Londoner Perspektiven

Die Sehenswürdigkeiten der englischen Metropole kennt fast jeder Mensch, selbst wenn er noch nie dort war. Aber wie ist man mobil in der größten Stadt Europas? Wir schneiden sie kurzerhand in vier Ebenen und düsen einen Tag durch London – von ganz unten nach ganz oben. 

London ist vielleicht die schönste Mega-City der Welt. Den musikalischen Swing der Sixties hat sie bis heute nicht verloren, vor der Kulisse grüner Parks und alter Prachtbauten tummeln sich sowohl jugendliche Trendsetter als auch geldgeile Banker in friedlicher Eintracht, und das mit dem ständigen Regen ist sowieso eine bösartige Verleumdung der Festland-Europäer, die dem Empire stets feindlich gesinnt sind, wie die Inselbewohner mit steifer Oberlippe gern behaupten. Kurzum: London ist eine schön schrullige Stadt zum augenblicklichen Wohlfühlen. 

Alles schon gesehen, oder?






As long as they gaze on Waterloo Sunset, they are in paradise. Waterloo sunset's fine.






The Kinks, Waterloo Sunset (1967)
Gefühlsmäßig war ja jeder Nicht-Brite schon mindestens einmal in London. Schuld daran tragen nicht nur der erste Englisch-Unterricht, in dem die Taferlklassler bei uns mit Tower Bridge, Buckingham Palace & Co. gnadenlos übersättigt werden, sondern auch Film und Fernsehen (Harry Potter, Top Gear) sowie vier Buben mit den Nachnamen Lennon, McCartney, Harrison und Starr.

Sprich: All das kennt man eigentlich zur Genüge, und deshalb interessiert uns das in dieser Geschichte auch (fast) nicht. Wir wollen lieber einen Tag lang in den Alltag eines Londoner Bewohners eintauchen und alle Verkehrsmittel ausprobieren, die die Menschen in dieser Metropole mobil machen. Das ist nicht die stressige Megalomanie Tokyos, nicht der irrsinige Blechsalat Los Angeles’ und nicht das unchaotische Chaos von Paris. Das ist Mobilität in London – mit all ihren Stärken und Schwächen. Wenn Sie uns begleiten wollen, schlagen wir vor, dass wir jetzt "Waterloo Sunset" von den Kinks in den Kopfhörer werfen und am besten einfach ganz unten beginnen… 

Ebene #1: Underground

An der Station King’s Cross treten wir wieder ins Tageslicht, die Sommersonne blendet – ein weiterer freundlicher Tag in London ohne Klischee-Regen. An dem großen Verkehrsknotenpunkt davor überlegen wir, wie wir weiter vorgehen. Bus oder Taxi? Weil gerade Mittagszeit ist und die Doppeldecker dementsprechend leer sind, zücken wir unsere Travel Card und steigen beim Fahrer vorne ein…

Ebene #2: Erde

Gebrochenes Versprechen






Let me take you by the hand, and lead you through the streets of London. I'll show you something to make you change your mind.






Ralph McTell, Streets of London (1969)


Zugegeben, wir haben eingangs groß verlautbart, auf typisches Londoner Sightseeing zu verzichten, aber irgendwie sind wir mit dem Taxi jetzt doch zufällig an einer Kreuzung im Norden der Stadt gelandet, die wegen der schlechten Öffi-Erreichbarkeit nur selten auf dem klassischen Touristen-Zeitplan steht. Um hierher zu kommen, gehen insgesamt gut vier Stunden drauf, und zu sehen gibt es: einen faden Zebrastreifen. Allerdings: Der hat’s in sich. Ohne ihn wäre London nie zu dem geworden, was es heute ist. Hier haben vier junge Männer aus Liverpool nicht nur die Musikgeschichte umgeschrieben, sondern – das kann man ruhig so stehen lassen – die Menschheit nachhaltig zum Besseren verändert. Als ich, Beatles-Fan aus tiefstem Herzen, für das Foto erstmals die Straße überquere, kämpfe ich unvermutet mit den Tränen…

