Nach dem Knall

Es knallt, es staubt, es raucht, es riecht verbrannt. Dazu der Schock über den soeben überstandenen Aufprall. Die Nebeneffekte des Airbags ähneln für viele Unfallopfer einer Bombe.

Der Fuß auf der Bremse, die Hände umklammern krampfhaft das Lenkrad – trotzdem rast das Fahrzeug unaufhaltsam auf das Hindernis zu. In den wenigen Sekunden vor dem Crash versucht man sich noch für den unvermeidlichen Aufprall zu wappnen, das Folgende sprengt jedoch alle Erwartungen.

Ein ohrenbetäubender Knall. Rauch und der Geruch nach Feuer im Innenraum lassen Panik aufsteigen. Man ist benommen und begreift erst allmählich, was geschehen ist. Das war kein weiches Polster, in das man gemütlich eingetaucht ist, wie es Zeitlupen-Aufnahmen oft nahelegen. In der Realität fliegt dir der Airbag mit Wucht entgegen. Und ist auch schon wieder weg, hängt schlaff vom Lenkrad herunter.

Airbags sind seit Jahrzehnten ein fixer Bestandteil der passiven Sicherheit im Auto. "Nur die Kombination Gurt/Airbags/Karosserie und deren gezielte Verformung beim Crash sichern die hohen Überlebenschancen bei schweren Unfällen. Die an vielen Stellen des Innenraums verbauten Airbags verteilen die hohe Belastung bei Verzögerungen am besten auf den menschlichen Körper", erklärt ÖAMTC-Techniker Steffan Kerbl.

"An den Unfall selbst erinnere ich mich gar nicht, nur an den Krach und Geruch vom Airbag. Es hat so geraucht, ich dachte, es sei eine Bombe im Auto eingeschlagen. Erst ein Polizist erklärte mir im Nachhinein, wie so ein Airbag funktioniert", erzählt Frieda Glashüttner. Trotz jahrzehntelanger Erfahrung als Autofahrerin kannte sie die genauen Auswirkungen eines aufgehenden Airbags nicht – und damit ist sie nicht allein.

Immer wird nur erzählt, wie toll Airbags sind und wie viele Leben sie retten. Aber keiner sagt einem, was man bei einem auslösenden Airbag zu erwarten hat.

Frieda Glashüttner, Niederösterreich

Mysterium Airbag

Was führt zu diesen unangenehmen ­Nebeneffekten des Lebensretters? Das kann bei einem genaueren Blick auf die einzelnen Komponenten eines Airbag-Systems und deren Funktion beantwortet werden.

Airbags: Wichtiger Teil des Systems ist klarerweise der Airbag selbst. Dieser ist meistens aus Polyamidgewebe gefertigt und kompakt zusammengefaltet. Der beim Aus­lösen entstehende Rauch im Auto hat einen sehr harmlosen Ursprung: Der Stoff des Airbags ist mit einem Puder beschichtet, das den Zweck hat, die Reibung sowohl im Textil selbst als auch an der Hautoberfläche der Insassen beim Auslösen zu reduzieren. Ebendieses Puder und auch ein wenig Abgas von der pyrotechnischen Entfaltung des Airbags sorgen für den vermeintlichen "Rauch" im Innenraum des Fahrzeugs.

Treibmittel: Abhängig von der Größe werden Airbags mit unterschiedlichen Methoden aufgeblasen. Kleinere Airbags sind mit Kaltgasgeneratoren ausgestattet. Das sind einfache mit CO2 oder Stickstoff gefüllte ­Metallkartuschen. Auf diesen befindet sich ein Zündhütchen, das beim Crash die Kartusche "öffnet". Dann strömt das Gas in den Airbag, bis die Kartusche vollständig entleert ist. Die österreichische Firma iSi ist führender Hersteller solcher Kartuschen.

Bei den volumenstärkeren Frontairbags würde das komprimierte Gas allerdings nicht für ein zeitgerechtes Aufblasen ausreichen, denn Airbags haben nicht mehr als sieben Millisekunden Zeit sich zu entfalten. Das benötigte Gas wird bei den Frontairbags pyrotechnisch, also durch eine Explosion, erzeugt. Um diese auszulösen, wird Schwarzpulver in einer Zündpille gezündet. Das erzeugt dann den verbrannten Geruch.

Crash-Sensoren: Diese Bauteile sind Trägheitsschalter, die bei einer starken Verzögerung das elektrische Eingangssignal zur Kraftstoffpumpe unterbrechen. Sie sind möglichst weit außen an der Fahrzeugkaros­serie montiert, um ohne großen Zeitverlust ab einer Beschleunigung von 3 bis 5 g aus­zulösen. Die Sensoren werden zur Sicherheit doppelt verbaut.

Steuergerät: In den sieben Milli­sekunden überprüft das Steuergerät des Crashsensors, welcher Airbag ausgelöst werden soll, sowie die Energieversorgung der Zündkreise und definiert die Schwere des Crashs auf einer Skala von 0 bis 3.

Safing-Sensor: Dieser Sensor hat die Aufgabe, ein unbeabsichtigtes Auslösen des Airbags zu verhindern. Er unterbricht bei normalen Fahrbedingungen die Zündleitung zum Airbag und schließt erst ab einer Belastung von etwa 2 g.

