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Jan Kurka hat mit 32 Jahren ebensoviele Menschenleben gerettet. Eine Geschichte über Training, Berufung und Hausverstand. 

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Jan Kurka hat mit 32 Jahren ebensoviele Menschenleben gerettet. Eine Geschichte über Training, Berufung und Hausverstand. 

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Juli 2018

Capt. Jan Kurka, der österreichische "Sully"

Jänner 2004, Flug OS 111 von Wien nach München: An der Fokker des 32-jährigen AUA-Kapitäns Jan Kurka versagen beide Triebwerke, bei der Notlandung rettet er 32 Menschenleben. 14 Jahre danach steigen wir mit ihm nochmal ins Cockpit.

Ein Konstruktionsfehler an den Eisschutz-Panelen der Triebwerke einer AUA-Fokker 70 hätte am 5. Jänner 2004 fast zur größten Katastrophe in der österreichischen Verkehrsluftfahrt geführt. Im Cockpit von Flug OS 111 saßen damals aber zwei junge Piloten, die innerhalb von nur neun Minuten Entscheidungen trafen, die in keiner Checkliste standen. 

Die Notlandung auf einem Schneefeld wenige Kilometer vor der Münchener Landebahn gilt international als eine der größten fliegerischen Meisterleistungen einer Crew: Alle 32 Menschen an Bord blieben unverletzt, sogar der Rumpf des Flugzeugs war nach dem Aufsetzen so intakt, dass er repariert werden konnte und noch heute im Passagierbetrieb unterwegs ist. 

Der damalige Kapitän Jan Kurka, heute 47 Jahre alt, arbeitet mittlerweile nicht mehr für die AUA, sondern für Air China, wo er Großraum-Jets zwischen Fernost und Europa pilotiert. Manchmal führen ihn seine Wege aber auch wieder nach Österreich – und bei einem dieser Aufenthalte in der Heimat haben wir ihn vor kurzem gebeten, mit uns etwas ganz Besonderes zu machen: nämlich noch einmal in jenes Cockpit einzusteigen, in dem damals die bangesten Minuten seines Berufslebens passiert sind.

Was wir jetzt gleich vorhaben? Flug OS 111 unter möglichst realistischen Bedingungen nachzufliegen. 

Der feine Unterschied: Anstatt Markus Türk, dem damaligen Co-Piloten, wird diesmal der Autor dieser Zeilen als Erster Offizier neben Kapitän Kurka Platz nehmen. Und: Im folgenden geht es auch nicht um Leben und Tod, sondern wir bleiben für unser Vorhaben sprichwörtlich am Boden. Unser (erstes) Ziel: einer der letzten Fokker-Simulatoren Europas. Standort: Neusiedl am See. 

(An dieser Stelle vielen lieben Dank an den Simulator-Betreiber, die Aviation Academy Austria, und die Redaktion des führenden österreichischen Luftfahrtmagazins Austrian Wings für den Kontakt zu Kapitän Kurka) 

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Es war klar: Jetzt geht’s nicht mehr darum, wie gut den Passagieren der Kaffee schmeckt, sondern jetzt tun wir Dinge, die wir im Simulator gelernt haben.

Jan Kurka, Kapitän von Flug OS 111

Die ersten Bilder nach dem Crash

5. Jänner 2004, kurz nach dem Aufsetzen um 08:16 Uhr, wenige Kilometer vor der Landepiste 26L in München: Die Austrian-Fokker-70 mit dem Taufnamen "Wiener Neustadt" und der Kennung OE-LFO hat auf dem schneebedeckten Feld soeben 250 Meter Rutschpartie hingelegt, die Rettungskräfte sind bereits vor Ort und haben die Unfallstelle abgesichert. 

