Roadtrip nach Island

Wer auf die Insel im Nordatlantik reist, tut das meist mit dem Flugzeug. Nicht unser Fotograf Markus Zahradnik: Er hat sich einen Traum erfüllt und ist mit seinem betagten Dacia in den hohen Norden aufgebrochen. Chronologie eines Abenteuers.

Markus Zahradnik und ich haben gemeinsam schon unzählige Reisen rund um den Erdball unternommen. Seit jeher nenne ich ihn scherzhaft "meine Arbeits-Ehefrau" – und er ist für mich nach meiner Familie tatsächlich der einzige Reisepartner, den ich länger als eine Woche ertrage.  

Im vergangenen Herbst dann der plötzliche Knick in unserer Beziehung: Markus hat mich nach all den Jahren des gemeinsamen Unterwegsseins erstmals eiskalt sitzengelassen. 

Was war passiert? Nun, er wollte die Phase der kurzzeitigen Reiselockerungen in der Pandemie nützen, um sich einen lang gehegten Traum zu erfüllen – nämlich mit dem Auto nach Island zu fahren. Sechs Wochen hatte er für den ultimativen 10.000-Kilometer-Roadtrip geplant und mich pro forma gefragt, ob ich nicht gerne mitfahren möchte: Ja, schon, aber als Familienvater in einem Angestelltenverhältnis geht das natürlich nicht. Als selbstständiger Fotograf hingegen sehr wohl.

Die Folge: Während ich mit einem imaginären Taschentuch hinterher winkte, musste ich Markus am 2. September 2021 alleine in Richtung Polarkreis ziehen lassen.

Alleine? Nicht ganz. Er hatte statt mir nämlich trotzdem zwei treue Begleiter dabei: Erstens seinen heiß geliebten, 12 Jahre alten Dacia Sandero. Und zweitens eine kurz vor der Abfahrt frisch gebrochene Zehe.

Nach seiner Rückkehr Mitte Oktober hat er mich dann mit rund 20.000 Fotos und gefühlt ebenso vielen erzählten Eindrücken versorgt – samt der Frage, ob ich diese nicht in eine Geschichte packen wolle. Und zwar so, wie wir's immer tun: Er fotografiert, ich schreibe. 

Natürlich wollte ich. Und das (sehr umfangreiche) Ergebnis lesen Sie ab hier.

(Kurze Lese-Anleitung vorweg: Markus hält auf vielen der folgenden Fotos sein Mobiltelefon in der Hand. Das macht er nicht, um seinen Instagram-Account zu pflegen, sondern er bedient als Solo-Reisender und Profi-Fotograf damit via App die Fernauslöser seiner Kameras. Außerdem: Im Text zitiere ich sehr oft seine eigenen Worte aus den Reisenotizen, die er mir zur Verfügung gestellt hat. Diese Passagen sind stets in kursiver Schrift gehalten.)

Der reist am sichersten, der allein reist.

Isländisches Sprichwort

Erste Etappe: Wien–Hamburg

Abfahrt im Morgengrauen. Knapp 1.000 Kilometer sind es bis in die Hansestadt. Markus lässt seinen 12 Jahre alten Dacia Sandero auf der deutschen Autobahn fliegen.

11:00 Uhr, Ankunft im Hamburger Hafen. Zitat aus Markus' Reisenotizen: "Des is a brada Weg, den du do gfoahn bist", ruft mir eine Passantin nahe der Fischauktionshalle zu. Ich antworte ihr: "Heute Hamburg, morgen Dänemark, nächste Woche Island." Sie darauf: "Respekt. Grüß mir Wien."

Zweite Etappe: Hamburg–Hirtshals

Etwa 500 Kilometer sind es von Hamburg bis zum Fährhafen Hirtshals an der Nordspitze Dänemarks.

Wenn ich Markus' Notizen richtig interpretiere, hat er absichtlich den direkten Weg über die Autobahn vermieden, um neben kleinen Landstraßen die regionale Fauna zu beobachten: 

"Durchquere die nördliche Hälfte Dänemarks auf der Nebenroute Vejle–Viborg–Aalborg. Viel schöner und mit viel charmanteren Pipi-Pause-Möglichkeiten als auf der Autobahn (viele Kühe)."

Der Dank für den längeren Umweg: Bei der abendlichen Ankunft gibt's über der Nordsee einen perfekten Sonnenuntergang…

Dritte Etappe: Hirtshals–Färöer

Nach zwei Tagen auf der Straße geht es nun für zwei Nächte aufs Schiff – eine willkommene Rast für Fahrer und Fahrzeug.

570 Seemeilen trennen Dänemark von Tórshavn, der Hauptstadt der Färöer-Inseln. Wobei dieser gebräuchliche Terminus – "Färöer-Inseln" – eigentlich sprachlich falsch ist, wie mich Markus aufklärt. Denn: Mit dem Kürzel "-øer" (dänisch für Insel) ist eigentlich schon alles gesagt. Sprich: Im deutschsprachigen Raum sprechen wir immer von den "Fär-Inseln-Inseln".

