auto touring fährt: U-Bahn

Fahrerlebnisse abseits herkömmlicher Autos und Zweiräder. auto touring probiert sie aus: die für die meisten Menschen gar nicht alltäglichen Fahrzeuge.

Zur U-Bahn in Wien hatte ich schon vor der Inbetriebnahme der ersten Linie eine Art Naheverhältnis: In meiner Schulzeit waren Karlsplatz, Stephansplatz und Schwedenplatz riesige, für uns Kinder unendlich tiefe Baustellen, die uns zu langen Umwegen zwangen.

In Erinnerung geblieben ist mir 1973 ein Beitrag der "Zeit im Bild": Der erste der ganz neuen Triebwagen wurde mittels eines Krans in die große Grube am Karlsplatz hinuntergelassen. Ein eindrucksvolles Fahrzeug, das mich auf Anhieb begeisterte: modern gestylt, in spacigem Silber statt fadem Rot-Weiß wie die Bim oder dunklem Rot wie die dahinzuckelnde Stadtbahn – und viel breiter sowieso. Spontan nannte man ihn Silberpfeil.

Damals dachte ich mir: Sowas will ich einmal fahren. Zuerst auf meiner Modelleisenbahn – der Wunsch erfüllte sich mangels eines fahrfähigen Kleinbahn-Modells nicht – und irgendwann einmal in echt. Dieser Wunschtraum wurde erfüllt, 45 Jahre später. Jetzt.

Die Gelegenheit

U-Bahn-(Selber-)Fahren also. Am besten irgendwo, wo nichts passieren kann. Teststrecke gibt es zwar keine – oder doch?

Eine noch nicht freigegebene Strecke bot sich ein paar Wochen vor ihrer Eröffnung an: Die Verlängerung der südlichen Route der U1 von der bisherigen Endstelle Reumannplatz bis Oberlaa – offizieller Eröffnungstermin 2. September 2017. Nach dem Fixieren eines Termins samt Bereitstellung eines Instruktors (Oliver Sponring von der Betrieblichen Ausbildung der Wiener Linien) kann es losgehen. Ich bin schon sehr gespannt.


Die U-Bahn-Garnitur

Der Typ von Silberpfeil, den ich fahren darf, wurde ab 1972 in Wien bei der Simmering Graz Pauker AG (heute ein Teil von Siemens Transportation Services) gebaut. Meine Garnitur ist ein Modell U11, sie wurde ab 1986 gebaut und ist eigentlich ein Doppeltriebwagen, der aus zwei aneinander gekuppelten Wagen mit je einem Führerstand an den Enden besteht. Das Design der Silberpfeile stammt vom Eisenbahndesigner Johann Benda, der als Angestellter des Herstellers unter anderem auch den Transalpin und die kantigen Wiener S-Bahn-Garnituren entwarf.

Das von mir gefahrene Modell ist ein U-Bahn-Zug mit 111 Meter Länge, 2,80 Meter Breite und einem Gewicht von 156 Tonnen, bietet bis zu 840 Menschen Platz (294 davon mit Sitzplätzen). Jeder Doppelwagen und ist mit acht Drehstrom-Motoren mit je 125 kW Leistung ausgestattet. Die Höchstgeschwindigkeit ist mit 80 km/h begrenzt.

Die Strecke

Die Neubaustrecke der U1 misst 4,6 Kilometer, sie macht diese Linie mit nun insgesamt 19,2 Kilometern zur längsten U-Bahn-Linie Wiens. Fünf neue Stationen wurden errichtet: Troststraße, Altes Landgut (sagt Ihnen nichts? Das ist unter dem Verteilerkreis Favoriten), Alaudagasse (bei der Per-Albin-Hansson-Siedlung), Neulaa und schlußendlich Oberlaa. Zwischen Alaudagasse und Neulaa führt die Strecke auf Straßenbahnniveau, Oberlaa wird in Hochlage erreicht.


Das Fahren einer U-Bahn-Garnitur ist gar nicht schwer. Es dauert aber einige Zeit, bis der Ablauf der dazu nötigen Tätigkeiten und Handgriffe wie von selbst geschieht. Fähigkeiten zum Multitasking sind wesentlich, so gilt es stets auch die am Bahnsteig auf den Zug wartenden Menschen sowie die Ein- und Aussteigenden (via Spiegel oder Monitor) im Blickfeld zu haben. Und im Falle eines unvorhergesehenen Vorfalls schnell und richtig zu reagieren.

Das alles, auch meine eben erworbenen Kenntnisse, wird irgendwann einmal obsolet sein. Schon die nächste U-Bahn-Linie, die U5, deren Bau im Jänner 2021 in Angriff genommen wurde, wird keine Fahrer mehr benötigen. So wie in anderen Städten wird sie vollautomatisch fahren und auf den Zentimeter genau am vorgegebenen Punkt stehenbleiben. Dann werden sich die Türen der gläsernen Wand, die den Bahnsteig von den Gleisen trennt, öffnen, und mit ihnen die Türen der Garnitur. Und vorne – an dem Platz, an dem ich meine ersten Fahrversuche erlebte – werden Fahrgäste den Blick erleben können, der bis dato nur U-Bahn-Fahrerinnen und -Fahrern vorbehalten war.