Seidenstraße per Sonderzug

Mit dem Registan-Express auf abenteuerlicher Schienenfahrt durch Tadschikistan, Usbekistan und Kasachstan – auf der faszinierenden Route der ehemaligen Seidenstraße in Zentralasien.

Da fühle ich mich wie Alexander der Große! Zum Nachtisch gerät der Herr am Nebentisch, von meinem Reisegefährten und Fotografen Heinz aufgrund seines preußischen Auftritts liebevoll nur „der General“ genannt, völlig aus dem Häuschen. Wir spähen aus dem Fenster des Speisewagens. Mit großem Getöse schlingert unser Sonderzug gerade über eine Stahlbrücke, unter der sich ein breiter, grauer Fluss durch eine scheinbar endlose Wüste wälzt. Das ist er also, der Amudarja, der Oxus der Antike, den vor über 2300 Jahren der große Feldherr Alexander auf seinem Eroberungszug durch die schreckliche Wüste Kysylkum nach Zentralasien so heldenhaft und mutig überwunden hat. 

Wir haben es einfacher und bequemer, denke ich und bestelle beim freundlichen Ober noch Kaffee und russischen Wodka. Ich benötige Zeit und Muße, um meine Gehirnwindungen zu sortieren. Denn es ist schon so: Während einer gut zwei Wochen dauernden Tour durch völlig unbekannte Ländereien wie auf dieser Sonderzug-Fahrt mit dem "Registan-Express" durch Turkmenistan, Usbekistan und Kasachstan kann die Vielzahl der Eindrücke dem Reisenden ganz schön zu schaffen machen. 

Eine nahezu perfekte Organisation macht jedoch vieles einfacher. Im Grunde funktioniert unsere Zugreise wie eine Kreuzfahrt auf dem Meer. Anstelle eines Schiffes mit Kabinen haben wir jedoch unseren Zug mit Abteilen, deren Sitzbänke für die Nacht von der Schaffnerin zu recht bequemen Betten umgebaut werden. Gereist wird in verschiedenen Abteil-Kategorien: Je mehr man zahlt, desto bequemer wird’s (Dusche im Waggon oder sogar im Abteil!) und desto mehr Platz hat man. Für das leibliche Wohl mit einheimischen und internationalen Gerichten sorgt die Besatzung des Speisewagens. Während der Nacht steuert der Zug die nächste Stadt oder Sehenswürdigkeit an. Nach dem Frühstück warten schon die Busse am Bahnhof, um die Neugierigen – selbstverständlich von deutschsprachigen, gut ausgebildeten Reiseleiter/-innen begleitet – zu den Wundern an der Seidenstraße zu geleiten. Am Abend, wenn alle wieder eingestiegen sind, setzt das schienengebundene Wüstenschiff dann seine Reise durch Zentralasien fort.

Turkmenistan? Wo ist das genau? Für diese und unzählige andere Fragen vor und während dieser Reise muss man sich nun wirklich nicht genieren. Auch die Lage der Nachbarländer Usbekistan und Kasachstan ist nicht ge­läufiges Geographiewissen. 

Das war nicht immer so. Vor Jahrhunderten waren Oasen und Städte wie Chiwa, Buchara und Samarkand weltberühmt, auch als Handelszentren an der legendären Seidenstraße zwischen Europa, Arabien und China.
 
Das ist der größte Reiz an dieser Route: Man kann die Spur, die diese sagenumwobenen Orte durch die Zeit gezogen haben, verfolgen. Dazu ist – und das sei hier auch ganz klar gesagt – ab und zu auch eine gehörige Portion Vorstellungs- und Einfühlungsvermögen notwendig. Sonst nimmt man nur viele Moscheen mit vielen bunten Kacheln wahr, Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Die großen Heiligen und Herrscher erwachen erst wieder durch die Legenden und Geschichten aus Tausendundeiner Nacht – in den Basars von Buchara, in den verwinkelten Gässchen der zauberhaften Oasenstadt Chiwa und auch auf dem berühmten Registan, dem großen zentralen Platz von Samarkand mit seinen prachtvollen Moscheen und Koranschulen.

Auch in den modernen Zeiten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 haben alle drei Länder rasch zum System der orientalischen Despotie gefunden, die hier seit Jahrhunderten üblich war. Geradezu groteske Züge hat diese Staatsform in Turkmenistan angenommen. In der Haupstadt Ashgabat hat man dem Begriff Protzbau eine neue Dimension gegeben. Mitreden darf die Bevölkerung nicht, auch die Handyverbindung ins Ausland ist gekappt. Finanziert wird das alles durch die Gasvorkommen, nach denen Europa lechzt. Die Reserven werden auf etwa 20.000,000.000,000.000,000.000 Kubikmeter (20 Trilliarden) geschätzt. Damit könnte unser gesamter Kontinent mehrere Jahrhunderte mit Gas versorgt (und ganz Turkmenistan in ein goldenes Gefängnis verwandelt) werden. In den Nachbarländern Usbekistan und Kasachstan existieren ähnliche Diktaturen, in abgemilderter Form. 

