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© Sebastian Weissinger
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August 2024

Wenn Wut und Freude lenken

Emotionen sind unsere alltäglichen Begleiter im Straßenverkehr. Wie sie uns beeinflussen, wann sie zur Gefahr werden und wie wir am besten mit unserem Gefühlschaos umgehen. 

Die Stimmung ist aufgeheizt. Es ist Wochenende, wir sind unterwegs zu Bekannten, viel zu spät dran und natürlich stockt genau jetzt der Verkehr. Meine sonst so besonnene ­beste Freundin fährt plötzlich alles andere als smooth, ihre Lenkbewegungen werden ruckartiger und die Überholmanöver knapper, als mir lieb ist. Sie muss gar nicht aussprechen, dass sie wütend ist – ihr Fahrstil spiegelt ihr Innenleben deutlich wider.

Ich denke nicht, ich fühle. Ganz nach diesem Motto bewegen wir uns oft im Straßenverkehr, lassen uns während des Fahrens in Rage bringen oder schleppen ein gebrochenes Herz mit ans Steuer. Doch wir sind unserer Gefühlswelt nicht hilflos ausgeliefert. Wir haben Expert:innen befragt, wie uns Emotionen beeinflussen und wie wir unsere Impulse kontrollieren können.

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Fühlen, denken, reagieren

Die Emotion, die uns am häufigsten unangekündigt im Straßenverkehr begegnet und besonders schnell im Griff hat, ist Aggression. Befeuert durch Faktoren wie Stress, Streit mit Mitfahrenden oder anderen Verkehrsteilnehmer:innen, führt der meist plötzlich aufkommende Ärger zu riskanten Manövern oder zu bewusster Provokation anderer Verkehrsteilnehmer:innen. Eine Situation, die immer häufiger vorkommt. Laut einer Umfrage des Kuratoriums für Verkehrssicherheit sind 55% von über tausend Befragten der Meinung, dass die Spannungen zwischen den Verkehrsteilnehmenden in den letzten Jahren in Österreich zugenommen haben. "Eindrücke von außen, unsere Erfahrungen und die aktuelle Laune werden miteinander verknüpft. Dieser sehr kurzfristig entstan­dene ‚Cocktail‘ bestimmt, wie kooperativ wir uns im Straßenverkehr verhalten", erklärt ­Marion Seidenberger, Verkehrspsychologin des ÖAMTC.

Wer sich dieses Einflusses bewusst ist und seine Handlungen in einer ruhigen Phase reflektiert, ist klar im Vorteil und könnte bei ähnlich stressigen Situationen gelassener reagieren. Laut dem Verhaltensbiologen Gregor Fauma ist der Umgang mit Gefühlen eine Intelligenzfrage: "Emotionen sind ­etwas zutiefst Menschliches. Aber was uns wirklich vom Tier unterscheidet und zum Homo sapiens macht, ist die Fähigkeit über unsere Instinkte nachzudenken. Sobald etwa im Straßenverkehr etwas passiert, das uns ärgert, bereitet uns das limbische Gehirn, also quasi der Affe in uns, sofort auf eine unkluge Handlung vor. Wir aber können uns bewusst dagegen entscheiden und selbst hinterfragen. Das ist hochintellektuell und auch ein Bildungsthema", betont Fauma, der typische ­Instinkte und Verhaltensmuster auf unsere tierischen Vorfahren zurückführt.

Was uns zum Homo sapiens macht, ist die Fähigkeit über unsere Instinkte nachzudenken.

Gregor Fauma, Trainer, Speaker, Verhaltensbiologe

Ruhe durch Mitgefühl

Neben der Selbstreflexion, die einem im Eifer des Augenblicks rasch abhandenkommt, gibt es eine einfache Methode, welche die innere Ruhe wiederherstellen kann: Empathie. "Ich versuche mir in einer unangenehmen Situation eine plausible Geschichte zu erzählen, warum der andere mich nicht so fahren lässt, wie ich gerne würde. Ich weiß ja nicht, weshalb mich der jetzt so überholt. Es liegt in der eigenen Hand, wohlwollend zu denken und nicht vom Schlimmsten auszugehen", beschreibt Gregor Fauma seinen Lösungsansatz.

