Bin ich jetzt ein alter Mann?
Mein jugendliches Ich grinst hämisch angesichts des aufgekeimten Faibles für angejahrte Stahl-Renner. Hat mich die Vergangenheit eingeholt? Der Pfad der Selbsterkenntnis führte zu einer souligen Rundfahrt: In Velo Veritas. Oh!
Eigentlich hege ich gegen das Älterwerden keinen Groll. Im Gegenteil. Ich habe mir das die längste Zeit sogar recht beschaulich vorgestellt: Ein bisserl den Kindern beim Wachsen zusehen, sich währenddessen am gedeihenden Erfahrungsschatz laben, hie und da vielleicht mit dem ein oder anderen Wehwehchen hadern, aber im Großen und Ganzen würde ich wohl genussvoll das hohe Alter anstreben.
Freilich ist das ein wenig romantisiert, Wunschdenken, sagt Ihr vielleicht, aber ich male mir gerne im Voraus Gedanken-Bilder, um sie dann mit Sonntagskind-Rückenwind-Bonus irgendwann zu erreichen, hoffentlich.
Worum geht’s denn jetzt?
Der Harmonie meines schön-gezeichneten Plans drohte Ungemach. Ein Selfmade-Dilemma quasi, weil mich gewissermaßen die Geister meiner Jugend einholten. Und um das zu verstehen, muss ich Euch bitten, liebe Leser, mir kurz zurück in die Achtzigerjahre zu folgen.
Die Achtziger (ich meine da eher schon die auslaufenden Jahre mit den frühen Neunzigern als Appendix) waren eine recht bunte Zeit aus Sicht der Textilindustrie – und erst recht entlang der Radwege. Meinereiner hat das hautnah miterlebt, weil aufgewachsen in unmittelbarer Nähe zum Donauradweg, aber bereits auf niederösterreichischem Hoheitsgebiet. Und weil das aus Wien raus schon ein paar Kilometer Fahrt sind, sah man da bei Schönwetter in den diversen Gastgärten zumeist ältere, in schrill-bunte und eng anliegende Lycras gewandete Semester, die hier zwecks Labung zwischenstoppten.
Und wenn ich mich recht erinnere, dann wurden die Elastizitätsgrenzen vieler gastierender Lycras ganz schön auf die Probe gestellt. Ich sag' nur: Ein Wamperl kommt selten allein, meist war es ja doch eher eine Gruppe Gleichgesinnter, die auf der Suche nach isotonischen Durstlöschern dem Duft frisch panierter Kalbsschnitzel folgte. Jedenfalls wirkten die Rennräder seitlings ihrer feisten Herrschaften in meiner Erinnerung oft traurig filigran.
Es könnte natürlich auch sein, dass es die schön gemufften dünnrohrigen Stahlrahmen waren, die ihre Besitzer einfach nur unfassbar stattlich aussehen ließen. Ursache und Wirkung, schwer zu sagen nach all den Jahrzehnten, wer welche Rolle inne hatte.
Meist war es ja doch eher eine Gruppe Gleichgesinnter, die auf der Suche nach isotonischen Durstlöschern dem Duft frisch panierter Kalbsschnitzel folgte. Jedenfalls wirkten die Rennräder seitlings ihrer feisten Herrschaften in meiner Erinnerung oft traurig filigran.
Alexander Fischer, Redakteur
Wie dem auch sei – ich fand diese Herrschaften einfach uncool und peinlich, jawohl. BMX- oder Mountainbikefahren dagegen – das war cool. Über Stock und Stein wetzen, durch den Gatsch brettern, springen, breite Stollenreifen, das war meine Welt.
Die Quintessenz lautete somit: Rennradfahrer = alt & uncool. Und mit dieser Einstellung durchlebte ich meine gesamte Kindheit, meine Adoleszenz und was danach an Sozialisationsphasen noch so kam. Was blieb, war die Liebe zum Rad. Es kam ein Job, die eigene Familie, auch der Erfahrungsschatz wuchs wie erwartet kontinuierlich an, und ich dachte daran, nun genussvoll das hohe Alter anzustreben.