Egal, 570 Seemeilen entsprechen in Sachen Fahrzeit im herbstlichen Nordatlantik nun rund 40 Stunden an Bord – je nach Seegang.

Aus den Reisenotizen des Fotografen:

"Das zwischen Europa und Island verkehrende Schiff (MS Norröna, es gibt nur dieses eine) fasst 1.500 Passagiere, 800 Autos, 120 Crew-Mitglieder und hat 10 Decks. Auf den Decks 5 bis 10 gibt es jeweils eines oder mehrere Lokale. Je weiter man nach oben kommt, desto teurer und voller sind sie. Auf Deck 10 genießen deutsche Pensionist:innen mit Rundumblick, 30 Meter über dem Meer, Canapés und nordische Biere zu Pariser Preisen. Auf Deck 9 bis 6 ist abgestuft die kulinarische Mittelklasse zuhause, auf Deck 5 ist die billigere Abteilung – und dort war ich meist."

Auf See

Die folgenden beiden Tage und Nächte im Nordatlantik sind geprägt von Einsamkeit und Stille…

Während eines kitschigen Sonnenuntergangs auf den Färöern bemerke ich: Ich mache einen romantischen Pärchenurlaub. Mit mir selbst. Oder mit dem Dacia. Oder mit allen beiden.

Markus Zahradnik

Mittagszeit, Ankunft in Island

Endlich am Ziel: "Die Insel ist bei der Anfahrt in dichten Nebel gehüllt. Dieser bricht nur nur hin und wieder kurz auf, während wir die ersten Klippen passieren", schreibt Markus.

Erste Kilometer in Island

Kulinarische Kür

Erster Stopp bei einem Supermarkt: Der Lebensmittel-Einkauf bietet Ungewohntes…

Isländische Impressionen

Gefahr!

Markus berichtet: "Auf dem schwarzen Strand Reynisfjara sterben immer wieder Touristen. Der Grund: Es wirkt so, als würden die Wellen einen bestimmten Abstand zum Ufer einhalten."

Was sie aber nicht tun…

Almabtrieb

Fischige Angelegenheit

Als Berufsfotograf lässt Markus wie üblich auch im Urlaub die Arbeit nicht los: Er nimmt kurzfristig einen Auftrag für ein lokales Medium an und besucht dafür eine Fischfabrik…

Unterwegs

Vorletzte Etappe: Island–Färöer

Es ist für Markus der wehmütigste Teil seiner Reise: Das Schiff verlässt im Zwielicht den Hafen, es folgen abermals zwei einsame Tage auf See.

Ziel: die Färöer. Diesmal wird er aussteigen und die Inselgruppe erforschen.

Ankunft Färöer

Die Fähre legt am späten Nachmittag in Tórshavn an und gleich nach den ersten Kilometern bemerkt Markus: "Die Färöer sind ein Tunnel-Land. Fährt man von der Hauptstadt eine Stunde nach Norden oder Süden, nutzt man ein halbes Dutzend Tunnel. Die größeren sind unter dem Meer und mautpflichtig."

Gut zu wissen: Die Färöer gehören zu Dänemark, aber nicht zur EU. Das heißt: Abgesehen von den Zollformalitäten muss man sich auch um ein Roaming-Paket für das Mobiltelefon kümmern. 

Entlang der Route zu Markus' erstem Ziel liegt ein Tunnel, der es seit Dezember 2020 auch in internationalen Medien zu einiger Berühmtheit gebracht hat…

Eine Woche auf den Färöern

Ungewisse Rettungsaktion zum Schluss

Zwei Tage vor seiner Abreise ist Markus noch etwas passiert, das ich in seinen Worten ungekürzt wiedergeben möchte:

"In der Nähe des Orts Saksun befindet sich Út á Lónna, ein schwarzer Strand, der nur durch eine Wanderung durch ein Gezeitenbecken erreichbar ist – also nur bei Ebbe. Ich bin etwas spät dran, sowohl was die Tageszeit und den Gezeitenwechsel betrifft, doch ich sollte es noch rechtzeitig zum Strand und zurück schaffen, bevor die Flut den Weg abschneidet oder die Dunkelheit hereinbricht.

Es ist eiskalt, neblig und schüttet aus Kübeln – also perfektes Wetter für den Ort. Deshalb verbringe ich am Weg viel zu viel Zeit mit dem Bestaunen der spiegelnden Oberfläche und der restlichen Landschaft und bin schon ein wenig spät dran, als ich den eigentlichen Strand erreiche. 

Der Regen ist noch stärker geworden, das Wasser steigt langsam, aber merklich. Ich lasse den Blick schweifen: Vor mir bricht die Brandung, rechts ragen Felswände auf, links liegt in großen Mengen Seegras … und was ist das? Ein totes Schaf? Bei näherer Betrachtung durch mein 560-mm-Teleobjektiv stellt sich der fellige Haufen als Robben-Baby heraus – und zum Glück als lebendig. 

