Irland neu entdecken
Die Grüne Insel wird vielen Klischees gerecht. Das ist gut so. Doch wir haben auch Ausnahmen abseits der klassischen Reisziele gefunden – in der Grafschaft Donegal.
Ich stehe auf einer der schroffen Klippen und genieße den Augenblick. Das also ist Malin Head, der nördlichste Punkt Irlands. Grad noch hat’s geschüttet. Jetzt, 15 Minuten später, scheint die Sonne. Kühler Wind bläst mir salzig-feuchte Meeresluft ins Gesicht, weit unten brandet der Atlantik in weißen Schaumkronen gegen die schwarzen, zerklüfteten Felsen. Irgendwo da unten landete 2016 der Millennium Falke in "Star Wars Episode VIII – Die letzten Jedi", als Malin Head zum lebensfeindlichen Planeten "Ahch-To" wurde. "Lebensfeindlich" ist zu hart formuliert, doch Malin Head ist sicher nichts fürs gemütliche Picknick – dafür umso spektakulärer.
Die Szenen, in denen Ray nach einem mühsamen Aufstieg über die Klippen den gealterten Luke Skywalker trifft, wurden allerdings nicht hier gedreht. Zwar auch in Irland, aber viel weiter südlich auf der vorgelagerten Insel Skellig Michael bei den kuppelförmigen Steingebäuden eines früheren Klosters.
Mark Hamill alias Luke Skywalker war während der Dreharbeiten am Malin Head häufig in Farren’s Bar, dem nördlichsten Pub Irlands, anzutreffen. Grund genug, um einzukehren und ein Guinness zu genießen. Handy-Empfang gibt’s hier nicht. Wir können aber trotzdem Fotos verschicken, dank WLAN. Das Passwort: buymorebeer. So funktioniert gutes Marketing. Na dann…
Unbekanntes Irland und bekannte Klischees
Wir sind in der nordwestlichsten Ecke der Republik Irland, in der Grafschaft Donegal mit gleichnamiger Provinz-Hauptstadt. Die liegt eingezwickt zwischen dem Atlantik im Westen und Nordirland, das zu Großbritannien gehört, im Osten. Man könnte sagen "unterwegs im unbekannten Irland", denn touristisch ist hier nicht so viel los wie in den Hotspots in der südlichen Hälfte der Insel.
Das Wetter ändert sich häufig – auch mehrmals pro Tag. Der nördlichste Teil Irlands hat zu Recht den Ruf, durch und durch nass zu machen. Der Begriff "liquid sunshine" ergibt Sinn, wenn du im Regen stehst und zwei Kilometer weiter die Sonne strahlt – oder genau umgekehrt.
Nicht das einzige Klischee, das sich bestätigt: Wir bestaunen weite Moorlandschaften mit sanften Hügeln in allen vorstellbaren Braun- und Beige-Schattierungen und im Frühjahr grellgelb blühendem Stechginster, tiefgrüne durch Steinmauern oder Hecken getrennte Wiesen mit Unmengen an Schafen, Burgen, Schlösser, Ruinen, alte Kirchen und kleine Orte mit Steinhäusern. Überall ist die Harfe zu sehen, das Symbol Irlands. Das ist aber nicht dem Nationalstolz geschuldet. Die Harfe ist das omnipräsente Logo der Brauerei Guinness.
In allen Orten gibt es jede Menge Pubs. Die sind willkommene Zufluchtsorte, wenn wieder einmal der irische Sprühregen die Frisur zerstört. Meist sind die Pubs aber sowieso gut besucht von freundlichen Irinnen und Iren, die gerne plaudern und ein Pint tiefrotes – viele meinen fälschlicherweise dunkelbraunes – Guinness trinken. Das eine oder andere muss ich selbstverständlich zur Recherche konsumieren. Ergebnis: Es schmeckt hier irgendwie besser als in Österreich. Vielleicht ist das aber derselbe Effekt wie beim griechischen Wein, der im heißen Süden auch viel besser mundet als später zu Hause der mitgebrachte.
Aber auch das rötliche Smithwick’s (sprich "smiffiks") ist beliebt, genauso wie helles Bier oder Cider. Und immer läuft ein Fußballmatch über die Flatscreens – oder ein Spiel der beiden Nationalsportarten Gaelic Football bzw. Hurling.
Nordwärts mit Zwischenstopp in der Jungsteinzeit
Unsere Reise begann in Dublin, der Hauptstadt der Republik Irland. Die Stadt und die touristisch bekannten Hotspots der Insel wie den Ring of Kerry im Süden, die Cliffs of Moher oder die Connemara-Halbinsel im Westen haben wir im wahrsten Sinn des Wortes links liegen gelassen.