Von diesen Umständen darf man sich beim Gespräch mit den Menschen freilich nicht abschrecken lassen. Mit der Ausnahme von Turkmenistan, wo für Einheimische der Kontakt mit Touristen schwierig ist, begegnet man orientalischer Gastfreundschaft wie aus dem Bilderbuch. Im Komplex der Naqshbandi-Pilgerstätten außerhalb von Buchara etwa, in den Gläubige aus allen Gegenden Usbekistans kommen, um mit der verstorbenen Seele des Sufi zu sprechen, ist unsere Reisegruppe die positive Attraktion. Wir werden aufgefordert, uns gemeinsam fotografieren zu lassen, man will mit uns ins Gespräch kommen. Es herrscht eine feierliche, positive Stimmung, ganz anders als man das bei Reisen etwa im arabischen Raum manchmal erlebt. 

Daher kommt ja auch die große Anziehungskraft, die Zentralasien auf Reisende derzeit ausübt: Während Länder wie Syrien und der Irak von der touristischen Landkarte verschwunden sind und Ägypten, Jordanien und Tunesien aufgrund von Umwälzungen und Unsicherheiten und einer deutlich verschlechterten Sicherheitslage massiv an Attraktivität verloren haben, wartet der vom Islam geprägte kulturelle Kosmos Zentralasiens gerade erst auf seine Entdeckung. Der Islamismus als radikale Bewegung wiederum wird von den harten Regimes der Region brutal unterdrückt.

Die Pracht Samarkands, die orientalische Lebendigkeit Bucharas und die großartige Kulisse der in einzigartiger Form erhaltenen Oasenstadt Chiwa sind die Hauptattraktionen dieser Reise. Man kann sich kaum sattsehen an den herrlichen Moscheen und Palästen, streift gerne lange Stunden durch die Gassen und Basars. Unsere liebsten Plätze waren die Tee- und Kaffeehäuser, in denen wir nach den geführten Besichtigungen mit hoch gelegten Beinen ausspannen, nachlesen und nachsinnieren konnten. An manchen Orten braucht man viel Begeisterungsfähigkeit und Phantasie. Die Oase Merw im heutigen Turkmenistan war zur Zeit Alexanders des Großen zwar eine blühende Metropole und die verwitterten Sandburgen und -wälle, die heutzutage davon übrig geblieben sind, beeindrucken immer noch – verzaubern können sie aber nur mit Hintergrundwissen. Ähnliches gilt für die alte Partherhauptstadt Nisa oder Yassi, das frühere Turkestan, im 15. und 16. Jahrhundert Sitz der kasachischen Khane. Kein Wunder, dass so mancher Mitreisende nach zwei Wochen einer geballten Ladung zentralasiatischer Kultur die Patschen streckt. 

Aber die Seidenstraßen-Reise per Zug besteht ja nicht nur aus Besichtigungen. In lieber Erinnerung sind auch die Stunden im Zug, in denen man – gut mit Tee oder (auf Wunsch) auch mit Bier und Wodka versorgt – einfach nur durchs Fenster starren konnte. „Nachtisch in der Hungersteppe“, hieß unser Schlachtruf in dieser kasachischen Landschaft, wenn es langweilig zu werden drohte. Das monotone Tat-Tumm-Ta-Tamm der Räder auf den endlosen Schienenkilometern durch die Wüsten und Steppen begleitete uns auch in der Nacht in einen manchmal tiefen, öfters aber auch recht unruhigen Schlaf. 

Dann träumten wir vom "Tor zur Hölle", aus dem seit Jahrzehnten unkontrollierbare Feuerstürme in die stahlblauen Himmel und tiefschwarzen Nächte Turkmenistans bersten. Wir träumten von prachtvollen Palästen, in denen Sultane Kriegsrat hielten gegen die Eroberer Timur und Dschingis-Khan. Wir erinnerten uns an den morgendlichen Aufbruch der Karawane, nur noch zwei Tage vor Samarkand. An das Bellen der Hunde, das Geschrei der Händler, das Stöhnen der Kamele, die schwer bepackt aus der Karawanserei in die wasserlose Weite der Kysylkum getrieben werden. An all das erinnerten wir uns, als ob es gerade erst geschehen, als ob es Teil unserer Reise wäre. Doch, siehe da, es war nur ein einziger von 1001 Träumen.

 

Das ÖAMTC-Reisebüro bietet Sonderzugreisen durch Zentralasien an. Alle Infos und Buchungen bei den Reisebüros des ÖAMTC und unter Tel. 0810 120 120.