Lieber mit dem Fahrrad
Ein Versuch: Wie schwer fällt es, auf Autofahrten zu verzichten? Wir haben zwei Familien einen Sommer lang bei ihrem Umstieg aufs Fahrrad begleitet.
Unser Radfamilien-Projekt dauerte noch keine zwei Wochen, da erreichte die Redaktion schon das Bild eines ausgerissenen Fahrradlichts; unscharf im Hintergrund zu sehen: ein aufgeschürftes, blutiges Kinderknie.
Papa Wolfgang schrieb begleitend: "…ein Klassiker, Kurve und Schotter. Nora kratzt am Limit und ist gestürzt. Knie aufgeschürft und geschwollen. Beim Rad, Licht ab. Nora wollte dann nicht mehr Rad fahren. Das Familienauto musste als Krankentransporter herhalten…"
Autsch und oje. Sollte das Projekt schon wieder vorbei sein, noch ehe es so richtig begonnen hatte?
Wenig später schickte uns Papa Wolfgang ein Update: "Alles wieder gut. Knie versorgt, Nora ist schon wieder mit dem Rad unterwegs."
Wie alles begann
Zwei Familien hatten wir zu Beginn des Jahres gesucht, die für uns einen Sommer lang ganz bewusst und so oft wie möglich auf das Auto verzichten, stattdessen lieber mit dem Fahrrad die alltäglichen Wege zu Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz und zum Einkaufen zurücklegen und im Anschluss darüber berichten wollten.
Als Ansporn stellten wir mit Unterstützung des Kinderfahrrad-Spezialisten woom und der Traditionsmarke Victoria nigelnagelneue Fahrräder zur Verfügung.
Eine überwältigende Fülle an tollen und teilweise auch sehr liebevoll und detailreich gestalteten Schreiben und Videos erreichten damals die Redaktion, die Auswahl von nur zwei Familien fiel uns wirklich schwer.
Schlussendlich entschieden wir uns für die Familien Friedrich und Hold – dies sind ihre Geschichten.
Radeln am Land – Familie Friedrich aus der Obersteiermark
Von der Übergabe bis zum Abschluss wurden in vier Monaten knapp 2.000 Kilometer weit geradelt. Die Ersparnis in dieser Zeit: rund 500 Euro.
— Wie ist es euch in den vergangenen Wochen ergangen?
Familie Friedrich:Voll gut. Zu Beginn war es noch ein wenig ungewohnt, aber dann wurde der bewusste Griff zum Fahrrad, dieses "Ich lass' das Auto jetzt stehen und fahre mit dem Rad" schnell zur Routine.
Aufgrund dieser Aktion sind wir mit vielen anderen Leuten, anderen Familien, über dieses Thema ins Gespräch gekommen. In der Umgebung kennen uns jetzt alle als "die Fahrrad-Familie". Dieser Erfahrungsaustausch hat uns sehr gefreut.
Außerdem haben wir viele neue Wege entdeckt, sogar bei uns in der näheren Umgebung, Wege, die wir bisher nicht kannten, weil wir meist mit dem Auto daran vorbeifuhren.
— Wie viele Kilometer seid ihr denn in den vergangenen Monaten geradelt?
Familie Friedrich:Wir beiden Erwachsenen sind gemeinsam auf knapp 2.000 Kilometer gekommen.
— Was waren die häufigsten Fahrten, die ihr nun mit den Rädern statt mit dem Auto zurückgelegt habt?
Familie Friedrich:Am öftesten sind wir nach Thörl geradelt, das sind hin und zurück locker 10 Kilometer. Wir sind diese Strecke früher schon immer wieder auch mit unseren normalen Rädern gefahren, diese Fahrten hatten dann aber doch meist den Charakter einer Sporteinheit, weil es am Rückweg leicht bergauf geht und wir die Kinder ganz oft im Anhänger mitnahmen. Dank der E-Bikes war das zusätzliche Gewicht natürlich kein Problem. Wir sind aber auch immer wieder nach Kapfenberg oder Bruck an der Mur gefahren, zum Bahnhof beispielsweise, das sind 40 bis 50 Kilometer hin und zurück.
— In welchen Momenten ist es euch schwer gefallen, auf das Auto zu verzichten?
Familie Friedrich:Auf jeden Fall bei niedrigen Temperaturen und schlechtem Wetter. Oder wenn es schnell gehen musste, wir uns vielleicht nicht richtig fit gefühlt haben.
— Ein Aha-Erlebnis aus dieser Zeit?
Familie Friedrich:Wir haben das Radfahren bisher eher als Sport gesehen. Dank der E-Bikes konnten wir nun auch längere Strecken ohne große Anstrengung zurücklegen, ohne verschwitzt zu sein. Aber es gehört ein wenig Planung dazu, weil man, speziell bei längeren Strecken, dann eben auch länger unterwegs ist als mit dem Auto. Aber machbar ist alles.
— Welche Tipps würdet ihr anderen Familien geben, die es euch gleichtun wollen?
