Der große Promille-Test
Der Alkohol-Fahrtest im ÖAMTC Fahrtechnikzentrum Teesdorf bestätigt: Lassen Sie Ihr Fahrzeug stehen, wenn Sie etwas getrunken haben.
Ich hab' das Gefühl, dass der Fahr-Parcours jetzt viel enger gesteckt ist", wundert sich der 53-jährige Andreas F., der genauso wie die anderen 15 Testfahrer seine erste Runde mit rund 0,5 Promille absolviert hat (siehe Testablauf unten). "Ich würde jetzt nie und nimmer mit dem Auto fahren, mit dem Fahrrad allerdings schon – aber nur auf dem Radweg", betont die 35-jährige Eva L. "Mein Selbstbewusstsein steigt, ich werde immer besser", trällert die 21-jährige Petra S.
"Der Test zeigt sehr gut: Je lockerer und gelöster die Probanden durch den steigenden Alkoholspiegel werden, desto mehr schätzen sie ihr Fahrverhalten falsch ein. Aber auch ihren tatsächlichen Atemalkohol-Gehalt", betont ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger.
Video: Testablauf im ÖAMTC Fahrtechnikzentrum Teesdorf
Noch fahrtüchtig?
Fakten zum Fahrtest: Am 11. Oktober treffen acht Frauen und acht Männer zwischen 21 und 56 Jahren im ÖAMTC Fahrtechnikzentrum Teesdorf ein, um mit dem Auto, Fahrrad und mit einem elektrisch angetriebenen Tretroller verschiedene Übungen zu fahren. Nach einer Eingewöhnungsphase beginnen Fahr-Messungen mittels Sicherheits-Telematik-Geräten – erst nüchtern, also mit null Promille, später mit ca. 0,5 Promille und zuletzt mit 0,8 Promille. Die letzte Runde wurde nur mit dem Fahrrad und dem E-Roller absolviert, das Auto blieb stehen. Die Promille-Messung führt die Wiener Polizei mit einem Alkohol-Vortestgerät und einem geeichten Alkomaten durch.
1.999 Männer waren im Vorjahr bei Alko-Unfällen mit Personenschaden beteiligt. Das ist ein Männeranteil von 86 Prozent gegenüber knapp 14 Prozent Frauen.
Quelle: ÖAMTC-Unfallforschung
57 Prozent der Teilnehmer glauben nach der ersten Runde, nüchterner zu sein, als der Alkomat bestätigt. Das zeigt die Problematik des "Herantrinkens" an die gesetzlich erlaubte Promille-Höchstgrenze. Diese beträgt 0,5 Promille für Kfz, 0,8 Promillefür Fahrrad und E-Tretroller – in Wien (siehe Interview mit Bgdr. Michael Takács, Leiter Verkehrspolizei Wien). Denn nur dort werden die E-Scooter, die bis zu 25 km/h schnell fahren, von der Polizei als Fahrrad gesehen. Diese Sichtweise ist in jedem Bundesland anders. Die Gesetzgebung hinkt der Schnelllebigkeit der Trendsportgeräte und Fortbewegungsmittel hinterher, weil alle paar Monate ein neues Gerät auf den Markt kommt.
Im Zuge der Testfahrten stellt sich heraus: Die Probanden sind immer riskanter, aber auch unsicherer unterwegs, können ihr Tempo nicht mehr einschätzen, tun sich bei der exakten Zielbremsung schwer und machen viel mehr Fahrfehler als nüchtern – obwohl sie den Parcours kennen. Beeinträchtigt haben sie Schwierigkeiten, zielgenau anzuhalten: Die Teilnehmer bremsen mit Rad und Roller öfter, kürzer und leichter, da sie nicht mehr punktgenau stoppen können. Sie "stottern" zum Endpunkt.
"Hast du gesehen, wie super ich gebremst habe!", ruft Daniel L. euphorisch und total überdreht. Dass er mit dem Rad beide Stangen bei der Zielbremsung runtergeschmissen hat, fällt ihm mit 0,8 Promille gar nicht mehr auf. Auch der mit Pylonen aufgebaute Kreisverkehr bereitet den meisten Probanden Probleme. Sie befahren ihn nach Lust und Laune. Im Straßenverkehr hat jeder Verkehrsteilnehmer aber nur eine einzige Chance, Fahrfehler können nicht rückgängig gemacht werden.
Die Testfahrer fuhren mit 0,5 Promille risikoreicher, mit 0,8 Promille unsicherer. Die Fehlerquote stieg.
Marion Seidenberger, ÖAMTC-Verkehrspsychologin
Video: Das ist beim Alkohol-Fahrtest passiert
Im Fließverkehr können jederzeit zusätzliche Störfaktoren auftreten: eine rutschige Fahrbahn, schlechte Sicht, ein überquerendes Wildtier oder Verkehrsteilnehmer, die anders handeln als erwartet. "In einer Notsituation reagieren alkoholisierte Lenker falsch und unsicher – sogar bei nur 0,3 Promille", bemerkt ÖAMTC-Fahrtechnikinstruktor Georg Scheiblauer. "Ein paar Teilnehmer sind sogar gestürzt, obwohl sie den Parcours kannten." Keine Sorge, verletzt hat sich niemand.
Die meisten der Probanden geben bereits vor der ersten alkoholisierten Fahrrunde an, dass sie jetzt nicht mehr mit dem Auto fahren würden, mit dem Roller oder dem Rad aber schon. Die Ergebnisse zeigen jedoch, dass alle drei Fortbewegungsmittel gleich gefährlich sind. "Zwischen 0,5 und 0,8 Promille fahren die Teilnehmer den Roller- und Rad-Parcours langsamer und sind viel wackeliger unterwegs. Sie können ihr Gleichgewicht schwer halten, müssen absteigen oder fahren Hütchen um", erklärt die Verkehrspsychologin.
