Die Sekunden vor dem Unfall
Eine Sekunde Unachtsamkeit kann im Straßenverkehr bereits eine Sekunde zuviel sein – egal ob als Auto-, Radfahrer oder als Fußgänger.
Der 29-jährige Tobias K. ist mit seinem Pkw auf einer Landstraße unterwegs, als sein Handy piepst. Mehrere SMS von seiner Mama! Was ist passiert? Instinktiv greift er zu seinem digitalen Begleiter. Praktisch gleichzeitig macht die Straße eine scharfe Kurve. Der Wagen kommt von der Straße ab und überschlägt sich. Tobias muss mit Verletzungen unbestimmten Grades ins Krankenhaus gebracht werden.
Unaufmerksamkeit ist einer der großen Risikofaktoren im Straßenverkehr: Jeder dritte Unfall passiert, weil ein Verkehrsteilnehmer unachtsam ist. In Zahlen bedeutet das: Im Jahr 2016 sind laut Statistik Austria 108 Menschen aufgrund von Unaufmerksamkeit im Straßenverkehr ums Leben gekommen. 15.874 Menschen wurden verletzt, jeder siebente davon sogar schwer.
"Derartige Unfälle ereignen sich im Vergleich zu allen anderen Unfallursachen vor allem in der Zeit zwischen 8 und 18 Uhr – quasi zur Hauptarbeitszeit vieler Menschen", erklärt ÖAMTC-Verkehrsexperte David Nosé. "Wenn Auto- oder Radfahrer am Weg zur Arbeit immer wieder dieselbe Strecke fahren, schleicht sich eine gewisse Routine ein. Sie lassen sich eher ablenken als jemand, der die Strecke zum ersten Mal fährt", so der Experte.
Die meisten Hauptverantwortlichen bei der Unfallursache Unachtsamkeit sind Verkehrsteilnehmer über 30 Jahre und nicht – wie es vielleicht der eine oder andere vermutet – Führerscheinneulinge. "Seit der letzten Führerscheinnovelle im Juli müssen Fahranfänger, die in der Probezeit mit dem Handy am Steuer erwischt werden, mit einer Verlängerung rechnen. Darauf folgt eine Nachschulung", erklärt ÖAMTC-Rechtsexperte Martin Hoffer.
Während des Fahrens ist dem Lenker das Telefonieren ohne Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie jegliche andere Verwendung des Mobiltelefons, ausgenommen als Navigationssystem, sofern es im Wageninneren befestigt ist, verboten.
§ 102 (3) Kraftfahrgesetz
Die Statistik zeigt auch, dass zwei Drittel der Unfälle durch Ablenkung im Ortsgebiet passieren. "Unaufmerksamkeit während der Fahrt führt oft dazu, dass Lenker zu dicht auffahren oder nahezu ungebremst auf Hindernisse oder andere Pkw aufprallen", so der ÖAMTC-Verkehrsexperte David Nosé.
Oft genügt es bereits, einen einzigen Moment unachtsam zu sein. Die Ursachen für Unfälle sind vielseitig: Egal, ob man während der Fahrt ein Spielzeug aufhebt, etwas isst, trinkt, im Navigationsgerät die Adresse ändert, auf ein Werbeplakat schaut, SMS oder WhatsApp-Nachrichten liest oder gar tippt. Hier kann sich jeder Verkehrsteilnehmer an der Nase nehmen: vom Autofahrer über den Radfahrer bis zum Fußgänger.
ÖAMTC-Rechtsexperte Martin Hoffer warnt: "Auch wenn eine Handlung nicht ausdrücklich strafbar ist, muss jeder Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden – und das kann natürlich auch ein Fußgänger sein, wenn er mit dem Blick auf sein Handy die Straße überquert."
Das Autofahren ist in den letzten Jahren aber auch zunehmend sicherer geworden: Fahr-Assistenzsyteme helfen beim Spurwechsel, zeigen einen anderen Verkehrsteilnehmer im toten Winkel an, halten die Spur oder bringen den Lenker dank Tempomat mit konstanter Geschwindigkeit ans Ziel. Das heißt aber nicht, dass man sich auf diese Sicherheitsvorkehrungen verlassen darf.
Die Bedienelemente im Fahrzeug-Cockpit werden immer anspruchsvoller; dies macht andere technische Errungenschaften wieder zunichte und lenkt außerdem vom Autofahren an sich ab. Siehe dazu den auto touring-Check.
