abwarten, um nicht bis zum Bauch nass oder womöglich sogar umgeschmissen zu werden. Aber alles geht gut – und wir sehen auch eine Kolonie Seelöwen, die laut grunzend ihren kleinen Platz auf dem Felsen rechts gegen Rivalen verteidigen. Und den Seeadler mit dem Nest mit zwei Jungen ganz oben auf den Klippen, der den besten Platz hat, um die Szenerie mit Meer, Schneebergen, sattgrünen Wiesen und einem glitzernden Fluss zu bestaunen.
Samstag, 1. Juli 2017, Zuphanova-Fluss, Kamtschatka
Schon um 07.00 Uhr wird bei fantastisch schönem Wetter die erste Gruppe für eine zweistündige Fahrt durch das Mündungsdelta des Zuphanova-Flusses ausgebootet, eines vielfach verästelten, von vielen kleinen Inseln und Sandbänken geprägten Tieflandflusses. Die frühe Ankunft hat einen Grund: Der Fluss führt zwar sehr viel Wasser, ist aber trotzdem sehr flach. Selbst die Zodiacs, die nur etwa 60 Zentimeter Wasser unter dem Kiel benötigen, können nur in einem Zeitfenster von drei Stunden vor bis drei Stunden nach Hochwasser fahren.
Im Konvoi geht es flussaufwärts. Auf der Backbordseite der von Schnee bedeckte, 2.800 Meter hohe Zhupanovski-Vulkan, an dessen Fuß der gleichnamige Fluss entspringt, voraus der 1.750 Meter messende Karymski, der zu den aktivsten Vulkanen auf Kamtschatka zählt. Auch heute stößt er wieder eine riesige Rauchfahne aus.
Am Fluss brüten mehrere Paare Riesen-Seeadler. Bären lassen sich leider nicht blicken, aber die Tour führt durch eine fantastische Flusslandschaft. Zu sehen sind neben den Riesen-Seeadlern auch Kamtschatka-Seeadler und Robben. Die zweite Gruppe hat natürlich das gleiche Programm und ist um 11.00 Uhr an der Reihe.
Um 13.00 Uhr. Wir lichten den Anker und nehmen Kurs auf die Kommandeursinseln, die westlichsten Ausläufer der Aleuten, die aber (noch) russisches Staatsgebiet sind. Zunächst fahren wir entlang der von Schnee und Eis bedecken Vulkane, die uns während des Mittagsbüffets am Lido-Deck immer neue Wolkenhüte zeigen. Am Nachmittag sonnen sich die Passagiere am windgeschützten Pool-Deck oder lauschen einem Vortrag, der die Kulturgeschichte Russlands mit der Eroberung Sibiriens in Beziehung setzt.
Kurz nach 22.00 Uhr geht die Sonne unter – und nur etwas später schält sich ein gigantischer, rauchender Vulkankegel aus der Dämmerung, dessen Gase gelbrote Muster auf einen rosafarbenen Himmel zeichnen: ein Ausbruch des Karymski, den wir schon am Vormittag von der anderen Seite sehen konnten.
Später, im Licht des aufgehenden Mondes, begleitet ein Rudel Finnwale das Schiff. Sie wirken wie riesige schwarze Schatten auf einem glitzernden Meer. Wenn es am Ausguck ganz still ist, kann man ihren Blas hören. Und sonst nichts.
Sonntag, 2. Juli 2017, Bering-Insel
08.00 Uhr. Wir erreichen die Bering-Insel, die den Namen dieses Kommandanten der "Großen Nordischen Expedition" trägt, der hier seinen Forscherdrang letztendlich mit dem Leben bezahlt hat. Auf der kargen Insel leben einige hundert Menschen vom Volk der Aleuten in bunt bemalten Häusern, ihre Existenzgrundlage ist der Fischfang.
Während eines Rundgangs durch den Hauptort Nikolskoje kann man zum Beispiel das Denkmal Berings bewundern. Es zeigt allerdings das Gesicht seines Onkels, da niemand weiß, wie der Entdecker wirklich ausgesehen hat. Wir spazieren zum Haus eines Künstlers, das mit Robbenschädeln verziert ist. Vor dem Eingang dient der Beckenknochen eines Wales als Sitzgelegenheit.
Nikolskoje beherbergt ein wunderbares, liebevoll eingerichtetes Museum, in dem nicht nur die Kultur der einheimischen Aleuten präsentiert wird, sondern auch ein Originalskelett der Stellerschen Seekuh zu sehen ist. Diese Tierart überlebte ihre erste Begegnung mit den Menschen nur wenige Jahre. Ausführlich wird Berings Expedition und sein Schicksal behandelt.