Aber ein Zwischenstopp musste sein: in Newgrange. Das jungsteinzeitliche Hügelgrab mit seinen engen Gängen, in dem fünf Skelette und Grabbeigaben gefunden wurden, ist rund 5.200 Jahre alt – ein paar Hundert Jahre älter als das weltberühmte Stonehenge in England und die älteste Pyramide Ägyptens. Wirklich gut gelungen ist das Visitor Center mit Schautafeln, Grafiken und Skizzen, die zeigen, wie dieses und die weiteren Hügelgräber in der Umgebung nach den Sonnenständen zur Winter- bzw. Sommersonnenwende ausgerichtet sind. Besonders anschaulich ist der simulierte Drohnenflug über dem Gelände, wie es vor rund 5.000 Jahren ausgesehen haben könnte. Interessant sind die Interpretationen und Überlegungen zu den vielen Gravuren auf den Felsen. Die bestaunen wir kurz danach im Original am monumentalen Hügelgrab selbst. Das wurde rekonstruiert, indem die Unmengen an Steinen, die über die Jahrtausende runtergekullert waren, wieder aufgeschichtet wurden. Die riesigen Felsen, die die Gänge des Grabhügels bilden, waren an ihren angestammten Stellen geblieben. Genau wie die Monolithen, die seit Jahrtausenden rund um den Grabhügel stehen.
Auf unserer Weiterfahrt durchqueren wir auch einen Zipfel von Nordirland, das zu Großbritannien gehört. Die einzigen Indizien, dass wir die Grenze passiert haben: Tempolimits und Entfernungen sind in Meilen angegeben und die Preise in britischen Pfund. In der Republik Irland sind es wie EU-weit Kilometer bzw. Euro. Wir haben schon weit vor der Grenze das Datenroaming unserer Handys ausgeschaltet, denn seit dem Brexit sind in Großbritannien wieder geschmalzene Roaming-Gebühren fällig – außer man hat einen entsprechenden Handy-Tarif.
Bootstour zur höchsten Klippe
Im Südwesten der Grafschaft gehören die steilen Klippen von Slieve League mit über 600 Metern Höhe zu den höchsten Europas. Besonders imposant wirken sie vom Meer aus, also machen wir eine Bootstour bei tollem Wetter. Auf dem Boot und am Pier ist jedoch nicht "Slieve League", sondern "Sliabh Liag" zu lesen. Reiseleiterin Mary klärt auf: "Das ist irisch oder gälisch oder keltisch – wie ihr wollt." Die Ursprache Irlands wird überall gesprochen und in den Schulen als zweite Sprache neben Englisch gelehrt. Manches ist nur gälisch beschriftet, Ortstafeln sind zweisprachig.
Käpt’n Kevin ist auch Lobster-Fischer. Er schildert launig einige Schnurren aus der Region und erzählt von Walen und Delfinen. Wir haben leider keine gesehen.
Kurz danach im kleinen Imbiss-Lokal Ti Linn, das sich samt Souvenir-Shop im Slieve League Cliffs Centre befindet. Wir sitzen bei geräucherten Makrelen und Fischsuppe. Da beginnt ein Mittfünfziger mit Gitarre zu singen. Aber nicht irgendwie so, sondern wirklich gut. Nach einigen Songs mit unverkennbar keltischem Touch erfahren wir von der Kellnerin seinen Namen: Eunan McIntyre. Er wurde hier geboren, wohnt in der Nähe, ist in ganz Irland aus Radio und Fernsehen bekannt, tourte schon rund um die Welt und arbeitet nebenbei als Reiseleiter an den Klippen von Sliabh Liag.
"King Charles was very excited"
Weiter nördlich, im Glenveagh-Nationalpark, lässt es sich herrlich über Hochmoore wandern. Wir halten am Lough Beagh, erfreuen uns an der Aussicht über den lang gezogenen See, atmen tief durch. Danach geht’s per Shuttlebus zum Glenveagh Castle and Gardens, einem viktorianischen Schloss mit wunderschönen Gärten. Die Schlossbesichtigung hat für uns Österreicher eine Überraschung parat: Im Speisezimmer ist mit Gmundner Keramik für ein Jagdessen gedeckt, daneben eine Schaupuppe mit österreichischem Trachten-Janker. "Ja", meint die nette Dame, die uns durchs Schloss führt, "die ehemaligen Besitzer haben weltweit eingekauft." Nur das Museums-Taferl stimmt nicht: Darauf steht "… made in Salzburg, Austria".