Empathie können wir auch bei anderen auslösen. Er­klärende Handzeichen oder eine gedeutete Entschuldigung reichen oft schon aus, um Nachsicht oder Verständnis zu ­wecken und zornige Gemüter zu beruhigen. Allerdings bedingt diese Methode eine gewisse innere Größe. "Die Menschen sind meist überzeugt von der Richtigkeit ihres Verhaltens, außerdem verlangt eine solche Geste eine ‚Unterordnungsbereitschaft‘. Deswegen fällt es vielen schwer sich zu entschuldigen", erklärt Marion Seidenberger. Der Unwille sich unterzuordnen und auf das eigene Vorrecht auch einmal zu verzichten, rührt daher, dass diese Denkweise gegen unsere meist hormonell bedingte Natur, nämlich Dominanz zu beweisen, geht. „Hormone und Gefühle können kaum getrennt voneinander betrachtet werden, denn Emotionen sind Sache der Hormone. Testosteron etwa sorgt für mehr ­Risikobereitschaft, Aggression und außerdem für ein starkes Dominanzver­halten“, klärt Verhaltensbiologe Fauma auf.

Gefühlsballungsraum Auto

Während wir am Fahrrad oder Scooter hauptsächlich mit uns selbst beschäftigt sind, stellt das Auto den Schauplatz etlicher Gefühlsausbrüche und Streitereien dar. Ein denkbar schlechter Ort, wie Marion Seidenberger erläutert: "Das Terrain ­‚Auto‘ ist eine ungeeignete Streitfläche. Die Platzverhältnisse bieten weder persönlichen Raum noch Möglichkeiten zum Rückzug. Schwierige Gespräche sollten daher bewusst auf später verschoben werden." Beifahrer:innen geben allerdings nur in geringem Ausmaß Anlass sich zu ärgern. Bei einer ÖAMTC-Umfrage gaben vielmehr 47% von 1.337 Befragten an, dass Unterhaltungen die Laune im Auto generell verbessern.

 

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Das Terrain ­‚Auto‘ ist eine ungeeignete Streitfläche für Fahrer und Beifahrer. Die Platzverhältnisse bieten weder persönlichen Raum noch Möglichkeiten zum Rückzug.

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Vor der Fahrt entspannen

Nicht nur die Maßnahmen während der Fahrt sind essenziell, um einen kühlen Kopf zu bewahren, auch die Vorarbeit ist wichtig. Einerseits ergab die ÖAMTC-Umfrage, dass für 54% ein besseres Zeitmanagement im Vorhinein das Stresslevel während der Fahrt spürbar senkt. Es gilt jedoch auch präventiv das eigene Innenleben auf stressige Situationen einzustimmen: "Bei bereits vorhandener Wut, aber auch überhäufender Freude oder tiefer Trauer, ist es besser nicht selbst zu fahren. Lieber eine kurze Atempause einlegen, einen Freund zum Aussprechen anrufen oder ein wenig Bewegung machen, um die Energie abzubauen", rät Verkehrspsychologin Seidenberger.

Bewegung reduziert sogar aktiv die Stresshormone Adrenalin, Noradrenalin und Kortisol. Diese Hormone sorgen für eine Verkürzung der Faszien, außerdem werden wir unter ­ihrem Einfluss aggressiv und denken eigennütziger. Dehnübungen und Sport helfen dabei die Faszien wieder zu entspannen und die aufgebauten Stresshormone abzubauen.

Tränen und Glück

Doch nicht nur negative Emotionen wie Aggression und Stress können uns gefährlich werden. Auch wenn wir Trauer oder Freude mit ins Auto nehmen, ist für ordentlich Ablenkung gesorgt. Moritz G. erzählt von seinem Beinahe-Unfall: "Ich war einfach nur gut gelaunt. Es war ein lustiger Abend mit Freunden, wir waren mit mehreren Autos unterwegs, und ich wollte einen Freund zum Spaß überholen. Ich wusste, dass dann eine Kurve kommt, ­habe mir aber gedacht, dass sich das schon ausgeht. Es gelang mir gerade noch mein schleuderndes Auto rechtzeitig einzubremsen." Im Nachhinein bezeichnet er seine gute Laune und den daraus resultierenden Übermut als Hauptgründe, weshalb er dieses Manöver gewagt hat. Auch Trauer senkt ­unsere Konzentration. "Ich hatte gerade erfahren, dass ich meinen Job verlieren würde. Ich bin weinend ins Auto gestiegen, war völlig von der Rolle. Schon beim Ausparken bin ich rückwärts in einen Balken des Carports gerollt. Dabei kenne ich den Parkplatz dort genau", erzählt Julia S.

