Schockverliebt in Neapel

Neapel ist eine Überforderung: pulsierend, ungeschminkt, abergläubisch, und dabei unerträglich bezaubernd. Von einer grande amore.

Nach 70 Minuten Zugfahrt könnte der Gegensatz nicht größer sein: Hier die Etepetete-Hauptstadt Rom, herausgeputzt in Haute Couture und strahlend wie die schönste Primadonna, dort die ungeschliffene, zerlumpte, morbide Seele Neapel. Das Auffälligste neben dem himmelblauen Meer, das die Stadt einrahmt, ist die mächtige Erscheinung im Hinterland: der Schicksalsberg.

Es ist wohl auch die Nähe zu dem todbringenden, im Inneren bis heute brodelnden Vesuv, der die lebhafte wie furchtlose Art der Menschen prägt. Neapel schmiegt sich mit seinen drei Millionen Menschen an seine fruchtbaren Hänge – der Vulkan als schützender Vater. Doch der Riese ist wie die mächtigen Paten der neapolitanischen Camorra: omnipräsent und unberechenbar.

Ich trete bei der Metrostation Toledo ins Tageslicht und stehe in den schmalen Gässchen des historischen Quartieri Spagnoli. Ich bin subito, in der Sekunde, schockverliebt. Überall Menschen, lauter italienischer Singsang, expressive Mimik und Gestik. Dazwischen jagen jaulende Mopeds um die Ecken. Die Intensität ist unerträglich und berauschend. Ein sanfter Nieselregen dämpft Hitze und Lärm.

Maradona und der Scudetto

Die Straßen sind schmal, steil, kopfsteingepflastert. Zwischen eng gedrängten Häuserzeilen mit Balkonen, die einander fast berühren, vollbehängt mit duftender Wäsche, spannen sich azurblaue und weiße Girlanden. Vor wenigen Tagen hat der SSC Napoli nach 33 Jahren zum dritten Mal den Scudetto geholt und ist italienischer Meister.

Fußball ist in Italien alles. Ein paar Stufen höher öffnet sich ein Platz zum überdimensionalen Schrein voll Bilder, Fahnen, Andenken und Wandmalereien. Gewidmet ist der größte Andachtsraum der Stadt dem argentinischen Fußballhelden Diego Armado Maradona. Maradona hat Napoli zweimal zum Scudetto geführt und wird wie ein Gott verehrt: "Il D10S", der Gott mit der Nummer 10 am T-Shirt. Hier können auch Menschen Götter sein – selbst, wenn sie mit Mafiabossen koksen.

Neapel ist die "Stadt der 500 Kuppeln", die Stadt mit den meisten Kirchen Europas. Soll man eine auswählen, dann empfehle ich die schöne Basilica Santa Chiara und das zugehörige Kloster Maiolicato. Es gilt als eines der schönsten in Kampanien mit einem barocken Kreuzgang und dem Garten mit bunten Säulen und Bänken, die naive Darstellungen aus dem Leben der Bibel und der Mythologie zeigen.

Glaube und Aberglaube

Tod, Glaube und Aberglaube sind tief in der neapolitanischen Seele verwurzelt. Unübersehbar sind die vielen "Altarini" an jeder Hausecke. Es sind Tabernakel mit Madonnen, Heiligenstatuen, Bildern Christi, mit Blumen und Rosenkränzen geschmückt, hell erleuchtet im blauen Neon- und warmen Kerzenlicht.

Zu den Bildern Verstorbener kommt eine verrückte Buntheit der Verzierungen, die an Naturvölker erinnern. Hier hängen "Cornicelli", knallrote geschwungene Hörnchen, wie Chilischoten. Sie sollen böse Blicke abwenden. Dort steht Pulcinella, die weißgekleidete Theaterfigur mit schwarzer Vogelmaske, als Lebenskünstlerin verehrt. In der Stadt ist die Pulcinella-Büste ein Pilgerort, ihre goldglänzende Nase muss berührt werden, denn das bringt Glück.

Die Tradition der Schreine geht auf die Griechen zurück, die die Stadt 475 vor Christus gegründet haben. Viele Invasoren, unter ihnen die Normannen, Aragonier, die Habsburger, die Bourbonen, Napoleon, überlebte der Brauch. Karl III., der Bourbonenkönig, förderte den Ritus, denn die Altarini mit ihren Kerzen beleuchteten die dunklen Straßen und sorgten für Sicherheit.

Mafia: Die Camorra lebt

Nicht alle Altarini sind heilig, viele hat die Mafia errichten lassen, für ermordete Mitglieder, oft junge Männer – und als Mahnmal für verfeindete Clans. Einige wurden in letzter Zeit abgebaut. Für arme Familien ist das Leben im hitzigen Neapel hart. Die Camorra bleibt für junge Männer der größte Arbeitgeber in Kampanien.

Basis der Organisation ist der Hafen Neapels. Mehr als 150.000 Container voll Waren aus dem Fernen Osten, der Großteil aus China, werden hier jährlich aus-, um- und weiterverladen: edle Textilien, Videospiele, elektronische Geräte – und Drogen. Viele Waren hinterlassen keine Spuren, werden unter der Hand weltweit weitergereicht, teuer verkauft. Der Hafen ist die kilometerlange und faszinierende Schattenwelt der Stadt.

