Als der Transporter ins ÖAMTC Fahrtechnik Zentrum Teesdorf einbog, hätte alles Mögliche drin sein können. Es war nicht zu erraten, der Truck trug eine neutrale Aufschrift und italienische Kennzeichen. Dann aber ließ der Fahrer die Seitenwände hochfahren und öffnete die hintere Ladeklappe. Zum Vorschein kamen… zwei giftgrüne Lamborghini in zwei Etagen, der eine stand unten, mit der Front in Fahrtrichtung, der andere oben, mit dem Heck voran.
Ein Tag im Grünen
Lam. Bor. Ghi. Ni. Wer so heißt, darf auch eine solche Farbe tragen. Sein Mittelmotor leistet 610 PS, der Klang aus seinen Auspuffrohren ist so unglaublich wie das Erscheinungsbild dieses flachen, kantigen, exotischen Sportwagens. Ein Tag mit dem Lamborghini Huracán LP610-4.
auto touring-Redakteur Günter Rauecker staunte nicht schlecht. Warum zwei? "Nur für den Fall, dass etwas passiert", lautete die Erklärung von Testingenieur Davide Conforte, der den Transport begleitet hatte. Und mit "passiert" meinte er in erster Linie ein technisches Problem bei den Messfahrten. Lamborghini geht auf Nummer sicher.
Als erstes musste das Ding nämlich gemessen werden: Beschleunigung und Bremsweg. "Passiert" ist nichts, der Reserve-Huracán blieb auf dem Laster, der sich mitsamt Davide wieder auf den Weg machte, nachdem die Messungen im Fahrtechnik Zentrum Teesdorf abgeschlossen waren. Für den Nachmittag war die Ermittlung des Spritverbrauchs geplant, dabei brauchte Rauecker den Lamborghini-Techniker nicht.
Ergebnis: Der 610 PS starke Mittelmotor-Sportwagen knackt die 100-km/h-Marke aus dem Stand in 3,4 Sekunden und kommt innerhalb von 34,6 Meter wieder zum Stillstand. (Diese Werte werden natürlich einzeln gemessen.) Auf der auto touring-Verbrauchsrunde – wir fahren mit jedem Testauto die selbe Strecke – genehmigt sich der 5,2 Liter große V10-Motor durchschnittlich 14,7 l feinstes Super je 100 Kilometer.
Bitte einsteigen
Schauen wir uns einmal im Innenraum des Zweisitzers um...
Durch den herbstlichen Wienerwald
Nachdem wir uns mit dem Interieur vertraut gemacht haben, geht's los.
Wie unbequem ist ein Sportwagen dieses Kalibers? Gar nicht, eigentlich. Bloß das Aussteigen kann in fortgeschrittenem Alter mitunter zur Mühsal werden, noch dazu hat es möglichst elegant und jedenfalls unpeinlich zu erfolgen, denn unbeobachtet ist man dabei so gut wie nie. Beim Einsteigen hilft die Schwerkraft. Sitzt man aber drin im Huracán, dann genießt man ein erstaunliches Raumgefühl, keine Rede von beengt, allenfalls die Sicht nach vorne auf hoch angebrachte Verkehrsampeln könnte etwas besser sein. Gut, bleibt man halt etwas weiter hinten stehen.
Der Blick nach hinten ist naturgemäß eingeschränkt, was aber höchstens beim Rangieren negativ auffällt. Das Heckfenster, unter dem der Motor ruht, trägt außen eine schwarze Kunststoffhaube mit waagrechten Lamellen, die die Sicht nach hinten nicht gerade verbessern. (Auf Wunsch bietet Lamborghini eine durchsichtige Kunststoffhaube an.) Da der Lambo seinem Fahrer keinen Anhaltspunkt gibt, wo er hinten aufhört – Parkpiepserl gibt's keines –, ist beim Rückwärts-Einparken ein außenstehender Assistent zu empfehlen: "Geht, geht, geht, geht noch immer, noch ein bisserl, STOP!" Das ist zwar auch nicht ganz unpeinlich, erspart einem aber noch peinlichere Momente, die entstehen, sollte man das dahinter liegende Hindernis touchieren. Wir konnten dergleichen vermeiden.
Der Motor klingt rau und laut, schon beim Starten bellt er los. Das Getriebe befindet sich dabei automatisch im Leerlauf, der erste Gang wird eingelegt, indem ich das rechte Schalt-Paddle ziehe. Zwischen den Sitzen und der Hinterachse ist der V10-Motor in Längsrichtung eingebaut, er liefert sein Drehmoment (max. 560 Nm bei 6.500/min) über ein 7-Gang-DSG an alle vier Räder. Im Huracán heißt das Doppelkupplungsgetriebe allerdings LDF: Lamborghini Doppia Frizione.