Familie Friedrich:Ganz wichtig ist die richtige Ausstattung, wenn man mit Kindern unterwegs ist. Zum Beispiel ein ordentlicher Anhänger. Und natürlich der Elektroantrieb. Ohne diese zusätzliche Unterstützung, die das lockere Fahren über weitere Distanzen ermöglicht, wären wir nicht so viel geradelt.
Vieles klappt gut. Aber ganz ohne Auto, nur mit Öffis und Fahrrad, kämen wir am Land nicht zurecht.
Michael Friedrich
Radeln in der Stadt – Familie Hold aus Wien
Von der Übergabe bis zum Abschluss wurden in vier Monaten knapp 1.800 Kilometer weit geradelt. Die Ersparnis in dieser Zeit: rund 400 Euro.
— Wie ist es euch in den vergangenen Wochen ergangen?
Familie Hold:Super. Die Kinder haben toll auf die neue Situation reagiert, waren mit Feuereifer dabei, wenn es beispielsweise darum ging, gemeinsam einkaufen zu fahren. Wir mussten nur sagen, dass wir mit den neuen Rädern fahren, schon war die Begeisterung da. Egal bei welchem Wetter, das hat uns sehr überrascht.
— Wie viele Kilometer seid ihr denn in den vergangenen Monaten geradelt?
Familie Hold:Wir sind gesamt auf rund 1.800 Kilometer gekommen, haben wirklich fast alle Wege, die wir innerstädtisch sonst mit dem Auto erledigen, mit dem Fahrrad "erradelt".
— Was waren die häufigsten Fahrten, die ihr nun mit den Rädern statt mit dem Auto zurückgelegt habt?
Familie Hold:Zur Oma, zu Freunden, zur Schule, zum Badeteich, einkaufen – im Wesentlichen waren das Distanzen zwischen 3 und 10 Kilometern. Zur Arbeit in die Innenstadt sind es sogar rund 30 Kilometer hin und retour. Und praktisch immer waren wir mit dem Fahrrad schneller oder etwa gleich schnell wie mit dem Auto.
— In welchen Momenten ist es euch schwer gefallen, auf das Auto zu verzichten?
Familie Hold:Die Kinder sagen: nie. Die waren so begeistert von ihren neuen Rädern, dass sie immer damit fahren wollten, egal wie das Wetter war. Aber bei weiteren Strecken, wenn das Ziel außerhalb Wiens lag, da mussten wir das Auto nehmen. Vor allem dann, wenn wir alle gemeinsam unterwegs waren. Speziell das Unterwegssein mit einem wenige Monate alten Kind schränkt das Radfahren in mehrerlei Hinsicht ein.
— Ein Aha-Erlebnis aus dieser Zeit?
Familie Hold:Wir wären noch öfter mit dem Rad gefahren, wenn wir mehr Gepäck hätten mitnehmen können oder es einfach mehr Radwege gegeben hätte. Denn oft fühlten wir uns auch nicht sicher genug, wenn wir beispielsweise mangels Radweg mit der ganzen Familie auf der Fahrbahn unterwegs sein mussten. Aber in Wien mit dem Rad unterwegs zu sein, an der Alten Donau oder am Donaukanal entlang, durch die Prater Hauptallee, das ist schon allein wegen der Kulisse wunderschön.
— Welche Tipps würdet ihr anderen Familien geben, die es euch gleichtun wollen?
Familie Hold:Ein Fahrrad mit Elektromotor erleichtert den Alltag schon spürbar, vor allem wenn man mit Gepäck unterwegs ist. Da speziell die E-Bikes relativ schwer sind, hilft es sicherlich, wenn die Räder nicht erst aus dem Keller geholt werden müssen. Im Hinblick auf die Familie: Die gemeinsamen Ausfahrten fördern das Miteinander ungemein. Und: Spaß haben.
Das gemeinsame Radeln mit der Familie schweißt zusammen, ist viel aktiver als eine Fahrt mit dem Auto.
Wolfgang Hold
Fazit
Es ist der Wille, der beide Familien, vor allem aber beide Elternpaare eint. Der Wille, umweltbewusster und gesünder zu leben und in diesem Bestreben ihren Kindern ein gutes Vorbild zu sein. Vor allem in Hinblick auf die eigene Mobilität.
Ja, das erfordert manchmal ein wenig Umdenken und das Verlassen eingelebter Verhaltensweisen, manchmal auch einen höheren Zeitaufwand, das wurde in den abschließenden Gesprächen deutlich. Dem gegenüber stand ein Plus an Freude und Fitness. Das viele Radeln macht den Kopf frei und entspannt, Muskeln und das Herz-Kreislauf-System profitieren ebenso.
Die Kilometerleistung unserer beiden Radfamilien zeigt, wie groß das Einsparungspotenzial im Nahbereich des Wohnorts sein kann. Ihre Erfahrungen haben aber auch gezeigt, dass es ganz ohne Auto meist nicht geht (und das fordert ja auch niemand). Qualitativ gute Fahrräder (im Idealfall mit Elektroantrieb) sind ein echter Gamechanger und fördern die Bereitschaft, dem Rad den Vorzug zu geben, weil die Freude am Fahren und an der Bewegung so manches Manko locker kompensiert.