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Der Honky-Tonk-Highway in Nashville, Tennessee – Ziel einer musikalischen Spurensuche durch den tiefen Süden der USA.

© Christoph Löger

Der Honky-Tonk-Highway in Nashville, Tennessee – Ziel einer musikalischen Spurensuche durch den tiefen Süden der USA.

© Christoph Löger
September 2016

Tennessee im Herzen

Mein ganzes Leben baut auf Musik im Dunstkreis von Country, Blues und Rock’n’Roll. Wie es dort, wo "meine" Songs entstanden, aber aussieht, riecht und klingt, wusste ich bisher nicht. Um es herauszufinden, bin ich nach Tennessee gereist. Ein Roadtrip zwischen Nashville und Memphis in D-Dur.

Keith dämpft das Licht, vom Band ertönen die ersten Takte von "Are You Lonesome Tonight?" und ich erstarre vor Ehrfurcht. Es ist ein feucht-schwüler Abend in Nashville, Tennessee, und ich befinde mich im Aufnahmeraum des RCA Studio B. Hier drinnen, genau zwischen diesen vier Wänden, hat Elvis Presley am 4. April 1960 den legendären Song eingespielt – ebenso wie ich in diesem Moment in völliger Dunkelheit, weil er die romantische Stimmung des späteren Nummer-1-Kultur-Erbes so besser einfangen wollte, erzählt Keith, mein Guide durch das Studio, während er die Lautsprecher mit einer knisternden Kopie des Original-Tapes beschickt.

Zwei Meter vor mir steht ein Piano, das seine besten Tage recht offensichtlich bereits hinter sich hat: Der Lack blättert ab, es ist übersät mit Kratzern, kein halbwegs vernünftiger Musikschüler würde heute damit klimpern lernen wollen, denke ich. "Darauf hat Elvis fast 14 Jahre lang geprobt", meint Keith beiläufig und bedeutet mir per Fingerzeig, es zu spielen…

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tennessee_2016-09_CL_3erC_1.JPG Christoph Löger © Christoph Löger
"Howdy" in Tennessee: Cowboys,…
tennessee_2016-09_CL_3erC_2.JPG Christoph Löger © Christoph Löger
… zarter Patriotismus und…
tennessee_2016-09_CL_3erC_3.JPG Christoph Löger © Christoph Löger
… die Eskalation der Gemütlichkeit.

Für mich eine komplette Aufnahmesituation…

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1 Ich lasse mir die Nervosität nicht anmerken, nehme auf Elvis’ Original-Hocker Platz und bemühe den einzigen Blues-Akkord, den ich beherrsche. Danach… © Christoph Löger

2 … kratze ich unschuldig pfeifend mit dem Fingernagel an der Unterseite einer Taste entlang und hoffe, dass ein bisschen DNA des "King" an meinen Händen haften bleibt. © Christoph Löger

3 Gleich daneben: Elvis' "55SH" – das wohl legendärste Studio-Mikrophon der Musikgeschichte. Auch in dieses Exemplar hat er hineingesungen, und mir wird ein bisschen schwummrig. Später werde ich bereuen, dass ich es nicht abgeleckt habe. © Christoph Löger

Welcome to Tennessee!

Diese Karte zeigt im Groben die Tour, um die es im folgenden gehen wird. Die Eckpunkte heißen Memphis, Nashville und Lynchburg, und in welcher Fahrtrichtung man sie angeht, ist gerade in diesem US-Bundesstaat völlig egal. Tennessee ist kein Touristen-Mekka wie Florida oder Kalifornien: Wer hierher kommt, hat den Trip mit ziemlicher Sicherheit nicht als Pauschalurlaub gebucht. 

tennessee_2016-09_CL_1er_3.jpg Google Maps/Peter Scharnagl © Google Maps/Peter Scharnagl

Die knapp fünf Stunden Fahrzeit sollen übrigens nur ein Anhaltspunkt für Distanz und Umgebung sein, keinesfalls aber eine Empfehlung für eine To-do-Liste, die es innert einer Woche abzuhaken gilt. Denn: Die lässigsten Erlebnisse gibt's hier, im tiefen Süden, ohnehin abseits der großen Interstates. Bei BBQs mit Einheimischen, die illegal gebrannten Schnaps ("Moonshine") reichen, in winzigen Musikbars mitten im Wald oder während sonntäglicher Gospel-Messen auf dem Land. Erzählungen davon lasse ich bewusst aus, weil: Dieses Feeling kann, soll und muss in diesem feucht-schwülen Hügelland im nordamerikanischen Nirgendwo jeder für sich auf seine Weise entdecken.