Eine neue Kirche und ein Kulturzentrum warten weiter oben: Hier gibt es eine Vorführung mit einheimischen Tänzen. Höhepunkt ist der Auftritt der 92-jährigen "Oma" Vera Timoschenko, eine der wenigen Menschen, die noch die aleutische Sprache beherrscht. Sie singt zur Begeisterung der Passagiere in Begleitung ihrer Enkelin mehrere Lieder in aleutischer Sprache. Meist geht es hier um Trauriges: die Sorge etwa um die Männer, die auf dem Meer sind.
Viele Häuser in der "Oberstadt" von Nikolskoje sind neu, bunt bemalt. In den Gärten stehen Gartenzwerge und Plastikpalmen, überall sind Kinderspielplätze eingerichtet. Deutlich wird das Bemühen, das Leben hier am Rand der Welt wohnlich zu gestalten. Etwa 800 Menschen leben hier vom Fischfang. Und es kommen auch immer mehr Touristen. Doch die meiste Zeit im Jahr ist es hier finster und eisig kalt.
12.30 Uhr. Die Bremen läuft aus, Papageientaucher und Trottellummen begleiten das Schiff. Während des Essens am Lido-Deck unter freiem Himmel bietet der obligate Mittagswal, diesmal ein Pottwal, eine kostenlose Darbietung, die wir durchs mitgebracht Fernglas gut verfolgen können.
14.30 Uhr. Nun booten wir mit Zodiacs aus und machen eine einstündige Rundfahrt zu den Seelöwen- und Pelzrobben am Sandstrand und auf den Kliffs davor. Das Gewimmel von tausenden Kormoranen und vielen Papageientauchern und Lummen sowie das Gebrüll der Seelöwenbullen, die Revier und Harem verteidigen, vereint sich zu einem faszinierenden Naturschauspiel. Hier dürfen wir auch näher an den Strand heranfahren, damit die Aufnahmen gelingen. Man muss aber schon sagen, dass man ohne ein lichtstarkes Objektiv mit zumindest 200 mm Brennweite bei der Naturfotografie auf dieser Reise eher aufgeschmissen ist. Ins Reisgepäck gehört aber auch unbedingt ein ordentliches Fernglas.
Anschließend nehmen wir Kurs auf Petropawlowsk-Kamtschatsky, das wir morgen gegen 20.00 Uhr erreichen werden.
Montag, 3. Juli 2017. Auf See, Kurs Petropawlowsk-Kamtschatsky
Wir reisen mit 13 Knoten mit Kurs auf die Halbinsel. Die See ist ruhig, manchmal blinzelt die Sonne durch den Nebel, das Frühstück im Club ist ein Vergnügen. Ein solcher Tag, an dem die meiste Zeit auf See verbracht wird, wird traditionell dazu genutzt, um das bisher Gesehene aufzuarbeiten und vertiefende Informationen zu geben. Und so verbringen wir den Vormittag mit der Stellerschen Seekuh, deren trauriges Schicksal (sie war schon 27 Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit dem Menschen vollständig ausgerottet) den Passagieren vom Bordbiologen "Ha-Jo" Spitzenberger näher gebracht wird.
Die Stellersche Seekuh war bis zu acht Meter lang und bis zu zehn Tonnen schwer. Das gute Fleisch und das Fett der Seekuh rettet die Schiffbrüchigen der Bering-Expedition auf den Kommandeursinseln, aber leitet den Untergang der Seekühe als Art ein, die etwa 50 Millionen Jahre auf der Erde existierten, bis sie 1768 von Pelzjägern ausgerottet wurden.
Am späten Nachmittag fährt die Bremen noch bei Nebel in die Awatscha-Bucht ein, an deren nordöstlichem Ende Petropawlowsk liegt, die Hauptstadt von Kamtschatka. Hier wird der Lotse an Bord genommen, der unser Schiff sicher in den Hafen geleiten soll. Das könnten die nautischen Offiziere auf der Brücke zwar auch alleine, doch hier herrscht Lotsenpflicht, der kein Schiff entgehen kann.
Am Pooldeck steigt inzwischen der Bremer Freimarkt: Bei Freibier und Grill wird die Rückkehr des Sonnenscheins gefeiert, denn kaum sind wir in der Bucht, lichtet sich der Nebel. Um 20.00 Uhr legen wir an, kurz darauf kommen die russischen Behörden an Bord. Schon 1,5 Stunden später ist das Schiff freigegeben und die ersten Passagiere gehen zu einem Abendspaziergang an Land, während am Pooldeck weitergefeiert wird.
