Gesamt-Kunstwerk
Eine Entdeckungsreise in die Toskana führt zu den Wurzeln unserer städtischen Kultur und modernen Lebensart. Genießen steht auch jeden Tag am Programm.
Am späten Sonntagvormittag ist die Piazza della Signoria von Florenz voller Leben. Honoratioren der Stadt ziehen gemessenen Schrittes ein, angeführt von bunt gekleideten Trommlern – eine zusätzliche Attraktion für die Touristen aus aller Welt, die sich versammelt haben, um Ambiente und Atmosphäre dieses einzigartigen Ortes einzusaugen.
Fotomotiv Nummer eins ist natürlich die Kopie von Michelangelos "David" von 1504, die erste frei stehende nackte Statue in Europa seit der Antike (das Original befindet sich in der Galleria dell' Accademia). Bis heute ist das "Mannsbild" Symbol des städtischen Republikanismus.
"Und genau so war das auch damals von Michelangelo konzipiert", erläutert mir Reiseleiterin Patrizia, die mich mit sicherer Hand und wissendem Blick fürs Detail durch das Gewirr der Jahrhunderte und der florentinischen Gässchen gleichermaßen führt. Denn es gibt zwei verschiedene Arten von Reisen nach Florenz und in die Toskana: Die herkömmliche Tour einerseits, bei der man "sich ein bisschen etwas ansieht". Und andererseits die echte klassische Reise, die vielleicht ein bisschen mehr kostet, dafür aber bleibende Bereicherung bietet.
Das urbane Leben
Schon in den ersten Stunden an diesem außergewöhnlichen Ort wird mir klar, dass es die toskanische Renaissance war, die uns das urbane Leben geschenkt hat, wie wir es heute kennen: die vollen Cafés mit den diskutierenden Menschen, die hitzigen Auseinandersetzungen in der Bürgerschaft und der Wettstreit der Kaufmannschaften, die Repräsentation des Zeitgeistes in der Kunst, Erforschung und Nutzbarmachung der Natur durch rationale Gedanken, die Freiheit des Individuums, das unveräußerliche Rechte besitzt.
Ich spaziere vom Palazzo Vecchio und den Uffizien hinüber zum Dom mit seiner "Pforte zum Paradies" und der alles überstrahlenden Kuppel. Und dann wieder durch das Gewirr der Gassen zur Santa Margherita dei Cerchi, wo sich der junge Dante einst in seine Beatrice verliebt hatte. Gleich ums Eck lockt ein kleines Geschäft mit frisch gekochten Kutteln, einer florentiner Spezialität, die wohl nicht allen zusagt.
Bei all diesen Unternehmungen ist mir klar, dass ich Florenz in ein bis zwei Tagen nicht umfassend erkunden kann. Die Galleria degli Uffizi mit ihren Meisterwerken von Botticelli ("Geburt der Venus", "Allegorie des Frühlings"), Leonardo da Vinci und vielen mehr muss ein Vorhaben für einen weiteren Besuch bleiben. Zumal es unbedingt notwendig ist, vorab übers Internet ein Zeitfenster für den Eintritt zu reservieren. Wie überall bei den großen Sehenswürdigkeiten in Florenz und der Toskana gilt auch hier: Man bleibt nicht alleine.
Später schlendere ich über den berühmten Ponte Vecchio hinüber ans südliche Ufer des Arno, wo sich die Touristenströme rasch verlaufen – und die eine oder andere Bar zum Ausrasten und Verweilen einlädt. Denn ich benötige Zeit, um meine Gedanken zu sortieren, die Eindrücke festzuhalten. Eile mit Weile, wie die Florentiner sagen.
Hinaus aufs Land
Gleich südlich von Florenz führen gewundene Straße in die hier recht sanften Hügel des Apennin, zunächst Richtung Greve, dann nach Castellina. Man ist auch hier nicht alleine, andere Neugierige stoppen, um die Kulisse zu genießen: von Zypressen gesäumte Wege, die zu den Gehöften oder Weingütern führen – alles ein großer Garten.
Da fällt es rasch schwer, das Programm einzuhalten. Zu verlockend sind die Genüsse in den Tavernen auch der kleinen Städte. Tatsächlich bleibe ich in Castellina viel länger als geplant, zu gut sind die knusprigen Crostini mit Paradeisern, Hühnerleberpastete und Olivencreme.
