Jetzt wird's klassisch

Man kann es drehen und wenden, wie man will. Auf der Suche nach den Wurzeln unserer Kultur landet man immer irgendwie in Griechenland.
 

Ein erster Dialog. "Hearst mi?" – "Jo, i hear di!" Zur Aufführung gelangt im gut 12.000 Besucher fassenden Theater von Epidauros, Peloponnes, keines der Stücke von Euripides, Aischylos oder Sophokles. Vielmehr probiert eine Wiener Familie, ob die Akustik in der 2.500 Jahre alten Arena tatsächlich so phänomenal ist, wie es der Reiseführer erläutert. Papa und die Kinder stehen unten, in der Orchestra. Mama sitzt neben mir, dem Fremden mit Rucksack und Kamera, 23 Meter oberhalb auf der letzten Stein­stufe. Und wirklich: Obwohl sich die Kinder unten im Flüsterton unterhalten, verstehen wir oben problemlos jedes Wort. 

Die Familie ist schon lange ihrer Wege gegangen, als ich noch immer im wohltuenden Schatten der Pinien den Zikaden lausche und versuche, in Gedanken mehr als 2.000 Jahre in der Zeit zurückzufliegen. In die Epoche des klassischen Hellas, die uns gleichermaßen so viele tote Ruinen und höchstlebendige kulturelle Errungenschaften hinterlassen hat. 

Während einer klassischen Rundreise zu den Stätten des antiken Griechenlands stellen sich immer wieder ähnliche Fragen: Was sind unsere kulturellen Wurzeln? Was erzählen uns die vielen "alten Steine", die wir aufsuchen? Und vor allem: Lohnt sich all die Mühe in dieser Affenhitze?

Doch widmen wir uns in diesem Bericht zunächst etwas leichterer Kost. Um es auf den Punkt zu bringen: Vergessen Sie alles, was Sie über das "griechische Chaos", die "griechische Streiklust" oder gar die "Servicewüste Griechenland" jemals gelesen, gehört und gesehen haben. Alles Unsinn! In den Cafés und Restaurants wurde ich schnell und freundlich bedient. Das Preisniveau liegt weit unter jenem in Österreich. Die Unterkünfte waren bis auf eine einzige Ausnahme sauber und komfortabel. Und der Verkehr? Na ja, ein bisschen Chaos muss schon sein – vor allem in und rund um die Megalopolis Athen-Piräus. 

Innerhalb einer Woche kann man bequem die wichtigsten klassischen Sehenswürdigkeiten des griechischen Festlands besuchen. Die ebenso attraktive Inselwelt habe ich diesmal ausgespart, um einen Ausgrabungs-Overkill samt vorhersehbarer Übersättigung zu vermeiden. Zwischen Peloponnes im Süden und Thessaloniki im Norden komme ich dabei fast immer auf guten Straßen – oft auch ­Autobahnen – rasch voran. Wichtig: In Athen und Thessaloniki findet man nur in (Hotel-)Garagen einen freien Parkplatz. Während einer organisierten Bus-Rundreise, die von vielen Kultur-Touristen bevorzugt wird, gibt’s ohnehin keinen Parkplatz-Stress.  

Viele Touren starten in Athen. Hauptattraktion und weithin sichtbares Wahrzeichen dieser sicheren lebensbejahenden Stadt ist die Akropolis, das Symbol der antiken Großmacht schlechthin. Wer im 21. Jahrhundert als Tourist den Aufstieg zum Felsplateau in Angriff nimmt, fühlt sich garantiert nicht einsam. Wie an bestimmten Festtagen einst auch, drängen sich die Massen an den Propyläen vorbei hinauf auf das Tempelareal, das von den Überresten des Parthenon mit seinen gigantischen Säulen beherrscht wird. Reisegruppen von Kreuzfahrtschiffen drängen sich in Hundertschaften von Schattenplatz zu Schattenplatz. Wer diesen Ort wirklich genießen will, sollte gegen Abend kommen und sich vorher gut vorbereiten. Im Sommer ist bis 20 Uhr geöffnet. Mir fällt keine bessere Bilanz ein, als jene aus meinem Baedeker-Reiseführer: "Jeder Athen-Besucher steigt hinauf – und kaum einer kommt klüger herunter." 

Von Athen über Mykene nach Olympía

Ich möchte auch das neue Akropolis-­Museum besuchen, aber die Warteschlange reicht bis weit vor den Eingang. Daher nehme ich den Bus zum Archäologischen Nationalmuseum und lasse mich von den Kunstschätzen dort verzaubern. Ein Objekt fasziniert mich besonders: Die sogenannte "Maske des Agamemnon", die Troja-Entdecker Heinrich Schliemann in den Königsgräbern von Mykene fand. Mein nächstes Ziel steht damit fest. Ich will raus aus Athen. Und genau dort hin, nach Mykene. 

Nüchtern betrachtet ist Mykene, das ich am nächsten Nachmittag erreiche, eine bronzezeitliche Festung oberhalb der Argolis, einer Küstenebene im Nordosten des Peloponnes. Seine Anziehungskraft bezieht der Ort aus der Imagination Schliemanns, der seine Funde in Mykene mit den Geschehnissen in Verbindung brachte, die der Dichter Homer in der Ilias schildert: Hier, auf diesen vom Sturm umtosten Felsen, soll er also gestanden sein, der König Agamemnon, und beschlossen haben, die entführte "schöne Helena" aus Troja zurückzuholen.

