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DruckenVerpflichtende Fahrerassistenzsysteme bei neuzugelassenen Pkw seit 7. Juli 2024
ÖAMTC-Test zeigt Potenzial und Schwächen.
Falsche Eingriffe und nervige Dauerwarnungen bei Fahrversuchen, Vorteile überwiegen, Mobilitätsclub fordert Verbesserungen
Derzeit sind bei Pkw vier Assistenzsysteme (ABS, ESP, Bremsassistent, Gurtwarner) standardmäßig dabei. Nun kommen neun weitere dazu: Notbremsassistent, Notfall-Spurhalteassistent, intelligenter Geschwindigkeitsassistent, Notbremslicht, Rückfahrassistent, Müdigkeitswarner, Vorrichtung zum Einbau von "Alkolocks", Schutz des Fahrzeugs gegen Cyber-Angriffe und ereignisbezogene Datenaufzeichnung müssen laut EU-Typengenehmigungs-Verordnung in Fahrzeugen mit Erstzulassung ab 7. Juli 2024 verbaut sein.
Ein Test des ÖAMTC in Form von Fahrversuchen belegt, dass einige der Systeme noch nicht so gut sind, wie sie sein könnten.
"Es gibt unpassende Lenkeingriffe durch Spurhalteassistenten, Verkehrszeichen werden falsch oder gar nicht erkannt. Dazu kommen Systeme, die den:die Fahrer:in ständig ermahnen, den Blick auf die Straße zu richten und dadurch stressen", fasst ÖAMTC-Verkehrstechniker David Nosé zusammen. Zwar kann man die Systeme deaktivieren. Aber: "Abschalten ist keine Lösung, sondern ein verschenktes Sicherheitspotenzial", so Nosé. Denn die Vorteile für die Sicherheit überwiegen bei weitem.
Fahrversuche mit Notfall-Spurhalteassistent sowie Rangiernotbrems- und Notbremsassistent
In drei Fahrszenarien wurden Assistenzsysteme auf die Probe gestellt. Um die Kundenakzeptanz zu testen, wurde der Notfall- Spurhalteassistent in eine Baustelle geschickt: Pylonen markierten eine Fahrspur, mittig lief eine Fahrbahnmarkierung. Der Spurhalteassistent versuchte, das Fahrzeug durch Lenkeingriffe und Warnungen innerhalb der ursprünglichen Fahrspur zu halten. "Das System kann aber übersteuert werden. Nur wer das weiß, rechnet damit und reagiert richtig", so Nosé.
Im zweiten Test wurden mit einem Rangiernotbremsassistent die Grenzen der Physik ausgelotet. Einen Kartonwürfel hinter dem Fahrzeug erkannte das System und bremste selbstständig, außer der Würfel war genau im 45 Grad-Winkel aufgestellt. In diesem Fall fuhr das Fahrzeug weiter und kollidierte mit dem Würfel. "Hier gibt es technischen Verbesserungsbedarf", betont der Club-Experte.
Wie gut ein Notbremsassistent außerhalb der Laborbedingungen funktioniert, wurde im dritten Szenario ausprobiert. Das Fahrzeug bremste bei verschiedenen Versuchsaufbauten und trotz zusätzlichen Umwelteinflüssen rechtzeitig. Allerdings führte eine kurze Lenkbewegung während der Notbremsung zu einem Lösen der Bremsen. Der Moment, bis das System wieder reagierte, genügte, dass das Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig stoppte.
Potenziale von Fahrerassistenzsystemen
Trotz Grenzen und Schwächen überwiegen jedoch die Potenziale von Fahrerassistenzsystemen.
"2023 gab es in Österreich 22.970 Pkw-Unfälle mit Personenschaden, mehr als 80 Prozent davon wurden von einem:einer der beteiligten Lenker:innen verursacht. Je nach Unfallkonstellation haben Fahrerassistenzsysteme Potenzial, Unfälle gänzlich zu verhindern oder zumindest die Unfallschwere zu mindern erklärt der ÖAMTC-Experte.
So passiert beispielsweise ein Drittel der Alleinunfälle auf Grund von 'Unachtsamkeit, Ablenkung': Hier kann durch einen Lenkeingriff des Notfall-Spurhalteassistenten ein Abkommen von der Fahrbahn verhindert werden. Im Begegnungsverkehr gilt das als Auslöser für ein Viertel der durch Pkw-Lenker hauptverursachten UPS. Ein Notfall-Spurhalteassistent kann viele dieser Unfälle verhindern oder die Folgen abmildern, wenn man aus Unachtsamkeit von der Straße abkommen oder über die Mittellinie in den Gegenverkehr geraten würde. Ein Notbremsassistent reduziert die Zahl bzw. die Schwere der Unfälle mit Zufußgehenden und Radfahrer:innen genau wie von Unfällen im Richtungsverkehr.
Seit 2009 sind Fahrerassistenzsysteme auch fester Bestandteil bei der Beurteilung der Fahrzeugsicherheit und fließen somit in die Bewertung der Euro NCAP-Tests ein.
Mobilitätsclub fordert Verbesserungen von Herstellern und Gesetzgebern
Die Versuche, Tests sowie Rückmeldungen von Fahrer:innen zeigen, dass bei Assistenzsystemen Verbesserungspotenzial besteht.
