Adaptive Rückhaltesysteme können Grad der Verletzung mindern
Unterschiedliche körperliche Eigenschaften als Herausforderung der passiven Fahrzeugsicherheit.
Unterschiedliche körperliche Eigenschaften als Herausforderung der passiven Fahrzeugsicherheit.
Was versteht man unter Adaptiv?
Adaptive Rückhaltesysteme verfügen über mehr Funktionen wie z.B. mehrfache Gurtstraffung. Der Unterschied zu konventionellen liegt darin, dass adaptive Rückhaltesysteme Informationen über Sensoren generieren und so bestimmen können, wie schwer der Unfall wird und wer wo sitzt. Daraufhin können sie die Zündzeitpunkte und Härte der Airbags und Gurte und deren Funktionen optimal anpassen.
Unter Adaptivität versteht man folglich auch die Erkennung, dass es sich beispielsweise um einen Unfall mit geringer Geschwindigkeit handelt und so der Insasse nicht so stark zurückgehalten werden muss, wie wenn es eine schwere Frontalkollision mit einer hohen Differenzgeschwindigkeit ist.
Moderne Pkw sehr sicher
Grundsätzlich sind moderne Pkw sehr sicher. Dafür sorgen u. a. Crashtests, die im Rahmen der Typengenehmigung, aber auch von Konsumentenschutzorganisationen wie dem Mobilitätsclub durchgeführt werden.
ÖAMTC-Verkehrstechniker David Nosé
"In der Regel werden dabei Dummies eingesetzt, die die körperlichen Eigenschaften einer möglichst breiten Bevölkerungsgruppe repräsentieren. Es gibt aber natürlich auch größere Personengruppen, die von diesen Standards abweichen".
Ein Beispiel dafür ist der wachsende Anteil älterer Menschen: Sie bringen großteils andere körperliche Voraussetzungen mit als beispielsweise der in vielen Crashtests eingesetzte "50 Perzentil Mann" (50 Prozent der Männer sind größer/kleiner bzw. leichter/schwerer als dieser Dummy). Mit einem aktuellen Test zeigt der Mobilitätsclub, wie wichtig es ist, körperliche Unterschiede bei der Bewertung der Fahrzeugsicherheit stärker zu berücksichtigen.
Zu diesem Zweck wurde die Wirkung von konventionellen und adaptiven Rückhaltesystemen anhand von zwölf Versuchen mit fünf unterschiedlichen Dummies untersucht, die die gesamte Bandbreite der Bevölkerung abdecken - von klein bis groß, leicht bis schwer, weiblich bis männlich und alt bis jung.
Adaptive Rückhaltesysteme mit Sicherheitsplus – allerdings nicht in jeder Konstellation
Ein Ergebnis des Tests: Der Einsatz adaptiver Sicherheitssysteme hat die Belastung des Crashs auf die Dummies, die den durchschnittlichen Mann, die kleine Frau und die ältere Dame repräsentieren, reduziert.
"Über Sensoren erkennen adaptiv gesteuerte Rückhaltesysteme die Unfallschwere sowie die körperlichen Eigenschaften des Pkw-Insassen und können Airbag und Gurt damit individuell anpassen. Die Versuche deuten darauf hin, dass derartige Rückhaltesysteme bei Männern und Frauen sowie älteren Personen positiven Einfluss auf den Verletzungsgrad haben könnten", so der ÖAMTC-Experte.
Eine Reduzierung der Belastungen, insbesondere auf die Brust und das Abdomen, könnten ferner durch "weichere" Rückhaltesysteme erzielt werden.
Anders sieht es bei großen (101 kg, 193 cm) und schweren (125 kg, 175 cm) Insassen aus: Die Dummies waren im Test nur durch konventionelle Gurte und Airbags ausreichend geschützt. Die verwendeten adaptiven Sicherheitssysteme könnten im Ernstfall beide aufgrund des höheren Gewichts mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ausreichend zurückhalten. Zudem haben sehr schwere Insassen ein erhöhtes Risiko, dass der Effekt des Submarining auftritt: Aufgrund des höheren Bauchumfangs kann der Beckengurt den Insassen nicht mehr optimal an den Beckenschaufeln zurückhalten und rutscht in den Bauchraum, wo der Sicherheitsgurt schwere innere Verletzungen verursachen kann.
