Wo Österreich zu Ende war
Eine wundersame Reise zu den Schätzen Siebenbürgens und den einzigartigen Klöstern in Moldau und Bukowina.
Jeden Morgen kurz vor zehn Uhr spaziert Tino Nicolae die schmale, gepflasterte Straße hinauf zum Stundturm von Sighișoara (Schässburg) und legt sich in seinen Sarg. Bevor der junge Mann im Oberstock eines bekannten Restaurants sein Tagewerk beginnt, schminkt er sein Gesicht weiß, schmiert schwarze Paste in die glatt zurück gekämmten Haare und setzt sich, besonders wichtig, seine drittes Gebiss aus Plastik ein.
Tinos Arbeit besteht darin, in seiner nur von einigen flackernden Kerzen mäßig erhellten Kammer regungslos zu warten. Erst wenn eine neue Reisegruppe auf dem Weg zum verdienten Mittagessen in die Nähe seines Sargs stolpert, reißt Tino mit einem lauten "Arrhhhhh" Arme und Oberkörper in die Höhe. Den Rumänien-Reisenden fährt garantiert der Schreck in die Glieder. Und wieder einmal ist bewiesen: Der untote Graf Dracula war noch nie so lebendig – zumindest als Touristenmagnet für Siebenbürgern und Rumänien.
Den Siebenbürger Sachsen auf der Spur
Denn die Gruselgeschichte vom Blutsauger ist nur ein Mythos, gespeist vor allem von Bram Stokers Roman "Dracula" aus 1897, der mit Francis Ford Coppolas Verfilmung 1992 auch dank der phantastischen Schauspielkunst Gary Oldmans den endgültigen Durchbruch in die Popkultur schaffte. Viele Rumänen sind hingegen davon überzeugt, dass der rumänische Fürst Vlad Tepeș ("Pfähler") in Wahrheit ein bei seinen Untertanen beliebter Herrscher war, der freilich den Dauerkampf gegen die Osmanen besonders grausam führte.
Es ist nicht einmal sicher, dass der Fürst tatsächlich im Casa lui Vlad Dracul am Burgberg von Sighișoara geboren wurde. Macht aber auch nichts, denn ein Besichtigungs-Vormittag ist auch so interessant genug. Auf den Spuren der Siebenbürger Sachsen, die hier Jahrhunderte lang das Leben prägten, steigt man den Stundturm, das Wahrzeichen der Stadt, hinauf und genießt die prächtige Aussicht. Dann spaziert man die 176 hölzernen Stufen hinauf Schulberg samt Burgkirche mit ihren prächtigen Fresken, an die sich der Sächsische Friedhof anschließt.
Sighișoara ist gemeinsam mit dem rund 90 Kilometer entfernten Sibiu (Hermannstadt) ein fixer Programmpunkt fast jeder Siebenbürgen-Rundreise. Welche der beiden schmucken Städte "schöner" ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Tatsache ist, dass Sibius Altstadt schon vor zehn Jahren als Europäische Kulturhauptstadt zu einem Schmuckkästchen renoviert wurde.
Daran hat sich nichts geändert. Auf den Plätzen und Gassen, die von gemütlichen Cafés gesäumt und von spielenden Kindern belebt werden, fühlt man sich sofort wohl und irgendwie auch wie zu Hause. Viel dazu beigetragen hat Klaus Johannis, langjähriger Bürgermeister der Stadt, den die Rumänen 2014 als Hoffnungsträger im Kampf gegen die im Land grassierende Korruption zu ihrem Präsidenten wählten.
Der dritte große, glänzende Stern unter den Städten Siebenbürgens, das ist Brașov (Kronstadt) mit ebenfalls schön renoviertem Zentrum und der Schwarzen Kirche, dem größten gotischen Gotteshaus Südosteuropas. Ihren merkwürdigen Beinamen verdankt sie einem Brand im 17. Jahrhundert. Heute noch zu sehen sind auch Einschusslöcher von Gewehrkugeln aus dem Jahr 1989, als die Securitate (Staatssicherheit) des Diktators Nicolae Ceaușescu während der Revolution durch Kirchenfenster auf Menschen schoss, die ins Innere geflüchtet waren.
Nach so viel Geschichte geht man am besten hinunter zum Großen Marktplatz, der mit schönen Cafés lockt. Ein besonderer Tipp ist das gemütliche Café Bibliothek gleich ums Eck – ein gelungener Mix aus Bar, Bibliothek und Lounge.
Kein Dracula in der Dracula-Burg
Brașovs Umgebung kann mit einigen überaus lohnenden Ausflugszielen punkten. Da ist natürlich Burg Bran, das Zentrum der touristischen Dracula-Umtriebe, das tagtäglich von Touristen aus aller Welt regelrecht gestürmt wird. Doch, oh weh! Burg Bran ist zwar eine prächtige, gut erhaltene Burg. Vom schrecklichen Vampir findet sich jedoch keine Spur – außer Plastikgebisse und Masken an den Souvenirständen. Vlad Tepeș höchstpersönlich war hingegen niemals in Bran, er residierte im heutigen Bukarest.
