Vom Sturm ist nicht viel zu bemerken, als wir abends den Revolution-V2 der Night Rod erstmals zünden. Angenehm sanft bollert er vor sich hin, eher nach einem lauen Lüfterl klingend denn nach einem kräftigen Wind, keine Spur des derben Getuckeres manch anderer Modelle.
Stormy, stormy Night
Langsam legte sich die Schwärze über den Horizont und verpasste der Wolkenwalze über der Stadt einen bedrohlich anmutenden Anstrich. Die Prognosen sagten uns eine stürmische Nacht vorher. Recht sollten sie haben. Ausfahrt mit der Harley-Davidson Night Rod.
Doch wer Wind sät, wird Sturm ernten, das steht schon im alten Testament geschrieben – und das trifft es bald darauf dann doch auf den Punkt. Denn bereits ein kurzer, beherzter Dreh am Gasgriff offenbart eine Harley, die in Sachen Vorwärtsdrang aber wirklich rein gar nichts mit dem Klischee der Marke oder den anderen Modellen verbindet.
Also doch noch Sturm?
Und die Antwort lautet: Ja, Sturm. Und Drang. Denn hui, prescht die Night Rod vor, da werden die Arme lang und das Grinsen breit. Und sie werden noch länger bzw. noch breiter, weil der Schub erst viel später als (von anderen Harleys) gewohnt nachlässt. Da freut man sich in der ersten Überraschtheit richtig über die massive Sitzmulde, die einen fest im Sattel sitzen bleiben lässt.
Ein Loblied also auf diesen druckvollen Motor. Der 1.247-Kubik-Zweizylinder ist gar erstaunlich drehfreudig, ein echtes Energiebündel. Laufruhig noch dazu. Und relativ vibrationsarm. Mächtig kräftig, sagten wir das schon? Was ihn von den klassischen Harley-Aggregaten unterscheidet, ist einerseits der größere Zylinderwinkel (60 statt 45 Grad), andererseits die Wasserkühlung (statt Luft- bzw. Teilwasser-Kühlung). Für die Manierlichkeit des Motors wurden seinerzeit übrigens Porsche-Techniker konsultiert und engagiert. Danke, ihr habt eure Sache gut gemacht. Weil viel von dem maximalen Drehmoment (111 Newtonmetern) bereits sehr früh, also bei niedrigen Drehzahlen zur Verfügung steht, hat mitunter sogar der gewaltig breite 240er-Hinterreifen Probleme, den Kontakt zur Fahrbahn aufrecht zu erhalten. Wobei das eher die Ausnahme denn die Regel ist. Auf feuchtem Untergrund ist jedenfalls Vorsicht geboten, über eine Traktionskontrolle verfügt die Night Rod nämlich nicht, nur über ABS.
Stellt sich die Frage: Ist das noch eine Harley?
Ja, ist sie. Trotzdem oder gerade deswegen. Radstand (1,7 Meter), Fahrzeuggewicht (über 300 Kilogramm) und Sitzposition (tief, aufrecht) sind ganz klare, unverkennbare Ansagen an die Familienzugehörigkeit. Das Bein ist demnach rasch über den niedrigen Sitz gehoben (Höhe 675 Millimeter), muss dann aber mit Schwung auf den weit vorne liegenden Rasten abgestellt werden. Auch die Hände purzeln nicht automatisch auf die Lenker-Enden, da bedarf es schon einer gezielten Vorwärtsbewegung.
Um dem Bild einen Namen zu geben: Leintuch auf Wäscheleine. Spätestens jetzt bedarf es vermutlich keiner allzu großen Vorstellungskraft mehr, was das Fahrgefühl betrifft. Man hockt im Wind oder sträubt sich dagegen, und weder Gabel noch Scheinwerfer scheinen eine spürbare Schneise zu schlagen und den Winddruck reduzieren zu können.
Der Geradeauslauf? Stoisch. Das Bremsverhalten? Sehr souverän. Weil aber die Night Rod insgesamt agiler und sportlicher wirkt als die anderen Harleys, hätten wir uns von der Bremsanlage noch mehr Biss, ein kräftigeres Zupacken gewünscht. Gleiches gilt für die Schräglagenfreiheit, die (zumindest für unseren Geschmack) mehr Spielraum bieten sollte. Ebenso das Fahrwerk.
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