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1 Die 1995 gebaute Maschine hat zu diesem Zeitpunkt exakt 19.304 Flugstunden und 14.334 "Cycles" (vereinfacht: Starts und Landungen) im Logbuch stehen. (Quelle: www.austrianwings.info) © Geßmann

2 Das Bugfahrwerk (Wir kommen später noch darauf zurück) wird beim Aufprall abgerissen, der im Rumpf verbliebene Stumpf sorgt während der Rutschphase für Stabilität im gefrorenen Boden des Feldes. © Geßmann

3 Die Notlandung der fliegenden Crew – Kapitän Jan Kurka und sein Erster Offizier Markus Türk – gilt als eine der größten fliegerischen Leistungen der Verkehrsluftfahrt, bis auf kleinere Blessuren bleiben alle 32 Insassen nahezu unverletzt. © Geßmann

Im (sehr) ausführlichen Gespräch: Jan Kurka

– Herr Kurka, was ist damals genau passiert?

jan kurka:Begonnen hat es eigentlich als ganz gewöhnlicher Flug von Wien nach München. Zwar bei dichtem Schneefall samt Enteisungsverfahren am Boden, aber das ist ja ein ganz normaler Vorgang bei solchen Bedingungen. Das erste Interessante war unterwegs dann aber ein kurzer Hinweis auf Vibrationen am linken Triebwerk. Zu dieser Warnung kam, wie bei den meisten modernen Flugzeugen, im Cockpit auch gleich eine Checkliste, wie man damit Schritt für Schritt umzugehen hat.

In diesem Fall tut man dann nichts anderes als die Leistung im betreffenden Triebwerk zu reduzieren. Man sucht einen Drehzahlbereich, in dem es zufrieden ist und weiter leben kann. Diese Anzeige erschien, wie gesagt, aber nur ganz kurz. Plötzlich wurden die Vibrationen heftiger, es gab aber keine Warnung mehr. Deshalb war es im ersten Moment für mich auch nicht mehr dem Triebwerk allein zuzuordnen. Dann rief uns auch schon die Flugbegleiterin im Cockpit an und meinte, dass es hinten in der Kabine plötzlich irre laut ist und stark vibriert. Mein Gedanke war, weil so ein seltsames Geräusch kannte ich bis dahin nicht, dass sich draußen vielleicht irgendein Verkleidungsteil gelöst hat. Jeder, der als Kind ein Stück Karton zwischen die Fahrradspeichen gesteckt hat, kennt dieses Geräusch. Das war meine erste Assoziation.

In diesem Augenblick hat mein Hirn dann vom Routine-Normalbetrieb auf spontane Adrenalinversorgung umgestellt. Es war klar: Jetzt geht's nicht mehr darum, wie gut den Passagieren der Kaffee schmeckt, sondern jetzt tun wir Dinge, die wir im Simulator gelernt haben.

Da das Wetter vor München sehr schlecht und außerdem auch viel Verkehr im Luftraum war und wir uns in einer Flugfläche von zirka 3.000 Metern mit signifikanter Vereisung befanden, gestaltete sich die Situation recht mühsam. Dann kam auch schon der komplette Schubverlust im ersten Triebwerk. Ich habe per "Mayday, Mayday, Mayday" eine Luftnotlage deklariert, um für die Landung vorgereiht zu werden.

Da kam auch eine gute Eigenschaft der Fokker zum Tragen: Die ist, oder besser: war, mit ihren tollen Speedbrakes nämlich fantastisch im Vernichten von Energie auf kurze Distanz, man konnte mit ihr praktisch aus jeder Höhe sehr rasch runter. Was auch unser Ziel war. Wir wollten laut Verfahren das defekte Triebwerk im Leerlauf lassen, der Schub des anderen hätte unter normalen Umständen ja völlig gereicht. Wir wollten einen sogenannten "stabilized approach" fliegen, wo man schon zu Beginn des Anflugs die Klappen auf Landeposition stellt, das Fahrwerk ausfährt und die Anfluggeschwindigkeit auf nur mehr 120 statt der üblichen 180 Knoten setzt.

Jetzt muss man wissen, dass ein Flugzeug, bei dem alles ausgefahren ist, einen anderen Gleitweg hat als bei einem normalen Anflug. Sprich: Es braucht mehr Triebwerksleistung. Und die wollte ich haben zu dem Zeitpunkt, allerdings gab’s die nicht mehr. Und zwar auf keinem der beiden Motoren mehr, weil der zweite hat da auch grad schon aufgegeben. Sie wurden beim Schub-Geben zwar lauter, und auch die Drehzahlen haben sich schön erhöht, alles hat im Prinzip sehr fein ausgesehen. Nur nahmen halt die Vibrationen zu, der Schub hingegen nicht. Und auch da wiederum: keine Warnung. Das ist für einen Piloten eine sehr unangenehme Situation, wenn man nicht genau weiß, wo man verfahrensmäßig einhaken soll. Natürlich könnte man jetzt sagen, das ist sowas Banales – was es dann ja auch war – und man geht zurück zu den Basics des Fliegens: Hast du Antrieb oder hast du keinen? In dem Moment war das aber irrelevant, weil einfach zu wenig Zeit blieb.

