Mit Wasserstoff zur Wende?
Ohne Wasserstoff wird es keine Energiewende geben, auch nicht in der Mobilität. Noch hat Europa hier Chancen gegen Asien und vor allem China. Eine Analyse von Maria Brandl.
Ich möchte kein anderes Auto fahren", sagt Prof. Michael Sikora aus Wien. Der Unternehmer und Professor an der HTL-Mödling fährt seit eineinhalb Jahren einen Toyota Mirai, ein Brennstoffzellenauto mit "echten 500 Kilometern Reichweite im Sommer und im Winter". Er ist damit eine große Ausnahme. Gerade einmal 68 Wasserstoff-Pkw sind laut Statistik Austria in Österreich im Februar 2024 zugelassen. Die meisten davon sind bei Unternehmen in Betrieb, die sich eine eigene Infrastruktur für grünen Wasserstoff aufgebaut haben wie die SAN Group in Herzogenburg (siehe Kasten). Nur durch den Einsatz von grünem Wasserstoff, der etwa mittels Elektrolyse mit Ökostrom aus Wasser erzeugt wird, werden Wasserstofffahrzeuge als "Zero Emission Vehicles" anerkannt, anders als batterieelektrische Autos. Diese gelten in der EU nach wie vor als CO2-frei, egal, woher der Strom kommt.
Hyundai und Toyota sind derzeit die einzigen Autohersteller, die in Österreich Serien-Brennstoffzellen-Pkw anbieten. Und Europas Autohersteller? Anders als im Transporterbereich, wo etwa Stellantis eine Markteinführung in Österreich in Kürze ankündigt oder Renault eine ab 2025 plant, ist im Pkw-Segment nichts im Busch. Der VW-Konzern konzentriert sich weiter auf den batterieelektrischen Antrieb. BMW wartet noch ab. Für den europäischen Pionier der Brennstoffzellentechnologie für Pkw in den 1990er-Jahren, Mercedes-Benz, "ist aktuell die Batterie der Brennstoffzelle bezüglich einer großvolumigen Markteinführung, insbesondere beim Pkw, überlegen". Dies geht laut Mercedes-Benz vor allem auf die relativ hohen Technologiekosten und die geringe Anzahl von Wasserstofftankstellen zurück.
Henne-Ei-Problem
Dieses Manko hängt auch damit zusammen, dass die Wasserstofftankstellen in Europa – anders als in den USA, Japan oder China – mangels Standardisierung der Rahmenbedingungen besonders teuer sind. "Jedes EU-Land hat eigene Förderprogramme und Vorschriften für die Errichtung", erklärt Prof. Uwe Dieter Grebe, Vorstand des Mobilitäts-Technologieunternehmens AVL List GmbH in Graz. Dabei wäre gerade im Fernverkehr ein länderübergreifendes Tankstellennetz ein riesiger Vorteil, da selbst Lkw mit Wasserstoff nur kurze Tankzeiten haben und somit keine großen Parkplätze fürs Laden brauchen. Der Aufbau einer zweiten Infrastruktur für Wasserstoff ist zudem laut Experten billiger als die Bereitstellung von ausschließlich Strom für den gesamten Straßenverkehr.
Im scharfen Kontrast zur internationalen Bedeutung steht auch das geringe Interesse der heimischen öffentlichen Förderstellen für Wasserstoff im Verbrennungsmotor. Dabei gibt es in diesem Bereich eine hohe heimische Expertise und somit einen internationalen Wettbewerbsvorteil sowohl an Universitäten wie der TU Graz unter dem Wasserstoffexperten Prof. Helmut Eichlseder, aber auch bei Konzernen wie der AVL List GmbH.