Macht aber nichts, die Burg ist auch so sehenswert. Und von einem der Wehrgänge erblickt man tief unten Mauerreste. Hier befand sich einst die Zollstation zwischen Transsylvanien und der Walachei. Das große österreichisch-ungarische Kaiserreich reichte noch bis vor 99 Jahren von Bozen und Bregenz bis genau zu dieser Stelle.
Eine ganz Attraktion im Umfeld von Brașov erreicht man derzeit leider nur auf einer holprigen Schotterstraße: Das "Bären-Refugium“ ist zu einer Erholungsoase für Dutzende Zirkusbären geworden, die in Rumänien noch bis 2005 in Käfigen oder auch nur am Straßenrand zur Belustigung des Publikums gequält worden waren. Jetzt können sie in großen Freigehegen halbwegs natürliches Leben führen, so weit das eben noch möglich ist. Einige der Tiere sehen und hören nichts mehr, da ihnen von ihren menschlichen Todfeinden die Augen ausgestochen oder der Gehörsinn mit Säure verätzt wurde.
Weltkulturerbe Moldauklöster
Nach diesen erschütternden Stunden geht es viele Straßenstunden in den Nordosten des Landes – in die Bukowina. Die Entfernungen sind groß in Rumänien, denn Autobahnen sind rar. Und auf den Freilandstraßen ist es aufgrund des starken Verkehrs unmöglich, einen Schnitt von mehr als 50 km/h zustande zu bringen. Doch hinter den vielen Kurven durch unzählige Wälder liegen die Ziele der Reise: die berühmten Moldauklöster.
Fürst Stefan der Große stiftete einst für jeden seiner Schlachtensiege gegen die Osmanen ein Kloster – 44 sollen es gewesen sein, mehr als 80 davon gibt es insgesamt. Weshalb sollte man sich einige davon unbedingt anschauen? Vor allem deshalb, weil die Gotteshäuser mit einzigartigen Bilddarstellungen aus dem späten Mittelalter innen und außen übersät sind, die wie ein Comicstrip in Bildsprache biblische oder historische Begebenheiten erzählen. Diese „Bibeln der Armen“ entstanden, weil die orthodoxen Rumänien die örtliche Kirchensprache (das Slawische) nicht verstanden. Dabei ging oft auch die Phantasie mit den Künstlern durch. In Voroneț malten sie in leuchtendem Onyx-Blau unter anderem eine Waage, mit der die Hand Gottes beim Jüngsten Gericht die Seelen bemisst: Himmel oder Hölle! Konsequenterweise sind die verlorenen Seelen als Türken dargestellt. In Sucevița kann man eine Himmelsleiter bestaunen, auf der die Gerechten, von Engeln geleitet, dem Himmel entgegen gleiten. Aber auch weltliche Ereignisse werden plastisch dargestellt, so die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453, ein für die Zeitgenossen traumatisches Ereignis. Im Inneren der Klosterkirche von Neamț ist eine Madonnen-Ikone aus dem 5. Jahrhundert zu bestaunen – ein populärer Wallfahrtsort.
Im Palast des "Sieges der Regierung über das Volk"
Zu dieser Mittelalter-Wunderwelt wirkt die Hauptstadt Bukarest, die am Ende der Reise steht, wie eine Antithese. Die Hauptsehenswürdigkeit stammt aus dem 20. Jahrhundert: der Palast der Republik, ein noch zu Ceaușescu-Zeit begonnener gigantischer Bau – das zweitgrößte Gebäude der Welt nach dem Pentagon in den Vereinigten Staaten: zwölf Stockwerke, 1000 Zimmer, Parlament und Senat Rumäniens haben hier ihren Sitz. Der Volksmund sagt "Sieg der Regierung über das Volk“ dazu.
Rumänien hat viele Probleme. Jene jungen Leute, die etwas aus ihrem Leben machen wollen, schauen, dass sie so rasch wie möglich ins Ausland kommen. Die politische Kaste des Landes hat es zu einem großen Teil noch immer nicht geschafft, Klientelwirtschaft und Korruption aus der Ära der Diktatur abzulegen. Rumänien, so beklagen es viele, ist ganz am unteren Ende der Europäischen Union picken geblieben.
Doch aus touristischer Sicht ergibt sich ein anderes Bild. Das Land ist sicher. Es liegt irgendwie hinter den sieben Bergen, heutzutage eine gute Position. Die Infrastruktur – Hotels, Restaurant, Toiletten unterwegs – passt. Und die Preise sind sehr niedrig. Bei freundlichem, oft auch deutschsprachigem Service. Also: Dracula vergessen, Rumänien anschauen. Da kann nichts schiefgehen.
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