Chefgärtner Seán Ó Gaoithín höchstpersönlich führt uns durch den Walled Garden. So wie 2016 (damals noch) Prince Charles und Camilla, die laut Seán "very excited", also sehr begeistert, waren. Danach geht’s durch weitere Bereiche und Themen-Gärten des großzügig angelegten Anwesens mit irischen und exotischen Pflanzen, Farnen, Skulpturen und Teichen. Rhododendren, Azaleen und japanischen Kirschen blühen Ende April in voller Pracht. Nie zuvor habe ich kniehohe Frühlingsknotenblumen gesehen.
Da freut sich der Gaumen
Irland ohne Whiskey? Kaum vorstellbar. Doch nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1921, den darauf folgenden Jahren der Misswirtschaft und wegen schlechter Qualität waren in den 1980er-Jahren nur noch wenige Produzenten übrig geblieben. Heute sind es wieder viele, oft auch kleine Destillerien. In einer solchen, der Ardara Distillery in der Stadt Donegal, erklärt Guide Alan begeistert die Whiskey-Herstellung. Er beschreibt bei der anschließenden Verkostung die verschiedenen Sorten. Wir überprüfen fachgerecht die Qualität. Passt!
Überraschend und gegen alle Klischees: das gute Essen. Genießt doch die Küche der Britischen Inseln nicht den besten Ruf. Zu Unrecht, wie sich herausstellen sollte. Egal, ob im Tophotel, im Hafenrestaurant oder im Guesthouse, es gibt überall tolle Steaks, feinen irischen Lachs und Meeresfisch – gegrillt, gebraten oder klassisch als Fish&Chips. Dazu kommen immer gedämpftes Gemüse und gestampfte Erdäpfel auf den Tisch. Unbedingt probieren: das "Full Irish", das traditionelle Frühstück mit Bratwurst, gebratenem Schinken, Schwammerln, pochiertem Ei, Erdäpfelrösti, Bohnen in süßlicher Tomatensauce sowie Black and White Pudding. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Pudding, wie wir ihn kennen, sondern um gebratene Blunz’n-Radl’n mit geringem oder hohem Getreideanteil. Dazu gibt’s Toast, dunkles Brot, gesalzene Butter, Tee oder Kaffee.
Die große Hungersnot
Kulinarisch war es nicht immer so gut um die Grüne Insel bestellt. Das zeigt sich drastisch im Doagh Famine Village (Doagh Hungersnot-Dorf), einem Freilichtmuseum mit traditionell strohgedeckten Cottages.
Pat Doherty schildert alte Bräuche und führt uns ins Haus, in dem er selbst aufgewachsen ist, in dessen drei Räumen drei Generationen seiner Großfamilie bis 1984 lebten. Er zeigt, wie Fisch eingesalzen wurde und welche Algen, Muscheln und andere Meeresfrüchte als Not-Nahrungsmittel dienten.
Hauptthema der Ausstellungen und Schautafeln ist die große Hungersnot des 19. Jahrhunderts. Irland gehörte zu England, die Großgrundbesitzer exportierten alle hochwertigen Landwirtschaftsprodukte dorthin. Die Iren lebten fast nur von Kartoffeln. Als Kartoffelfäule ab 1842 die Ernten vernichtete, kam es zur Hungersnot. 1841 hatte Irland über acht Millionen Einwohner – 1891, also 50 Jahre später, waren es nur noch knapp fünf Millionen. Wobei nicht klar ist, wie viele der Hungersnot zum Opfer fielen und wie viele nach Amerika oder Australien auswanderten.
Dort gibt es heute noch große irische Communitys. Nachkommen der Auswanderer sind häufig im Museum anzutreffen. Diese Verbindungen sind sicher einer der Gründe dafür, dass viele große US-Firmen in Irland ihre Europa-Zentralen haben. Oder sind es doch die günstigen Steuersätze? Who knows?
Und sonst noch?
So im Vorbeifahren haben wir auch noch den Hügel zur Ringfestung Grianan of Aileach erklommen, in die Triona-Tweed-Fabrik in der Stadt Donegal reingeschaut und das alte Fort Dunree an der Einfahrt in den Gletscherfjord Lough Swilly besichtigt, das auf die Zeit der Napoleonischen Kriege zurückgeht.
Nicht erfüllte Erwartungen
Zwei weitere gängige Klischees konnten übrigens während meiner Reise nicht bestätigt werden: Es gibt keine Kobolde, auf die wird hier auch niemand gerne angesprochen, und rothaarige Menschen habe ich in Irland genauso oft oder selten gesehen wie zu Hause in Österreich.
Information & Buchung
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ÖAMTC-Länderinformationen: Irland