Dienstag, 4. Juli 2017, Petropawlowsk-Kamtschatsky, Ausflug
Um 9.00 Uhr fahren wir mit Reiseleiterin Julia vom neuen Kreuzfahrt-Pier ab. Eine Stunde dauert die Busfahrt durch die "Historische Stadt", durch die "Neue Stadt" und dann zum Heli-Airport. Wir müssen bis 12.00 Uhr warten, dann hebt sich der Nebel und es kann losgehen: mit dem Hubschrauber in Achter-Schleifen über die Vulkane bis in den Nationalpark.
Vom Hubschrauber spazieren wir hinüber zu einem kleinen Fluss, dessen Wasser 38 Grad warm ist. Später wandern wir durch blühende Wiesen zum Parkzentrum mit kleinen Huts und Pools, in denen Einheimische und Ausflügler ein warmes Bad nehmen. Man weiß nicht, was man zuerst machen soll: Die Badehose anziehen oder das Fernglas suchen, denn plötzlich werden Bären gesichtet. Einige Exemplare sind etwa 500 Meter entfernt an einem Hang zu sehen. Wir beobachten und staunen, dann müssen wir zurück fliegen. Während der Rückfahrt zum Schiff bieten sich immer neue Aussichten über die Plattenbauten von Petropawlowsk hinweg auf die Vulkane.
Mittwoch, 5. Juli 2017, Petropawlowsk-Kamtschatsky
08.00 Uhr. Bei bedecktem Himmel fahren wir mit Gelände-Trucks zunächst durch Petropawlowsk und dann weiter hinaus in die Wildnis in Richtung Awatscha-Vulkan. Von einer Asphalt-Straße biegen unsere Transporter auf eine Piste ab, die zunächst ein ausgetrocknetes Flusstal den Hang hinauf führt. Der Nebel wird immer dichter, während sich der Truck über matschige Schneefelder weiter quält.
Kurz vor 10.00 Uhr sind wir im Basislager: ein einfaches Gasthaus, einfache Unterkünfte, die man mieten kann, Plumpsklos gibt es auch. Wir nehmen den Aufstieg zum sogenannten Kamelsattel in Angriff. Zunächst geht es auf einer Piste gemächlich voran, dann, ab einer Bergrettungsstation, wird es schwieriger. Schließlich müssen ein doch recht steiles Schneefeld und ein rutschiger Lavahang bezwungen werden. Vom Kamelsattel auf knapp über 2.000 Meter Seehöhe hätte man sicher eine phantastische Aussicht als Belohnung, doch an diesem Tag hebt sich der Nebel nur einige wenige Meter, sodass man nicht mehr als die nähere Umgebung erkennen kann.
Wir müssen nach einer kurzen Pause den gleichen Weg zurück nehmen, der Rundweg ist gesperrt, weil ein Schneefeld von Wasser unterspült wurde. Einige Passagiere rutschen aus, der Weg ist nicht ganz einfach. Kurz vor 13.00 Uhr sind wir zurück im Basislager. Im Gasthaus dampft und brodelt es in der Küche. In Rekordgeschwindigkeit stehen Krautsuppe, Lachs mit Reis, Kaffee und Tee auf den Tischen.
Anschließend vergnügen sich die Passagiere beim Fotografieren der Erdhörnchen (Parry-Ziesel) und eines Fuchses, der mit Essensresten angelockt wird. Jugendliche sind hier in einfachen Hütten einquartiert, sie erproben ihrer Kräfte auf einem kleinen Sportareal. Um 14.00 Uhr werden die Motoren der Trucks wieder angeworfen, es geht zurück zum Schiff.
Dort gibt es eine kleine Wartezeit, da die Behörden die Passkontrolle für die Ausreise aus Russland erst einrichten müssen. Wie fast immer in solchen Situationen ist das Gejammer der Betroffenen über die kurze Verzögerung unerträglich. Man fragt sich, wie erwachsene Menschen auf die Idee kommen können, ein Staat wie Russland könnte Ausländer auf einem Schiff einfach ohne weiteres durchwinken, nur weil es sich um Deutsche oder Österreicher handelt. In Wirklichkeit läuft die Passkontrolle in dem nagelneuen Passagierterminal freundlich und professionell ab.
