Angst beim Fahren
Angst vor dem Autofahren beschränkt die eigene Mobilität. Wir sprachen mit Expert:innen und Betroffenen darüber, woher Ängste stammen und wie sie überwunden werden können.
Fahr doch einfach mit dem Auto!" Ein scheinbar harmloser Satz – doch die Aufforderung klingt in so manchen Ohren wie eine Drohung. "Einfach" ist an diesem Vorschlag für manche Menschen nichts. Sie fühlen sich gestresst oder unwohl in gewissen (Fahr-)Situationen – etwa, wenn Eis die Straßen bedeckt, sie sich einem Tunnel nähern oder eine Fahrt in die Großstadt bevorsteht. Sie leiden unter einer Form der Amaxophobie, der Fahrangst.
Unsicherheiten wie diese sind alles andere als selten. Viele Menschen verspüren sogar schon regelrecht Angst, wenn sie nur an das Auto denken. Dafür schämen sie sich und erfinden Gründe, um nicht hinter dem Steuer sitzen zu müssen. Schleichend wird die selbstständige Mobilität jeden Tag ein Stück weit mehr aufgegeben und nur die wenigsten suchen sich professionelle Hilfe – oft weil sie nicht wissen, wo sie diese finden können.
"Bevor die Vermeidungsstrategien der Betroffenen überhandnehmen und die Situation vermeintlich aussichtslos wird, ist es sinnvoll, Hilfe in Anspruch zu nehmen", rät ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. Betroffene müssen nicht allein gegen ihre Ängste ankämpfen und können mit speziellem Coaching und (Fahr-)Trainings das Autofahren wieder lernen.
Bevor die Vermeidungsstrategien der Betroffenen überhandnehmen und die Situation vermeintlich aussichtslos wird, ist es sinnvoll, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Marion Seidenberger, ÖAMTC-Verkehrspsychologin
Grundsätzlich ist Furcht vor dem Lenken eines Fahrzeuges nichts Ungewöhnliches, wobei es dafür unterschiedliche Gründe geben kann. "Die einen haben womöglich zu wenig Selbstbewusstsein aufgrund mangelnder Fahrpraxis, während andere durch Unfälle oder andere traumatische Ereignisse verunsichert worden sein könnten", erklärt Mag. Raffaela Neustifter, Psychologin im Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV).
Herauszufinden, wo die Quelle der Angst liegt, ist essenziell für die Heilung. Aber nicht immer kann die Angst auf ein bestimmtes Ereignis zurückgeführt werden. "Oft ist die Furcht vor dem Auto nur ein Symptom eines Problems, das mit dem Auto gar nichts zu tun hat", erklärt die auf Fahrangst spezialisierte psychosoziale Beraterin Sieglinde Bernauer.
In Zusammenarbeit mit Fahrlehrerin Daniela Jahn und der "Fahrschule beim AKH" in Wien arbeitet sie seit zehn Jahren mit Menschen, die ihre Ängste in den Griff bekommen möchten.
Starker Leistungsdruck
Autofahren bringt häufig Ängste zutage, die uns auch im sonstigen Alltag belasten. "Unsere Gesellschaft verlangt immer Höchstleistungen im Job oder in der Ausbildung und so erwarten wir das auch beim Autofahren. Da ist ein starker Druck vorhanden und die Angst, verspottet zu werden", erklärt Bernauer.
So erging es auch Sandra, die plötzlich Angst bei Dunkelheit entwickelte: "Ich habe mich bei Nacht auf der Landstraße oder Autobahn nicht sicher gefühlt. Die Auslöser waren bei mir definitiv Stress und negative Gefühle." Sie bekam eine Panikattacke und mied es daraufhin, nach Sonnenuntergang zu fahren. Heute hat sie ihre Angst dank Atemtechniken und mentaler Übungen unter Kontrolle.
Es ist ihr zwar immer noch unangenehm, nachts zu fahren – aber es gelingt. "Ich achte auf mich, fahre bedacht und mache Pausen. Rückblickend gesehen wäre es gescheiter gewesen, hätte ich mir gleich Hilfe gesucht."