Raus geht's aus der Stadt, auf die Landstraßen des herbstlichen Wienerwaldes. Der linke Fuß hat nichts zu tun außer den Körper des Fahrers abzustützen, während der Wagen vorwärtsfliegt, der Motor die Tonleiter raufjodelt und, oben angekommen, von kräftigen, keinesfalls ruckfreien Schaltmanövern wieder in niedrigere Drehzahlgefilde transferiert wird. Das ganze geht so fließend, kraftvoll und harmonisch vor sich, dass man kaum merkt, wie schnell die Zahlen über den digitalen Tacho tanzen. Aber das tun sie verdammt schnell.
Ich kann den Fahrmodus auswählen: Strada, Sport oder Corsa. Wobei Corsa Rennstrecke bedeutet und dem Huracán viele fahrdynamische Freiheiten lässt, die man auch besser nur auf einer solchen ausprobiert. Für den Alltagsgebrauch genügt Strada, in diesem Modus benimmt sich der Sportler höchst zivilisiert, brummelt beinahe untertourig dahin; das Getriebe schaltet früh rauf und der Allradantrieb und ESP wachen aufmerksam darüber, dass dem übermütigen Fahrer kein falscher Ehrgeiz zum Verhängnis wird.
Für gehobenes Vergnügen schalte ich in den Sport-Modus. Nun dreht der Motor höher, die Schaltvorgänge sind kürzer und härter und beim Anbremsen einer Kurve schaltet das Getriebe hörbar ein, zwei Gänge hinunter. Soll ich leugnen, dass das Spaß macht? Nein, den macht es durchaus, schon akustisch, und wenn das Anbremsmanöver aus relativ hoher Geschwindigkeit erfolgt, wird das Heck leicht.
Die Sitzposition passt mir perfekt, obwohl die Sportschalensitze in unserem Testwagen (Aufpreis € 7.828,–) nur in Längsrichtung einstellbar sind. Weder Sitzhöhe noch -lehne können angepasst werden. (Es gibt aber natürlich auf Wunsch auch elektrisch einstellbare Sitze.) Ich spüre die Fahrbahn, jedes Schlagloch, jeden Kanaldeckel. Man lernt rasch, solchen Unebenheiten auszuweichen. Die Lenkung ist direkt und präzise, der Vorderwagen neigt zum Schieben, der Huracán untersteuert ein bissl. Daran kann auch der permanente Allradantrieb nichts ändern. Die Hinterräder (305/30er Pirelli P-Zero Trofeo R, aufgezogen auf 11Jx20-Felgen) picken naturgemäß besser als die etwas schmäleren Vorderräder (245/30er auf 8,5Jx20).
Es ist kein Problem, auch im Sportmodus nicht, den Huracán auf Landstraßen innerhalb der gesetzlichen Vorgaben zu bewegen und die Kraft des Motors und die Präzision des adaptiven Fahrwerks dennoch zu genießen. Allein die Beschleunigung ist eine Freude – die Geräuschkulisse beim Runterschalten, beim Hochdrehen des Zehnzylinders, und schon zeigt der Tacho wieder 100, die rechten Finger zupfen am Schalt-Paddle, ein Gang höher und der Motor verfällt in zufriedenes Brummen.
Der Huracán ist zum Kurvenfahren gebaut. Die elektromechanische Lenkung ist feinst abgestimmt. Gas weg, einlenken, Lenkradwinkel halten, dann Lenkung am Kurvenausgang wieder aufmachen und synchron dazu Gas geben – dabei geht's gar nicht um Speed, sondern um die Harmonie der fließenden Bewegung, die Sauberkeit der gefahrenen Linie.
In der Stadt natürlich ein Drama. Da holperst du dahin, weichst den Kanaldeckeln aus, traust dich kaum das Gaspedal zu streicheln, versuchst entspannt dreinzusehen – mach das einmal, wenn an jeder Vorrangtafel und an jeder roten Ampel ein Dutzend Smartphones auf dich gerichtet sind und blitzen. Wenn ich parkte, kamen Leute und fragten, ob sie das Auto fotografieren dürften. Manche fragten, ob sie sich neben dem Auto fotografieren dürften, und schließlich, ob sie sich IM Auto fotografieren dürften.
Fazit: ein Spielzeug. Teuer, faszinierend, präzise, ein kompetenter Sportwagen, der vom österreichischen Grasser Racing Team übrigens auch recht erfolgreich in der FIA-GT-Serie eingesetzt wird. Wer rund 260.000 Euro für dieses Auto ausgeben kann und will (ohne Extras), sollte sich bewusst sein, dass 610 PS auch beherrscht sein wollen. Wer beides kann – sich das Auto leisten und es auch fahren –, wird es genießen. Es sei ihm (oder ihr) vergönnt.
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