Aber jetzt los…

Saw the ghost of Elvis on Union Avenue. Followed him up to the gates of Graceland. Then I watched him walk right through.

Marc Cohn, Walking In Memphis (1991)

Der Referenz-Song für Südstaaten-Rookies…

Sie werden jetzt milde lächeln und sagen: "Na geh, ausgerechnet mit dieser Schnulze beginnt er seine Reise? Kennt man ja hinlänglich aus dem Hitradio." Ich pflichte bei: Ja, richtig! Aber: halt meist in der Billig-Interpretation von Botox-Pionierin Cher, die es zudem auch noch geschafft hat, die Essenz dieser Nummer ihrer Ursprungs-Aussage zu berauben. Zugegeben: Muss man auch mal hinkriegen. Ich finde aber: Dieses Lied mag zwar maßlos kitschig sein, aber mitsamt Video ist es der wunderschönste 4-Minuten-Reiseführer zu einem der unterschätztesten Reiseziele der Welt.    

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Beginnen wir mit Land und Leuten…

Vorweg: Tennessee ist kein einfaches Pflaster. Die Gegend zählt zu den absolut ärmsten Regionen der USA, dementsprechend hoch gehalten werden hier deshalb – wie überall auf der Welt – auch die beiden klassischen Anker einer geprügelten Gesellschaft: Religion und Patriotismus. Darauf sollte man sich als Besucher einstellen. Abendliche Bar-Diskussionen mit Einheimischen, bei denen man mit europäischer Selbstüberhöhung "Gott" oder gar den "Weltpolizisten USA" in Frage stellt, sind eher keine gute Idee. Neunmalkluges Gehabe sieht hier nämlich niemand gern…

Hält man sich nun also an diese eigentlich recht einfach zu begreifenden Umgangsformen und regionalen Schrullen, erntet man im Gegenzug dafür überbordend herzliche (und so gar nicht US-klischeehaft oberflächliche) Gastfreundschaft. Die überall sonst in den Staaten geflügelte und stets gedankenlos dahingesagte Verabschiedungs-Floskel "See you later" zum Beispiel (die eben genau dies – einander später nochmal zu treffen – fast nie impliziert) kann in Tennessee eine durchaus ernst gemeinte Einladung zur Familien-Grillerei am folgenden Tag bedeuten. Der man dann aber auch besser nachkommen sollte, wenn man in der Kleinstadt nicht binnen eines Tages zum Außenseiter werden möchte.

Lust, tiefer einzutauchen? Nun denn, sehen wir uns doch gemeinsam an, wie Tennessee so tickt…

Der erste King des Südens: Martin Luther King

Schauplatz Memphis: Hier, am Ufer des Mississippi, dem "Ol' Man River", hat in Sachen Musik (nicht nur für meine Hörvorlieben) alles begonnen: der Blues, der Rock’n’Roll, der Soul. Hier geschah in den von fürchterlichem Rassismus geprägten 1950ern und 1960ern aber auch die Verschmelzung von schwarzer und weißer Musik, ohne die es später keine (weißen) Erfolgsstorys à la Beatles oder Rolling Stones gegeben hätte – Bands, die sich stets auf ihre Wurzeln in der Musik des US-Südens beriefen.

Stichwort Rassismus: Ich stehe vor dem "Lorraine Motel", das am 4. April 1968 Schauplatz des Attentats auf den schwarzen Bürgerrechtler Martin Luther King wurde…

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tennessee_2016-09_Library_of_Congress_blockC_2.jpg US Library of Congress 2
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1 Die beiden Autos, die am Tag des Anschlags unter dem Balkon von Zimmer 306 standen, stehen heute noch immer dort. Zwar handelt es sich um restaurierte Replicas, ihre Position blieb aber unverändert. © Christoph Löger

2 Einer der wenigen Politiker, die unsere Welt tatsächlich nachhaltig verändert haben: Martin Luther King. Im National Rights Museum, das nur ein paar Schritte entfernt ist, wird halbstündlich ein beeindruckend-bedrückender Film über den Tag des Anschlags und seine globalen Folgen gezeigt. Als ich im Kinosaal sitze, bin ich umringt von schwarzen Familien mit Kleinkindern, die, aus allen Bundesstaaten kommend, hierher traditionell (Bildungs-)Ausflüge mit dem Nachwuchs machen. Die Eltern weinen, und ich versinke, obwohl schuldlos an den Geschehnissen damals, trotzdem tief berührt in meinem Sitz. Keine Frage: Fehler der Menschheitsgeschichte spürt man vor Ort immer am intensivsten.  © US Library of Congress