Der 50-jährige Gerhard (Name von der Red. geändert) wurde hingegen ohne ersichtlichen Grund von Angst überwältigt und erlitt im Arlbergtunnel eine Panikattacke. "Ich bin zuvor oft durch Tunnels gefahren – immer ohne Probleme. Nur an diesem Tag kam es plötzlich anders: Ziemlich genau in der Mitte der fast 14 Kilometer langen Röhre bekam ich plötzlich einen Schweißausbruch, dazu Herzrasen und ein extremes Gefühl räumlicher Enge", beschreibt der Oberösterreicher sein Erlebnis. Nur mit viel Konzentration hat er es aus dem Tunnel geschafft, am Rückweg wählte er die Route über den Arlbergpass statt unten durch.
Ebenso beobachten Bernauer und Jahn die Furcht vor zu großer Verantwortung – eine Angst, die sich in Verkehrssituationen zeigt, die viele eigene Entscheidungen erfordern. Fahrlehrerin Daniela Jahn sieht das Problem besonders in der Stadt: "Heutzutage gibt es unglaublich viele Verkehrsteilnehmer:innen auf den Straßen, die die Verkehrsregeln nicht kennen. Daher kann kaum mehr darauf vertraut werden, dass sich die anderen korrekt verhalten. Es muss also Verantwortung für alle getragen werden, auf alles doppelt so genau geachtet werden. Das überfordert massiv und schürt Angst."
Oft ist die Furcht vor dem Auto nur ein Symptom eines Problems, das mit dem Auto gar nichts zu tun hat.
Sieglinde Bernauer, psychosoziale Beraterin
Angst nach Unfällen
Häufig berichten Betroffene allerdings von einem konkreten Auslöser. So auch Marco aus Oberösterreich: "Vor zehn Jahren bin ich am Heimweg bei Schneefahrbahn in einer Kurve ins Schleudern geraten und mit einem Lkw zusammengekracht. Ich konnte nichts dagegen machen. So hatte ich das Gefühl, der Gefahr hilflos ausgeliefert zu sein. Schneefahrbahn macht mir bis heute Angst", erzählt der heute 30-Jährige.
Ich bin sehr froh, dass ich mich meiner Angst vor Kurven gestellt habe. Auch wenn es zunächst schwierig war.
Carmen, Autofahrerin
Auch bei Carmen wurden die Ängste durch einen Unfall ausgelöst. "Ich war mit meiner Tante auf einer Gebirgsautobahn unterwegs, als das Wetter umschlug. Plötzlich war die Straße eisig, das Auto geriet in einer Kurve ins Schleudern und ich verlor die Kontrolle. Wir haben uns mehrfach gedreht, bis wir schließlich gegen die Mittelleitplanke gekracht sind."
Dank ihrer Tante fährt sie heute noch Auto. Diese überredete sie nämlich direkt nach dem Unfall, weiterzufahren. "Ich wollte nicht – aber meine Tante meinte, wenn ich jetzt nicht weiterfahre, setze ich mich nie wieder in ein Auto. Und sofort weiterzufahren war wirklich wichtig für mich", betont die 47-Jährige. "Heute bin ich sehr froh darüber, auch wenn mich die Angst in Kurvensituationen noch lange begleitet hat."
Schlechte Erfahrungen
Unfälle stellen eine Zäsur dar – ein Leben vor und nach der Angst. Allerdings muss die negative Konnotation mit dem Auto gar nicht von einem so einschneidenden Erlebnis stammen. Manche Menschen verbinden mit ihrer Zeit hinter dem Steuer schlichtweg keine positiven Erinnerungen oder sogar unangenehme, ausgelöst durch diverse Mitfahrer:innen. Das können professionelle Fahrlehrer:innen gewesen sein oder, deutlich häufiger, Freunde, Familie oder Partner:innen, die das Fahrverhalten beeinflussen.
Meine Mutter war immer sehr nervös. Das stresste mich extrem und nahm mir die Freude am Fahren.
Ingrid, Büroangestellte
Die 59-jährige Ingrid erzählt von dem oft übergriffigen Verhalten ihrer Mutter: "Kurz nachdem ich den Führerschein hatte, erlaubten mir meine Eltern nicht, das Auto allein zu nutzen. Sie hatten die Sorge, dass ich es kaputt machen würde."
