Knackiges Knäckebrot, Köttbullar wie daheim bei Ikea, Tausende Inseln und allerorts Blondinen, die „Widdewidde wie es uns gefällt“ singen. Ist das Schweden? Nicht ganz. Louisa, das Mädchen mit dem Janis-Joplin-Touch in der Stimme, ist dunkelhaarig; singt, nein, stirbt auf der Bühne, wenn sie ihren Lieblingssong performt – "Tennessee Whiskey". Das Publikum bleibt cool – zu cool: leichtes Zehenwippen, zaghafte Headbangs. Mittsommer ist längst vorbei, wir sind mitten im Sommer; und das Festival von Karlskrona steuert seinem Ende zu. Im Dunkel der Bucht, schemenhaft, eine felsige Schäreninsel. Louisa weiß: Sommerfeste sind die Chance, entdeckt zu werden! Und dabei kommt sie endlich raus aus Stockholm.
Schweden: Schären im Kopf
Sommer in Südschweden: Die Hauptsache Hauptstadt, Stille der Schären, tote Dichter und das Erlebnis Elch.
Stockholm also. Ein ständiges Hin und Her zwischen 14 Inseln. Nach Södermalm, rauf auf die Fjällgatan, den Aussichtsbalkon der Stadt. Wo lästige Kumuluswolken mein perfektes Panoramabild verhunzen. Runter zum Stadshuset, dem Stadthaus, wo alljährlich in der blauen Halle – deren Wände eigentlich rot sind – das Festbankett der Nobelpreisträger stattfindet. Rüber nach Riddarholmen, zur besten Foto-Location am Mälarensee. Rauf nach Gamla Stan, durch holprige Gassen zu den bunten Giebelhäusern am Stortorget: Hauptplatz und Herz der Altstadt. Ob der Gaukler im roten Hemd weiß, dass hier vor 500 Jahren ein Blutbad stattfand? Begangen vom verhassten Dänenkönig Christian, der Rebellen bei Unterwerfung die Begnadigung versprach. Eine Falle: Am Ende rollten 85 Köpfe übers Kopfsteinpflaster der heute hippen Ausgehmeile. Gleich ums Eck das Stadtschloss von Stockholm, das Kungliga slottet. Wohin tagtäglich zur Mittagszeit, immer wenn sich der Magen rührt, Menschenmassen zur Wachablöse strömen.
ABBA-Museum & Memories
Mit viel Bling-Bling an Uniformen, blankpolierten Bajonetten und Helmen rückt die Garde an: gestampfter Gleichschritt, gepresst gebrüllte Kommandos. Frenetisch bejubelt die Militärmusik, die das Publikum mit Evergreens bei Laune hält. Der schmale Wimpel auf dem Schlossdach signalisiert: Der König ist nicht da. Er ist daheim, draußen in Drottningholm, wo jetzt die blau-gelbe Fahne mit Wappen und Krone weht.
Insider-Tipp: Drottningholm immer erst abends besuchen. Wenn die untergehende Sonne Barockschloss, Park und China-Pavillon in weiches Licht taucht. Wenn auf den Wiesen inmitten unzähliger Wildgänse Verliebte schmusen. Nicht merken, wenn freches Federvieh ihren Picknick-Korb plündert. Im grau-schwarzen Gewurl eine einsame weiße Gans. Wie? Die heißt wirklich Martin! Ist vielleicht doch was dran an der Geschichte von Nils Holgersson und seiner Hausgans?
ABBA-Wahnsinn: Vom Kult-Pop zum Knack-Po
Die Lieblingsinsel der Hauptstädter ist das grüne Djurgården. Wo einst Könige kapitale Hirsche jagten, wimmelt es heute von chilligen Cafés, Museen und Spielhallen – eine Art nordische Prater-Atmosphäre. Menschenmassen vor dem ABBA-Museum: Björn, Benny, Anni-Frid und Agnetha sind zwar längst in Pension, aber ihr Siebziger-Jahre-Sound ist angesagter denn je. Wie auch ihre kitschigen Glamour-Rock-Kostüme, die sexy Overknees von Agnetha und Anni-Frid, die unzähligen Gold- und Platin-Schallplatten und das original nachgebaute Tonstudio. Daneben drängen Teenager auf die Karaoke-Bühne, singen mutig „Dancing Queen“ gemeinsam mit den virtuellen Pop-Ikonen.
"Ring, ring, why don't you give me a call?" Und kein Museums-Besucher lässt das rote Telefon aus den Augen, wo einer der vier manchmal unverhofft anruft. Nicht zum Anfassen, aber zum hautnahen Bestaunen gibt’s ABBA auch lebensgroß als Silikonfiguren. Und manch einer schaut beim Selfie ganz genau hin: auf den Knack-Po von Superblondie Agnetha Fältskog, der 1977 auf der Australien-Tour Presse und Fans um den Verstand brachte.
