Auf der Flucht
Es war nur eine kleine Unachtsamkeit, die unseren Redakteur Christoph Lego vor kurzem mit dem US-Gesetz in Konflikt geraten ließ. Ein Bericht über Einsamkeit, Freundschaft – und einen Ford Mustang.
Regelmäßige Leser/-innen des Online-Magazins auto touring digital wissen: Wenn ich mit meinem Sohn wieder einmal ein neues Lego-Projekt fertiggestellt habe, schlüpfe ich danach gerne in die Rolle meines Alter Ego "Christoph Lego".
Mein kleines Ich aus dem Universum der dänischen Bauklötze kann dann nämlich Abenteuer erleben, die seinem menschlichen Pendant verwehrt bleiben – zuletzt etwa eine Nacht mit Batman in Wien.
In dieser Episode wechseln wir nun aber den Schauplatz: Nicht die Bundeshauptstadt ist diesmal Spielwiese für Christoph Legos Umtriebe, sondern der Südwesten der USA.
Warum Christoph dort während eines entspannten Roadtrips vor kurzem mit den unbarmherzigen Behörden in Konflikt geriet, lag aber nicht nur an seinem augenscheinlich kantigen Naturell.
Lassen wir ihn die Vorkommnisse doch am besten selbst schildern…
Hit the road Jack<br />
And don't you come back<br />
No more, no more, no more, no more
"Hit the Road Jack" (Ray Charles, 1962)
Neue Gefilde (O-Ton Christoph Lego)
Vor einem Jahr bin ich nach Palm Springs in Kalifornien gezogen. Eine komplett logische Entscheidung für einen Mittvierziger, finde ich, denn während meine Knochen in den harten österreichischen Wintern zusehends zu quietschen begannen, wurden sie im "Sunshine State" bei meinen Besuchen in den Jahren zuvor stets verlässlich vom milden Klima geölt.
Außerdem mochte ich diese rauhe Gegend hier im Südwesten der USA schon immer gern (Nachlese: "Mein Wilder Westen"). Und hey, hier in Palm Springs, knapp zwei Stunden östlich von Los Angeles gelegen, verbringen immerhin viele ältere Menschen ihren Lebensherbst. Frank Sinatra oder Elvis zum Beispiel. Und was für die beiden gut genug war, sollte für mich erst recht ausreichen, richtig?
Sie sehen: Ich stecke tief in der Midlife-Crisis. Der nächste logische Schritt war demnach, dass ich mir ein passendes Auto gekauft habe. 1967er Ford Mustang, gepflegter Drittbesitz, knapp 168.000 Meilen auf dem Tacho, also quasi wie frisch vom Detroiter Fließband.
Um Land und Leute meiner neuen Heimat besser kennenzulernen, mich smooth in den Takt der Wüste einzuklinken, habe ich etwas gemacht, das die Amerikaner immer dann zelebrieren, wenn sie zur Abwechslung zuviel Zeit haben: einen Roadtrip.
Die Tour hätte ursprünglich gar nicht ausufern sollen. Geplant waren rund 700 Meilen von Palm Springs rüber nach Phoenix im Nachbar-Bundesstaat Arizona und wieder zurück. Das sollte sich übers Wochenende easy ausgehen, dachte ich.
Und dann kam alles anders.
Falsche Entscheidung
Ich genieße die ersten Stunden von Palm Springs rüber nach Phoenix. Der große V8 meines Mustang grummelt bei knapp 60 Meilen pro Stunde knapp über der Leerlauf-Drehzahl herrlich sonor dahin, durchs Seitenfenster strömt heiße Sommerluft.
Hin und wieder klopfe ich mir selbst auf die Schulter – als Bestätigung für die Richtigkeit meiner Wahl, hierher umzusiedeln – und blicke vielleicht ein paar Mal öfter als notwendig in den Rückspiegel, um im Anblick meines erstaunlich attraktiven Gesichts zu baden.
Rund 65 Meilen wären es jetzt nur mehr bis Phoenix, allerdings wird mir langsam fad auf der ewig schnurgeraden Interstate 10, die hier durch die Wüste führt. Als Österreicher sind mir kurvige Straßen nämlich trotzdem noch ein Heiligtum, außerdem spricht der innere Motorjournalist zu mir: Der Mustang kann doch mehr als schnurstracks dahinzublubbern.
Eine Abfahrt von der Autobahn weist auf einen Ort namens "Hope" hin. Das klingt doch vielversprechend, denke ich, also fahre ich runter. Vielleicht kann ich die letzten Meilen ja auf einsamen Landstraßen zurücklegen, auf denen man öfter als zweimal pro Stunde das Lenkrad bewegen muss.