Aber auch wenn der 3-Punkt-Sicherheitsgurt mit Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei dieser Personengruppe birgt, ist die starke Rückhaltung notwendig – denn ein Aufprall von Körperteilen am Lenkrad oder anderen Fahrzeugkomponenten könnten deutlich schwerere Verletzungen verursachen – damit ein Zusammenstoß mit Fahrzeugkomponenten verhindert wird.
Gurtverwendung sowie richtige Sitzposition nach wie vor Um und Auf zur Eigensicherung
Unabhängig von allen Testergebnissen gilt: Um den vollen Schutz der Rückhaltesysteme gewährleisten zu können, gilt es, für jeden Insassen die optimale Sitzposition zu finden. Das bedeutet, dass die Sitzlehne möglichst aufrecht sein und die Kopfstütze ein Niveau mit dem Scheitel bilden sollte. Zudem sollte das Lenkrad bequem erreichbar und die Arme dabei nicht durchgestreckt sein. Der Sicherheitsgurt muss unbedingt verwendet werden. Denn nur die Verwendung des Gurtes sowie eine korrekt eingestellte Sitzposition bieten einen optimalen Schutz im Falle eines Unfalles.
Einführung der Gurtpflicht brachte signifikante Verbesserungen
Seit 15. Juli 1976 gilt in Österreich die Gurtpflicht. Ab 1. Juli 1984 wurden Verstöße mit einer Organstrafverfügung sanktioniert. Die Auswirkung auf die Getötetenzahlen war signifikant. Vorher kamen Jahr für Jahr rund 1.900 Menschen im Straßenverkehr ums Leben – 1985 sank diese Zahl deutlich auf rund 1.500. Seither ist ein kontinuierlicher Rückgang zu beobachten, während die Anzahl der Pkw-Zulassungen zeitgleich ansteigt.
"Dennoch gehen auch 45 Jahre nach Einführung der Gurtpflicht viele Autofahrer ein hohes Risiko ein und verzichten auf das Anschnallen", hält Nosé fest. In den vergangenen fünf Jahren verzichtete mehr als jeder vierte (28,8 Prozent) getötete Pkw-Insasse auf den Gurt (Quelle: Statistik Austria; Bearbeitung: ÖAMTC Unfallforschung). Männer zwischen 25 und 44 Jahren haben dabei das geringste Gefahrenbewusstsein. In dieser Gruppe war in den vergangenen fünf Jahren der Anteil der Todesopfer, die nicht angeschnallt waren, mit rund 40 Prozent besonders hoch.
Dabei belegt die Statistik eindeutig, dass Gurte Leben retten können: Neun Prozent aller im Auto gesicherten Personen trugen bei einem Crash in den letzten fünf Jahren schwere bis tödliche Verletzungen davon. Bei den ungesicherten Pkw-Insassen ist diese Quote mit 31 Prozent mehr als dreimal so hoch.
Im Pkw tödlich verunglückte Personen insgesamt sowie ohne Gurt (seit 2012)
Jahr | gesamt | ohne Gurt | Anteil |
2012 | 279 | 83 | 29,7% |
2013 | 193 | 64 | 33,2% |
2014 | 189 | 61 | 32,3% |
2015 | 238 | 76 | 31,9% |
2016 | 189 | 54 | 28,6% |
2017 | 182 | 64 | 35,2% |
2018 | 181 | 45 | 24,9% |
2019 | 200 | 56 | 28,0% |
2020 | 146 | 40 | 27,4% |
2012-2020 | 1.797 | 543 | 30,2% |
Quelle: Statistik Austria; Bearbeitung: ÖAMTC Unfallforschung