Mein Kollege, der Erste Offizier Markus Türk, war zu dem Zeitpunkt schon gut mit der entsprechenden Checkliste beschäftigt, um herauszufinden, wie das überhaupt sein kann, was wir gerade erleben. Wenn alle Parameter im Cockpit normal sind, aber trotzdem null Antrieb da ist, dann ist das etwas, was im Moment sehr schwer fällt zu glauben, weil es mit logischem Denkzugang im Grunde genommen nicht passieren kann. Gleichzeitig ist man aber mit der Tatsache konfrontiert, dass das jetzt halt doch so ist und man nur noch sehr begrenzte Reserven zur Verfügung hat.

Ich habe dann das Fahrwerk wieder eingefahren, weil es durch den Luftwiderstand zu viel Energie verschwendet. Die Klappen mussten wir ausgefahren lassen, weil wir zu dem Zeitpunkt schon sehr langsam waren. Ohne Auftrieb fällt ein Flieger ja bekanntlich runter wie ein Stein (lacht). Mit dieser extrem energiesparenden Konfiguration hab ich dann versucht, dem 5-Prozent-Winkel des Gleitwegs bis zur Landebahn zu folgen. Da war aber relativ schnell zu erkennen, dass wir das knapp nicht schaffen würden. Das heißt, dass wir nicht dort landen würden, wo man normalerweise landen sollte, nämlich rund 300 Meter nach der Schwelle der Piste. Ich dachte aber, dass wir vielleicht trotzdem noch Asphalt erreichen könnten. Oder zumindest die Wiese davor, oder zumindest irgendeinen Platz innerhalb des Flughafen-Zauns, wo die Rettungskräfte schneller da sein könnten. Theoretisch hätten wir uns das natürlich noch mathematisch ausrechnen können, nur halt nicht in der Zeit, die uns blieb. Von der ersten Warnung bis zum Aufsetzen vergingen ja nur knapp 9 Minuten.

Also waren wir im Gleitflug, bei voll aufgedrehten Triebwerken, aber ohne Power. Autofahrer können sich das so vorstellen: Man steht genau am Bahnübergang, ist voll am Gas, hat aber keinen Gang drinnen und ein Zug kommt recht flott daher. Es waren Instrumentenflug-Bedingungen, also dichter Schneefall, und gesehen haben wir exakt nichts. Das ist im normalen Flugalltag überhaupt kein Problem, in unserem Fall wäre für das Abschätzen des Landepunkts oder das Auswählen einer geeigneten Fläche ein wenig Sicht aber schon hilfreich gewesen. Man hat dann auch so einen inneren Kampf: Man will nicht runter, weiß aber, dass dort, wo man wohl runterkommen wird, es nicht wirklich vorgesehen ist. Gleichzeitig weißt du als Pilot aber auch, dass du eine Mindestgeschwindigkeit brauchst, sonst fällst du gleich aus dem Himmel. Und in diesem schmalen Grenzbereich der beiden Überwindungen bewegt man sich dann halt unausweichlich Richtung unten.

Irgendwann, vielleicht 200 Meter über Grund, war der Boden dann halbwegs sichtbar. Allerdings nicht gut, weil im Morgengrauen bei Schneefall einfach alles oberhalb und unterhalb des Horizonts nur weiß war. Mögliche Hochspannungsleitungen, die später von manchen Leuten erwähnt wurden, konnten wir jedenfalls unmöglich erkennen. Glücklicherweise hab ich dann in Sinkrichtung ein Feld gesehen, das mir relativ frei erschien. Und dann ging's nur mehr darum, dort so friktionsfrei wie möglich aufzuschlagen. In den Sekunden vorm Aufsetzen hab ich noch rübergegriffen zu Markus und das Fahrwerk wieder ausgefahren. Das hätte normalerweise zwar er gemacht, aber ich dachte, wenn ich ihm das jetzt sage, dann vergehen wieder zwei Sekunden, die wir vielleicht nicht mehr haben. Es ging sich auch tatsächlich nicht mehr aus, dass das schwere Hauptfahrwerk im Gegensatz zum leichteren Bugfahrwerk noch vollständig ausgefahren werden konnte, weshalb es beim Aufprall einfach wieder in den Rumpf hineingedrückt wurde. Naja, und dann waren wir unten (lacht).

