Englische Schrullen

Wir setzen heißes Wasser auf, schnappen uns einen Mini und fahren in die Cotswolds. Nirgendwo kann man die liebenswerten Eigenheiten der Einwohner besser beobachten als hier, im grünen Herzen ihrer Insel.

Als mich meine Eltern Ende der 1980er-Jahre zum ersten Mal nötigten, mit ihnen nach England auf Urlaub zu fahren, war meine Freude darüber enden wollend. Mein Alter hatte zu diesem Zeitpunkt nämlich seit kurzem den niedrigen zweistelligen Bereich erreicht, und die ersten Anflüge meiner Pubertät waren zwar für Außenstehende schon schmerzlich spürbar, ich selbst konnte vermeintlich klare innere Gedankengänge wie "Eltern sind blöd" aber freilich noch nicht korrekt einordnen, weil der Chemie-Haushalt der jungen Physis in diesem Lebensabschnitt ja stets ein wenig durcheinander gerät.

Dieser erste England-Urlaub würde für mich auch einen fürchterlichen Rückfall im sozialen Gefüge bedeuten, dachte ich: Nach den Sommermonaten traf man in der Klasse schließlich die Schulkollegen wieder, und alle, wirklich alle, würden von tollen Strand-Erlebnissen im heißen Süden berichten können. Alex, Gerhard und Jürgen waren in Italien, Griechenland oder Spanien, zwar auch noch mit den Eltern, aber sie würden alles sehen und spüren, was einem Buben im Teenager-Alter wichtig ist: Sonne, knappe Bikinis und Musik aus offenen Bars in schwülen Nächten.

Und wo würde ich hinfahren? In den Norden. In den Regen. Nach England.

Good morning, Britain!

Die Eltern meinten damals auch, es wäre ein besonders prägendes Erlebnis, nach England nicht zu fliegen, sondern bis Oostende in Belgien per Eisenbahn zu fahren und von dort die letzte Nachtfähre über den Ärmelkanal zu nehmen, um vom Bug des Schiffs bei Sonnenaufgang die weißen Kreide-Klippen von Dover zu sehen.

Mein damals präferiertes Reisemittel (das Flugzeug, weil schnell und schmerzlos) war schon erfunden, die heutzutage schnellste Land-Verbindung nach Großbritannien, der Auto-/Zug-Tunnel zwischen Frankreich und Großbritannien (kurz: "Chunnel"), aber noch nicht…

Fog in Channel, continent cut off.

"Nebel über dem Ärmelkanal, Kontinent abgeschnitten" – Diese Schlagzeile soll im Herbst 1957 die Titelseite der Tageszeitung "The Times" geziert haben. Die Ausgabe bleibt in deren Archiven bis heute unauffindbar, der Satz avancierte über die Jahrzehnte aber zum Symbol für das anglo-zentrierte Selbstbild der Inselbewohner.

Dann ist es passiert: An einem überraschend freundlichen Sommertag anno 1988 wurde ich schließlich unvorbereitet in Londons Victoria Bahnhof aus dem Zug gespuckt. Und sah plötzlich Menschen in allen Farben, roch unzählige Düfte, hörte meine ersten Straßenmusiker – die berühmten "Buskers". Alles war auf einmal so unbeschreiblich anders als zuhause in der oberösterreichischen Kleinstadt, und ich wusste augenblicklich: Dieser Urlaub würde mein Leben verändern. 

Es war das England der späten 1980er-Jahre: Margret Thatcher regierte das Land mit eiserner Hand, Arbeiter-Streiks und Gewerkschaften wurden von der konservativen Regierung brutal unterdrückt, die IRA zündete eine Bombe nach der anderen und die englische Jugend tat, was sie in solchen Zeiten immer tut: Sie rebellierte mit Musik, die um die Welt geht. 

Es war die erste Begegnung mit meiner späteren Herzensheimat, und es sollten bis heute 29 Jahre folgen, in denen ich jeweils mindestens einmal, meist aber öfter, "meine Insel" heimgesucht habe. Liebe auf den ersten Blick. Worin ich mich von Beginn an allerdings am allermeisten verliebt habe, waren…

… die englischen Schrullen.

Stille Tage im Klischee

Sommer 2017: Fotograf und Schreibkraft reisen nach England, um all jene Eigenheiten eines Landes zu analysieren, die Anglophile sehr schätzen, der Rest der Welt aber meist einfach nur irgendwie komisch findet.  

