Strom von oben
Am ersten E-Highway in Schweden werden Hybrid-Trucks wie Straßenbahnen über eine Oberleitung mit Strom versorgt. Birgit Schaller hat sich das Projekt angesehen.
Frühlingshaft grüne Birken, Fichten- und Kiefernwälder, unterbrochen von weiten Wiesenflächen und dunkelblauen Seen mit sanft gekräuselter Oberfläche. Entlang der Autobahn am Weg von Stockholm nach Sandviken zeigt sich das immer gleiche schöne Landschaftsbild. Es ist wenig verwunderlich, dass genau hier ein Stück Weltrevolution beginnen könnte.
"Wir Fernfahrer leben in der Natur und mit der Natur", sagt Hans Eriksson, während er mit zwei riesigen Händen das noch größere Lenkrad seines Scania Hybrid Power Trucks bewegt. "Ich fahre täglich vom äußersten Norden Finnlands bis in den tiefen Süden Norwegens – und überall um mich herum ist Natur. Ich will sie bewahren, nicht zerstören." Eine ungewöhnliche Aussage für einen Lkw-Fahrer, die eine erste Veränderung spürbar macht.
Der E-Highway ist im Vergleich zu Verbrennungsmotoren mindestens doppelt so effizient.
Magnus Engström, Projektleiter
Eriksson fährt die meiste Zeit mit Diesel-betriebenen Lastwagen, außer hier in der Region Gävleborg auf der Elektroautostraße Elväg E16. Denn hier eröffneten im Juni 2016 auf einer Mini-Teststrecke von zwei Kilometern die schwedische Infrastrukturministerin Anna Johansson und Energieminister Ibrahim Baylan das weltweit erste Electric Road Projekt. Der Autobahnabschnitt, zwei Stunden nördlich von Stockholm, dient als Teststrecke, auf der zwei Diesel-Hybrid-Fahrzeuge von Scania entlang einer Siemens-Oberleitung zum Einsatz kommen.
Die handgefertigten Trucks können mit ihren Stromabnehmern, ähnlich Straßenbahnen, elektrische Energie nutzen und ihre Akkus für den Fahrbetrieb aufladen. Die Energieversorgung für die Strecke hat Sandviken Energi übernommen, der Truck fährt mit 700 Volt Spannung auf dem rechten Fahrstreifen einer normal befahrenen Autobahn bis zu 100 km/h schnell.
Endet die Oberleitung nach zwei Kilometern, schaltet der Lkw automatisch in den Batteriebetrieb – sollte die Batterie leer sein, in den Dieselmodus. "Die Batterie mit 18 kWh kann den Lkw für rund 10 Kilometer versorgen", informiert Eriksson während der Testfahrt in dem nahezu lautlosen Truck. Einzig der Wind ist zu hören.
"Virus", so der Name des Projekts, ist ein erster Schritt auf dem Weg Schwedens, den Transportsektor bis 2030 unabhängig von fossilen Brennstoffen zu machen. "Wenn wir die Klimaschutzziele und eine Entkarbonisierung erreichen wollen, müssen wir Einsatz zeigen", erklärt Magnus Ernström, Project Manager von "Virus" und tätig für die Region Gävleborg. Wichtig sei es, wirklich alle Betroffenen ins Boot zu holen.
Übersetzt heißt "Virus": Gastgeber, Innovation, regionale Entwicklung und Synergien. Finanziert wurde die Umsetzung mit 9 Millionen Euro aus nationalen öffentlichen Geldern und 5 Millionen von Scania und Siemens, die in Trucks und Oberleitung investierten. Die Projektmanager der Region Gävleborg koordinieren den Testbetrieb und sorgten für weltweite Aufmerksamkeit: 1.600 interessierte Gäste aus Ländern von Japan bis Amerika verzeichnete das EU-finanzierte Besucherzentrum zur Elväg E16 in Sandbacka in den letzten eineinhalb Jahren – unter ihnen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Stolz verweist Ernström auf die Kooperation Merkels und Schwedens Premierminister Stefan Löfven – E-Highways mit der in Schweden getesteten Technologie sollen nun auch auf der A1 in Schleswig-Holstein und auf der A5 in Hessen zwischen Frankfurt und Darmstadt entstehen. Die Bauarbeiten haben gerade begonnen. Schließlich will auch Deutschland die CO2-Emissionen bis 2050 um rund 90 Prozent reduzieren. Auch in der Nähe von Los Angeles ist ein E-Highway mit Siemens geplant.
Schnee und Kälte waren die größten Herausforderungen beim Testbetrieb in Schweden. Die Anlagendimension wird in Zukunft reduziert werden und der Scania Hybrid Train ist in Kürze in größerer Stückzahl lieferbar. Der größte Vorteil der Idee: Die für den Schwerverkehr notwendige Energie kommt aus der Stromzufuhr, denn die Batterietechnologie ist noch nicht ausreichend für das Gewicht riesiger Fernlastzüge.
Zu den Kosten: der derzeit noch handgefertigte Hybrid-Truck mit Pantograf kostet aktuell rund 40.000 Euro mehr als ein klassischer Lkw. Allerdings: mit zunehmender Skalierbarkeit, die bis 2020 erwartet wird, sollen die Kosten sinken.
Der Erfolg von "Virus" in Schweden gibt der Idee Recht, auch wenn von den Journalisten nachgefragt wird: "Warum wird diese Technik erst jetzt aufgegriffen – Fahrzeuge mit Oberleitungen wurden schon vor mehr als 100 Jahren betrieben?" Tatsächlich wurde der erste Oberleitungsbus "Elektromote" 1882 von Werner Siemens vorgestellt. Heute gibt es O-Busse in Salzburg und Linz, und seit 2012 sorgen Oberleitungen in Wien für die Ladung der E-Busse der Buslinien 2A und 3A.
