Lobautunnel - Bauen oder nicht?
Wie soll es mit dem Lobautunnel weitergehen? Der ÖAMTC lud die Professoren Emberger und Hauger von der TU Wien zu einem Meinungsaustausch ein.
Zwei Wissenschaftler der Technischen Universität Wien, zwei Meinungen, dazwischen der Moderator. Während sich Univ. Prof. Dr. Günter Emberger (vom Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik) klar gegen den Bau ausspricht, sieht Univ. Prof. Dr. Georg Hauger (vom Forschungsbereich Verkehrssystemplanung) den Baustopp des Tunnels durch das BMK aus mehreren Gründen kritisch.
Moderator Marvin Wolf leitete das Gespräch
WOLF: Kurz gefragt: Brauchen wir den Lobautunnel?
EMBERGER: Wenn wir die Klimaziele der EU erreichen wollen, müssen wir unsere Mobilität umstellen. Das ist mit dem Lobautunnel nicht möglich.
HAUGER: Aus wissenschaftlicher Sicht kann ich das derzeit nicht beurteilen, weil eine aktuelle Grundlage fehlt. Aus demokratiepolitischer Sicht ist der Tunnel beschlossen, er hat alle Verfahren durchlaufen.
WOLF: Im vergangenen Herbst gab es eine Studie im Auftrag von Ministerin Gewessler unter ihrer Federführung, Herr Emberger. Diese kam zu dem Ergebnis, es braucht den Lobautunnel nicht. Was hat sich im Vergleich zu anderen Studien geändert?
EMBERGER: Schon 2001 kam eine erste, multimodale Studie zu diesem Ergebnis. Die Empfehlungen daraus wurden jedoch verworfen und danach wurde nur noch der Straßenverkehr betrachtet. Das heißt die Umweltverträglichkeitsprüfung basiert auf veralteten Annahmen, denn das Auto ist nur ein Teil der gesamten Mobilität. Wir haben in den 2017er sowie in der 2022er Studie wieder einen multimodalen Ansatz gewählt wo wir alles mitberücksichtigt haben was alles in der Zwischenzeit passiert ist. Und wenn man sich hier die Verkehrsnachfrage anschaut, sind wir draufgekommen, dass das vorhandene Straßennetz ausreicht.
HAUGER: Das ist für mich nicht so klar. Als Wissenschaftler liebe ich zwei Worte die mit „offen“ enden – ergebnisoffen und technologieoffen. Es gibt Ziele, die sind demokratiepolitisch legitimiert und als Wissenschaftler bemühe ich mich zu schauen, ob ich die Ziele mit einer bestimmten Maßnahme oder Methode erreichen kann. Diese Studie hat sich die Frage gestellt, was muss ich heute tun, damit ein bestimmtes Ziel 2030 erreicht wird. Diese Methode nennt man „Backcasting“ – kann man so tun, ist aber Wunschdenken. Man muss dann aber ganz genau aufzählen, was die Konsequenzen sind. Und dann würde man ganz klar sehen, dass sich das sicherlich nicht ausgehen wird. Zudem wurde aber einiges nicht berücksichtigt, wie der Güterverkehr oder raumplanerische Entwicklungen in NÖ.
EMBERGER: Ein wesentliches politisches Ziel ist es, den Güterverkehr auf die Schiene zu verlagern, das müssen wir ernst nehmen. Zudem soll bis 2030 der Autoverkehr in Wien nur noch bei 15 Prozent am Modal Split liegen, derzeit sind wir bei etwa 27 Prozent. Wenn man das umrechnet, bedeutet das eine Verkehrsreduktion um 40 Prozent. Da wäre auf der Tangente genügend Platz für Güterverkehr.
HAUGER: Diese Reduktion ist Wunschdenken. Mit reiner Parkraumbewirtschaftung und ÖV-Ausbau wird das nicht reichen. Man muss dann alle unangenehmen Wahrheiten dazu sagen und durchdeklinieren was das für Konsequenzen, Rebound-Effekte, usw. hat. Es ist kritisch überambitionierte Ziele so zu verkaufen, als seien sie erreichbar. Nochmal: Minus 40 Prozent sind magisches Denken. Da könnte ich gleich sagen, stoppt die Erdrotation, mir ist übel. Dafür braucht es drastische, ja grausliche Maßnahmen und die werden in der Studie nicht erwähnt. Der Trendverlauf zeigt, es geht mit dem Verkehr nach oben. Es ist Wunschdenken, dass der Güterverkehr auf die Schiene verlagert wird.