An Bord gibt es eine Überraschung: Die Crew hat wahre Kaviar-Berge eingekauft, die Köstlichkeit wartet samt Champagner als Freiluft-Buffet während des Auslaufens auf die Passagiere. Zusätzlich hebt die Vorführung einer Folklore-Gruppe an der Pier die Stimmung. Dann ist alles fertig, es heißt "Leinen los!" Wir legen ab, fahren durch die Bucht hinüber zu den "Drei Brüdern", auf den Pazifik hinaus, und verlassen Russland.
In all dem Trubel ist die Stimme des Kapitäns diesmal über Bordlautsprecher nur schwer zu verstehen. Wir haben bereits einen US-amerikanischen Lotsen an Bord genommen, der uns in die Gewässer vor den Aleuten begleiten wird. Es stehen uns zwei lange Tage auf See bevor. Es verspricht, eine ruhige Überfahrt hinüber zu dem neuen Kontinent zu werden, was in diesen verrufenen Gewässern wahrlich keine Selbstverständlichkeit ist.
Donnerstag, 6. Juli 2017, auf See
Neuerlich haben wir die Borduhren in der Nacht um eine Stunde vorgestellt. Nach Hause sind es jetzt elf Stunden (die gleiche Zeitzone wie in Auckland, Neuseeland). Es ist fast windstill und mit 15 Knoten kommen wir optimal voran. Zum Frühstück im Club meldet sich der Kapitän und verkündet, dass wir durch günstigen Wind Zeit gewonnen haben und deshalb außerplanmäßig am morgigen Tag um die Mittagszeit die Aleuteninsel Attu ansteuern können. Da wir in der kommenden Nacht die Datumsgrenze überqueren werden, ist morgen übrigens noch einmal heute – aber dazu morgen mehr!
Am Vormittag erfahren wir von der Biologin Linda viel über die Bartenwale. Dann geht es um das doch recht komplizierte Thema der Feststellung der Längengrade. Die exakte Ermittlung an Bord eines Schiffes auch bei Bewölkung und schlechtem Wetter war erst möglich, als es im 18. Jahrhundert in England gelang, präzise Uhren herzustellen, mit den die Zeit (zu Mittag) an der Position des Schiffes mit jener in London verglichen werden konnte.
Dann fahren wir weiter mit 15 Knoten durch einen Nebelhimmel, aus dem ab und zu die Sonne blinzelt. Beim Mittagsbüffet warten zum Gaudium des Publikums frische Kamtschatka-Krabben, die zusammen mit den diversen pikanten Soßen reißenden Absatz finden. Am Nachmittag wird es dementsprechend immer ruhiger am Schiff.
Am Abend ist Zeit, ein bisschen mit Kapitän Jörn Gottschalk zu plaudern. Wir erfahren, dass man die Erlaubnis für Anlandungen in Russland von den Behörden immer erst in letzter Stunde erhält. Bei einer der vorangegangenen Reisen ist das dann auch prompt schief gegangen. Die Crew muss dennoch Wochen vorher den russischen Behörden melden, wann exakt das Schiff die Zwölf-Meilen-Zone passiert. In den USA ist es anders, aber ähnlich. Ziel der Besatzung ist es, Vertrauen mit den Behörden aufzubauen und sich anzupassen. Touren in diese Regionen sind dennoch immer ein finanzielles Risiko für das Unternehmen.
Donnerstag, 6. Juli 2017, neuerlich. Attu Island, Aleuten
In der Nacht haben wir die internationale Datumsgrenze überschritten. Den 6. Juli, an dem Bordpianist Alejandro Graziani Geburtstag hat, gibt es also zweimal. Genau genommen haben wir die Uhren allerdings nur um 23 Stunden zurück gestellt, um in die gleiche Zeitzone wie jene der Aleuten zu gelangen. So kann man es also auch sehen. Der Wind hat bei bedecktem Himmel auf fünf bis sechs Beaufort zugelegt und eine Anlandung am Nachmittag scheint eher unwahrscheinlich. Im Bordprogramm ist zu lesen, dass es pro Jahr auf Attu Island nur acht bis neun Sonnentage gibt.
Um 13.30 Uhr sollen wir in der sogenannten Massaker-Bucht anlanden, nachdem wir den Mörder-Punkt passiert haben. Die Bucht ist gegen den Wind nach Süden offen, vielleicht klappt die Anlandung mit den Zodiacs also trotz des nicht gerade freundlichen Wetters.
