Mythos Grand Central

750.000 New Yorker strömen täglich durch die endlosen Gänge des Grand Central Bahnhofs – und nur die wenigsten wissen von den verborgenen Geheimnissen, die hoch über oder tief unter ihnen lauern. Wir haben uns auf die Suche begeben.

Trotz der morgendlichen Rush Hour dröhnt die Stimme des Mannes beeindruckend laut durch die imposante Ankunftshalle. Nicht nur Touristen bleiben stehen und wundern sich, wer da in aller Herrgottsfrüh so herumschreit. Der Mann heißt Danny Brucker, und mit Hollywood-Schauspieler Danny de Vito verbindet ihn nicht nur der Vorname, sondern ein wenig auch Optik, Gestik und Mimik. Gerade ist Brucker dabei, uns wortgewaltig und dramatisch gestikulierend die Geheimnisse seines „Babys“ näher zu bringen. Sein Baby, das ist der Grand Central Terminal, New Yorks größter Bahnhof. Vor 30 Jahren begann Danny hier zu arbeiten, heute ist er offiziell Sprecher der Metro-North-Bahnlinie und inoffiziell der akribischste Historiker des riesigen Gebäudekomplexes. Wie an jedem Arbeitstag ist er auch heute seit halb vier Uhr Früh auf den Beinen, denn die Bahnfahrt von seinem Wohnort drüben in New Jersey hierher dauert inklusive Umsteigen drei Stunden – pro Strecke. Was ihn aber nicht stört, denn einer wie er fährt natürlich schon von Berufs wegen gerne mit der Bahn. Nur eins macht er noch lieber: Besuchern von jedem verborgenen Detail seines geliebten Grand Central Terminals zu erzählen – und deren gibt es viele …

Vorweg: Eigentlich ist es ja ein Wunder, dass dieses architektonische Wunderwerk inmitten der Wolkenkratzer-Skyline Manhattans heute überhaupt noch existiert.




Dieser Palast wurde für die Könige des Alltags gebaut: die Reisenden.






Daniel Brucker, Historiker des Grand Central Terminal
Als das Pendel der mobilitätsverrückten US-Amerikaner in den 1960er Jahren begann, weg von der Bahn und hin in Richtung Auto und Flugzeug auszuschlagen, war das Ende von Grand Central nämlich nah: Die Betreiberfirma wollte den Bahnhof kurzerhand einstampfen und einen Wolkenkratzer daraufsetzen. Als 1963 ein paar Straßen weiter die ähnlich bedeutende Pennsylvania Station just von diesem Schicksal ereilt wurde, rebellierten New Yorks Einwohner aber – mit Jackie Onassis, der Ehefrau von Präsident John F. Kennedy, als prominenter Speerspitze. 1978 wurde „GCT“, wie der Bahnhof von den Einheimischen kurz gerufen wird, schließlich Denkmalschutz gewährt. Und es hat sich ausgezahlt: Heute strömen durch den Komplex täglich 750.000 Menschen (das entspricht in etwa der Einwohnerzahl Alaskas), die auf 45 Plattformen und 67 Gleisen in 700 Zügen ankommen und abfahren. In den Eingeweiden findet man fast 100 Shops, der riesige „food court“ im Untergeschoß ist mit 10.000 satten Bäuchen pro Tag New Yorks größtes Restaurant. Beeindruckende Zahlen, keine Frage. Noch spannender sind freilich aber jene meist völlig unauffälligen Details, die man beim gestressten Durchschreiten der Hallen selbst niemals bemerken würde. Wäre da nicht Danny Brucker, der uns aufklärt …

Was Sie bisher sahen, kann jeder Besucher von Grand Central noch problemlos auf eigene Faust entdecken. Aber wir wollen noch weiter hinunter – in die streng geheimen Katakomben tief unter dem Gebäude. Was sich dort befinden soll, darüber haben wir bisher nur Kryptisches gelesen: etwa der tiefste Keller der Stadt, in dem ein eigenes Kraftwerk stehen soll, das im Zweiten Weltkrieg notfalls ganz New York versorgen hätte können – und wo Soldaten instruiert wurden, auf ungebetene Besucher ungefragt zu schießen („shot on the spot“), sollten sie es schaffen, tatsächlich dorthin vorzudringen. Oder ein geheimes U-Bahn-Gleis, wo noch heute jedesmal, wenn der US-Präsident in der Stadt ist, ein Flucht-Zug bereit steht, sollten Straßen und Flughäfen aus irgendwelchen Gründen nicht mehr passierbar sein.




Ungebetene Gäste wurden hier unten damals ungefragt erschossen!






Daniel Brucker, Historiker des Grand Central Terminal
Und dann soll es da unten auch noch einen sagenumwobenen Panzer-Waggon von Ex-Präsident Franklin D. Roosevelt geben, der dort seit den 1940er Jahren unbewegt verwittert. Sie denken, das alles klingt wie einem schlechten Spionage-Thriller entnommen? Dachten wir zuerst auch. Bis wir wenige Tage vor unserer Abreise aus Wien eine E-Mail von Danny Brucker erhielten, in dem zu lesen war, dass er den auto touring gerne einladen möchte, an einer ganz speziellen Tour teilzunehmen, die er nur einmal im Jahr durchführt und die für Touristen nicht zugänglich ist. Er würde uns an jene Orte führen, die heute noch von militärischer Bedeutung seien und uns sogar erlauben, frei zu fotografieren. Nur eines dürften wir nicht verraten: die exakten GPS-Koordinaten der Plätze, die wir im Untergrund sehen würden. Wir versprechen hoch und heilig – und los geht’s. Wie ein Reiseführer im Pauschalurlaub schreitet er mit hoch gehaltenem Schild voran, wir folgen ihm eine Viertelstunde lang von der Ankunftshalle durch immer weniger frequentierte Gänge, bis wir irgendwo in den Eingeweiden des Bahnhofs vor einer unscheinbaren Lifttür stehen. Wie von Geisterhand bestellt öffnet sie sich, darin ein Mitarbeiter, den Danny mit einem mitgebrachten frischen Hamburger „bestechen“ muss, damit dieser uns überhaupt nach unten bringt, wie er lautschallig lachend erklärt. Wir besteigen den uralten Lastenlift …

Info: Flüge nach New York finden Sie auf dem ÖAMTC Online-Reiseportal www.oeamtc.at/fluege. Und das passende Hotel dazu gibt’s unter www.oeamtc.at/hotels.