Exkurs: Abbey Road

Teenie-Tränen

Nachdem mich Fotograf Markus zum gefühlt hundertsten Mal die Straße überqueren lässt, wir peinlich fuchtelnd den Verkehr aufhalten und wartende Schnappschuss-Touristen mit allen Regeln der Entschuldigungs-Kunst vertrösten, um den obigen perfekten Shot zu bekommen, ist die anfängliche Emotion irgendwann einem tiefen Genervtsein gewichen und ich wundere mich, wie ein erwachsener Mann angesichts eines dämlichen Zebrastreifens so nahe am Wasser gebaut sein kann, dass er deshalb Tränen vergießt. Ich gehe kurz in mich und lerne: So fühlt sich wohl bedingungslose Fan-Liebe an. Beatlemania 2015. Das Stichwort „Wasser“ holt mich in die Realität zurück: Wir müssen weiter, die nächste Mobilitäts-Ebene Londons wartet auf uns…

Ebene #3: Wasser

Something in the air…

Auch wenn die schönste und beeindruckendste Art und Weise, das Königreich zu besuchen, nach wie vor der Weg über die Kanalfähre ex Calais (Frankreich) oder Oostende (Belgien) bleibt, um im Morgengrauen, vorne am Bug stehend, langsam die weißen Kalk-Klippen von Dover am Horizont auftauchen zu sehen, wählen die meisten London-Besucher dank günstiger Flüge heutzutage trotzdem den schnellen Weg über die Flughäfen Heathrow, Gatwick oder Stansted. Und weil der notorisch überfüllte Luftraum über der Stadt eine logistische Meisterleistung der englischen Fluglotsen ist, die aufpassen, dass Ihr Urlaub nicht in einem brennenden Feuerball über der Grafschaft Kent endet, gibt’s vorher schon oft ungewolltes Gratis-Sightseeing von ganz oben – in Form von (meist) drei oder vier Schleifen (im Fliegersprech: "holding pattern") über London, von denen die letzte vor dem "final approach" (dem Moment, wo das Flugzeug endgültig auf die Landebahn einschwenkt) immer direkt über die Innenstadt führt.

Ausnahme: Stansted. Der Airport der Billig-Fluglinien ist so weit nördlich von London angesiedelt, dass man die Stadt a) nicht einmal überfliegt und b) die Ticket-Ersparnis in der Regel für den Transfer in die Stadt, hm, ungeplant kompensiert.

Tipp: Beim Check-in einen Fensterplatz rechts reservieren, dann gibt’s – Morgenflug und gutes Wetter in LHR vorausgesetzt – einen beeindruckenden Überflug mit Kurven über Westminster Abbey, die Tower Bridge, Wembley Stadium und Wimbledon. Wer dabei ganz genau schaut, sieht auch das größte Riesenrad der Welt. Das größte?!? Als Wiener interessiert uns das jetzt. Wir begeben uns über die Dächer Londons…

Ebene #4: Luft

Die zauberhafte Meta-Ebene

Wir waren nun im realen Untergrund, an der Oberfläche und hoch über den Dächern Londons, wollen zum Schluss natürlich aber nicht die fiktive Meta-Ebene der Stadt vergessen, die über allem schwebt: Plattform 9 3/4. Hinter dem nicht-existenten Bahnsteig im Groß-Bahnhof Paddington Station verbirgt sich nämlich jene sagenumwobene Mauer, in die Zauberlehrling Harry Potter zu Beginn seines ersten Schuljahres in Hogwarts eintaucht. Sogar für ausgesprochene Potter-Fans wie den Autor dieser Geschichte ist der ehemalige Drehort in der riesigen Halle gar nicht so leicht zu finden, aber mit ein bisschen Zauberei (naja, und Nachfragen im Informationsbüro) lässt sich auch das bewerkstelligen.