Ein Zukunftsprojekt also? "Auf jeden Fall, denn neu ist vor allem die Kombination mit Hybridantrieb", sagt Ernström, "diese erlauben die nahtlose Umschaltung von der Oberleitung auf Batteriebetrieb oder auch Flüssiggas und Diesel, etwa bei Kreuzungen oder in Tunnels. Die Infrastruktur kann jedenfalls sehr leicht und kostengünstig installiert werden."
Die Umsetzung bietet sich vor allem auf kurzen Strecken an, etwa zwischen dem Hafen in Gävle und dem 50 Kilometer entfernten Industriezentren in der Provinz Dalarna. Hier findet der nächste Schritt statt. Dem neuen Projekt haben sich schon die ansässigen Industriebetriebe angeschlossen. So steigt die Wahrscheinlichkeit, dass bis 2020 die erste elektrische Straße für Heavy Trucks erbaut wird.
Die Infrastruktur kann leicht und kostengünstig installiert werden.
Magnus Ernström, Projektleiter "Virus"
Roboterbusse in Finnland: Auf der letzten Meile fahrerlos
Helsinki hat ein Ziel. Helsinki möchte bis 2021 die funktionalste Stadt der Welt sein, die besten Bedingungen für alle seine Einwohner und Besucher erschaffen. Kreative Ideen, Start-up-Spirit, ansprechendes Design und Innovation begegnen einem auf Schritt und Tritt in der nördlichsten Hauptstadt der EU.
Eine konkrete Idee auf diesem inspirierenden Weg ist "Sohjoa". Der Testbetrieb mit selbstfahrenden Minibussen für die letzte Meile ist ein gemeinsames Projekt der sechs größten Städte Finnlands, einiger Unis und öffentlicher Einrichtungen und wird mit 370.000 Euro, 65 Prozent des Gesamtbetrages, von der EU mitfinanziert.
Sohjoa hat seine Basis in einem unscheinbaren Backsteingebäude in den Outskirts der Stadt, einer Abteilung der federführenden Metropolia University of Applied Sciences. Im Hof stehen drei fahrerlose Gefährte – elektrische Roboterbusse der französischen Firmen Easyline und Navja, die von der Universität für den Testbetrieb geleast wurden.
Die Busse sind vier Meter lang; wo vorne und hinten ist, erkennt man erst, wenn sich der Bus lautlos in Bewegung setzt. Bis zu 12 Personen können in den weißen Bussen mit nur wenigen Sitzgelegenheiten transportiert werden. Die Geschwindigkeit ist mit 40 km/h begrenzt, unterwegs sind die Fahrzeuge aber meist nur mit rund 8 km/h. "Sie reagieren sensibler als erwartet und neigen dazu abrupt zu bremsen", erklärt Projektmanager Oscar Nissin, "wir müssen für den Einsatz im Straßenverkehr aber auf höchstmögliche Sicherheit und einen störungsfreien Betrieb achten."
Die Busse reagieren sensibel und neigen dazu, abrupt zu bremsen.
Oscar Nissin, Projektleiter
Die Sensorik steht im Zentrum der Weiterentwicklung, insbesondere im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern. Als eine Schwierigkeit haben sich unerwartet in der Busspur parkende Autos erwiesen: Die Fahrzeuge sind nämlich bisher nicht darauf programmiert, Entscheidungen selbst zu treffen oder dazuzulernen, also etwa um das parkende Auto herumzufahren. Der Bus erkennt lediglich ein Objekt und hält an. Hier kommt wieder der Joystick zum Einsatz, bedient von einem versierten Fahrer.
Die Testergebnisse seien inspirierend wie ernüchternd, fasst Nissin zusammen. Das langsame Tempo irritiere. Dennoch fühle es sich lässig an, im fahrerlosen Gefährt zu sitzen, das Sicherheitsgefühl der Fahrgäste sei hoch.
Fazit für "Sohjoa", das in Helsinki, Espoo und Tampere auf kurzen Strecken von 500 Metern auch im realen Straßenverkehr getestet wurde: Aufholbedarf gibt es beim abrupten Bremsverhalten und den immer wieder notwendigen, manuellen Eingriffen und einer noch nicht vorhandenen vollautomatischen Erkennung der Route.
Background: #investEU
Mit #investEU will die EU zeigen, welche Aktivitäten sie in ihren Mitgliedsländern setzt und welche Investitionen mit den Mitteln getätigt werden, die von allen EU-Staaten eingezahlt werden. Im Rahmen einer mehrjährigen Kampagne werden seit 2017 diese vielfältigen Projekte von #investEU präsentiert und Journalisten zu Umsetzungen im Transportwesen, der Landwirtschaft oder in der Migration in unterschiedlichen Ländern der EU informiert.
Die Pressereise, über die wir hier berichten, rückte die Zukunft des Transportwesens in den Mittelpunkt. Im Bus auf dem Weg zum E-Highway in Schweden erläuterte Johan Wullt, Repräsentant der Europäischen Kommission in Stockholm, den 24 geladenen Journalisten aus ebenso vielen Ländern das #investEU-Programm, finanziert vom European Fund for Strategic Investment (EFSI) – kurz Juncker-Plan genannt.
Dieser wurde 2014 ins Leben gerufen und wird bis 2020 mehr als 53,2 Milliarden Euro insbesondere für Research & Development, Energie- und Transportthemen, digitale Entwicklungen und für KMU bereitstellen – damit sollen 500 Milliarden Euro getriggert und die Wirtschaft angekurbelt werden.