Guzzi, mein Buzzi
Die Moto Guzzi V85 TT ist weder die Schnellste noch die Stärkste, auch nicht die Leichteste. Dennoch: Starke Sympathiebekundung für eine Außenseiterin.
Klassifizieren, schubladisieren Sie mich, meinetwegen nennen Sie mich einen Warmduscher oder Schönwetterfahrer – mir egal, Seelenwohl sticht Hollywood, Symbiose die Mimose, kurz: Mir ist die V85 im Laufe dieses Tests sehr viel mehr ans Herz gewachsen als so manch scharfkantig gezeichnete, kraftstrotzende Hightech-Groß-Enduro in der Vergangenheit.
Sie mögen sich vielleicht fragen, welchen Reiz ein Eisen entwickeln kann, dessen 90-Grad-V2 aus 853 Kubikzentimeter Hubraum gerade einmal 80 PS und vergleichsweise schmächtige 80 Nm Drehmoment generiert. Dessen Lebendgewicht bei feisten 229 Kilogramm liegt. Dessen technisches Grundlayout eher profaner Natur ist. Der Reiz, den wir meinen, der liegt bei der V85 im Dahinter bzw. im Dazwischen – wie jener eines guten Buches.
Angewandt auf die Guzzi bedeutet das also: fahren. Denn erst unterwegs offenbart sie ihren vehementesten Reiz: ihre Ausgewogenheit.
Das Guzzi-Verständnis…
… entwickelt sich selbstständig, es passiert unweigerlich – einfach draufsetzen und wohlfühlen. Das ist es. Weil beispielsweise die Hände automatisch dorthin fallen, wo sie hingehören. Weil sämtliche Tasten gut erreichbar platziert sind (wenngleich das Feedback mangels spürbarem Widerstand zu wünschen übrig lässt). Weil der Windschutz ganz passabel ist, die Sitzposition angenehm entspannt ausfällt (für kleinere oder größere Fahrer gibt es übrigens zwei Zentimeter niedrigere bzw. höhere Sitzbänke).
Und, letztes Weil: Weil dir die Guzzi von den ersten Metern an ein hohes Maß an Kommod- und Vertrautheit suggeriert. Kein ultra-straff eingestelltes Fahrwerk, das dich über jeden Kanaldeckel hoppeln lässt. Keinerlei übertriebene Bissigkeiten seitens Motor oder Bremse, wohl aber tadellose Dosierbarkeit trotz druckvoller Tätigkeit.
Auch in Sachen Handling, punkto Agilität und Stabilität – alles okay. Für jeden der genannten Teilbereiche könnten wir übrigens bei anderen Marken Modelle benennen, die besser performen, das Bravouröse an der V85 aber ist ihre (bereits erwähnte) Ausgewogenheit. Alles scheint wie aus einem Guss zu sein, nichts überfordert, nichts treibt – panta rhei, alles fließt.
Es könnte also der Beginn einer wunderbaren Freundschaft werden. Gemeinsam, in pomaler Eintracht, über Straßen und Pässe und Schotterwege, in die Stadt, aufs Land und sonstwohin. Die V85 könnte die eine für alles sein. Genau genommen trägt sie diesen Anspruch ja sogar in ihrer Modellbezeichnung. Das TT steht für Tutto Terreno, übersetzt bedeutet das sinngemäß: für jedes Gelände.
Haare in der Suppe?
Ja, die gibt es auch. Da (bei den Blinkern) und dort (bei den Handprotektoren etwa) wirkt die Verarbeitung nicht besonders robust.
Das 4,3-Zoll-Display ist leider recht klein geraten, nur mäßig gut ablesbar, im Cockpit der V85 wirkt es beinahe ein wenig verloren. Schade, denn das Moto Guzzi-MIA genannte System spielt softwaremäßig eigentlich alle Stückeln, beherrscht Smartphone-Konnektivität ebenso wie Navigation, zeigt alle wichtigen Fahrinfos an. Warum Moto Guzzi dennoch diese Lösung bevorzugt hat, wird mit einem Blick in das Konzernregal rasch klar: Es ist das gleiche Display, das auch in diversen Vespa-Modellen zum Einsatz kommt, der finanzielle Aufwand dürfte somit sehr überschaubar gewesen sein.
In die Rubrik "Am falschen Platz gespart" gehört unserer Meinung nach auch die fehlende Möglichkeit, die Windschutzscheibe manuell verstellen zu können. Zwar ist die mechanische Lösung erfreulich simpel und gut zugänglich, aber dafür jedes Mal das Werkzeug auspacken zu müssen, das nervt.