Und tatsächlich, es gelingt! Auf der Überfahrt werden die Passagiere durch Nieselregen und Spritzwasser befeuchtet. Und auch die Brandung ist stark, sodass man zwischen den Wellen aus dem Zodiac kommen muss, um nicht bis zum Bauch nass zu werden. Wie spazieren eine Straße mit verrosteten Kriegsrelikten entlang und schauen uns die Blumenwiese mit arktischen Lupinen an.
Attu ist die westlichste und größte der Near Islands innerhalb der Aleuten. Geographisch gesehen ist die knapp 900 Quadratkilometer große Insel außerdem überraschender Weise nicht der westlichste, sondern der östlichste Punkt der Vereinigten Staaten von Amerika, weil sie bereits jenseits des 180. Längengrades auf 173 Grad Ost liegt. Attu war während des Zweiten Weltkriegs im Pazifik von Juli 1942 bis Mai 1943 der einzige Kriegsschauplatz auf US-amerikanischem Boden, die Insel wurde deshalb 1985 zum Nationalen Historischen Ort erklärt. Seit der Schließung einer Station der US Coast Guard im Jahr 2010 ist sie unbesiedelt.
Zwar finden sich an Land überall noch Reste der Kriegshandlungen, doch die Natur hat nach und nach ihr Territorium zurückerobert. Der Bordbiologe zeigt uns im Nieselregeln die roten und weißen Orchideen, die zwischen Unmengen von Kamtschatka-Schachblumen und Lupinen stehen. Auch Singvögel, wie etwa ein Fuchsammer, sind zu finden. Gegen 18.00 Uhr fährt das letzte Zodiac zum Schiff zurück. Bis auf wenige Jahre während des Krieges blieb Attu Island für Milliarden Jahre vom Menschen unberührt – im Endeffekt wohl deshalb, weil es für den Menschen hier nichts zu rauben gab und gibt.
Freitag, 7. Juli 2017, Kiska-Island, Aleuten
Sirius Point, ein Kap an der Nordwestspitze der Aleuten-Insel Kiska, ist – nach einem Vortrag über den Verkauf von Alaska durch Russland an die USA – der erste Programmpunkt der Bremen an diesem nebeligen Tag. Das Kap ist bekannt für seinen Vogelreichtum. Hunderttausende von Seevögeln nisten in den Felswänden, entsprechend dicht ist der Flugverkehr. Ganze Wolken verschiedener Alkenarten und Möwen sind in der Luft, es ist ein fantastisches Schauspiel, das die Passagiere in seinen Bann zieht.
Von Sirius Point ist es nur ein kurzer Weg in die Bucht Kiska Harbour, wo wird um 13.30 Uhr an Land gehen. Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Japaner hier einen Stützpunkt aufgebaut, den sie allerdings bei Nacht und Nebel wieder verlassen mussten, als die Amerikaner mit erdrückender Übermacht anrückten.
Unsere Anlandung erfolgt an einem flachen, schwarzen Sandstrand in der Nähe eines weitgehend verfallenen Steges. An einem kleinen Wasserfall haben sich Pflanzen- und Tiergesellschaften eingerichtet. Wir können Weißkopf-Seeadler, Wanderfalken, Kolkraben sowie Eider- und Krickenten beobachten. Eine Überraschung sind mehrere Zaunkönige, eine Vogelart, die von Mitteleuropa über den ganzen asiatischen Kontinent bis hierher verbreitet ist.
Samstag, 8. Juli 2017. Tanaga-Island, Aleuten
Das heutige Ziel der Bremen, Tanaga Island, ist die westlichste Insel der Adreanof-Gruppe innerhalb der Aleuten-Kette. Sie hat eine Fläche von 529 Quadratkilometern und ist, wie auch alle anderen aleutischen Inseln, vulkanischen Ursprungs. Die höchste Erhebung auf der Insel ist der Vulkan Mount Tanaga mit 1.806 Metern. Sein letzter Ausbruch liegt 103 Jahre zurück. Dass der Vulkanismus jedoch keineswegs erloschen ist, belegen viele heiße Quellen. Die Insel war ursprünglich von Aleuten bewohnt, sie wurden jedoch während des Zweiten Weltkrieges nach Alaska deportiert und kehrten nie wieder zurück.
So ist Tanaga-Island aufgrund dieser tragischen Ereignisse zu einem unbewohnten Naturparadies geworden, auf dem man zwischen mannshohem Gras zu schönen Basaltfelsen spazieren und Sonnenstrahlen genießen kann, die heute ab und zu die Wolken durchbrechen.
Zu Mittag, wieder an Bord, gibt es zusätzlich zum üblichen umfangreichen Buffet am Lido-Grill Erdäpfelpuffer mit Apfelmus, die reißenden Absatz finden. Zur Belohnung kommt noch einmal kurz die Sonne heraus, doch der Vulkangipfel zeigt sich nicht.