3 Zimmer 306: An diesem Geländer sackte King, tödlich getroffen, zusammen und starb. Wer ein Führung bucht, darf – getrennt durch eine Glasscheibe – auch in das Zimmer hinein, in dem seit 4. April 1968 (inklusive Staub) alles so belassen wurde wie an Kings Todestag. © Christoph Löger

I have a dream that one day little black boys and girls will be holding hands with little white boys and girls.

Martin Luther King (1929–1968)

Der zweite King des Südens: Elvis Presley

Am 2. Oktober 1954 versuchte ein junger Mann aus Tupelo, Mississippi, in der altehrwürdigen "Grand Ole Opry" in Nashville (mehr dazu später) erstmals sein Glück als Musiker. Nach seinem Auftritt wurde ihm von offizieller Stelle aber empfohlen, er solle doch besser Lastwagenfahrer bleiben. Seine Stimme sei "komplett untauglich" für die große Bühne, ließ man ihn wissen.

Der Jüngling ließ sich allerdings nicht einschüchtern, spazierte stattdessen durch die Stadt zu einem gewissen Sam Phillips. Der wiederum, ein weißer Fan der damals verpönten "Negermusik", hatte sich in den Kopf gesetzt, dass man diesen Sound erfolgreich machen könne, wenn man ihn nur zuerst einmal durch Weiße interpretieren lässt, um die Idee im verkaufbaren Mainstream zu installieren. Phillips' kleiner Aufnahmeraum hieß "Sun Studio" (oder sperriger: "The Memphis Recording Service and Sun Records") – und war nichts anderes als die Brutstätte des Rock'n'Roll, wie wir ihn heute in all seinen wundervollen Ausformungen kennen.

Ach ja: Der junge Mann, der bei Sam vorstellig wurde, hieß natürlich Elvis Aaron Presley.

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Blues City.
tennessee_2016-09_CL_3erA_2.JPG Christoph Löger © Christoph Löger
Local Hero.
tennessee_2016-09_CL_3erA_3.JPG Christoph Löger © Christoph Löger
Slide Guitar.

In jenen Tagen gingen im "Sun Studio" des Musikproduzenten-Pioniers Sam Phillips übrigens auch noch andere Jungs ein und aus, die gern berühmt werden wollten. Carl Perkins zum Beispiel, dem gerade ein Song namens "Blue Suede Shoes" eingefallen war (und dessen Rechte er, ohje, später seinem Freund Elvis um ein paar müde Dollar überlassen hat). Oder Jerry Lee Lewis, der an einer interessanten Piano-Nummer namens "Great Balls of Fire" tüftelte. Und natürlich Johnny Cash, dessen erstes Vorspielen bei Studio-Boss Sam Phillips überhaupt nicht gut ankam (den Rest seiner Geschichte kann man im mehrfach Oscar-gekrönten Film "Walk the Line" nachverfolgen).

Allerdings gab es nur einen einzigen Tag, an dem sich alle oben genannten gemeinsam im "Sun"-Proberaum einfanden. Und das auch nur zufällig. Diese Jam-Session, bei der Carl, Jerry, Elvis und Johnny mitsammen mehr schlecht als recht musiziert haben, nennt sich heute "Million Dollar Quartet" und füllt als Musical-Adaption jede Nacht die Theater des New Yorker Broadway. Als Original-Platte ist der Mitschnitt kaum bezahlbar (was dem Vinyl-sammelnden Autor besonders weh tut) und auch sonst in voller Audio-Länge eine Rarität. Sie würden's aber trotzdem gern hören? Bitteschön: die komplette Proberaum-Stunde mit vier Legenden in (naturgemäß) mieser Qualität…