Was diese Beispiele aufzeigen: Unterschiedliche Emotionen beeinflussen unsere Fahrweise auf unterschiedliche Weise. Große Freude sorgt für gefährlichen Übermut. Bei Trauer wird dagegen die Wahrnehmung langsamer. Ebenfalls sehr präsent im Verkehr ist die Emotion Angst – sie kann uns lähmen oder irrationale Reaktionen auslösen. Tipps, wie man mit ihr umgeht, finden Sie hier.

Hirn ans Steuer

Auch wenn sie uns im Straßenverkehr ablenken: Verdrängen sollten wir unsere Emotionen nicht. Vielmehr gilt es sich selbst und die eigenen Instinkte besser kennenzulernen. So individuell wir Menschen sind, so individuell reagieren wir auf starke Gefühlsausbrüche. Ob nun mit Selbstreflexion, Empathie oder guter Vorarbeit: Am Ende muss das Hirn gegen das Herz gewinnen.

AC/DC, Mozart & Co.: Was bewirkt Musik im Auto?

Laut ÖAMTC-Umfrage hören 90 Prozent aller Lenker:innen im Auto Musik. Man möchte unterhalten werden und dabei entspannt und konzentriert bleiben. Was viele aber nicht wissen: Musikhören im Auto hat nicht nur positive Aspekte. ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger versteht den Wunsch nach mentaler Aktivierung und Unterhaltung zwar, warnt aber vor den Risiken: "Auch wenn der Mensch einen Großteil aller Informationen über die Augen wahrnimmt, sind die Ohren eine wichtige Ergänzung, gerade im Straßenverkehr." Hört man zum Beispiel zu laut Musik, "kann in komplexen Situationen rasch eine Reizüberlastung entstehen. Speziell in Städten mit ihren vielen Ampeln, Radwegen, Kreuzungen und Einsatzfahrzeugen ist man aber auf alle Sinne angewiesen", so Seidenberger. Und:

Bei Unfällen kann wegen Ablenkung durch laute Musik eventuell eine Mitschuld ausgesprochen werden.

Auch was die Art der gehörten Musik angeht, sollte einiges beachtet werden: Klassik oder Hörbücher zum Beispiel können im kilometerlangen Stau sehr gut beruhigen, während langer Nachtfahrten auf eintönigen Autobahnen dann aber sprichwörtlich einschläfernd wirken. Im Gegensatz dazu stehen akustisch und psychisch fordernde Musikrichtungen wie Heavy Metal, Techno oder komplizierter Jazz: Wer etwa bei Sommerhitze schon mit einer gewissen Grund-Aggression unterwegs ist, wird mit "Highway to Hell" von AC/DC eher das Gegenteil eines Entspannungseffekts bewirken – und noch mehr abgelenkt. Umgekehrt wiederum kann derselbe Song bei Müdigkeit eine kleine Endorphin-Dosis auslösen – und damit die Konzentration erhöhen.

Auf einen Blick

Emotionen und Gefühle sorgen für unbedachte Reaktionen und haben Einfluss darauf, wie kooperativ wir im Verkehr unterwegs sind. Wir geben Tipps, wie Fahrende am besten mit ihrem Gefühlschaos im Straßenverkehr umgehen können.

  • Selbstreflexion: Instinktive Reaktionen hinterfragen, bevor man zur Tat schreitet.
  • Empathie: Versuchen das Umfeld zu verstehen, anstatt vom Schlimmsten auszugehen.
  • Konflikte verschieben: Streitgespräche im Auto vermeiden.
  • Vorarbeit: Vor dem Fahrtantritt das Mindset richtig einstimmen.

ÖAMTC Studie: Aggression im Straßenverkehr

Wer mehr wissen will: "Emotionen im Straßenverkehr" standen im Fokus einer repräsentativen Umfrage, die der ÖAMTC im Sommer 2024 unter 1.300 Verkehrsteilnehmer:innen im Alter von 17 bis 60 Jahren durchgeführt hat.

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