Wir befinden uns etwa 100 Meilen südlich des Zentrums eines Tiefdruckgebietes, das mit uns langsam nach Osten zieht. Das bedeutet aber auch, dass südlich der Aleuten ein kräftiger Sturm unterwegs ist, dessen Ausläufer uns in Form von etwas stärkerer Dünung manchmal streifen. Daher fahren wir nördlich der Aleutenkette mit östlichem Kurs und sind so gegen diese Wellen etwas besser geschützt.
Passend nach dem Mittagessen zeigt sich kurz nach dem Lichten des Ankers ein Pottwal. Als dann schon alle überlegen, wann und wie sie sich von dem Spektakel erholen können, taucht Backbord ein weiterer Meeressäuger auf und bringt die Kamera-Objektive zum Glühen.
Gegen 16.00 Uhr schon wieder eine Attraktion! Dieses Mal ist es eine Schule Orcas (Schwertwale), die sich Steuerbord vor dem Schiff umhertreibt. Wir drehen bei und beobachten die Tiere vor der Felsenkulisse einer nahen Insel. Mehr als eine Stunde lang umkreisen die Orcas das Schiff. Besonders gut können wir sie von der heute offenen Brücke aus beobachten, wo man ab und zu auch eines der für die Passagiere bereitstehenden Ferngläser benutzen kann. Um 16.30 Uhr setzt der Kapitän einen Schlusspunkt, wir gehen wieder auf Kurs und lassen die Tiere zurück.
Sonntag, 9. Juli 2017, Seguam Island, Aleuten
Das Barometer steigt, die Nebel lichten sich. Und aus dem Dunst löst sich die nächste grün-weiße Felseninsel: Seguam Island, die östlichste Insel der Andreanof Islands im Südwesten der Aleuten, wo in einer Bucht eine Kolonie Seelöwen eine Pause auf ihren Wanderungen eingelegt hat. Die Tiere haben den gesamten Strand besetzt, daher ist die geplante Anlandung nicht möglich. Stattdessen unternehmen wir halbstündige Rundfahrten. Die Tiere kommen ganz nahe an die Boote, tauchen auch unter ihnen durch, aber es sind keine freundlichen Begrüßungskomitees, sondern eher Drohgebärden. Wir sind hier Eindringlinge, die nicht willkommen sind.
Nachdem alle wieder an Bord sind, werden "die Segel gesetzt", denn es gibt noch ein weiteres Ziel, das am Nachmittag erreicht werden soll: Chagulak gehört zu der kleinen Inselgruppe der Four Mountains. Auf der Insel erhebt sich der gleichnamige Vulkan, der sich zwar leider in dichte Wolken hüllt, nichtsdestoweniger aber während einer Umrundung mit dem Schiff bestaunt werden kann.
Die eigentliche Attraktion sind aber Hunderttausende von Eissturmvögeln in der Luft und auf dem Wasser. Ein grandioses Schauspiel – und dann zeigen sich auch noch einige Orcas! Der Grund für den Vogelreichtum liegt in der Topographie des Meeresbodens. Südlich der Aleuten liegt der gleichnamige, 7.800 Meter tiefe Graben, nördlich der Inseln steigt der Meeresboden stark an. Dadurch gelangt nährstoffreiches Tiefenwasser an die Oberfläche. Dort wird es von Algen aufgenommen, umgesetzt – und die Nahrungskette beginnt.
Später fährt die Bremen noch zwei weitere Passagen zwischen Vulkaninseln, aber auch hier ist die Sicht nicht so gut, sodass sich die Passagiere eher auf die Gangfolge des Abendessens und die Weinkarte konzentrieren.
Montag, 10. Juli 2017, Dutch Harbor, Alaska
Am späten Vormittag dieses schönen Tages weht der Wind nur mit zwei Beaufort und der Himmel ist nur teilweise von Wolken bedeckt. Gute Voraussetzungen also, um die Einfahrt der Bremen in die Unalaska Bay auf der gleichnamigen Insel zu beobachten.
Heute können die Gummistiefel zum ersten Mal seit vielen Tagen in der Kabine bleiben, denn hier gibt es einen echten Hafen, an dem Schiffe anlegen können. Unalaska Island hat eine Fläche von 2.721 Quadratkilometern, die höchste Erhebung ist der Makushin-Vulkan mit 1.735 Mettern. Mit 250 Regentagen im Jahr ist die kühle Insel (die durchschnittliche Jahrestemperatur beträgt 3,4 Grad) der regenreichste Ort der USA.
