– Herr Kurka, was ist damals genau passiert?
jan kurka:Begonnen hat es eigentlich als ganz gewöhnlicher Flug von Wien nach München. Zwar bei dichtem Schneefall samt Enteisungsverfahren am Boden, aber das ist ja ein ganz normaler Vorgang bei solchen Bedingungen. Das erste Interessante war unterwegs dann aber ein kurzer Hinweis auf Vibrationen am linken Triebwerk. Zu dieser Warnung kam, wie bei den meisten modernen Flugzeugen, im Cockpit auch gleich eine Checkliste, wie man damit Schritt für Schritt umzugehen hat.
In diesem Fall tut man dann nichts anderes als die Leistung im betreffenden Triebwerk zu reduzieren. Man sucht einen Drehzahlbereich, in dem es zufrieden ist und weiter leben kann. Diese Anzeige erschien, wie gesagt, aber nur ganz kurz. Plötzlich wurden die Vibrationen heftiger, es gab aber keine Warnung mehr. Deshalb war es im ersten Moment für mich auch nicht mehr dem Triebwerk allein zuzuordnen. Dann rief uns auch schon die Flugbegleiterin im Cockpit an und meinte, dass es hinten in der Kabine plötzlich irre laut ist und stark vibriert. Mein Gedanke war, weil so ein seltsames Geräusch kannte ich bis dahin nicht, dass sich draußen vielleicht irgendein Verkleidungsteil gelöst hat. Jeder, der als Kind ein Stück Karton zwischen die Fahrradspeichen gesteckt hat, kennt dieses Geräusch. Das war meine erste Assoziation.
In diesem Augenblick hat mein Hirn dann vom Routine-Normalbetrieb auf spontane Adrenalinversorgung umgestellt. Es war klar: Jetzt geht's nicht mehr darum, wie gut den Passagieren der Kaffee schmeckt, sondern jetzt tun wir Dinge, die wir im Simulator gelernt haben.
Da das Wetter vor München sehr schlecht und außerdem auch viel Verkehr im Luftraum war und wir uns in einer Flugfläche von zirka 3.000 Metern mit signifikanter Vereisung befanden, gestaltete sich die Situation recht mühsam. Dann kam auch schon der komplette Schubverlust im ersten Triebwerk. Ich habe per "Mayday, Mayday, Mayday" eine Luftnotlage deklariert, um für die Landung vorgereiht zu werden.
Da kam auch eine gute Eigenschaft der Fokker zum Tragen: Die ist, oder besser: war, mit ihren tollen Speedbrakes nämlich fantastisch im Vernichten von Energie auf kurze Distanz, man konnte mit ihr praktisch aus jeder Höhe sehr rasch runter. Was auch unser Ziel war. Wir wollten laut Verfahren das defekte Triebwerk im Leerlauf lassen, der Schub des anderen hätte unter normalen Umständen ja völlig gereicht. Wir wollten einen sogenannten "stabilized approach" fliegen, wo man schon zu Beginn des Anflugs die Klappen auf Landeposition stellt, das Fahrwerk ausfährt und die Anfluggeschwindigkeit auf nur mehr 120 statt der üblichen 180 Knoten setzt.
Jetzt muss man wissen, dass ein Flugzeug, bei dem alles ausgefahren ist, einen anderen Gleitweg hat als bei einem normalen Anflug. Sprich: Es braucht mehr Triebwerksleistung. Und die wollte ich haben zu dem Zeitpunkt, allerdings gab’s die nicht mehr. Und zwar auf keinem der beiden Motoren mehr, weil der zweite hat da auch grad schon aufgegeben. Sie wurden beim Schub-Geben zwar lauter, und auch die Drehzahlen haben sich schön erhöht, alles hat im Prinzip sehr fein ausgesehen. Nur nahmen halt die Vibrationen zu, der Schub hingegen nicht. Und auch da wiederum: keine Warnung. Das ist für einen Piloten eine sehr unangenehme Situation, wenn man nicht genau weiß, wo man verfahrensmäßig einhaken soll. Natürlich könnte man jetzt sagen, das ist sowas Banales – was es dann ja auch war – und man geht zurück zu den Basics des Fliegens: Hast du Antrieb oder hast du keinen? In dem Moment war das aber irrelevant, weil einfach zu wenig Zeit blieb.