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Capt. Kurka im Gespräch mit auto touring-Redakteur Christoph Löger.

Simulator-Flug mit dem auto touring

– Warum fährt man in dieser Situation das Fahrwerk nochmal aus, wenn man weiß, dass der Untergrund nicht dafür ausgelegt ist?

jan kurka:Das ist Procedere, außer bei Wasserlandungen. Auch wenn ich erwarte, dass der Boden, auf dem man aufsetzen wird, nicht zum Rollen geeignet ist, fährt man das Fahrwerk aus dem simplen Grund aus, weil es beim Abreißen viel Energie absorbiert. Das ist wie eine Knautschzone beim Auto. Alles, was irgendwie verzögert, ist in so einem Fall von Vorteil. 

– Wir werden nun gleich gemeinsam im Fokker-Simulator Platz nehmen. 14 Jahre nach OS 111 sitzen sie nun erstmals wieder in jenem Cockpit, in dem sie 32 Menschenleben gerettet haben. Im Vorfeld zu unserem Treffen haben sie mir aber erklärt, dass sie ihre Wunderlandung auch virtuell nicht noch einmal probieren wollen und können. Warum?

jan kurka:Weil die Unterschiede zwischen Flugzeugtypen sehr groß sind. Natürlich fliegen alle Flieger aus dem gleichen aerodynamischen Prinzip, klar. Ich wage auch zu behaupten, dass jeder halbwegs routinierte professionelle Pilot fast jedes Flugzeug im Normalbetrieb zerstörungsfrei bedienen kann. Spannend wird’s immer erst dann, wenn Probleme auftauchen und es darum geht, bestimmte Notverfahren abzuwickeln, die stets Modell-spezifisch sind. Und wenn man die nicht richtig macht oder nicht mehr beherrscht wie ich vermutlich jetzt gleich mit der Fokker, würde man die Situation eher verschlechtern als sie zu verbessern.

Ich bin mit diesem Flieger zum letzten Mal vor mehr als 10 Jahren geflogen, und ich war auch so lange in keinem Fokker-Cockpit mehr drinnen. Deshalb bin ich ja so gespannt, was ich da gleich alles finden werde. Bei vielen Dingen werde ich wohl sagen, aha, das hat ja eh mein großer 330er-Airbus auch, obwohl's in Wirklichkeit vielleicht ganz anders ist. Aber für wirklich sicheres Betreiben und das perfekte Durchführen aller Notverfahren brauchst du Piloten, die auf diesem einen Flieger gut im Saft stehen. Das trifft auf mich heute nicht zu, deshalb kann und möchte ich meine Notlandung von OS 111 nicht nachvollziehen. Wir können aber gerne den regulären Flugverlauf von Wien nach München absolvieren, wie er damals geplant war, und ich erzähl ein bissl was dazu…

Video: "So einfach wär's gewesen"

Mit den Worten "Na dann fahr ma" gibt Capt. Kurka Schub: Flug OS 111 von Wien nach München in der simulierten Retrospektive. Er ist zurück im Fokker-Cockpit, spielt die für ihn heute ungewohnte Knopferl-Klaviatur wider eigenes Erwarten bravourös ("Manche Dinge sind ja doch wie Radfahren"), und daneben sitzt ein nervöser Redakteur, der als Luftfahrt-Fan zwar gut vorbereitet ist, dem Captain im Notfall aber nicht wirklich helfen könnte… 

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Fokker-Rückblick, Emotionen & Blödheiten

– Was waren ihre ersten Gedanken, nachdem die Fokker zum Stillstand kam?

jan kurka:Kurz vorm Aufschlag war mir ja noch nicht klar, wie sich das Flugzeug auf dem Acker gleich verhalten wird. Ob es zerbricht, sich nur verbiegt oder gleich überschlägt, das war nicht abzusehen. Es war bei diesen Witterungsbedingungen auch nur schwer zu erkennen, wie die Geländebeschaffenheit unten genau aussieht. Da hätten ja nur ein paar große Steine liegen müssen, und der Rumpf wäre zerrissen worden.

