Immer am Meer entlang

Eine Reise durch das "Grüne Spanien" im Norden der iberischen Halbinsel vom
Baskenland über Kantabrien und Asturien bis nach Santiago de Compostela in Galicien.
 

Es ist nur schwer vorstellbar, in einem Land ohne Meer zu leben“, sagt Sonia. Nun, ich bin eigentlich ganz zufrieden in Österreich, aber in diesen Stunden schleicht sich Zweifel an. Den Gästen im Restaurant Bodegón im Fischerort San Vicente de la Barquera spenden niedrige Arkaden wohltuenden Schatten. Die Stunde hat schon fast 16 Uhr geschlagen, aber das Mittagessen ist – wie in Spanien üblich – noch in vollem Gang. Serviert werden Spezialitäten aus dem Kantabrischen Meer: Percebes ("Entenmuscheln"), Oktopus sowie eine Platte mit Reis und Langusten. Wir sprechen über die Menschen, die an diesen Küsten leben, ein bisschen auch über die Pandemie. Der Begriff "Ibera", so lerne ich, leite sich nicht nur vom Stamm der Iberer auf der Halbinsel ab, sondern bedeute auch "Geräusch des Wassers".

Ich gebe zu: Genau davon kann ich in diesen Tagen nicht genug bekommen. Ich reise vom nordöstlichsten Eck Spaniens meist entlang der Küste des Kantabrischen Meeres bis zum Wallfahrtsort Santiago de Compostela, der Hauptstadt von Galicien in der nordwestlichen Region Spaniens. Dazwischen liegen mit Asturien und Kantabrien zwei Regionen, die bei uns wenig bekannt sind. 

Die Fahrt alleine ist ein Genuss. Meer und oft schroff aufragendes Land sind wie kommunizierende Gefäße, die immer wieder neue Verbindungen eingehen, ständig neue Lichtspiele schaffen und Szenerien eröffnen. Ich kann mich gar nicht sattsehen daran und muss aufpassen, meinen Zeitplan nicht aus den Augen zu verlieren. Denn die Entfernungen sind groß und ich meide die Autobahn a8, der ich im Prinzip folge, und wähle – wo es nur möglich ist – die Küstenstraßen. 

Ausgangspunkt der Reise ist Bilbao. Die heute coole saubere Stadt entstand wie ein Kunst-Phönix aus der Industrieasche ab den 1980er-Jahren praktisch völlig neu. Wo früher am Ufer des Nervión Schwerindustrie und Werften dominierten, spaziere ich heute auf einer schönen Promenade vom Guggenheim-Museum hinauf zur Altstadt, in der schon am frühen Abend die Tische im Freien fast alle besetzt sind. Im Baskenland gibt es keine Tapas wie im großen Rest Spaniens, sondern Pintxos (gesprochen "Pintschos"). Aber auch diese sind kleine, kunstvoll angerichtete Appetit-Happen, die man mit einem Glas Wein, dem Txakolí, oder baskischem Bier genießt. Zu einer Spezial-Reportage aus dem "Bauch der Basken" aus Vor-Corona-Zeiten geht es hier. 

Das späte Abendessen kann dann nach so einer Tour ausfallen, ohne dass ich hungrig in meinem kleinen Hotel zu Bett gehen muss. Dessen Name "Sirimiri" bedeutet nicht ohne Grund "Schnürlregen". 


Sommerliche Frische

Am nächsten Tag in San Sebastián erlebe ich postwendend, woher das viele Grün im Norden Spaniens kommt: Ein hochsommerlicher Platzregen überrascht mich – aber nur mich. Die Stadt liegt am Golf von Biskaya, den man aus dem Wetterbericht von Tiefdruckgebieten kennt, die ihre reichlich Wasser spendenden Arme bis in unsere Regionen ausstrecken können. Die sommerliche Frische im Norden Spaniens ist aber auch die Ursache dafür, dass ich sowohl in San Sebastián als auch im ganzen Rest des "grünen Spaniens"sogar im August eines Pandemie-Sommers keineswegs alleine unterwegs bin. Urlauber aus Kastilien, Andalusien und anderen heißen Regionen Spaniens sorgen für volle Hotels und gut besuchte Restaurants. Viele von ­ihnen tragen auch im Freien ihre "Mascarilla", beim Betreten von Innenräumen sowieso.

Das besondere Jahr 2021 hat auch auf die wohl berühmteste Touristen-Institution San Sebastiáns Auswirkungen: die Pintxo-Bars im Altstadtviertel. Wo ich vor Jahren auch im Stehen genießen und einfach von Bar zu Bar ziehen konnte, muss ich jetzt an einem Tisch Platz nehmen oder warten, bis einer frei wird. Der Genuss selbst leidet darunter aber nicht.Die phantastische Lage der Stadt an der sogenannten Muschelbucht schaue ich mir vom Aussichtspunkt am Monte Igueldo im Westen an, die Einheimischen nennen das den "Postkartenblick". Kein Wunder, dass diese geradezu ideal am Meer gelegene Stadt seit der Belle Époque die Reichen und Schönen anzieht. Die häufig wild bewegte See und die staunenden Besucher trennen an den Promenaden oft nur wenige Meter, in der Altstadt spazieren Surfer samt Brett barfuß umher. San Sebastían war schon immer Seefahrerstadt: Vom Dach des Provinzpalasts blickt streng die Statue von Juan Sebastían Elcano auf die Müßiggänger hinunter. Der baskische Kapitän vollendete 1522 Magellans Expedition und kehrte nach dessen Tod zusammen mit nur 18 Gefährten auf der Westroute von den Philippinen nach Spanien zurück: Kommendes Jahr jährt sich diese erste Weltumseglung zum 500. Mal.