EMBERGER: Was schließen wir daraus? Erstens, dass die Maßnahmen nicht stark genug waren und zweitens, dass wir eine Kostenwahrheit im Verkehrssektor einführen müssen. Wir müssen uns fragen, welche Probleme haben wir mit den derzeitigen Infrastrukturausbauten gelöst? Im Süden Wiens haben wir eine vierspurige Autobahn und dort ist der meiste Verkehr. Wenn ich eine Straße baue, induziere ich Verkehr.
WOLF: Mit der Außenringschnellstraße könnte man Verkehr aus dem Zentrum abziehen. Wäre damit nicht auch eines der Ziele erfüllt?
EMBERGER: Es gibt keine einzige Stadt, wo der Verkehr in der Innenstadt durch eine Ringumfahrung reduziert wurde, weil dann mehr Menschen mit dem Auto fahren. Die Frage ist, welches System ermöglicht es der Bevölkerung ihre Bedürfnisse zu befriedigen mit dem geringsten Ressourcenverbrauch im Betrieb und beim Bau. Das Auto ist nur ein Abschnitt der Mobilität. 70 Prozent der Mobilität werden mit anderen Verkehrsmitteln absolviert. Und das ist bei der UVP zum Lobautunnel gar nicht enthalten. Da bin ich blind auf einem Auge und treffe Entscheidungen für Infrastrukturen um drei Mrd. Euro, die die Autoabhängigkeit weiter prolongieren.
HAUGER: Du sagst: Eine Straße zieht Verkehr an. Ich sage: Gott sei Dank. Wenn wir den Lobautunnel bauen, steht er hoffentlich nicht leer. Die Frage ist, verlagert sich etwas oder kommt Neuverkehr hinzu? Wenn ja, dann ist dieser genau zu untersuchen und entsprechende Regeln festzulegen. Verkehr ist per se nicht gut oder böse, sondern er hat Wirkungen – positive und negative. Und damit meine ich jeden Verkehr – auch die U-Bahn oder Busse.
EMBERGER: Man muss die Kirche im Dorf lassen. Wir wissen, dass 90 Prozent des Verkehrs auf der Tangente hausgemacht sind. Würde die Stadt Wien ihre Hausaufgaben machen, hätten wir genug Kapazitäten am bestehenden Straßennetz. Wir haben in Österreich das dichteste Autobahnnetz pro Kopf. Wir haben die Infrastrukturen schon, wir müssen sie nur sinnvoll nutzen. Wir müssen den Menschen helfen, dass sie nicht mehr so abhängig sind vom Auto.
HAUGER: Es gibt viele Studien zum öffentlichen Verkehr. Wer ein bestimmtes Verkehrsmittel nutzt, ist nur ganz, ganz schwer auf ein anderes zu verlagern.
WOLF: Was müsste getan werden, um die Ziele zu erreichen?
EMBERGER: Wenn wir nichts machen, wird es einen 2-3 Grad Temperaturanstieg geben. Jede Investition, jede Infrastruktur, die eine Verhaltensänderung hintanhält, ist zu hinterfragen. Ich bin der Meinung, wir müssen noch einmal zurück. Sehen wir uns das Verkehrskonzept für die Donaustadt noch einmal von vorne an. Setzen wir uns alle an einen Tisch und reden wir darüber.
HAUGER: Ich glaube nicht, dass mit den derzeit propagierten Maßnahmen die Ziele erreicht werden und plädiere daher für Transparenz und das grausliche auszusprechen, was man eigentlich möchte. Ich bin ein großer Freund davon, an Beschlüssen festzuhalten, es aber in Zukunft besser zu machen. Der Verkehr wird in der Gemeinde, in den Ländern, vom Bund mit wechselnden politischen Couleurs geplant, hinzu kommen Vorgaben von UNO, EU und anderen internationalen Verträgen. Das sind viele Ebenen mit vielen unterschiedlichen Zielvorgaben. Bei der Flächenwidmung haben wir einen sehr starken Fokus auf die Gemeinde als oberste Bauinstanz. Daher wäre mein strategischer Vorschlag, die Kompetenzen der Flächenwidmung weiter nach oben zu verlagern auf jene strategische Ebene, wo Raum- und Verkehrsplanung auf Augenhöhe diskutieren.
WOLF: Abschließend ein Ausblick – wird es den Lobautunnel in 20, 30 Jahren geben?
EMBERGER: Ich hoffe nicht.
HAUGER: Ich vermute schon, aber ich weiß es nicht.