Bestraft werde ich mit einem Wolkenbruch, der die Anreise ins berühmte San Gimignano zu einer Art Wasserbootfahrt macht. Das sogenannte Manhattan des Mittelalters mit seinen berühmten Geschlechtertürmen präsentiert sich daher dann auch weniger überlaufen als vielleicht sonst. Rasch zeigt sich der Himmel wieder freundlicher, ich kann das einzigartige Ambiente dieses Orts ohne größeres Gedränge genießen.
Siena und der Süden
Der nächste Tag, der nächste Höhepunkt: Wenn die Toskana ein Gesamtkunstwerk ist, dann ist Sienas Duomo Santa Maria Assunta sein wahrscheinlich wichtigster Teil. Wer schon angesichts der Marmorfassade ins Staunen gerät, wird von dem Marmorfußboden im Innenraum überwältigt sein.
Zweites Highlight in Siena ist natürlich die Piazza del Campo, die die Form einer Muschel hat und eine einzigartige urbane Atmosphäre schafft. Höhepunkt des städtischen Lebens ist Jahr für Jahr der "Palio di Siena" am 2. Juli bzw. 16. August: Bei einem nur 80 Sekunden dauernden Pferderennen treten die Contrade (Stadtbezirke) gegeneinander an: Nur der Sieg zählt!
Südlich von Siena wird die toskanische Landschaft rauer. Die Städte Montalcino, Pienza und Montepulciano thronen als scheinbar uneinnehmbare Festungen hoch über dem zerklüfteten Land. Mein persönlicher Lieblingsort ist Pienza, die "Stadt des Pius": Denn Papst Pius II. ließ hier Mitte des 15. Jahrhunderts in seinem Geburtsort Corsignano eine "Renaissance-Musterstadt" errichten, ihr besonders Flair hat sich bis heute erhalten. Es entfaltet sich besonders in den späteren Stunden, wenn die meisten Tagestouristen schon ihre neuen Ziele ansteuern.
Auch die kurvenreichen Straßen hinauf nach Montalcino kann man durchaus mit Vorfreude in Angriff nehmen, wartet doch oben die Belohnung in Form eines Glases des berühmten Brunello – wenn man denn mit dem Bus anreist und sich Fragen der Verkehrssicherheit daher erst gar nicht stellen.
Über Volterra nach Carrara
Dann versuche ich in eine andere, noch weiter zurückliegende Welt einzutauchen. In Volterra begebe ich mich auf die Spuren des rätselhaften Volkes der Etrusker, der Einwohner dieses Landes vor den Römern. Rätselhaft ist ihre Kultur vor allem, weil die römische Militärherrschaft nicht viel von ihr übrig gelassen hatte. Aber es tut gut, die Hand auf den Stein des „Arco Etrusco“ zu legen, eines der Tore in die Stadt, das die Jahrtausende zu atmen scheint. In Volterra finden sich auch die berühmten Alabaster-Werkstätten, ihre Erzeugnisse sind beliebte Mitbringsel von Reisen die Toskana.
Womit wir schon beim berühmtesten Werkstoff aus der Toskana sind: dem Marmor. Es lohnt sich auf alle Fälle, über Pisa und Lucca hinaus den Weg bis zur Versilia-Küste im Westen zu nehmen. "Ist das dort oben Schnee?", werden sich so manche fragen, wenn sie zum ersten Mal die steilen Abbrüche der Alpi Apuane sehen. Doch es ist in Wirklichkeit der weiße Marmor, der hier seit Jahrtausenden abgebaut wird. Ihn verwendete auch Michelangelo in Florenz für seinen "David", womit sich dieser besondere Kreis der Reise hier schließt.
Ein Ausflug mit sachkundiger Reisebegleitung führt zunächst in die Werkstätten am Fuß der Berge, wo man den Meistern von heute auf die Finger schauen kann. Dann geht es hinein in die Steinbrüche, dort kann man viel über die Abbruch-Techniken von damals und heute lernen: Das nötige Können und Wissen wird noch heute in Carrara von Generation zu Generation weitergeben.
Vom mondänen Montecatini Terme mache ich mich auf die Heimreise. Nach einem wohltuenden Regen fällt goldfarbenes Morgenlicht auf die sanften Hügel, bald erreiche ich die Tunnelkette durch den Apennin nach Norden und die – wie immer viel zu kurze – Reise in die Toskana ist Geschichte.
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