"Die verpflichtenden Systeme im Fahrzeug müssen von ihren Warnungen und Eingriffen so abgestimmt sein, sodass der:die Fahrer:in nicht gestört, irritiert und überfordert wird", fordert der Experte des Mobilitätsclubs.
Außerdem müssen Hersteller die Systeme auf unterschiedlichste Szenarien und Hindernisse trainieren. Der Gesetzgeber muss die Anforderungen entsprechend dem Stand der Technik nachziehen – einige Hersteller zeigen, dass auch heute schon mehr möglich ist.
Die Akzeptanz hängt aber auch vom Wissen und Können der Nutzer:innen ab. Daher sollte man vor einem Fahrzeugkauf bei einer Probefahrt auch die Assistenzsysteme im Fokus haben, sich diese vom Verkaufspersonal erklären und ggf. einstellen lassen. Wer bereits ein neues Auto hat, kann die Funktion der Assistenzsysteme bei einem Fahrsicherheitstraining in einem ÖAMTC Fahrtechnik Zentrum ausprobieren.
ÖAMTC-Umfrage zu Bekanntheit, Nutzung und Erfahrungen
Eine ÖAMTC-Befragung zu Bekanntheit, Akzeptanz von und Erfahrungen mit Assistenzsystemen zeigt, dass in vielen Fahrzeugen schon Systeme vorhanden sind und diese meist auch genutzt werden.
ÖAMTC-Verkehrsexperte David Nosé
"Ein Drittel der Befragten gab an, dass sie der Eingriff eines Assistenzsystems in einer Gefahrensituation schon einmal gerettet hat – 58 Prozent durch einen Signalton, 50 Prozent durch eine Bremsung. Gleichzeitig berichtet ein Drittel auch über eine falsche Warnung – Signalton (43 Prozent) und Bremsung (41 Prozent) liegen hier gleich auf."
Die Online-Befragung, repräsentativ für die österreichische Bevölkerung von 17–69 Jahre, wurde von Spectra im Auftrag des ÖAMTC von 30.04. bis 07.05.2024 unter 1.096 Personen, darunter 1.003 Autofahrer:innen, durchgeführt.
"Generell sind Fahrerassistenzsysteme ein wichtiger Ansatz zur Erhöhung der Verkehrssicherheit. Laut Befragung sind bereits jetzt 90 Prozent der Autos mit zumindest einem Assistenzsystem ausgestattet", erklärt der ÖAMTC-Verkehrstechniker.
Am häufigsten sind laut Umfrage Rückfahrassistent (74 Prozent) und Tempomat (68 Prozent). Sind die Systeme im Fahrzeug verbaut, werden sie auch verwendet – der Rückfahrassistent zu 96 Prozent, der Notbremsassistent zu 92 Prozent und der Spurhalteassistent zu 72 Prozent. Am wenigsten genutzt werden Parkassistent (61 Prozent) und Tempomat (60 Prozent).
57 Prozent der Befragten vertrauen den Systemen. Die Bedeutung der Signale kennt aber nur knapp die Hälfte – 44 Prozent der Fahrer:innen, deren Fahrzeug über Assistenzsysteme verfügt können alle Töne und Signale zuordnen.
"Das heißt aber umgekehrt, dass 56 Prozent die Signale nicht oder nur teilweise kennen", sieht Nosé Aufklärungsbedarf. Der ÖAMTC-Experte verweist hier zudem auf frühere Befragungen unter Club-Mitgliedern. "Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass heute weniger Menschen die Signale verstehen als noch vor einigen Jahren – Ursache könnte die Vielfalt an Systemen sowie die steigende Komplexität in der Bedienung moderner Fahrzeuge sein."
Bei der Bewertung der eigenen Erfahrungen mit Fahrerassistenzsystemen wird der Eingriff tendenziell als schnell, richtig, nachvollziehbar und Gefahrensituationen lösend, aber auch als etwas schroff empfunden. Im Vergleich der Altersgruppen erleben junge Menschen unter 30 Jahren den Eingriff etwas weniger positiv als ältere Lenker:innen. Auch das Interesse an den verschiedenen Systemen variiert je nach betrachteter Gruppe: Männer, Vielfahrer:innen und Lenker:innen, die bereits über ein mit Assistenzsystemen ausgerüstetes Fahrzeug verfügen, zeigen ein höheres Interesse daran.
Mehr Informationen braucht es auch zur neuen EU-Verordnung. Laut ÖAMTC-Befragung kennt nur ein Viertel der Befragten die Regelung zu den neuen Assistenzsystemen. 28 Prozent der befragten Autofahrer:innen würden die abschaltbaren Systeme bei jedem Neustart manuell deaktivieren – besonders Männer und jüngere Lenker:innen stechen hier hervor. Das Hauptargument ist die Rückgewinnung der Kontrolle über das eigene Fahrzeug. Trotz der teilweisen Skepsis finden 71 Prozent der befragten Autofahrer:innen die Ausrüstung von Fahrzeugen mit Fahrerassistenzsystemen modern und zeitgemäß, 65 Prozent sehen darin auch einen Gewinn für die Verkehrssicherheit – 41 Prozent hingegen befürchten dadurch höhere Reparatur- und Wartungskosten.
Grafik: Umfrage Assistenzsysteme
Im Vergleich der Altersgruppen erleben junge Menschen unter 30 Jahren den Eingriff etwas weniger positiv als ältere Lenker:innen.