So fuhr die damals 21-Jährige zumeist mit ihrer Mutter, die vom Beifahrersitz aus die Unsicherheit schnell verstärkte. "Sie war immer sehr nervös. Das stresste mich extrem und nahm mir die Freude am Fahren", erinnert sich die Büroangestellte. Als ihre Mutter auch noch begann, ins Lenkrad zu greifen, hörte Ingrid für lange Zeit auf zu fahren. "Mir wurde durch ihr Verhalten klar: Autofahren ist etwas Gefährliches."
Oft entstehen negative Situationen dieser Art auch in Beziehungen. Ein Problem, das laut Sieglinde Bernauer momentan noch hauptsächlich weiblich ist.
Daniela Jahn arbeitet häufig mit solchen Fällen: "Das ist ein gesellschaftliches Problem. Manche Männer verhalten sich, als seien sie mit dem Führerschein geboren, für viele Frauen ist Autofahren hingegen keine Selbstverständlichkeit. So überschätzen Männer sich oft, während Frauen sich unterschätzen und vom Partner verunsichern lassen. Es kommt leider auch vor, dass Männer für die Angst ihrer Partnerinnen kein Verständnis zeigen", beobachtet die Fahrlehrerin.
Auch Ingrid hatte mit ihrem Ex-Partner schlechte Erfahrungen. "Er hat meine Angst als Waffe genutzt, während des Autofahrens laut geschnauft und sichtbar gelitten. Und das hat er absichtlich gemacht, um mich zu stressen."
Besteht das Problem durch den Einfluss von Familie oder Partner:innen, ist ein Gespräch mit ebendiesen häufig nicht hilfreich. "Die Menschen ändern sich oft nicht, da sie ihr Verhalten nicht als falsch erkennen. Wir können nur die Betroffenen stabilisieren, denn das Umfeld bleibt meist, wie es ist", meint die psychotherapeutische Beraterin.
Die Angst bekämpfen
Ist die Angst "nur" eine Unsicherheit oder noch nicht so ausgeprägt, können Betroffene sie selbst zu überwinden versuchen. Fahrten in großen Städten etwa sind ein häufiges Thema. "Wer nicht gerne in der Stadt fährt, tut gut daran, es langsam anzugehen. Am besten in einer Gegend starten, die man gut kennt, und dann mit jedem Mal ein bisschen etwas Neues abfahren. Das geht gut am Wochenende oder nachts, wenn weniger Verkehr ist. Es ist auch hilfreich, als Beifahrer:in aktiv aus dem Fenster zu schauen und sich die Umgebung einzuprägen", rät Daniela Jahn.
Ich bin erst Monate nach dem Unfall wieder gefahren. Schneefahrbahnen versuche ich bis heute zu meiden.
Marco, Autofahrer
Ist die Angst dagegen bereits sehr ausgeprägt, hängt es völlig von der einzelnen Person ab, wie diese am besten behandelt wird. Marco musste sich ihr stellen, da er arbeitsbedingt auf das Auto angewiesen war: "Ich habe mich erst nach zwei Monaten wieder ins Auto gesetzt. Bei meiner ersten Fahrt bei Schneefahrbahn hatte ich aber so große Angst, dass ich mehrere Pausen machen musste. Da ich allerdings täglich ins Auto musste, konnte ich nach ein paar Jahren wieder sicher fahren. Schneefahrbahn stresst mich allerdings heute noch", erzählt Marco.
Bleiben aber jahrelang Symptome, führt kaum ein Weg an einer Therapie vorbei. "Es ist wichtig zu erkennen, ob noch Trigger vorhanden sind und ob sie einschränken. Wenn etwa bestimmte Situationen vermieden werden, weiterhin Schweißausbrüche oder Ähnliches auftreten, obwohl schon Jahre vergangen sind, dann kann das eine Therapie auflösen", betont Sieglinde Bernauer.
Neben speziellem Fahrcoaching und einer Therapie gibt es auch die Möglichkeit, ein Fahrsicherheitstraining zu absolvieren. Dieses half auch Carmen, die sich nicht von ihrer Angst einschränken lassen wollte: "Nach dem Unfall bin ich in jeder Kurve sehr langsam geworden. Bergstraßen mit vielen Kurven – das war die Hölle. Wirklich geholfen hat mir das Fahrsicherheitstraining bei der ÖAMTC Fahrtechnik. Das war zwar sehr heftig, aber heikle Situationen bewusst noch einmal zu durchleben war wichtig. Und durch die Anwesenheit des Trainers hat es mir dann sogar Spaß gemacht. So konnte ich das Vertrauen zurückgewinnen."