Ob's stimmt oder nicht, ist an diesem Tag nicht so wichtig. Ich bin fasziniert von dem phantastischen Ausblick hinunter auf die fruchtbare Ebene, die vor dem Horizont in ein tiefblaues Meer übergeht. Im angeschlossenen Museum zeigen romantische Gemälde das sogenannte Löwentor, den Eingang zur Festung, als Verbindung in eine versunkene Welt. Ein Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Für die Rückkehr in die Gegenwart sorgen dann andere Touristen, die sich lautstark streiten, wer wo beim Fotografieren gerade unabsichtlich im Schussfeld herumsteht. 

Für die doch kurvenreiche Straße von Mykene nach Olympía im Nordwesten des Peloponnes benötigt man mehrere Stunden. Olympía, das ist eigentlich ein heidnisches Heiligtum. Die Ruinen der Wettkampfstätten befinden sich heute in einem schattigen archäologischen Park, der an diesem frühen Vormittag Gelegenheit für einen angenehmen Spaziergang bietet. Wichtigster Anziehungspunkt ist der Altar der Hera, wo alle zwei Jahre die olympische Flamme für die Sommer- bzw. Winterspiele der Neuzeit entzündet wird. Die gigantische Kultstatue des Göttervaters Zeus – eines der sieben Weltwunder der Antike – ist freilich seit dem Ende des vierten Jahrhunderts verschwunden. Als das Christentum im spätrömischen Reich Staatsreligion wurde, bedeutete das den Anfang vom Ende für die griechischen Spiele. Ein Erdbeben gab dem Tempelbezirk dann im 6. Jahrhundert den Rest, für 1500 Jahre versank er in eine Art Dornröschenschlaf.

Von Olympía nach Metéora

Meine Reise in die griechische Antike führt mich von Olympía in einem Bogen wieder nach Norden. Den Golf von Korinth kann man bei Patras bequem auf einer Autobahnbrücke überqueren. Am Nordufer des Golfs erreiche ich zunächst das hübsche Hafenstädtchen Nafpaktos. 

Später geht es eine gewundene Bergstraße hinauf nach Delfí, das den Griechen als Sitz Apolls, Gott des Lichts, und Nabel der Welt galt. Auch hier empfiehlt sich eine Besichtigung gleich nach acht Uhr, wenn sich die Eingangstore öffnen. Entlang der Heiligen Straße hinauf zum Tempel, in dem das Orakel weissagte, standen einst Weihegeschenke und Beutestücke der Griechen, unter anderem auch das Trojanische Pferd. Am Eingang des Heiligtums geboten Wahlsprüche des Gottes: "Erkenne dich!" Und: "Nichts im Übermaß!"

Das Orakel selbst, die "Pythia", saß auf einem Dreifuß über einer Erdspalte, aus der wahrscheinlich giftige Dämpfe aufstiegen, die es in Trance versetzten. Geblieben sind von diesen Szenerien nur leblose Steintrümmer, was dem Besucher einige Vorstellungskraft abfordert. Im angeschlossenen ­Museum verzaubert dagegen noch heute die berühmte Bronzestatue des "Wagenlenkers" mit ihrer lebendigen Ausstrahlung.

Von Delfí reise ich durch wildromantische Gebirge Richtung Norden an mein nächstes Ziel, nach Metéora. Die weltberühmten Klöster, auf den Gipfelplateaus steil aufragender Felsformationen errichtet, werden von insgesamt nur noch 60 Mönchen bewohnt – und von Millionen Touristen besucht und bestaunt. Ihre magische Wirkung entfalten die Bauwerke vor allem während einer Rundfahrt während der Morgen- oder Abenddämmerung zu mehreren gut beschilderten Aussichtspunkten. Das Gedränge in jenen Klöstern hingegen, die Besuchern offen stehen, regt zum Nachdenken an. Aus Orten, an denen Menschen Einsamkeit und Kontemplation suchten, ist ein viel besuchter Touristenmagnet geworden. Irgendetwas passt da nicht. 

Meine Reise durch das klassische Griechenland möchte ich beim wahrscheinlich größten aller Helden abschließen, bei Alexander. Westlich von Thessaloniki, in Pella, wurde er 356 v. Chr. geboren. Als junger Krieger trug er die griechische Lebensart und Kultur bis an den Indus und nach Zentralasien. Und verschaffte ihr damit eine Weltgeltung, die bis in unsere Zeit nachwirkt. Ausgegraben wurden von der antiken Stadt Pella bisher nur ­Teile. Sehenswerter ist das moderne Museum, das dem Alexander-Mythos nachspürt.

Auf dem Rückweg nach Athen mache ich Station an den Thermopylen. Wo heute ein hässlicher Parkplatz von einer noch hässlicheren Kriegerstatue beherrscht wird, hielten einst die berühmten "300" Spartaner unter Leonidas ein gewaltiges persisches Invasions-Heer auf. Während ich unschlüssig in der ­Hitze umherstehe, nähert sich ein Mann mit Krücken und bittet mich um etwas Kleingeld. Ich bin ihm dankbar, dass er mich aus längst versunkenen Epochen ins Hier und Jetzt mit allen Problemen zurückholt. Das Erbe aus dem klassischen Griechenland hilft uns heute ja nur dann weiter, wenn wir in unserem Jahrhundert selbst etwas daraus machen.


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