Wenn es darum geht, CO2 in der Mobilität einzusparen, dann ist in der Debatte meistens von privaten Pkw die Rede. Kaum jemand spricht über den Güterverkehr, obwohl sich die Politik schon seit Jahrzehnten dafür stark macht, ihn auf die Schiene zu verlagern. Doch während der Anteil der Straße (EU-weit 77 Prozent) steigt, ist jener der Bahn rückläufig – auch in Österreich.
Wie kommt der Bahn-Güterverkehr auf Schiene?
Eine Möglichkeit CO2 einzusparen ist die Verlagerung des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene. Warum das nicht funktioniert und was man anders machen könnte, erklärt Christian Kern. Er ist CEO eines Unternehmens, das E-Loks verleast.
Die Verkehrswende im Güterbereich ist Wunschdenken. Woran liegt das?
An einem toxischen Mix aus Unterinvestitionen und sehr hohen Energiepreisen, die die Schiene stärker getroffen haben als die Straße, weil Strom noch einmal teurer geworden ist, und einem System, das viel zu kompliziert ist.
Welche Rolle spielen unterschiedliche Bahnsysteme in Europa?
Eine große. Die Bahn steht sich mit ihren Regularien selbst im Weg. In Zentraleuropa, Spanien und in der ehemaligen russischen Hemisphäre gibt es drei verschiedene Spurweiten und fünf verschiedene Stromsysteme für die Loks. Seit zehn Jahren gibt es ein Zugkontrollsystem, das jetzt digitalisiert wird, um mehr Kapazitäten auf die Schiene zu bringen. Davon gibt es mittlerweile drei verschiedene Software-Releases. In Italien sogar 20 Untergruppen eines einzigen. Wer dort mit einer Lok vom Norden in den Süden fahren will, braucht 20 Mal eine Adaption dieser Software und genauso oft den Beweis, dass alles funktioniert. Das ist ein riesiges Problem, weil es enorme Eintrittsbarrieren schafft. Diese Komplexität verlängert auch die Entwicklung neuer Lokomotiven, weil allein für die Zulassung mit einem Zeitraum von fünf Jahren zu rechnen ist und die Zulassungskosten nicht unter 500 Millionen Euro liegen.
Warum kommt es zu einem Rückgang des Schienengüterverkehrs in Europa und Österreich?
Das liegt einerseits am Strukturwandel – bei den Gütern, die transportiert werden. In der Vergangenheit war die Bahn immer dann stark, wenn Kohle transportiert wurde. Dieses Geschäft hat sich allerdings massiv reduziert. Allgemein werden weniger Rohstoffe und Massengüter transportiert, stattdessen sind es eher kleinteilige Güter mit strikten Terminvorgaben. Die Bahn ist auch stark darin, Waren zu oder von Häfen zu bringen. Da hat sie einen Marktanteil von fast 50 Prozent. Dieses Segment leidet aber gerade durch die globale Wirtschaftssituation. Nicht zu vernachlässigen ist auch die Situation in Deutschland, wo lange Zeit nichts investiert wurde. Jetzt soll das Netz renoviert werden – mit jahrelangen Streckensperren zwischen den wichtigsten Verbindungen, über Monate hinweg nach Rotterdam, aber auch nach Österreich. Dazu sollen in den kommenden Jahren in Deutschland auch noch die Preise in Summe bis zu 30 Prozent erhöht werden.
In Europa fehlt es an einer gemeinsamen politischen Vision für den Güterverkehr. Stattdessen gibt es immer noch eine nationale Zersplitterung.
Wie unterscheidet sich die Infrastruktur von Straße und Schiene?
Das schon genannte Zugkontrollsystem kommt nur langsam vom Fleck, Deutschland und Frankreich haben erst vier Prozent ihres Streckennetzes damit adaptiert. Ein wichtiger Punkt ist auch die Kostenbelastung. Für die Schiene werden überall Streckenbenutzungsgebühren fällig, der Straßengüterverkehr kann bis auf Mautstraßen das öffentliche Verkehrsnetz gratis nutzen. Was die Bahn betrifft, ist die Europäische Regulierungsbehörde zu Recht stolz, dass sie schon eine massive Reduktion der nationalen Sicherheitsnormen und damit und eine Vereinheitlichung durchgesetzt hat. Aber noch immer gibt es 1.100 unterschiedliche Normen, die einer Wettbewerbsgleichheit von Straße und Schiene im Weg stehen.
Früher propagierte man die rollende Landstraße. Welche Rolle spielt dieser Ansatz heute noch?
Die rollende Landstraße ist eine österreichische Spezialität, die vor allem im Inntal angeboten wird. Ein Zukunftsmodell ist das aber nicht. Deshalb wird ja auch der Brenner-Basistunnel gebaut, um die Schiene zu stärken, den Nord-Süd-Verkehr der Bahn attraktiver zu machen und das Bahnangebot für den Güterverkehr zu erhöhen. 2030 soll er fertig sein, aber es ist völlig unklar, wann die Zubringer in Deutschland gebaut werden.