Wer mehr über die Mafia erfahren möchte, kann bei Roberto Saviano nachlesen. Der Journalist, Aufdecker und Autor schreibt und engagiert sich gegen das organisierte Verbrechen und Korruption. Er lebt seit vielen Jahren unter Personenschutz im Untergrund. Das letzte Buch des Neapolitaners zum Thema "I’m still alive: Im Fadenkreuz der Mafia" ist gerade auf Deutsch erschienen, sein erstes "Gomorrha" im Jahr 2006. Ein Interview mit dem Mafiaboss Maurizio Prestieri, der heute mit der Justiz zusammenarbeitet, hören Sie hier – es ist verstörend.

Das hippe Neapel

Doch Neapel möchte hip sein, nicht mehr nur mit der Mafia in Verbindung gebracht werden. Die Menschen feiern den Fußball und die Kunst. Auf der prächtigen Piazza Plebiscito finden Festivals statt und im Opernhaus Teatro San Carlo mit üppiger klassizistischer Ornamentik und großartiger Akustik singen die weltbesten Soprane und Tenöre.

Am Weg unbedingt einen Espresso im noblen Gran Caffè Gambrinus im prunkvollen Stil der Belle Époque genießen. Dazu die Dolci probieren, die Süßspeisen: typische neapoletanische Pasticcini wie Vesuvio oder Babà. Ein Must, wenn auch sauteuer. Dann ist man fit für eine kleine Shoppingtour in der monumentalen Galleria Umberto I. mit der großen Glaskuppel.

Castel Sant'Elmo

Ein Must-see: die weithin sichtbare Festung Castel Sant'Elmo. Am Fußweg sonnen sich Kätzchen in der Morgensonne. Wildblumen, duftender Jasmin und Mülltonnen verwirren den Geruchssinn. Kreative Graffiti und Kapellen laden zu Pausen ein.

Am Belvedere San Martino blicke ich über Neapel, ein Italiener singt schmalzige Canzones. Zwischen den Häusern flattern blau-weiße Girlanden und bunte Wäsche. Zehn Kilometer vom Stadtzentrum erhebt sich der Vesuv mit seinem markanten Gesicht. Die weggesprengte Spitze des weitläufigen Vulkans hat nach dem katastrophalen Ausbruch kurz nach Christi Geburt, bei dem die antiken Städte Pompeji, Herculaneum, Stabiae und Oplonis verschüttet wurden, eine tiefe Caldera in V-Form hinterlassen.

An klaren Tagen erkennt man neben der Halbinsel von Sorrent den wohl berühmtesten Sehnsuchtsort Italiens: die Felseninsel Capri. Für viele das Ziel ihrer Reise, die im lebendigen Neapel beginnt und in Capri mit Blick auf die im Meer versinkende, goldrote Sonne endet.

Das Castel Sant'Elmo liegt am höchsten Punkt des Vomerohügels. Einen Besuch wert sind am riesigen Burgplatz die wechselnden Kunstausstellungen im Kloster San Martino und dem Museo del Novecento mit modernen Werken aus dem 20. Jahrhundert.

Tipp für den Abstieg: Gemütlich mit der Funicolare di Montesanto, der Standseilbahn, zurück in die Stadt zuckeln.

Weltberühmte Pizzeria da Attilio

Wunderschön ist der Weg über die Treppe Salita del Petraio Corso Vittorio Emanuele, eine kleine Oase am Weg zurück ins Zentrum, in das Neapel der totalen Überforderung. Zur Erholung gönnt man sich die beste Pizza der Stadt. Man kann nicht früh genug da sein, denn vor der weltbekannten Pizzeria Da Attilio, 1938 gegründet und mit einem Guide-Michelin-Stern ausgezeichnet, bilden sich schon mittags lange Schlangen.

Die Italiener warten in völliger Gelassenheit bis zu zwei Stunden. "Nessun problema", gar kein Problem, beim Plaudern vergeht die Zeit. Auf der Straße duftet es nach knackiger Pizza und frischem Fisch. Drinnen vor dem Pizzaofen zaubert der Chef persönlich eine klassische Margeritha in den Nationalfarben Rot-Weiß-Grün mit Piennolo-Kirschtomaten, Büffelmozzarella und Basilikumblättchen. Alternativ die sternförmigen Attilio-Pizze probieren, die knusprigen Sternspitzen sind mit saftigem Ricotta gefüllt. Mmmh.

Am Heimweg führt der Weg wieder durch die Altstadt. Hunde strecken die neugierigen Nasen bei offenen Haustüren heraus, alte Damen winken aus kleinen Fensterchen ihrer Bassi, der ebenerdigen Wohnungen. "Ciao!" und "Buona notte!" rufen sie. Das Leben fühlt sich leicht an. Diese Stadt brennt sich ins Herz, mit Eindrücken, die man so schnell nicht vergisst

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