Unsere Aufsetzgeschwindigkeit war relativ niedrig, etwas unter 200 km/h, dann gab es kurz vorm Ende der Rutschphase aber einen Moment, wo ich wusste: Da kann jetzt nichts mehr kommen, da passiert nix mehr. Während dieser rund 250 Meter waren wir im Cockpit ja auch nur Passagiere. Da hab ich dann schon einen kleinen Ausruf getan, als mir klar wurde, dass das gut ausgeht. Fein war auch, dass jener Teil des Bugfahrwerks, der Stumpf ohne Räder, der beim Aufschlag nicht abgebrochen ist, noch ein gutes Stück aus dem Rumpf rausstand und wie ein stabilisierender Pflug oder Anker durch die Erde marschierte. Nach dem Stillstand begann dann wieder ein großer Arbeitsschritt, die sogenannte "On-ground-emergency-checklist", wo du einfach alle Systeme sicherst und abschaltest, um Brandgefahr und so Dinge zu reduzieren.

– Die letzte Fokker wurde von der AUA vor einiger Zeit verabschiedet. Blicken sie wehmütig auf sie zurück?

jan kurka:Was das manuelle Fliegen angeht, war das ein wunderbar ausgewogenes und sehr agiles Flugzeug. Sie hatte, wie gesagt, ganz fantastische Luftbremsen, kein Vergleich etwa zum mächtigen Airbus 330, den ich heute bei Air China fliege. Der ist ja ein 240 Tonnen schwerer Gleiter, keine kleine Rennmaschine. Allerdings mit sehr guten Flugleistungen und extrem zuverlässig.

Die Fokker dagegen war halt dauernd kaputt, was für Jungkapitäne wie mich aber durchaus spannend war. Die kam schon mit Kinderkrankheiten zur Welt und wurde damit nun auch zu Grabe getragen. Das ewige Problem mit ihr war, dass es den Hersteller Fokker damals ja schon nicht mehr gab und die Ersatzteilversorgung mehr als problematisch war. Ich erinnere mich, dass wir bei der AUA damit sehr, sehr oft unter "minimum equipment list"-Bedingungen flogen, also einem Zustand, mit dem man zwar legal und auch völlig sicher unterwegs ist, aber halt nicht alle Systeme so funktionieren, wie sie sollten.

Mein allererster Flug als frisch gebackener Fokker-Kapitän war zum Beispiel gleich einmal eine Ausweichlandung im finnischen Turkku statt in Schweden. Dem Flugzeug darf ich das zwar nur bedingt übelnehmen, weil an dem Tag auch total schlechte Wetterbedingungen über Stockholm herrschten, aber das Problem war halt, dass noch dazu einer der beiden Reverser (Anm.: Schubumkehr eines Triebwerks) deaktiviert war. Deshalb und wegen des Schnees hätten wir ein Problem bekommen, dort wieder wegzukommen. Wir hatten auch relativ wenig Sprit mit, also haben wir uns dazu entschieden, nach Finnland auszuweichen. Das war mein erster Kapitäns-Alleinflug ohne überwachenden Lehrer, und ich durfte der vollbesetzten Kabine dann mitten in der finnischen Nacht gleich einmal erklären, wo wir sind, warum wir hier sind und wie's jetzt weitergeht (lacht).

– Empfindet man als Pilot eigentlich Emotionen fürs Fluggerät?

jan kurka:Ich denke, da ist jeder von uns verschieden. Es beginnt schon damit, wie jemand überhaupt zur Fliegerei gekommen ist. Für mich und viele Kollegen, die ich kenne, gilt aber: Ja, man hängt schon daran, vor allem, wenn man lange auf einer Modell-Flotte war. Dazu kommt auch, was man mit einem Flugzeug erlebt hat und ob man überhaupt hin wollte auf dieses Muster. Ich zum Beispiel wollte ursprünglich ja nie auf die Fokker, mit der ich später dieses spannendes Erlebnis hatte (lacht).

Ich habe 1989 die Selektion bei der AUA begonnen, und die hatten damals noch die wunderschöne MD-80, die ältere Semester noch als "DC-9" kennen. Das war DER Flieger damals. Jeder von uns Neulingen wollte MD-80-Pilot werden. Und dann wurde ich bei der AUA genommen und was tun die? Sie stecken mich zuerst einmal in die Fokker 50, die kleine Propellermaschine, die auf Inlandsflügen und Kurzstrecken herumgegurkt ist. Das war zunächst eine riesige Enttäuschung, allerdings nur so lange, bis ich damit zum ersten Mal geflogen bin.