Roland Frisch, Chefinstruktor der ÖAMTC Fahrtechnik, bestätigt, dass angstfreies Fahren auch im Rahmen eines Personal Coachings geübt werden kann: "Es gibt dabei kein festgelegtes Programm. Wichtig ist, das Selbstvertrauen wieder aufzubauen und den Stress und das Unbehagen hinter sich zu lassen. Wir beginnen mit einfachen Übungen und nähern uns langsam schwierigeren Situationen, aber es wird nichts gemacht, wobei die Person sich unwohl fühlt."
Kein Zwang, keine Scham
Der Wille, etwas zu ändern, ist das Wichtigste beim Heilungsprozess. Das bedeutet auch, eine Motivation zum Fahren zu finden – und das darf kein Zwang sein. "Die Leute müssen weg von dem 'Ich muss', hin zum 'Ich will'. Bleibt es ein Zwang, wird die Person nie wirklich frei Auto fahren können und außerdem nicht dabeibleiben", betonen beide Coaches. Auch der Druck, ein bestimmtes Level zu erreichen, ist nicht hilfreich. Die einfachen Alltagswege absolvieren zu können ist für einige schon ausreichend, um sich hinterm Steuer wieder sicher zu fühlen.
Die Frage, wie viele Menschen von Angst im Auto betroffen sind, ist kaum zu beantworten. Es fehlen Statistiken sowie konkrete Zahlen, die Dunkelziffer ist vermutlich sehr hoch. Das liegt vor allem daran, dass Angst vor dem Autofahren besonders schambehaftet ist.
Fahrangst zu haben ist allerdings nichts Ungewöhnliches und Betroffene müssen sich dem nicht allein stellen. Auch wenn es schwerfällt: Darüber zu sprechen ist der erste Schritt, Angst und Scham hinter sich zu lassen. Ist der Wille da und besteht Motivation, sich hinters Steuer zu setzen, kann sogar wieder Freude am Autofahren entstehen.
Fazit
Egal, ob die Angst groß oder klein ist, sie nur ein mulmiges Gefühl auslöst oder tatsächlich den Fahralltag beeinträchtigt: Betroffene sind damit nicht allein und Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern sehr mutig. Welcher Weg auch gewählt wird, es gibt eine Wahrheit, derer sich alle Betroffenen sicher sein können: Mit der richtigen Unterstützung kann jede Angst bewältigt werden.
6 Tipps, um mit der Angst umzugehen
Bei einem unguten oder unsicheren Gefühl in gewissen Fahrsituationen können folgende Tipps hilfreich sein.
Strecken trainieren, bis man sich wohlfühlt. Mit bekannten Gebieten beginnen und danach langsam erweitern. In Häppchen einteilen. Nicht zu viel von sich selbst verlangen.
Training an verkehrsberuhigten Tagen wie Feiertagen oder am Wochenende.
Fahren, fahren, fahren. Praxis hilft bei vielen Unsicherheiten.
Gibt es einen Trigger, der immer wiederkehrt, unbedingt Hilfe suchen, um diesen rascher auflösen zu können.
Merkt der Fahrende, dass es zu viel wird: Ruhig bleiben, an den Rand fahren, stehen bleiben, Beine vertreten. Entscheiden, wie es weitergeht.
Bei Panikattacken kontrolliert und so rasch wie möglich an einer sicheren Stelle anhalten. In jedem Fall Hilfe bei Profis suchen, um an dem Problem zu arbeiten.
Hilfe finden bei:
In Zusammenarbeit mit der Wiener "Fahrschule beim AKH" können Betroffene mit Fahrlehrerin Daniela Jahn und der psychosozialen Beraterin Sieglinde Bernauer lernen, ihre Ängste zu bewältigen. Coaching auch online möglich. www.angstfrei-fahren.at
Neben dem allgemeinen Fahrsicherheitstraining bietet die ÖAMTC Fahrtechnik auch Personal Coachings an. Dabei kann gezielt an bestimmten Themen gearbeitet werden.