Artikel drucken
DruckenStrafverfügung des Jahres
ÖAMTC-Rechtsberatung: Aus der Praxis - Die Behörde verlangt Genauigkeit, dies muss auch umgekehrt gelten.
Ihr Recht von Dr. Martin Stichlberger, ÖAMTC-Jurist
Komödie der Irrungen
Herr F. befährt mit dem Fahrzeug seines Schwagers T. die Autobahnabfahrt Wien-Auhof mit 90 km/h statt der erlaubten 70 km/h (Fehler 1) und lässt sich dabei prompt erwischen (Fehler 2). Die Behörde verwechselt (Fehler 3) beim Übertrag aus dem Messprotokoll die Spalten "Geschwindigkeit" und "Entfernung der Messung". Es ergeht (Fehler 4) die denkwürdige Anonymverfügung über EUR 56,- an den Zulassungsbesitzer, Herrn T.: "Der Fahrer hat die Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten, indem die Fahrgeschwindigkeit 325 km/h betrug."
Anonymverfügung zahlen?
Der schuldige Schwager würde ja sofort zahlen, aber welche Folgen hätten 325 km/h für den Führerschein? Herr T. erläutert der Behörde die Sachlage telefonisch (Fehler 5). Vergebens, da gegen eine Anonymverfügung kein Rechtsmittel möglich ist. Also erhält er Wochen später eine Strafverfügung. Unglaublich: Der Tatvorwurf lautet immer noch (Fehler 6) "Fahrgeschwindigkeit 325 km/h". Auf Anraten der ÖAMTC-Rechtsabteilung erhebt Herr T. Einspruch des lapidaren Inhalts, er habe diese Übertretung nicht begangen.
Lenkererhebung vergessen
Nach fast sechs Monaten erkennt die Behörde endlich ihren Irrtum und wirft Herrn T. den richtigen Sachverhalt vor, gerade noch rechtzeitig innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist*. Sie übersieht dabei jedoch (Fehler 7), dass Herr T. als Zulassungsbesitzer nie um Lenkerauskunft gefragt wurde. ÖAMTC-Jurist Dr. Martin Stichlberger rät, die Rechtfertigung erst am letzten Tag der Frist abzuschicken.
Die Post braucht auch einige Tage - endlich sind nun sechs Monate seit der Tat vergangen. Dem tatsächlichen Lenker kann der Tatvorwurf somit nicht mehr fristgerecht zugestellt werden: Eine Bestrafung ist nicht mehr zulässig. Auch das Verfahren gegen Herrn T. muss eingestellt werden - er war ja nicht der Lenker. Strafe also zur Gänze erspart, moralisch durchaus vertretbar: Die Behörde verlangt Genauigkeit, dies muss auch umgekehrt gelten.
* Geänderte Rechtslage nach der Verwaltungsreform 2013:
Die Verfolgungsverjährungsfrist beträgt nun ein Jahr (statt sechs Monate).
Tipp!
Wenn Sie unsicher sind, ob Sie Strafen gleich zahlen oder sich aufs Verfahren einlassen sollen oder ob und wann Verjährung eintritt, fragen Sie Ihre Club-Experten.
Kostenlose Rechtsberatung an den ÖAMTC-Stützpunkten.
Die Club-Juristen stehen mit Rat und Tat zur Seite. Termine unter Tel. 01 711 99-21530. Mehr Infos unter ÖAMTC-Rechtsberatung.