Ab diesem Moment sollte mein bisher so ruhiges Leben nicht mehr so sein wie vorher…
Eskalation
Der Fluchtwagen
Lassen Sie mich zwischendurch kurz meinen treuen Begleiter vorstellen: Ford Mustang, Baujahr 1967. Film-Freaks kennen die spätere 1968er-Ausbaustufe vielleicht von der berühmtesten – und längsten – Auto-Verfolgungsjagd ever (hier anzusehen).
Ein Freund, ein guter Freund
Tag 6 meiner Flucht. Kumulierte Schlafstunden: ebenso viele. Langsam schaltet mein Hirn ab. Die Gedanken verschwimmen, die vorbeiziehende ewig gleiche Landschaft mutiert zu einem Wahrnehmungs-Strang, der optisch an einen verwischten schwarzen Strich in einem bösen Traum erinnert.
Natürlich habe ich als Jugendlicher "Lost Highway" von Regisseur David Lynch gesehen. Dass ich an diesem Wahnsinn aber einmal real teilhaben würde, lässt mich meine momentane Situation umso beängstigender empfinden.
Das Schlimmste ist: Ich bin gefangen in einer rastlosen Einsamkeit. Seit Tagen keinerlei menschliche Interaktion, nicht einmal eine Perspektive, wann ich mich wieder zu einem sozialen Wesen rückverwandeln kann.
Mir bleibt einstweilen nur der Innenspiegel meines Mustangs – mit diesem dämlich zurückgrinsendem Gesicht darin (das ich allerdings nach wie vor sympathisch finde).
Und währenddessen: die ständige Angst vor meinen Verfolgern. Sind sie noch da? Wo sind sie? Gab es sie überhaupt?
Und dann trat Jack in mein Leben.
Jack
Mustang-Upgrade
In der geheimen Garage von Ralf gibt's für meinen Mustang nun ein paar Teile, die das Auto für die finalen Meilen unserer Flucht ein bisschen, hm, weniger stoisch antreten lassen könnten.
Ich finde einen Kompressor-Ansaugtrakt namens "Street Scoop" und ein paar Aerodynamik-Anbauten. Das sollte funktionieren.
Einmal in die Hände spucken und los geht’s…
Grande Finale
Derlei ausgestattet ist der Weg nach Hause für Jack und mich im Prinzip nur mehr ein Kinderspiel.
Obwohl: Zurück nach Palm Springs können wir jetzt nicht. Oder vermutlich nie mehr. Wir brauchen eine Alternative…
Coming Home
Auflösung: Der Grund für die Flucht
Zu Beginn des Textes habe ich angemerkt, dass Sie sich ein bestimmtes Foto merken sollten. Es zeigt den Lego-Mustang – maßstabsgetreu, aber mit verzerrter Perspektive – neben einem Ölfeld, direkt daneben wächst ein vermeintlicher riesiger Kaktus aus dem Boden (der in Wahrheit ein etwa 20cm hohes Gewächs ist).
Hier noch einmal das Foto…
Reality Check
Christoph Legos fiktive panische Flucht hat einen realen Hintergrund: Im US-Bundesstaat Arizona ist es nämlich tatsächlich bis heute per Gesetz verboten, in einen Kaktus zu fallen. Und das ist Christoph beim Aussteigen aus dem Auto passiert.
Strafausmaß? Bis zu 25 Jahre Haft.
Um klassischen Anti-Amerikanismen keinen Vorschub zu leisten, sei dabei aber angemerkt, dass die USA ein anderes Rechtssystem als wir haben.
Es nennt sich "case law" und bedeutet (sehr vereinfacht), dass alle irgendwann einmal von einem Gericht entschiedenen Fälle automatisch zum Gesetz werden. Sprich (als Annahme für Christophs Fall): Wenn vor 200 Jahren in der Wildwest-Zeit ein betrunkener Cowboy zufällig in einen mühsam gezüchteten Kaktus der Frau des Bürgermeisters gefallen ist, dann gab's halt 25 Jahre Kerker – und am nächsten Tag kam das Gesetz.
In der heutigen US-Rechtssprechung werden diese Skurrilitäten freilich nicht mehr umgesetzt. Aber es ist dennoch spannend, in diesen Relikten der US-Justiz zu stöbern.
Making-of dieser Story
Liebe Leser/-innen: Im Gegensatz zu "Christoph Lego" in dieser fiktiven Geschichte bin ich als echter Redakteur im realen Straßenverkehr (bis auf die üblichen Parkvergehen und gezählt neun geringfügige Tempo-Überschreitungen seit 1995) noch nie derart mit dem Gesetz in Konflikt geraten wie mein gelbes Alter Ego.
Komplett real hingegen war der Aufwand, den unser Fotograf Markus Zahradnik mit dem Lego-Mustang meines kleinen Sohns betrieben hat: Um das Ding fototechnisch nicht nur statisch, sondern auch bewegt zu zeigen, hat er (wieder einmal) Wege gefunden, mich zu erstaunen.
Zum Schluss deshalb ein paar Beispiele dazu.
Lego Mustang: Making-of