Noch mehr Meer

Zarautz, Getaria und Zumaja: Alle diese Badeorte an der Küstenstraße locken zum Verweilen. Ich könnte Stunden auf den Bänken der Promenaden sitzen bleiben, den Surfern zusehen, Wind und Sonne auf der Haut genießen. Doch ich folge einer vorgegebenen Route und einem Zeitplan Richtung Westen.Um meine nächsten Ziele in der Provinz Kantabrien zu erreichen, muss ich dann doch die Autobahn nach Santander nützen. Die Magdalena-Halbinsel an der nordöstlichen Spitze Santanders verleitet mich am nächsten Morgen zu einem morgendlichen Spaziergang durch den schönen Park bis zum königlichen Palast, der jetzt Sommeruniver­sität ist. Nördlich schließt sich der weitläufige Strand samt großem Casino an. Santander wirkt auf mich wie die Schwester von San Sebas­tián, die Menschen sind freundlich, das Klima angenehm, Meer und Strand oft nur einen kurzen Fußweg entfernt.

Um die wohl bedeutendste kulturelle ­Sehenswürdigkeit Kantabriens zu besuchen, muss ich ins Landesinnere fahren, in die Nähe des schmucken Dorfes Santillana, das zwar den klingenden Beinamen "del Mar" trägt, aber nicht am Meer liegt. Dort markieren Parkplatz und Besucherzentrum den Eingang zu der Höhle von Altamira, wo unsere Vorfahren schon vor rund 18.000 Jahren großartige Kunstwerke auf Fels hinterließen. Um die Malereien zu schützen, wurde die ­eigentliche Höhle vor nunmehr 20 Jahren für Touristen geschlossen und gleich nebenan eine originalgetreue Kopie errichtet.

Oviedo und Asturien

Doch ich muss wieder weiter, nach Ovideo in Asturien, wo ich den nächsten Tag verbringe. Stolz steht vor dem Dom von Oviedo die Statue von König Alfons II., Gründer der Stadt, die zum Ausgangspunkt der "Reconquista", der Wiedereroberung Spaniens von den Mauren wurde. König Alfons gilt auch als erster Pilger auf dem Weg zum damals aufge­fundenen Grab des Apostels Jakobus.

In Oviedo begegne ich auch prompt den ersten Pilgern, fröhlichen jungen Leuten, die in Funktionskleidung lockeren Schrittes den Wegweisern mit der Jakobsmuschel folgen. Von Oviedo sind es zu Fuß wohl noch etwa 14 Tage nach Santiago de Compostela. Ein Stück außerhalb des Zentrums finden sich am Monte Naranco frühromanische Sakral­bauten aus dem neunten Jahrhundert – samt der Aussicht auf Stadt und Gebirgs­ketten ein Platz mit geradezu magischer Wirkung.

Am Sehnsuchtsziel der Pilger

Galicien, ganz im Nordwesten Spaniens, ist der Sehnsuchtsort der Pilger auf den verschiedenen Routen des Jakobswegs. Genauer gesagt ist es die Kathedrale von Santiago, unter der im neunten Jahrhundert das Grab des Apostels gefunden wurde. Ich unternehme keine Pilgerreise, aber Santiago ist auch mein Ziel. Zuvor mache ich Station an den Küsten Galiciens, besuche den sogenannten Kathe­dralenstrand mit seinen viel fotografierten Felsformationen und schaue mir den schmucken Leuchtturm auf der Isla Pancha an und das verträumte Mondoñedo mit seiner "Brücke der verlorenen Zeit".

Auch Lugo ist mit dem Stolz der Stadt, der vollständig erhaltenen Zwei-Kilometer-Mauer rund ums Zen­trum, eine echte Überraschung. Der Volksmund nennt sie Cholesterin-Mauer, weil angeblich die Ärzte Lugos bei jeder Visite empfehlen, dieses durch Sport auf dem begeh­baren Bauwerk abzubauen.

Santiago de Compostela empfängt mich mit Trubel. Nicht nur für die zahlreichen Pilger, sondern auch für mich geht in der Stadt, die Kontemplation und Touristen-Vergnügen geduldig gleichermaßen ermöglicht, die Reise zu Ende. Was habe ich dazugelernt? Sicher, dass man die Schönheiten im "grünen Spanien" auch kennenlernen kann, ohne den Jakobsweg zu gehen. Sicher auch, dass ein ­österreichischer Magen für diesen Teil Spaniens zu klein konzipiert ist. 
Vor allem aber, dass sicheres Reisen auch in Pandemie-Zeiten möglich ist. Die Maskenpflicht allerorten, teilweise auch unter freiem Himmel, legt davon Zeugnis ab. Reise-Hinder­nisse gibt es für alle, die unsere 3-G-Regeln beachten, nicht. Und das ist wohl die beste Nachricht.

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Aktuelle Reise- und Gesundheits-Informationen zu Spanien sowie zur Rückreise nach Österreich gibt es hier. 

In Galicien warten 1.300 Kilometer Küste, viel Kultur und eine tolle Kulinarik

Tommi Alvarellos Laine, Reiseleiter