Doch dann traf ich ein italienisches Rennrad Baujahr 1988, fuhr, mochte und erwarb es sofort – meinem jugendlichen Ich zum Trotz.
Der wunderschön gemuffte, unterverchromte Bottecchia-Stahlrahmen aus edlem Columbus-Geröhr hatte es mir angetan. Da und dort platzt zwar schon der Lack auf, aber echte Patina war mir immer schon lieber als ein mutwillig herbeigeführter Neuzustand. Oder so ein Pseudo-Retro-Look. Dann doch lieber straight statt fake. Und mit welcher Geschmeidigkeit das Rad dahin rollte! Ein Traum – als gäbe es keinen Rollwiderstand. Dazu diese bisher ungekannte Direktheit. Jeder Tritt ein unmittelbarer Schub nach vorne, actio est reactio im gefühlten Verhältnis von 1:1 – ich war schwer enthusiasmiert.
Um das vielleicht besser verstehen zu können: Nach komfortablen Jahrzehnten breiter, grobstolliger Reifen und softer Federung an beiden Enden des Mountainbikes war diese ehrlich-puristische Direktheit einfach nur herrlich erfrischend. Wie eine Handvoll Kaltwasser mitten ins Gesicht. Ich hatte dieses Gefühl nie vermisst, aber jetzt wusste ich, was meiner inneren Radler-Balance gefehlt hatte. Ein Rennrad, ausgerechnet.
Ich mochte auf Anhieb diese ehrlich-puristische Direktheit. Ich hatte dieses Gefühl nie vermisst, aber jetzt wusste ich, was mir gefehlt hatte.
Alexander Fischer, Redakteur
Ein Mann. Ein Rad. Eine Mission. Start frei.
Fortan haderte ich ein wenig mit mir selbst, das jugendliche Ich in mir wollte einfach nicht aufhören süffisant zu lästern: "Du bist jetzt ein alter Mann, du bist jetzt ein…" Nein, bin ich nicht! Wobei: Älter als damals schon, freilich, aber bei weitem nicht alt an Jahren. Und auch nicht alt im Geiste, da bin ich mit Sicherheit jung geblieben. Bloß das Gesicht, ein paar Falten mehr sind schon zu sehen im Spiegel, und die grauen Haare an der Schläfe nehmen auch schön langsam überhand… Schluss jetzt! Es wurde Zeit, mit mir selbst ins Reine zu kommen, Klarheit zu schaffen. Zeit, die ewig alten Vorurteile einem Re-Check zu unterziehen:
Ist Rennrad fahren wirklich eine Alt-Herren-Beschäftigung?
Sind Rennradler uncoole Langeweiler?
Viel wichtiger erschien mir jedoch folgende Frage:
Ist das mit mir und dem Rennrad nur eine kurze Sommer-Liasion, oder wird aus dem Faible für den Stahl-Renner vielleicht sogar etwas Andauerndes?
Antworten auf diese Fragen, das war mir relativ rasch klar, konnte ich nur im Sattel finden. Eine ausgiebige Ausfahrt musste her…
In Velo Veritas – die Rundfahrt der Genießer.
Zu meinem Glück gibt es alljährlich (seit sechs Jahren) eine Veranstaltung, die mir gerade recht kam – die In Velo Veritas (IVV). Diese Rundfahrt sollte mir also als Selbsthilfe-Seminar dienen. Wer die IVV nicht kennt, hier ein kurzer, formal formulierter Exkurs:
Die IVV ist eine Rundfahrt für klassische Rennräder bis Baujahr 1987/88. Gefahren wird der Gaudi und des Genusses wegen, es stehen drei Distanzen zur Auswahl: ca. 70 km lang (die Genussreiche), ca. 150 km lang (die Anspruchsvolle) oder ca. 200 km lang (die Epische).
Für das Rennrad gelten übrigens auch ein paar Voraussetzungen:
Und für die Teilnehmer gilt: Authentizität im Style, sofern möglich. Alte Trikots sind gern gesehen, passende Shorts und zeitgemäßes Schuhwerk ebenso.