Im Detail: Fahrtest & Parcours
Akribisch aufgezeichnet. Zu Beginn des Alkohol-Fahrtests im ÖAMTC Fahrtechnikzentrum Teesdorf werden alle 16 freiwilligen Teilnehmer über den Ablauf informiert. Sie machen sich mit Auto, Rad und E-Tretroller vertraut und die Aufgaben werden erklärt. Alle drei Fortbewegungsmittel sind mit hochwertigen Sicherheits-Telematik-Geräten verkabelt, um sämtliche Daten wie GPS, Beschleunigung, Verzögerung oder Geschwindigkeit zu messen.
Los geht’s mit "Nüchternfahrrunden" sowie mit Balance- und Geschicklichkeitsübungen für Fußgänger.
Die Trinkrunden: Bier, (Glüh-)Wein und Schnaps stehen zur Wahl. Die Wiener Polizei misst nach jeder Runde den Alkoholwert der 16 Probanden mit Vortestgeräten und geeichten Alkomaten: Im ersten Durchlauf sind es im Schnitt 0,43 Promille, im zweiten 0,8 Promille. Zur Selbsteinschätzung muss jeder Teilnehmer fünf Befindlichkeitsfragebögen beantworten. Für den Notfall sind übrigens der Chefarzt der Landespolizeidirektion Wien, Dr. Wilhelm Saurma, sowie Sanitäter der ÖAMTC-Flugrettung vor Ort.
Die Fahrversuche:
Auto: Der Parcours besteht aus langsamen Fahrübungen, wie sie auch bei der Führerschein-Prüfung für die Klasse B vorkommen: Slalom, Wenden, exaktes Einparken, Beschleunigen, Zielbremsen. Auf dem Beifahrersitz fährt ein Instruktor mit, der dank zusätzlicher Pedale jederzeit eingreifen kann.
E-Tretroller: Hier geht's um Gleichgewichtsübungen, Fahren in einer engen Spurgasse, Kreisfahren mit richtiger Blicktechnik sowie um Beschleunigen und Zielbremsen.
Fahrrad: Ähnlich dem Zweirad-Parcours, zusätzlich kommen aber noch Spurwechsel und Achterfahren dazu.
Im Jahr 2017 wurden 1,7 Millionen Alkoholkontrollen auf Österreichs Straßen durchgeführt. Die Zahl der Anzeigen wegen Alkohol am Steuer stieg von 27.896 im Jahr 2016 auf 28.109 im vergangenen Jahr.
Die Botschaft kann nur lauten: Lassen Sie Ihr Fahrzeug nach der Weihnachtsfeier oder nach einer feuchtfröhlichen Runde stehen! Genießen Sie ein paar Drinks, aber fahren Sie niemals alkoholisiert.
"Mehr Bewusstsein"
Interview mit Bgdr. Michael Takács, Leiter Verkehrspolizei Wien
— Können sich Alkoholisierte richtig einschätzen?
Michael Takács:Wer selten Alkohol konsumiert, schätzt sich schon nach geringen Mengen als alkoholisiert ein. Wer öfters trinkt, hat eine verfälschte Einschätzung, glaubt, weniger stark beeinträchtigt zu sein.
— Ist Alkohol im Verkehr ein größeres Thema als früher?
Michael Takács:Nein, heute ist das Bewusstsein viel stärker ausgeprägt, Alkohol
am Steuer wird nicht mehr als Kavaliersdelikt angesehen. Die gesetzlichen Verschärfungen, der Probeführerschein und die häufigeren Kontrollen haben gefruchtet. Als ich vor 30 Jahren zur Polizei kam, hatten wir bei Planquadraten viel höhere Spitzenwerte. Heute ist vor allem die Kontrolldichte größer. Selbst bei normalen Fahrzeugkontrollen können wir mit Vortestgeräten Alkotests durchführen.
— Wirkt sich das Alkoholverbot beim Probeführerschein nachhaltig auf Junge aus?
Michael Takács:Ja, ein Umdenken hat stattgefunden. In Wien fallen jetzt bei mehr Alkohol-Kontrollen weniger Anzeigen an. Trinken und fahren gilt heute als verpönt.
— Führt die Polizei in der Zeit der Weihnachtsmärkte und -feiern und danach im Fasching mehr Alkohol-Planquadrate durch?
Michael Takács:Ganz klar, denn die Wirkung von heißen alkoholischen Getränken wird unterschätzt. Sie kommt schleichend – und heftig.
— Ist Alkohol am Fahrrad für Sie ein Thema?
Michael Takács:Ja, bei Planquadraten in Wien wird das einbezogen. Aber auffällig werden dabei nur wenige. Im Rahmen von acht Planquadraten in Wien haben wir rund 550 Vortests bei Radlern vorgenommen, nur vier hatten Ergebnisse über 0,8 Promille. Gleichzeitig gab es aber auch 936 Rotlicht-Verstöße von Radfahrern an Ampeln.
— Wie verhält es sich mit den neuen Elektro-Tretrollern?
Michael Takács:In Wien gelten sie als Fahrräder – und für diese gilt die 0,8-Promille-Grenze. Daher muss man mit diesen Geräten auf der Fahrbahn oder am Radweg fahren.
— Sind Drogen am Steuer ein großes Problem in Wien?
Michael Takács:Ja. Unsere Beamten sind jetzt besonders geschult und verwenden Speichel-Vortestgeräte. Die Anzahl der Drogenlenker ist massiv angestiegen – von 2016 auf 2017 um fast ein Drittel. Der Großteil der Anzeigen betrifft Cannabis – pur, als Mix mit anderen Drogen oder mit Alkohol.