Ich betrachte das Tier aus einiger Entfernung: Es atmet regelmäßig, bewegt alle Gliedmaßen, zwinkert ab und zu, rollt vom Rücken auf eine Seite und wirkt insgesamt nicht völlig entmutigt und verloren. 

Die Gesamtsituation wirkt allerdings hoffnungslos: Das Tier muss erst wenige Tage alt sein (der Bauchnabel ist noch dunkel und gut sichtbar), dennoch ist am gesamten Strand keine Spur von anderen Robben. Das ist ein schlechtes Zeichen, denn in diesem Alter werden Robben-Junge nicht alleine gelassen. 

Von anderen Reisen weiß ich, dass vereinzelte Robben-Junge an die lokale Wildrettung gemeldet werden sollten. Ich ziehe das Telefon mit klammen Fingern aus den feuchten Tiefen der Winterjacke: Kein Empfang, eh klar. Ganz kurz spiele ich mit dem Gedanken, das Tier in meine Jacke zu wickeln und zum Auto mitzunehmen, verwerfe ihn aber rasch wieder.

Stattdessen kehre ich um, um wieder an einen Ort mit Telefon-Empfang zu gelangen, die Telefonnummer der Wildrettung zu googlen und anzurufen. Ich verlasse den Strand eine Stunde später als beim Aufbruch geplant, die Flut hat das Gezeitenbecken erreicht – ich lege die letzten 500 Meter vor dem Aufstieg zum Auto im knöcheltiefen Wasser zurück. Die ersten paar Dutzend Schritte halten die Wanderschuhe stand, dann dringt die stechende Kälte an die Füße und direkt in die Knochen.

Ich erreiche den Parkplatz meines Autos, wo es zwar einen Defibrillator gibt, aber leider noch immer keinen Internet-Empfang, um die Telefonnummer der Wildrettung zu recherchieren. Ich setze mich ins Auto, fahre landeinwärts, wo ich bessere Netzabdeckung erhoffe, muss aber nach einem Kilometer anhalten, um die triefend nasse, eiskalte Kleidung loszuwerden.

Ich fahre noch weiter, habe irgendwann Empfang und erfahre, dass es auf den Färöern keine Wildrettung gibt. Ich finde als nächstbeste Stelle aber das Meeresbiologische Institut der Färöer. Es ist mittlerweile zu spät, um anzurufen, also schreibe ich ein E-Mail…"

Mailverkehr

Markus’ Nachricht an das Meeresbiologische Institut im Wortlaut:

Betreff: Seal pup found alone at Út á Lónna

Dear Madam or Sir,

I couldn't find a Faroese wildlife rescue hotline, that's why I'm writing to you: I just returned from the beach near Saksun, where I spotted a lone seal puppy. Through my telephoto lens I could confirm that it was alive (visibly breathing and blinking), but there was no other seal in sight (not on the beach nor in the water) and it was lying in washed-up seaweed, next to a dead bird.

I watched it from the distance, but the tide was rising and I had to leave to avoid getting stuck there.

Please find attached a photo that shows the observed location. It's in the lower right quadrant of the image, next to the largest rock on the beach.

How to proceed? I know, it should be monitored for a longer period of time to see if the mother comes back - but that was not possible, given the rising tide. (My concern mainly stems from the fact that it looked more washed-up than left by a mother, next to a carcass.)

Kind regards

Markus

Am nächsten Morgen antwortet der für Säugetiere zuständige Forscher – leider mit wenig beruhigenden Nachrichten. Er meint, dass die kleine Robbe es "wahrscheinlich" alleine schaffen kann:

Dear Markus,

Thanks for sending the information and picture.

Some countries in Europe have rescue centers for seals. In the Faroes, we have decided not to have such a center. The reason is mainly, that it is resource consuming to run rehabilitation of seals, only about half of the pups survive, and is has no benefits for the status of the population.

The pup you observed, is a grey seal pup, the only seal species breeding in the Faroes. The pup is ca. 10 days old, and has been suckling the mom for about a week, therefore it is fairly fat. It has been washed away from the breeding ground, by high waves, and grey seal mothers leaves their pups, when lost.

This pup may have a fairly good chance, because it has got milk from the mother for several days, to survive on its own.


Faroe Marine Research Institute

Zurück zum Festland

In eigener Sache

Während Markus' Reise war auf der Heckscheibe seines Dacia dieser Sticker aufgeklebt. Ihm ist es wegen eines Leukämie-Falls im privaten Umfeld wichtig, auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, Stammzellen zu spenden:

"Liebe Leserinnen und Leser, aus gegebenem Anlass: Stammzellen spenden, Leben retten! Wer weniger als 35 Lebensjahre auf dem Buckel hat, kann sich dafür hier registrieren. Und für die etwas reiferen Semester (bis 45 Jahre) geht das auch noch hier oder hier. Danke!"