Gleich vorweg: Die politische Komponente rund um das Thema "Brexit" lassen wir im Folgenden bewusst weg. Dass dieser, in welcher Form auch immer, stattfinden wird, ist unausweichlich, und zum tagesaktuellen Stand der diesbezüglichen Entwicklungen sollte sich am besten jeder selbst ein Bild machen – zum Beispiel hier.

Auch eine kurze Begriffserklärung ist vorab notwendig: In dieser Geschichte geht es ausschließlich um England als eigenständiger Teil von "Großbritannien" (England, Schottland, Wales – kurz: GB) oder des "Vereinigten Königreichs" (England, Schottland, Wales, Nordirland – kurz: UK). Sollten Sie nämlich zum Beispiel im schottischen Glasgow zu später Stunde im Pub einen Einheimischen kritisieren, warum er als "Engländer" aus der EU will, dann, nun ja, garantieren wir für nichts.

Aber jetzt los: Wir befinden uns in den Cotswolds, einer der landschaftlich schönsten und traditionellsten Gegenden Englands, und klettern in einen 50 Jahre alten Mini Cooper, den wir bei einem Oldtimer-Vermieter hier gefunden haben. Denn: Besser lassen sich die englischen Klischees nicht erkunden als im wohl berühmtesten Auto, das dieses Land je hervorgebracht hat.

Wir ächzen, schwitzen und fluchen. Obwohl wir vor einer Stunde mit kleinem Handgepäck im nahen Birmingham angekommen sind, erweist sich das Verstauen von zwei Rucksäcken und einer Foto-Equipment-Tasche als mühsam. Bevor der kritische Motorjournalist in mir hochkommt, denke ich aber an jemanden, der sehr viel mehr Zeit in einem Mini verbracht hat als wir in den beiden Tagen, die vor uns liegen…


Alltag im Original-Mini

Exkurs: Cream Tea

Diese englische Zwischenmahlzeit ist zur Institution geworden: Sie besteht aus Tee mit Milch und einem Gebäck namens "Scones", dessen aufgeschnittene Hälften mit "Clotted cream" (eine Art dicker Rahm) und Erdbeer-Marmelade bestrichen werden. 

Früher wurde der "Cream Tea" strikt am späten Nachmittag zelebriert, heute bekommt man ihn in kleinen, oft familiär geführten "Tea rooms" aber zu jeder Tageszeit.

Land und Leute. Die wichtigsten Regeln.

Die englische Küche

Nun, zu diesem Thema hat vermutlich jeder Leser bereits eine vorgefertigte Meinung: Minz-Sauce zu gekochtem Rindfleisch, lauwarmes Bier ohne Kohlensäure, in Öl gebackener und mit Druckerschwärze gespickter Billig-Fisch, Essig über Pommes, die hier Chips heißen, dazu aus der Flasche das englische Ketchup-Pendant mit dem sehr passenden Namen "Brown Sauce" – All das tut Gourmets schon beim Lesen weh.

Dem wollen wir vorerst auch nicht widersprechen – Es geht in dieser Geschichte schließlich um Klischees.

Deshalb setzen wir noch eins drauf und schauen den Spezialisten von Monty Python in einem ihrer berühmtesten Sketches zu, wie man Nahrungsaufnahme sehr britisch in Szene setzen kann…

(WARNUNG, WER'S NICHT KENNT: WIRKLICH NUR FÜR GUTE MÄGEN!)


Essen & Trinken

Unterwegs auf Englands Straßen

Das berühmteste Wahrzeichen des englischen Straßennetzes ist wohl der "Roundabout", den wir in Österreich als Kreisverkehr kennen. Er wird stets großzügig übers Land verteilt, gerne auch an Stellen, wo eine simple Ampelkreuzung vermutlich der einfachere Weg gewesen wäre.

Die unzähligen "Roundabouts" sind aber nicht die einzige Auffälligkeit, wenn man auf Englands Straßen unterwegs ist…

Das Links-Rechts-Dilemma

Absolute Grundregel für England-Neulinge: Beim Überqueren von Straßen ist der Blick zuerst nach rechts zu richten, und erst dann nach links. Das ist anfangs ungewohnt, aber essentiell für die eigene Unversehrtheit.

Die Schrullen des Verkehrs