Dutch Harbor beherbergt den wichtigsten Fischereihafen der Vereinigten Staaten, liegt aber nicht auf Unalaska Island selbst, sondern auf der mit einer Brücke verbundenen benachbarten Insel Amaknak. In den riesigen Hallen werden vor allem Lachse, Königskrabben und Heilbutt verarbeitet.
Nachdem wir unter Mithilfe freundlicher Beamter, die an Bord gekommen sind, die Einreise-Formalitäten in die USA erledigt haben, geht es an Land. Pendelbusse fahren von der Pier in den sieben Kilometer entfernten Ort. Haltepunkte sind das Museum und die russische-orthodoxe Kirche, die man vom Schiff aus auch sehen kann.
Nur wenige Mutige nehmen den doch zweistündigen Fußmarsch auf sich. Doch die Mühe zahlt sich aus, denn unterwegs sind nicht nur (gelangweilte) Seeotter zu sehen, sondern auch mehrere Weißkopf-Seeadler, die überhaupt keine Scheu vor den Menschen zeigen. Sie sitzen auf dem Supermarkt-Dach oder auf dem Straßengeländer – die Kameras laufen heiß.
Vom sehenswerten Museum, das Geschichte und Kultur dieses abgelegenen Landstriches beleuchtet, sind es noch 2,5 Kilometer bis zur russisch-orthodoxen Kirche, die jedoch leider geschlossen ist. Man kann sich aber vor dem kleinen Friedhof auf eine Bank setzen, in die Bucht hinaus starren und über den wechselvollen Lauf der Geschichte nachsinnen, der die russischen Menschen auf diesen Inseln vor nunmehr 151 Jahren von einem Tag auf den anderen zu Amerikanern gemacht hat. Schon seltsam.
Zurück geht es dann mit dem Shuttlebus. Stilgerecht ist es ein alter amerikanischer Schulbus, den eine freundliche, dicke Lady die Steigungen hinauf tritt. Um 18.30 Uhr ist Landgangsende – und die Bremen macht sich auf, um die 461 Seemeilen bis zur Insel St. Matthew ins Kielwasser zu legen.
Dienstag, 11. Juli 2017, auf See
Tage auf See werden auf der Bremen traditionell immer dazu genutzt, um Informationen an den Gast zu bringen, die im Tagesgeschäft der Anlandungen und Zodiac-Touren keinen Platz finden. Heute stehen demgemäß drei Vorträge auf dem Programm. Linda Rudin lüftet die "Geheimnisse der Walforschung". Später erzählt Eckart Pott über den Goldrausch in Alaska. Und am Nachmittag wird es dann mystisch: Knut Edler von Hofmann berichtet über die "Schamanen zwischen Ost-Sibirien und Alaska – Magie und Religion".
Währenddessen kommt die Bremen bei einem fast nördlichen Kurs, Windstärke zwei und doch recht dichtem Nebel gut voran. Die ruhige See sorgt dafür, dass die Passagiere Bord-Annehmlichkeiten wie Fitnessraum und Bar (in dieser Reihenfolge) ausgiebig ausprobieren können.
Mittwoch, 12. Juli 2017, St. Matthew Island/Hall Island
Bereits um 07.00 Uhr fällt der Anker der Bremen vor dem Bull Seal Point von St. Matthew Island. Die 54 Kilometer lange, aber nur ein bis sechs Kilometer breite Insel liegt isoliert in der Bering-See. Das am südlichen Ende gelegene Kap Upright weist mehr als 300 Meter hohe Klippen auf, die von zahlreichen Seevögeln als Brutplatz genützt werden. Dichte Tundrenvegetation mit vielen Blumen überzieht große Teile der Insel, die als Naturschutzgebiet ausgewiesen und Teil des Alaska Maritime National Wildlife Refuge ist.
Nach einigen Schwierigkeiten findet die Crew einen winzigen, schwarzen Strandabschnitt, der durch vorgelagerte Felsen geschützt ist und an dem eine – durchaus bequeme – Anlandung möglich ist. Schon ab 8.00 Uhr wird ausgebootet. Der Nebel hat sich zu diesem Zeitpunkt schon etwas gelichtet, denn ein zeitweise scharfer Wind weht vom Meer übers Land. Die Farbenpracht der Wiesentundra ist überwältigend, sie wird nur unterbrochen von den Wanderwegen der sogenannten "Singenden Wühlmäuse", der einzigen Säugetiere, die die Insel bewohnen. Ihre Laute ähneln dem Gesang von Singvögeln. Einige wenige Passagiere, die sich ruhig verhalten und nicht schnell bewegen, bekommen die kleinen Nager auch zu Gesicht.