Showdown
Nun aber, Showdown. Hier im Zielraum soll der Pfad der Selbsterkenntnis und die Frage nach dem Beziehungs-Status enden. Noch aber trennt mich eine 70-Kilometer-Etappe von der finalen Erkenntnis. Los geht's.
Drei Fragen habe ich, drei Antworten will ich. 70 Kilometer muss ich dafür radeln.
Es ist Sonntag, ich stehe am Start und fühle mich prinzipiell sehr wohl. Der Sprung ins vermeintlich kalte Becken ist gar keiner, eher ist's ein Hineingleiten in bacherlwarmes Thermalwasser. Die Radler, die ich hier antreffe, mit denen ich plaudere, haben kaum etwas mit meinen Jugend-Erinnerungen zu tun. Keine Pseudo-Ehrgeizler, keine Schanigarten-Poser, im Gegenteil. Es scheint sich hier fast ausnahmslos um vom Radeln beseelte Naturen zu handeln, Gleichgesinnte also. Das fortgeschrittene eigene Alter hingegen lässt den früher so herb empfunden Generation-Gap mittlerweile recht schmal erscheinen. Sehr gut, denke ich mir da, erste und zweite Frage eigentlich schon beantwortet. Damit wäre der formale Teil einmal erledigt. Und fürs Protokoll:
Ist Rennrad fahren wirklich eine Alt-Herren-Beschäftigung?
Sind Rennradler uncoole Langeweiler?
NEIN. Zumindest dann nicht, wenn es um alte Rennräder geht. (Und man selbst keine 20 Jahre alt mehr ist.)
Bleibt der emotionale Part. Für die Beantwortung der dritten Frage schwinge ich mich auf den Sattel und nehme die rund 70 Kilometer der "Genussvollen" in Angriff. Für Vielradler mag diese Distanz lächerlich wirken, angesichts meines Fitnesslevels ist das allerdings eine ganz schöne Aufgabe (im doppeldeutigen Sinn). Machbar, aber doch mit Aufwand und Anstrengung verbunden.
Ist das mit mir und dem Rennrad nur eine kurze Sommer-Liasion, oder wird aus dem Faible für den Stahlrenner vielleicht sogar etwas Andauerndes?
Wann und wo, wenn nicht hier und jetzt sollte ich sonst die Probe aufs Exempel machen? In mitten dieses hochdosierten Treffens, wo alte Legenden und junge Spunde aufeinandertreffen, wo das Radfahren mit Rennrädern bei Pausen in Heurigen-Atmosphäre zelebriert wird?
Apropos Legenden – live und hautnah, die ehemaligen Meister des österreichischen Radsports.
Apropos Genuss: Menschen und malerische Landschaft.
Fazit in eigener Sache:
Ich geb's zu, mich hat's erwischt. Das Rennradfahren gebe ich nicht mehr auf – da kann mein jugendliches Ich lästern und hämisch grinsen, soviel es will. Dem Mountainbike werde ich deswegen zwar nicht untreu, aber es wird mich weniger oft zu sehen bekommen. Ich strebe eine ausgeglichene, friedliche Koexistenz der Dinge an. Und ich werde gemeinsam mit ihnen alt werden. Richtig alt. Davon abgesehen werden zünftige Ausfahrten mit den beiden Rad-Amazonen in naher Zukunft jedoch sowieso mehr Ausnahme als Regel sein.
Denn der eigene Nachwuchs tritt mittlerweile bereits sehr beherzt in die Pedale – das muss gefördert werden. Nur für diese Ausfahrten taugt mein Alltagsradl nach wie vor am besten. Das ist auch aus Stahl, auch alt, mit schmaler Bereifung und eher aufrechter Sitzposition. In gewisser Weise ist's ein Hybrid der beiden Systeme, aber weder ultraschnell noch ultrahandlich und auch nicht besonders komfortabel. Aber bereits das macht es schon wieder reizvoll. So reizvoll wie das Altern selbst.