Welche Hebel zur Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene gäbe es? Würde nicht alles, was theoretisch funktionieren würde, Waren für Konsumenten teurer machen?
Bevor man die Straße verdammt, muss man auch sehen, dass sie eine Logistikleistung bietet, die unseren Wirtschaftskreislauf am Leben herhält. Die Straße quasi zu bestrafen, den Lkw-Transport teurer zu machen und keine Alternativen zu haben, wird nicht funktionieren. Die Stellschrauben sind sinnvolle CO2-Abgaben für den Verbrauch fossiler Treibstoffe, Lkw-Maut und eine Verbesserung des Angebots auf der Schiene. Dabei gehört Österreich sicher zu den fünf Ländern mit den höchsten Investments.
Die Schweiz und die Niederlande sind Paradebeispiele für gelungenen Bahnverkehr.
Wo könnten wir im Jahr 2034 stehen?
Der Bahngüterverkehr befindet sich gerade in einem Tal der Tränen, weil die Probleme in Deutschland in den nächsten Jahren Marktanteile kosten werden, vor allem zulasten der Deutschen Bahn selbst. Private Bahnunternehmen werden sich durchkämpfen und ihren Status einigermaßen behalten können. Wenn das Großprojekt der Renovierung des deutschen Netzes allerdings geschafft ist, dann eröffnet das riesige Perspektiven. Außerdem gibt es Engpässe am Markt für Lkw-Fahrer. Sobald die Wirtschaft wieder anspringt und wieder mehr Güter transportiert werden, wird das das Hauptproblem der Straße sein. Das macht mich extrem zuversichtlich für die Bahn, weil sie wesentlich weniger Personalkapazitäten braucht.
Allein in Österreich gibt es 56 Eisenbahnverkehrsunternehmen im Güterverkehr, weitere zwölf im Personen- und Güterverkehr. Belebt die Konkurrenz das Geschäft wie in anderen Märkten?
Das ist eindeutig so – und das sind nur die österreichischen Zahlen. Im europäischen Geschäft gibt es Hunderte Unternehmen. Die privaten gewinnen dabei massiv Marktanteile zulasten der staatlichen Anbieter. Sie sind vor allem für unser Unternehmen die Zielgruppe, weil sie in viel höherem Maße leasen als große Staatsunternehmen. Sie sind enorm effizient, können sich aber auch auf einfachere Geschäftsmodelle fokussieren. Im Güterverkehr hat der Wettbewerb den Markt definitiv belebt. Im Vorjahr hatten Private in Europa erstmals mehr Marktanteile als die staatlichen Unternehmen.
Wie funktioniert das Geschäftsmodell Lok-Leasing?
Der Markt verändert sich gerade sehr, ähnlich wie der Flugzeugmarkt mit seinen Leasingraten von teilweise über 80 Prozent. Ryanair least praktisch alle Maschinen und setzt nur einen Flugzeugtyp ein, weil dadurch die Kosten gesenkt werden. Auch wir bei ELL verleasen nur einen Typ: Siemens Vectron-Loks. Davon haben wir mehr als die Deutsche Bahn oder die ÖBB. Wir übernehmen das Investitionsrisiko, weil in den 35 bis 40 Jahren, die so eine Lok lebt, in den Unternehmen und auch auf der technologischen Seite viel passieren kann. So eine Lokomotive kostet rund fünf Millionen Euro, das ist viel Geld. Wenn sie auch nur ein paar Stunden herumsteht, wird das teuer.
Christian Kerns wichtigste Thesen auf einen Blick:
1. Hohe Energiepreise und Unterinvestitionen: Die steigenden Energiekosten und historisch geringe Investitionen in das Schienennetz belasten den Güterverkehr auf der Schiene im Vergleich zum Straßengüterverkehr überproportional.
2. Europäische Systemvielfalt: Der Schienengüterverkehr wird durch unterschiedliche Spurweiten, Stromsysteme und Signalgebungssysteme in Europa behindert, was zu hohen Eintrittsbarrieren sowie langen Entwicklungszeiten und hohen Kosten für die Zulassung neuer Lokomotiven führt.
3. Wandel im Güterverkehr: Der Schienengüterverkehr hat aufgrund des strukturellen Wandels hin zu kleinteiligeren Gütern mit strikten Terminvorgaben sowie weg von Massengütern wie Kohle abgenommen.
4. Infrastrukturelle Herausforderungen: Das europäische Schienennetz, insbesondere in Deutschland, wird derzeit renoviert, was zu langfristigen Streckensperrungen und noch höheren Kosten führen wird; dabei gibt es Wettbewerbsungleichheiten, da Straßengütertransporte auf öffentlichen Wegen meist keine Benutzungsgebühren zahlen müssen.
5. Zukunftsperspektiven: Trotz aktueller Herausforderungen sieht Christian Kern langfristig positive Aussichten für den Schienengüterverkehr, u.a. durch Engpässe im Lkw-Fahrermarkt und aufgrund der geringeren Personalkosten der Bahn. Eine steigende Anzahl privater Eisenbahnunternehmen könnte außerdem den Wettbewerb beleben und Marktanteile gewinnen.
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