Alt Delhi, früher Nachmittag. Mein Hemd klebt als Ausreibfetzen an der Haut. Ich schätze die Temperatur. 40 Grad? Könnte stimmen. Es riecht nach Zimt, Diesel, Nelken und Urin. Ich bin über und über mit türkisfarbigem Pulver besprüht: Holi, das bunte Fest, hat seinen Höhepunkt erreicht. Meine Rikscha, die von einem spindeldürren Männchen geschleppt wird, ist unterwegs in infernalischem Lärm, durch irres Chaos, das doch irgend einer tieferen, universellen Ordnung folgen muss. Die freilich bleibt mir kleinem Wurm verborgen. Wir rumpeln von der Jamia-Moschee zum Roten Fort, vor uns teilt sich die Menschenmasse wie das Rote Meer auf Befehl des Moses. Ich fühle mich mächtigen Elementen ausgesetzt, eingefangen von einem riesigen Organismus, als fast schon freiwilliger Teil davon. Was würde es schon ausmachen, wenn ich – als einer von 1,2 Milliarden in diesem Land – nicht mehr wäre? Oder wiedergeboren würde als diese halb verhungerte, dennoch heilige Kuh, die auf dem Müllhaufen dort vorne nach Futter sucht. Vielleicht sogar als Ameise, die wir gerade mit unserem klapprigen Gefährt zermerschern? Würde es mir etwas ausmachen, mein Dasein im nächsten Leben als hungriger Bettler fristen zu müssen? Wie dieser Haufen Elend, der vor dem Diamantengeschäft kauert und auch mir, dem reichen Touristen, bebende Arme entgegenstreckt?
Man hatte mich ja gewarnt. Indien, das sei eine harte Nuss. Nichts für schwache Nerven. Etwas, worauf man sich einlassen müsse – was immer das auch heißen mag. Ich gebe nichts auf dieses Gerede. Einlassen muss man sich oft auch auf die Abendnachrichten oder regelmäßig auf Weihnachten und Punschstände. Hier geht es ums unterwegs sein. Um das Fremde, das Andere, das Reisen. Kein Land ist für diese Erfahrung besser geeignet als Indien. Und hier besonders die Provinz Rajasthan im Nordwesten. Je spektakulärer man sich von der Heimat entfernt, desto besser lernt man vor allem sich selbst kennen. Und mit solch einzigartigen Sehenswürdigkeiten ist Rajasthan wahrlich gesegnet.
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