Nach 13.00 Uhr ist das zehn Meilen weiter nördlich gelegene Hall Island das nächste Ziel. Entlang der Küste soll eine Zodiac-Tour zu den Vogelkolonien und einer spektakulären Felsformation, dem Elephant Rock, führen. Die Ausbootung erweist sich als durchaus sportlich, denn am Sidegate kommen bis zu 1,5 Meter hohe Wellen an. Aber mittlerweile ist der Großteil der Passagiere recht geübt. Und nimmt auch – ohne mit der Wimper zu zucken – eine kalte Pazifikdusche in Kauf.
Später gibt es doch noch Schwierigkeiten, da der Anker des Schiffes nicht hält, der Wind weiter auffrischt und die Wellen nun bis zu zwei Meter hoch sind. Die erste Gruppe schafft es nach einiger Zeit unter recht abenteuerlichen Umständen wieder an Bord, an ein Ausbooten der zweiten Gruppe ist aber nicht mehr zu denken. Für sie macht die Bremen noch eine Extratour zum Elephant Rock, sodass er zumindest vom trockenen Deck aus fotografiert werden kann.
Nach dem Abendessen wird es an diesem Tag noch einmal so richtig gemütlich. Die "Nightingales", der berühmte Shanty-Chor der Bremen-Besatzung, tritt im Club auf. Und zwischendurch kommt die offizielle Seekarte, für die man zu einem guten Zweck Lose kaufen konnte, um 2.950 Euro an den Mann.
Donnerstag, 13. Juli 2017 – auf See/Nome, Alaska
321 Seemeilen sind von Hall Island nach Nome, dem Endpunkt dieser Reise, mit der Bremen zurückzulegen. Die meiste Zeit des Tages wird auf See verbracht – und deshalb laufen für nimmermüde Wissbegierige auch Vorträge über die "Aktuelle Vulkanismus-Forschung" und die "Wahren Entdecker Amerikas". Bei fast spiegelglatter See und Sonnenschein kommt dann am Nachmittag die Stunde der Wahrheit: die mehrfach angedrohte Abschlussklausur, bei der abgefragt wird, was von den Informationen der Experten bei den Passagieren so hängengeblieben ist.
Schon gegen 20.00 Uhr läuft die Bremen im Hafen von Nome ein. Aufgrund der Jahreszeit ist es auf 63 Grad nördlicher Breite fast bis Mitternacht hell. Und daher brechen nach der Freigabe des Schiffes gegen 22.00 Uhr auch nach dem Abendessen noch einige Passagiere zu einem Spaziergang in hellem Sonnenlicht durch die kleine Stadt mit ihrem heruntergekommen Frontier-Charme auf.
Die Zurückgeblieben genießen an Deck die späte Sonne und beobachten die Kutter der Krabbenfischer von Nome beim Auslaufen.
Freitag, 14. Juli 2017, Nome/Vancouver
Heute ist der bittere Tag gekommen, wir müssen unsere Bremen verlassen und nach Hause zurückfliegen. Bevor der Charterflug am Nachmittag vom kleinen Flughafen von Nome zu seinem Vier-Stunden-Flug ins kanadische Vancouver abhebt, steht aber noch eine Besichtigung der kleinen Stadt mit Goldgräber-Flair, ein Besuch bei einem Schlittenhunde-Züchter, Goldwaschen für Anfänger und ein Mittagessen im Gemeindezentrum auf dem Programm. Beim letzten Programmpunkt können wir uns einmal mehr von der überbordenden Gastfreundschaft in Alaska überzeugen, sodass der Abschied doppelt schwer fällt.
Vancouver empfängt uns dann spätabends mit einem gigantischen Verkehrsstau, fast zwei Stunden sitzen wir im Bus, bis wir unser Luxushotel in Downtown erreichen. Zurück in der Zivilisation – oder wie man das halt eben so nennt.
Die Redaktion dankt der Besatzung der MS Bremen und insbesondere Dr. "Ha-Jo" Spitzenberger für die Verfassung eines offiziellen Bordbuches, auf das hier teilweise zurückgegriffen wurde.
Klicken Sie hier zu den Angeboten des ÖAMTC-Reisebüros für Expeditions-Kreuzfahrten mit Hapag-Lloyd-Schiffen.
Kommentare