Multitasking gibt es nicht
Laut dem Hirnforscher Univ. Prof. Dr. Jürgen Sandkühler gibt es Multitasking gar nicht. Der Leiter der Abteilung für Neurophysiologie am Zentrum für Hirnforschung erklärt: "Wenn es darum geht, unsere Aufmerksamkeit auf mehrere Dinge gleichzeitig zu richten, so gelingt das in der Regel nur scheinbar."
Scheinbar? "Wir können fernsehen und gleichzeitig auf ein Kind aufpassen, aber das ist kein echtes Multitasking, indem beide Aufgaben gleichzeitig ablaufen. Es ist eher ein Wechseln zwischen den Aufgaben. In der Fachsprache nennt man das Multiplexing." Laut dem Hirnforscher widmet man seine Aufmerksamkeit immer nur einer Aufgabe, man teilt sich seine Zeit in verschiedene Zeitscheiben ein. Genauso ist das auch beim Lenken eines Fahrzeuges.
Der Experte betont, dass sich zusätzlich auch die Fahrerposition ändert, wenn man ein Spielzeug aufhebt oder aus der Mittelkonsole das Handy nimmt. "Man neigt seinen Oberkörper und Arm und dadurch ist auch die Motorik gestört. Der Lenker tritt in Gefahrensituationen anders aufs Gas- oder Bremspedal und hält das Lenkrad nicht optimal. Das ist brandgefährlich!", so der Hirnforscher.
"Der Mensch kann sich nicht mehreren Aufgaben gleichzeitig widmen. Es ist eher ein Wechseln zwischen den Aufgaben."
Univ. Prof. Dr. Jürgen Sandkühler, Leiter der Abteilung für Neurophysiologie am Zentrum für Hirnforschung auf der MedUni Wien
Handy am Steuer: Was erlaubt ist und was nicht
Während der Fahrt telefonieren?
Das Telefonieren während der Fahrt ist mit Benützung einer Freisprecheinrichtung sowie mit Kopfhörern erlaubt. Beide Hände des Telefonierenden müssen dabei frei bleiben.
Mittels Lautsprecherfunktion des Handys telefonieren, wenn es nicht im Wageninneren befestigt ist?
Ja, wenn es nur zum Telefonieren verwendet wird. Das gilt auch für die Spracherkennungssoftware "Siri".
Mit welcher Strafe muss der Lenker rechnen, wenn er während der Fahrt mit dem Handy am Ohr telefoniert?
Die Organstrafe beträgt 50 Euro. Wer die Zahlung verweigert, bekommt eine Anzeige: bis 72 Euro oder 24 Stunden Ersatz-Freiheitsstrafe.
Das Handy als Navi im Auto verwendet?
Erlaubt. Das Smartphone muss aber im Wageninneren befestigt sein.
Während der Fahrt eine Adresse ins Handy-Navi eingeben?
Nein. Die Adresse sollte vor der Fahrt eingegeben werden, da man sonst durch die Blickabwendung auf die Tastatur und das Display vom Verkehrsgeschehen abgelenkt ist.
Während der Fahrt das Mobiltelefon in der Hand halten?
Ja, aber nicht "bedienen". Es muss mit der anderen Hand das Lenkrad gehalten werden.
Während der Fahrt SMS oder E-Mails schreiben bzw. lesen?
Nein.
Auch wenn eine Handlung nicht ausdrücklich strafbar ist, muss jeder Verkehrsteilnehmer bei einem Unfall damit rechnen, zur Verantwortung gezogen zu werden.
Martin Hoffer, ÖAMTC-Rechtsexperte
Am Tablet bzw. am Notebook E-Mails lesen?
Das österreichische Verkehrsrecht kennt zwar noch keine Tablets. Auch wenn deren Benützung nicht behördlich strafbar ist, wird man bei einem Unfall mit straf- und zivilrechtlichen Konsequenzen rechnen müssen.
Fotos und Videos verwenden, um Handy-Sünden zu bestrafen?
Privatfotos gelten nicht! Aber ein Radarfoto oder ein Video, mit dem ein Abstandsdelikt verfolgt wurde, darf zusätzlich auch als Handy-Beweis herangezogen werden.
Das Handy ohne Freisprecheinrichtung bei einer roten Ampel verwenden?
Ja. Solange die Ampel auf "Rot" geschaltet ist.
Das Handy bei einer Stopptafel benutzen?
Nein. Man befindet sich auch im Stillstand im "fließenden Verkehr".
Das Mobiltelefon im Stau bedienen?
Nur wenn ein Weiterfahren nicht möglich ist. Im Stop-and-go-Verkehr ist die Benutzung des Handys ohne Freisprecheinrichtung nicht erlaubt.