Rarität: die "Million Dollar Quartet"-Session

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So, jetzt will ich Elvis besuchen. Oder zumindest das, was er uns Unwürdigen nebst seiner Musik sonst noch Physisches hinterließ. Nämlich Graceland, jenes komplett irre und dekadent maßlose Anwesen in Memphis, das er sich als späterer Superstar bauen ließ, um seine ärmliche Kindheit in einer "Shotgun Shack" (einer in den 1950ern im Süden durchaus üblichen Einzimmer-Hütte ohne Zwischenwände, durch die man sprichwörtlich hindurch schießen konnte), zu kompensieren. Der Weg dorthin ist relativ einfach zu finden, wenn man die Straßenbeschilderung halbwegs aufmerksam beobachtet…

tennessee_2016-09_CL_1er_1.jpg Christoph Löger © Christoph Löger

Exkurs: der Saft der Musiker

Schauplatz Lynchburg, 90 Autominuten südlich von Nashville: Das Städtchen ist weitgehend unbekannt, hat aber Generationen von Musikern sprichwörtlich beflügelt. Hier wird nämlich jenes bernsteinfarbene Getränk namens Jack Daniel's gebraut, das nach intensivem Genuss wohl für den einen oder anderen Rock'n'Roll-Hit mitverantwortlich war…

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1 Randy "Goose" Baxter ist geschätzte 60, besitzt eine beeindruckende Statur und hat die Aufgabe, Besucher schwer schnaufend und schweißgebadet durch die berühmte Destillerie zu führen. Im zarten Alter von 16 hat er, gebürtiger Lynchburger, für Jack Daniel’s zu arbeiten begonnen und seitdem den Bundesstaat laut eigener Angabe "nur ein Mal verlassen". © Christoph Löger

2 Lynchburg liegt in einem "dry county". Das heißt, dass Alkohol im ganzen Bezirk schlicht verboten ist. Wer also die Brennerei besucht, darf zwar eine Flasche des kostbaren Safts kaufen, sie innerhalb der Bezirksgrenzen aber nicht einmal öffnen. Besucher bekommen nach der Führung stattdessen einen Becher eisgekühlter (und definitiv köstlicher) Zitronen-Limonade. © Christoph Löger

3 Das war der Boss und Firmengründer – Jack Daniel. Ironie der Geschichte: Er starb nicht an einer Fettleber, sondern relativ unkonventionell. In seinem Büro stand dazumals nämlich ein schwerer Eisen-Safe (vor Ort noch immer zu bestaunen), den er eines Tages nicht aufbekam. Aus Wut trat er mit dem Fuß dagegen – und brach sich die Zehe. Darauf folgte Wundbrand (zu seinen Lebzeiten eine eher mühsame Sache), dann die Abnahme der Zehe, des Fußes, des Beins und schließlich ward er nicht mehr. Ziemlich sicher einer der sinnlosesten Abgänge des Alkohol-Universums. © Christoph Löger

Ich mache mich wieder auf den Weg. Unvergleichlich das Gefühl, bei offenem Fenster und 50 Meilen pro Stunde durch das sanft hügelige Tennessee zu cruisen und im Autoradio jene Musik zu hören, die da draußen vor der Windschutzscheibe entstanden ist.

Langsam wird es dunkel. Ein guter Zeitpunkt, sich ins Nachtleben von Memphis oder Nashville zu stürzen. Besonders die letztgenannte Country-Metropole ist für Menschen wie mich, die erst nach Sonnenuntergang so richtig aufblühen, ein gefundenes Fressen. Schlendert man hier den bunt erleuchteten "Honky Tonk Highway" in der Innenstadt entlang (ein Honky Tonk ist eine Bar mit Live-Musik), fällt die Entscheidung schwer, welches der unzähligen Lokale man wählen soll: In jeder dieser Spelunken spielen allabendlich Bands, die so gut sind, dass es fast weh tut. 

Während ich einer von ihnen andächtig lausche und die Musiker zwischen den Songs durchs Publikum gehen, um per umgedrehten Cowboyhut ihre Gage einzusammeln, fällt mir etwas auf: Die Stimmung in einem Honky Tonk ist für mich als vorurteilsbehafteten Europäer nämlich einigermaßen überraschend. Vom Banker im Anzug über das Pensionisten-Pärchen bis hin zum Teenager tanzt hier alles ausgelassen und fröhlich miteinander – keine Spur von rüpelhaftem Cowboy-Klischee.

Sie würden gerne selbst einmal in die Musik des tiefen Südens eintauchen, wüssten aber aufgrund des Überangebots nicht, wo Sie beginnen sollten? Kein Problem: Das wären zum Abschluss meine persönlichen Vorschläge…

See ya back down South!

Anstatt eines persönlichen Fazits in Worten passt es diesmal viel besser, die Geschichte mit einem Song zu beenden. Er ist die Lieblings-Südstaaten-Hymne des Autors und trifft das Lebensgefühl der Region schlicht und einfach punktgenau…

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Nomen.
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Est.
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Omen.

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