Die Rückkehr eines Totgesagten
Die globale Renaissance dieses Antriebs erklärt sich dadurch, dass die Einführung von Wasserstoffverbrennungsmotoren weltweit als relativ rasch realisierbar sowie als vergleichsweise kostengünstig gilt. "Der Wasserstoffmotor kann alles, was der Diesel kann, jedoch CO2-neutral", erklärt Markus Heyn, Bosch-Geschäftsführer. Dies ist umso wichtiger, als auch abseits von Pkw weltweit immer strengere CO2-Vorgaben gelten, deren Nichterfüllung für die Hersteller hohe Strafzahlungen bedeutet. Attraktiv ist dieser Antrieb vor allem für den Fernverkehr sowie Bau- und Agrarfahrzeuge wie Mähdrescher. MAN wird 2025 laut eigenen Aussagen als erster europäischer Lkw-Produzent eine Kleinserie mit rund 200 Fahrzeugen auf den Markt bringen. Bosch erwartet bis 2030 sechsstellige Stückzahlen. "Der Wasserstoff-Verbrennungsmotor erhöht das Angebot CO2-freien Straßenverkehrs", so Prof. Eichlseder. Er verträgt auch Wasserstoff ohne Aufreinigung aus Pipelines. Brennstoffzellen dagegen verlangen eine Wasserstoff-Reinheit von 99,999 Prozent.
Sogar in der EU gilt ein Lkw (anders als ein Pkw) mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor als "Zero Emission Vehicle", wenn er weniger als ein Gramm CO2 pro Tonnenkilometer ausstößt. "In Indien und China sehen Politiker die große Chance, damit den städtischen Lieferverkehr zu defossilisieren und umweltfreundlicher zu gestalten", sagt Prof. Eichlseder. Batterieelektrischen Kleintransportern fehlt es dagegen oft an Reichweite.
Ab auf die Rennstrecke
Zurück ist der Wasserstoff-Verbrennungsmotor auch im Rennsport. Im 24-Stunden-Rennen von Le Mans wird es eine eigene Kategorie für Wasserstoff geben, in Spa wird etwa die neue Alpine mit einem Wasserstoffmotor starten.
In der Luftfahrt wird es dagegen mit dem Wasserstoffeinsatz noch etwas dauern. In Wiener Neustadt forscht die zur Diamond Aircraft GmbH gehörende Austro Engine GmbH zusammen mit der TU Wien an einem Wasserstoff-Kerosin-Dual-Fuel-Motor "zur Absenkung des Schadstoff- und CO2-Ausstoßes in der allgemeinen Luftfahrt".
Trotz aller Durchhänger auf dem Weg zu Wasserstoffmobilität und -wirtschaft liegt "Europa noch in einigen Bereichen technisch im internationalen Spitzenfeld, gleichauf mit Japan und den USA", ist Alexander Trattner, Geschäftsführer des Wasserstoff-Forschungszentrums HyCentA in Graz, überzeugt. Doch China holt rasant auf. Ein Erfolgsprodukt "Made in Austria" sind Elektrolyseanlagen für die Erzeugung von grünem Wasserstoff. Die Andritz AG in Graz exportiert bereits Anlagen im dreistelligen Megawatt-Bereich. Bosch und die AVL sind in dem Bereich ebenfalls sehr aktiv.
Eine Wasserstoffproduktion aus Hackschnitzeln dagegen wird eine Tochterfirma des Waffenproduzenten Glock im Herbst in Kärnten starten. Dieser Ansatz der Wasserstoffabtrennung aus Synthesegase ist auch sehr attraktiv für Kläranlagen.
Als Standortvorteil von Europa und Österreich gilt zudem das sehr gut ausgebaute Pipelinenetz, das großteils wasserstofftauglich ist. "Das ist ein riesiger Vorteil gegenüber anderen Kontinenten", sagt Trattner. Das Pipelinenetz ist umso wichtiger, als auch grüner Wasserstoff ähnlich wie Erdöl und Erdgas in großen Mengen importiert werden muss.
Die Zeit drängt
Doch gleichzeitig mit der Infrastruktur müsste die Serienfertigung für Produkte rund um Wasserstoff zeitnah aufgebaut werden, um die Wertschöpfung und somit die Arbeitsplätze zu sichern. Sonst droht Europa, wie bei Elektroautos oder Solarzellen in wenigen Jahren auch von billigen Wasserstofffahrzeugen und Elektrolyseuren aus China überschwemmt zu werden. "In Europa wird sehr gerne analysiert, diskutiert, reguliert, bis sich ein Ideal abzeichnet und erst dann weiterentwickelt", sagt Prof. Grebe von der AVL. Das Henne-Ei-Problem – braucht es zuerst die Fahrzeuge oder die Infrastruktur – wird "außerhalb von Europa früher gelöst sein".