Schmerzhafte Rettung

Der 21-jährige Marcel Wintscher erlebte schon zwei Unfälle mit Airbag-Aus­lösung. Einmal erlitt er dabei durch den Airbag eine leichte Gehirnerschütterung und eine Prellung des Gebisses. Das aufgewirbelte Pulver und der Geruch der Explosion blieben auch ihm im Gedächtnis. „Als ich wieder zu mir gekommen bin, bekam ich Panik. Ich glaubte, das Auto beginnt zu brennen.“ 

Der Niederösterreicher Hannes Fröhlich bemerkte sogar erst ein paar Stunden nach seinem Unfall den Schmerz in den Rippen und die verbrannten Handgelenke.

Von einer sanften Rettung kann man bei Airbags also nicht sprechen. Bei einem Unfall werden die Insassen mit starker Wucht nach vorne geschleudert. Der Gurt hält die Insassen in Position. Der Airbag hat die Auf­gabe, einzelne Körperteile wie z.B. den Kopf aufzufangen. Er muss also sehr aggressiv und blitzschnell aufgeblasen werden. Das kann zusätzliche Verletzungen wie etwa Prellungen verursachen.

Neben dem physischen Stoß des Airbags können Chemikalien, die beim Aufblasvorgang freigesetzt werden, auch Reizungen in den Augen auslösen. Auch Verbrennungsverletzungen können durch die Reibung bei der schlagartigen Entfaltung verursacht werden.​​​​​​

Das musste auch ÖAMTC-Direktor Oliver Schmerold bei einem Frontalzusammenstoß schmerzhaft erfahren. "Die Explosion habe ich gar nicht bewusst als Extra-Lärm in dem Bruchteil der Sekunde bemerkt, bei Stillstand des Fahrzeugs aber überall den Rauch und das mehlige Pulver gesehen. Die Airbags haben uns vor ernsten Verletzungen bewahrt, einzig Verbrennungen an den Unterarmen hatte ich, da der Airbag über meine unbedeckten Arme schnellte."

Ich hörte einen schrecklichen Knall, bekam einen Schlag vom Airbag und dann war es dunkel vor meinen Augen.

Marcel Wintscher, Kärnten

Eine falsche Handhaltung am Lenkrad kann sogar zu noch schwereren Verletzungen führen. "Die Wichtigkeit der korrekten Lenkradhaltung wird oft unterschätzt", erklärt Roland Frisch, Chefinstruktor der ÖAMTC Fahrtechnik. "Wenn der Airbag auslöst, kann er die Hände, wenn sie ungünstig am Lenkrad liegen, mit Wucht ins Gesicht des Fahrers schleudern. Die sicherste Handhaltung entspricht der Zeigerstellung dreiviertel drei auf dem Zifferblatt einer Uhr – also eine Hand links am Lenkrad, die andere rechts etwa auf gleicher Höhe. So ist der Kopf des Lenkers geschützt."

Außerdem ist es wichtig, dass der Beckengurt fest sitzt. Der Körper könnte sonst aus dem Sitz gehoben und vom Airbag stark nach hinten geschleudert werden. Das kann ebenfalls zu schweren Verletzungen führen.
 

Aufgehender Airbag

Qual für die Ohren

Für die Ohren ist ein auslösender Airbag auch kein Spaziergang. Der Knall eines Airbags ist beachtliche 170 Dezibel laut. Jeder, der schon einmal einen Silvesterböller nahe am Ohr explodieren hörte, kann sich ungefähr die Lautstärke eines Airbags vorstellen. 

Der Begriff "Knalltrauma", eine Schädigung des Innenohrs durch sehr hohen, kurz einwirkenden Schalldruck, wurde erst seit der Einführung des Airbags überhaupt bekannt. Der Lärmpegel ist aber gar nicht die Hauptursache, sondern der plötzliche Druckanstieg im Fahrzeug durch die Explosion. Die Fahrzeughersteller versuchen dieser Problematik entgegenzuwirken, indem sie mehr, aber dafür kompaktere Airbags einsetzen. Es werden auch nicht mehr Bags aufgeblasen, als für die Insassensicherheit notwendig sind. Trotzdem ist der laute Knall nicht zu verhindern.

Ich war sehr froh, dass ich einen Airbag hatte. Das wäre sonst nicht schön ausgegangen.

Hannes Fröhlich, Niederösterreich

Mitunter wird die Möglichkeit angesprochen, dass ein Unfall mit dem Schock eines "ex­plodierenden" Airbags psychisch belastende Nachwirkungen haben könnte – wie etwa eine vorübergehende Überempfindlichkeit bei Knallgeräuschen. Ganz auszuschließen ist das natürlich nicht.

"Gerüche, Geräusche und Bilder der Unfallszenerie können einige Zeit lang immer wieder in den Gedanken kreisen oder Verknüpfungen beim Vorhandensein ähnlicher Gegebenheiten auslösen", erklärt ÖAMTC-Verkehrspsychologin Marion Seidenberger. Konkrete Fälle psychischer Belastungen, die rein auf den Airbag zurückzuführen sind, scheinen allerdings nicht vorzuliegen.

Die lebensrettende Funktion der Airbags steht aber trotz allem außer Frage. "Im Zusammenspiel haben sowohl Sicher­heits­gurte als auch Airbags unzählige schwere körperliche Verletzungen verhindert und Menschenleben bewahrt", betont die Expertin.