Nur ein paar Schritte weiter das Vasa-Museum: eine Riesenhalle, gebaut über eine Galeone aus dem 17. Jahrhundert, die mehr als 300 Jahre auf dem Grund der Ostsee lag. Ob Fehlkonstruktion oder falsches Manöver, die Vasa, das größte Schlachtschiff ihrer Zeit, sank auf der Jungfernfahrt noch im Hafenbecken nach nur 1.300 Metern. Und trotzdem sind die Schweden stolz auf dieses Schiff.
Der Göta-Kanal: Wenn Schiffe Treppen steigen
Stolz wie auf das blaue Band, den Göta-Kanal. Eine 600 Kilometer lange Wasserstraße von Stockholm nach Göteborg quer durchs Land. An manchen Stellen ist der Kanal nur wenige Meter breit. Die spektakulärste Stelle ist der Ort Berg, wo die Schiffe, nomen est omen, treppensteigend, über sieben Schleusen, eine Anhöhe von 20 Metern überwinden.
Einmal raus aus der Hauptstadt gibt nur mehr eine Farbe den Ton an: Rot! Genauer: Faluröd. Charakteristischer Anstrich nordischer Bretterbuden, aber auch romantischer Holzriegelhäuser mit weißen Sprossenfenstern und blühenden Vorgärten. Die Farbe ist ein Abfallprodukt der Kupfermine von Falun. Die schönsten Rot-Bauten entdecke ich im historischen Holzstädtchen Eksjö und an den malerischen Kanälen von Trosa, wo es auch den besten sauer marinierten Hering gibt.
Ein Land sieht rot
Vor Sommerhäusern prangt fast immer ein Fahnenmast. Dem König gleich signalisiert auch der Durchschnitts-Schwede mit Fahne seine Anwesenheit. Bullerbü, das verträumte Dorf aus der Feder Astrid Lindgrens, ist allerorts.
Apropos Feder: Wenn im malerischen Mariefred Menschen auf dem Friedhof umherirren, dann sind es immer Deutsche, Schweizer oder Österreicher. Auf der Suche nach dem Grab von Kurt Tucholsky, der hier schmucklos unter einer Eiche begraben liegt. Der Schriftsteller, der seine letzten Jahre in Schweden verbrachte, schrieb nach einer pikanten Sommer-Liebelei in Mariefred sein berühmtestes Werk: Schloss Gripsholm.
"Ska vi Fika?" Wie bitte!? "Fika" heißt Kaffeepause, werde ich aufgeklärt. Grinsen. Ab sofort ist das mein schwedischer Lieblingssatz. Die ultimative Fika gibt’s am Weg zu den Hügelgräbern von Gamla Uppsala. In Sigtuna im nostalgischen Ambiente von "Tant Brun", Schwedens ältestem Kaffeehaus. Dort wo das Personal in mittelalterlichen Schürzen über knarrenden Dielen in Kupferkannen Kaffee balanciert. Als Muss gehören Kanelbullen dazu – nordische Zimtschnecken.
Die nordische Jausn
Stille. Ein roter Bootsschuppen, ein verlassener Steg, knorrige Kiefern auf eiszeitlich abgeschliffenem Fels. Der Schärengarten des Nationalparks Stendörren ist eine visuelle Vitaminspritze. Und mitten in der Wildnis ein Feuerplatz, auch Holz ist da. Hier darf man grillen? Warum nicht! Luft, Erde, Feuer, Wasser, die vier Elemente des Lebens im Einklang.
Vor den Inseln kreuzen weiße Segler. Aber in Stendörren braucht man keine Boote. Die Inseln sind durch Hängebrücken verbunden. Und an sonnig kalten Wintertagen, so berichten die Parkranger, taucht manchmal ein mächtiger Elch auf, starrt regungslos aufs Wasser, als würde er meditieren.
Patrick ruft. mit kehligem Laut. Albert reagiert nicht, erst als Helge kommt, setzt auch er sich in Bewegung. Die beiden Elchbullen fressen Patrick Grönasen, dem Leiter des „Älgparks“ in Kosta (www.gronasen.se/de/), gierig die Karotten aus der Hand. Elchparks sind die perfekte Gelegenheit, diese Tiere, die täglich an die 80 Autounfälle verursachen, in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten. Ein Knacken im Dickicht. Patrick zeigt auf zwei hellbraune Jungtiere. Und da ist das Muttertier: Pferdeschädel, Schweinsaugen, Eselsohren, kleiner Kamelbuckel und lange Giraffenbeine: Elche sind keine Schönheiten, eher ein Potpourri der Schöpfung. „Dafür schmecken sie lecker“, lacht Patrick, während er für uns über glühenden Kohlen fettige Elchwürstel grillt. Der Moment, wo ich an Louisa denke. Jetzt könnt ich ihn brauchen – ihren Tennessee Whiskey.
Elch-Check im Älgpark
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