Mein Kollege, der Erste Offizier Markus Türk, war zu dem Zeitpunkt schon gut mit der entsprechenden Checkliste beschäftigt, um herauszufinden, wie das überhaupt sein kann, was wir gerade erleben. Wenn alle Parameter im Cockpit normal sind, aber trotzdem null Antrieb da ist, dann ist das etwas, was im Moment sehr schwer fällt zu glauben, weil es mit logischem Denkzugang im Grunde genommen nicht passieren kann. Gleichzeitig ist man aber mit der Tatsache konfrontiert, dass das jetzt halt doch so ist und man nur noch sehr begrenzte Reserven zur Verfügung hat.
Ich habe dann das Fahrwerk wieder eingefahren, weil es durch den Luftwiderstand zu viel Energie verschwendet. Die Klappen mussten wir ausgefahren lassen, weil wir zu dem Zeitpunkt schon sehr langsam waren. Ohne Auftrieb fällt ein Flieger ja bekanntlich runter wie ein Stein (lacht). Mit dieser extrem energiesparenden Konfiguration hab ich dann versucht, dem 5-Prozent-Winkel des Gleitwegs bis zur Landebahn zu folgen. Da war aber relativ schnell zu erkennen, dass wir das knapp nicht schaffen würden. Das heißt, dass wir nicht dort landen würden, wo man normalerweise landen sollte, nämlich rund 300 Meter nach der Schwelle der Piste. Ich dachte aber, dass wir vielleicht trotzdem noch Asphalt erreichen könnten. Oder zumindest die Wiese davor, oder zumindest irgendeinen Platz innerhalb des Flughafen-Zauns, wo die Rettungskräfte schneller da sein könnten. Theoretisch hätten wir uns das natürlich noch mathematisch ausrechnen können, nur halt nicht in der Zeit, die uns blieb. Von der ersten Warnung bis zum Aufsetzen vergingen ja nur knapp 9 Minuten.
Also waren wir im Gleitflug, bei voll aufgedrehten Triebwerken, aber ohne Power. Autofahrer können sich das so vorstellen: Man steht genau am Bahnübergang, ist voll am Gas, hat aber keinen Gang drinnen und ein Zug kommt recht flott daher. Es waren Instrumentenflug-Bedingungen, also dichter Schneefall, und gesehen haben wir exakt nichts. Das ist im normalen Flugalltag überhaupt kein Problem, in unserem Fall wäre für das Abschätzen des Landepunkts oder das Auswählen einer geeigneten Fläche ein wenig Sicht aber schon hilfreich gewesen. Man hat dann auch so einen inneren Kampf: Man will nicht runter, weiß aber, dass dort, wo man wohl runterkommen wird, es nicht wirklich vorgesehen ist. Gleichzeitig weißt du als Pilot aber auch, dass du eine Mindestgeschwindigkeit brauchst, sonst fällst du gleich aus dem Himmel. Und in diesem schmalen Grenzbereich der beiden Überwindungen bewegt man sich dann halt unausweichlich Richtung unten.
Irgendwann, vielleicht 200 Meter über Grund, war der Boden dann halbwegs sichtbar. Allerdings nicht gut, weil im Morgengrauen bei Schneefall einfach alles oberhalb und unterhalb des Horizonts nur weiß war. Mögliche Hochspannungsleitungen, die später von manchen Leuten erwähnt wurden, konnten wir jedenfalls unmöglich erkennen. Glücklicherweise hab ich dann in Sinkrichtung ein Feld gesehen, das mir relativ frei erschien. Und dann ging's nur mehr darum, dort so friktionsfrei wie möglich aufzuschlagen. In den Sekunden vorm Aufsetzen hab ich noch rübergegriffen zu Markus und das Fahrwerk wieder ausgefahren. Das hätte normalerweise zwar er gemacht, aber ich dachte, wenn ich ihm das jetzt sage, dann vergehen wieder zwei Sekunden, die wir vielleicht nicht mehr haben. Es ging sich auch tatsächlich nicht mehr aus, dass das schwere Hauptfahrwerk im Gegensatz zum leichteren Bugfahrwerk noch vollständig ausgefahren werden konnte, weshalb es beim Aufprall einfach wieder in den Rumpf hineingedrückt wurde. Naja, und dann waren wir unten (lacht).
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