Wenn das Wasser ging, kamen die Menschen. Das war am Mont-Saint-Michel seit tausend Jahren so. Ebbe und Flut, der Atem des Meeres, bestimmten den Rhythmus des Lebens. Gefährliche Zeiten waren das immer. Normannen fuhren aus Skandinavien heran, plünderten Siedlungen und Klöster. Der steile Felsen vor der Küste, das Land im Meer, versprach Sicherheit. Doch Aubert, Bischof von Avranches, schreckte wohl vor der schier unendlichen Mühsal zurück, mit eigener Hände Arbeit ein Kloster und eine Kirche auf der Spitze einer winzigen Insel weit draußen im Ozean zu errichten. Da trat, so die Legende, der Erzengel Michael auf den Plan, wandte sanften Zwang an, damit Gottes Wille vollstreckt und mit den Arbeiten am Klosterberg begonnen werde.
Heutzutage freilich ist nur noch wenig bis gar keine Überzeugungsarbeit nötig, damit Menschen zum Mont-Saint-Michel in der französischen Normandie pilgern. Drei Millionen sind es Jahr für Jahr. Seit Dietmar Feichtinger, Architekt aus Bruck an der Mur, die spektakuläre, neue Brücke errichtete, ist auch die Gefahr gebannt, dass die Klosterinsel an der Grenze zwischen Normandie und Bretagne langsam verlandet.
Man hat uns geraten, besser gegen Abend zu kommen, wenn die Besucherströme etwas nachlassen. Die Parkplätze (€ 8,50) sind jetzt am Festland, von hier geht es mit Shuttle-Bussen, Kutschen oder (etwa 45 Minuten lang) zu Fuß weiter. Am Fuß das 80-Meter-Berges drängt sich touristische Infrastruktur, zur Klosterkirche (Eintritt € 9,–) sind es 330 im Sommer schweißtreibende Stufen.
Doch die Aussicht über die Bucht ist fantastisch. Auch der Kreuzgang, ein Garten als Symbol des Paradieses, und die romanisch-gotische Kirche, die wie der erste Wolkenkratzer der Architekturgeschichte an die Felsenspitze angebaut ist, lohnen die Mühen. Die Franzosen sagen nur: la merveille – das Wunder.
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