Mit Öffis zum Berg
Bergsport ist Motorsport: Der größte Teil der Wanderer und Alpin-Sportler reist mit dem eigenen Pkw zum Ausgangspunkt der Tour an. Der Alpenverein will erreichen, dass sich das ändert.
Zwei bis drei mal pro Monat muss Ursula Grimm (44) aus Innsbruck einfach hinaus in die Tiroler Berge. Abwechslung ist dabei Trumpf: Ein Ausflug oder eine Wanderung in einem der Seitentäler des Inntals steht oft auf dem Programm, aber es kann auch eine ausgedehnte Bergtour mit Ausgangspunkt im Wipptal sein. Eines ist aber eine Konstante: Für die Anreise zum Start der Tour sowie auch für die Rückfahrt nach Hause nützt sie fast immer öffentliche Verkehrsmittel. "Bei mir ist das schon auch eine Überzeugungssache", erklärt die Angestellte. "Dazu kommt aber auch die eher privilegierte Situation im Tiroler Zentralraum, dass man fast immer sehr gute Bus-Anbindungen ab den Bahnhöfen hat."
Noch weiter westlich ist Rosmarie Selb zu Hause, nämlich in Felkirch-Tisis/Vorarlberg. Die 68-Jährige hat während der Pandemie, wann immer es möglich war, gemeinsam mit zwei Kolleginnen 35 Gruppentouren geführt. Bei 30 davon hat auch sie die An- und Abreise ausschließlich mit Bahn und Bus organisiert. Sie verweist auf das ausgezeichnete Busnetz und günstige Netzkarten.
Das Öffi-Netz in Vorarlberg ist super und die Netzkarten sind günstig. Ich fahre fast immer öffentlich zu einer Wanderung.
Rosmarie Selb, Feldkirch-Tisis
Fast am anderen Rand der Republik, in Wien, ist Hans Müller (67) zu Hause. Die Bundeshauptstadt ist ja bekannt für ihr gutes Öffi-Netz. Aber wie sieht es aus, wenn man von hier aus mit Bahn und Bus zum Wandern aufbricht? "Eigentlich funktioniert es bei ein bisschen Planung ganz gut, ich sehe das pragmatisch", berichtet Müller, der ehrenamtlich beim Alpenverein "Edelweiß" auch als Guide arbeitet. "Schneeberg und Rax sind sehr gut erreichbar. Soll es aber auf die Veitschalpe oder auch nur die Hohe Wand gehen, dann wird es schon mühsamer", sagt Müller. Keinerlei Problem mache die ÖV-Anreise bei Mehrtages-Touren mit Ausgangspunkten an weiter entfernten Zielen, da gebe es fast immer gute Bahn-Bus-Kombinationen.
Drei Beispiele, wie Bergsportler in Österreich für An- und Abreise zu ihren Touren statt des eigenen Pkw den öffentlicher Verkehr nützen. Ist das schon die ganze Geschichte? Leider nein.
Wenn möglich, nütze ich die Öffis für die Anreise zu einer Wanderung. Ich bin da sehr pragmatisch.
Hans Müller, Alpenverein "Edelweiß", Guide.
Alpenverein: "Gewohnheiten hinterfragen"
Bergsport und öffentlicher Verkehr stehen in einem komplizierten Verhältnis zueinander. Eine Umfrage ergab 2015 in Deutschland, dass 87 Prozent in erster Linie mit dem Pkw in die Bergwelt anreisen und nur 33 Prozent wenigstens gelegentlich öffentliche Verkehrsmittel nützen. Eine ähnliche Umfrage in Österreich ist in Vorbereitung. Es deutet nichts darauf hin, dass sie zu wesentlich anderen Ergebnissen führen wird. Österreichs Alpenverein will sich damit nicht abfinden.
"Ein Bergsportler emittiert im Schnitt mehr als 500 Kilogramm klimaschädliches Kohlendioxid pro Jahr, der überwiegende Teil dieser Emissionen stammt von der An- und Abreise mit dem Pkw", sagt Clemens Matt, Generalsekretär des Alpenvereins. "Vor dem Hintergrund des Klimawandels gilt es, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen."
Um eine mobilitätswende beim Bergsport einzuleiten, hat der Alpenverein eine Informationsoffensive gestartet. Im Mittelpunkt stehen dabei detaillierte Ratgeber über die Nutzung von Bus, Bahn und alternativen Verkehrsmitteln, vor allem auch die Website Alpenverein-Aktiv.
Schon 7.600 Touren
Georg Rothwangl, Teamleiter Tourenportal beim Alpenverein, hat dabei durchaus mit Herausforderungen zu kämpfen. "In erster Linie wollen wir einmal aufzeigen, dass es ja meistens sinnvoller ist, nicht im Kreis zu gehen, sondern von A nach B", sagt er im Gespräch mit auto touring. Die entsprechenden Angebote werden mit einem eigenen Menüpunkt in der Suchfunktion der Website in den kommenden Monaten noch ausgebaut. Schon jetzt verfügt der Alpenverein über einen Datenschatz von 7.600 Touren innerhalb Österreichs, bei denen im Prinzip die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln möglich ist.
Für die konkrete Planung der Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer bestimmten Haltestelle nahe am Ausgangspunkt der Wanderung bzw. zur Haltestelle eines Anruf-Sammeltaxis sollte man derzeit besser noch die Website des Alpenvereins verlassen und zum Beispiel die ÖAMTC-App oder -Website nützen, die ebenfalls die jeweils besten Anreise-Möglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln anbieten.
Die Chance, über die Website des Alpenvereins Gleichgesinnte zur Bildung von Fahrgemeinschaften für die Pkw-Anreise zu suchen (und zu finden), wird derzeit vor allem aufgrund der Coronavirus-Pandemie nur sehr spärlich genützt.
Wie bei vielen anderen Mobilitätsangeboten auch spießt es sich auch beim Bergsport auf der "letzten Meile" zwischen dem letzten ÖV-Haltepunkt und dem eigentlichen Ziel. Das sieht auch Hans Müller aus Wien so, der ja eigentlich die Öffis nützt, wann immer es möglich ist: „Aber wenn ich öffentlich nach Spital am Semmering zu einer Schitour anreise, muss ich die Schier ab der Haltestelle eine halbe Stunde tragen, bis ich sie dann auf Schnee anschnallen kann.“
Alpen mit Bus & Bahn
Vorbereitung. Schon 7.600 Wanderziele in Österreich, die öffentlich erreichbar sind, weist die Website Alpenverein-Aktiv aus. Die Seite wird laufend ausgebaut, in den kommenden Monaten will der Alpenverein verstärkt Touren aufzeigen, bei denen es auch ohne Umweltaspekt sinnvoll ist, nicht zum Ausgangspunkt zurückzukehren, sondern "von A nach B" zu wandern. Dafür werden derzeit von vielen Alpinsportlern oft Fahrgemeinschaften mit zwei Pkw gebildet. Für Infos über die öffentliche Anreise zum Ausgangspunkt der Wanderung und für die Buchung greift man derzeit noch besser auf ÖAMTC-App und -Internetseite bzw. Portale der Verkehrsverbünde zurück.