ÖAMTC: Versenkbare Türgriffe können die Sicherheit gefährden
Elegantes Design kann den Rettungseinsatz im Ernstfall stark behindern
Die Form folgt der Funktion? Diese Regel steht in der Automobilbranche nicht immer an erster Stelle. Nicht selten spielt es für die Fahrzeughersteller eine größere Rolle, innovativ aufzufallen und sich mit kreativen Ideen von der Masse abzuheben. Das könnte man zumindest von den versenkbaren Türgriffen behaupten, die man mittlerweile an sehr vielen E-Modellen findet.
„Grundsätzlich sollte ein Fahrzeug im Notfall schnell und intuitiv zu öffnen sein, damit Ersthelfer:innen rasch zu möglichen Verletzten gelangen und diese auch schnellstmöglich versorgen können“, erklärt ÖAMTC-Techniker Steffan Kerbl. "Darum sind dahingehende Prüfungen auch Teil der Euro NCAP-Crashtests." Feuerwehren und Rettungsorganisationen folgen in der Regel den in ISO 17840 definierten Verfahren. Bei versenkbaren oder in die Tür integrierten Türgriffen, die bündig in der Karosserie „verschwinden“, ergeben sich jedoch in der Hinsicht einige natürliche Schwierigkeiten, worauf unlängst auch vom ÖAMTC-Partnerclub ADAC hingewiesen wurde.
Problematiken beim Öffnen versenkbarer Türgriffe
Zum einen hat ein Großteil der Bevölkerung noch keine Erfahrung mit solchen Türgriffen und weiß daher nicht automatisch, wie diese funktionieren. „Wenn Passant:innen aus der Situation heraus zu Ersthelfer:innen werden, kann es daher gut sein, dass sie unnötige Zeit mit dem Öffnen des Autos verbringen müssen, bevor sie sich um die Stabilisierung und Sicherung der betroffenen Person kümmern können - einfach weil sie nicht instinktiv wissen, wie die Tür geöffnet werden kann“, beschreibt Steffan Kerbl. Erfahrungsgemäß benötigen übrigens nicht nur Laien bei derartigen Griffen mehr Zeit, um die Insass:innen zu erreichen: Auch professionelle Rettungskräfte brauchen meist länger.
Des Weiteren sind versenkbare Türgriffe in der Regel auf Elektrizität angewiesen. Sollte es also durch einen Unfall zu einer Unterbrechung der Stromversorgung kommen, ist nicht immer sichergestellt, dass das Fahrzeug auf herkömmliche Weise geöffnet werden kann. Normalerweise sollten sich versenkbare Türgriffe im Zuge eines Unfalls automatisch entriegeln, es gibt jedoch laut Medienberichten schon einige Fälle, in denen dies nicht geschehen ist.
Zwar müssen auch versenkbare Türgriffe bei unterbrochener Stromversorgung durch ein mechanisches Verfahren von innerhalb des Autos geöffnet werden können. Das bedeutet, dass Ersthelfer:innen ohnehin nur hoffen können, dass die Insass:innen selbst in der Lage sind, diesen Mechanismus auszulösen, da sie von außen nur durch Einschlagen der Scheibe, oder mit Spezialwerkzeug etwas ausrichten können. „Fahrer:innen von Fahrzeugen mit solchen Türgriffen sollten sich daher unbedingt das Handbuch des Fahrzeugs in Hinblick auf die Notentriegelung durchlesen und im besten Fall Mitfahrende informieren, was im Notfall zu tun ist“, rät Kerbl.
ÖAMTC rät zu mechanischen Türgriffen
Der ÖAMTC appelliert daher an die Fahrzeughersteller, auf etwaige Designexperimente bei den Türgriffen zu verzichten und robuste, auch stromlos von außen bedienbare Türgriffe vorzuziehen. Diese können zwar – je nach Situation – auch verklemmen, bieten aber im Ernstfall die besten Voraussetzungen, um die Türen nach einem Unfall auch bei Verformungen der Karosserie von außen öffnen zu können. „Ausgeformte Türgriffe bieten einen besseren Griff und ermöglichen allein dadurch schon eine höhere Zugkraft“, führt Experte Steffan Kerbl aus. Zusätzlich lohnt es sich, für Besitzer:innen betroffener Fahrzeuge einen Fenster-Notfallhammer anzuschaffen, der jederzeit griffbereit, und dennoch sicher im Auto verstaut ist.