Denn was ich über all die Jahre festgestellt habe, ist, dass der Flugapparat, mit dem man unterwegs ist, eigentlich komplett egal ist. Es geht eher um die Rahmenbedingungen: Wer sind die Menschen, mit denen man arbeitet? Wie sieht's mit den Arbeitszeiten aus? Welche Strecken fliegt man? Das sind die Dinge, die für mich die Arbeit ausmachen. Würde man mich heute bitten, ich solle mit einer kleinen Dash-8-Turboprop quer durch Europa fliegen, würde mich das sogar freuen, weil es einfach eine unfassbar schöne Art der Fliegerei ist, wenn man in 5.000 Metern Höhe über die Alpen zischt. 

– Sie waren mit 32 Jahren schon Kapitän und Fluglehrer. Blieb da auch Zeit für Jugend und Blödheiten?

jan kurka:Auf jeden Fall. Nachdem ich immer einer war und bin, dem Alkohol sehr fremd ist, kann ich mich zum Glück auch noch an all diese Dinge erinnern. Es war schon viel Platz für Abenteuer, sag ich mal. Ins Detail werde ich aber nicht gehen (lacht). Ich bedaure fast ein bisschen diejenigen, die heute in die Fliegerei einsteigen, weil ich einfach glaube, dass damals, freilich im engen Rahmen, mehr Gaudi möglich war, ohne dass es Konsequenzen hatte.

interview_kurka_2018-07_MZ_show1_6.jpg markuszahradnik.com © markuszahradnik.com
Jan Kurka (47): Vater von zwei Kindern, leidenschaftlicher Segelflieger, liebt die Küche der chinesischen Provinz Sichuan.

Kinder, Ausbildung, Sullenberger

– Sie haben einen 13-jährigen Sohn und eine Tochter, die grad den Führerschein macht. Haben die beiden schon Avancen zu fliegen? Und würden Sie sich als Vater sorgen?

jan kurka:Bei der Tochter mach ich mir im Moment eher Sorgen, wenn sie bald mit Leuten auf der Straße ist, die nicht so gut fahren können wie sie. Und was den Bub angeht: Wenn er vom Alter her dürfte, würde er am liebsten jetzt schon mit dem Segelschein beginnen, aber das dauert halt noch ein bisserl. Ein Segelflieger wär jedenfalls in der Familie, der ist am Platz in Bad Vöslau geparkt, es ist also nur eine Frage der Zeit, wann er im Wortsinn flügge wird.

Sorgen? Naja. Ich hoffe, dass die beiden die Dinge, die sie irgendwann machen, gut machen werden. Und vor allem bewusst. Gefährlich wird alles immer erst, wenn man nicht bei der Sache ist. Beispiel Autofahren: Telefonieren, auch mit Freisprecheinrichtung, da bist du nicht bei der Sache. Ich bemerke das selber, wenn ich mich mit dem Auto auf Strecken verfahre, die ich eigentlich in- und auswendig kenne, nur weil ich mit jemandem ins Gespräch vertieft bin. Aber ich freue mich, wenn meine Kinder Leidenschaft zur Fliegerei entwickeln können, ja. 

– Wie sehen Sie die Pilotenausbildung heutzutage vor dem Hintergrund Billig-Airlines, "pay-to-fly" (Anm.: Jungpiloten, die zahlen, um fliegen zu dürfen, ein vor allem in den USA gebräuchliches Modell) und dem immensen Kostendruck durch 29-Euro-nach-Mallorca-Kunden?

jan kurka:Bis zum vergangenen Winter hätte ich noch jedem jungen Menschen abgeraten, den Beruf eines Piloten zu ergreifen. Seit einigen Monaten scheint es aber für Aspiranten wieder kräftig anzuziehen. In der Fliegerei ist es immer so: Entweder es ist ganz katastrophale Ebbe und es gibt keine Jobs, oder die Airlines reißen sich um die Leute. Nachdem ich viel Kontakt zu Pilotenbewerbern habe und viele Leute in der Branche kenne, weiß ich, dass Fluglinien derzeit händeringend nach jungen Piloten suchen. Es haben mittlerweile nämlich auch Billigflieger wie Ryan Air & Co. begriffen, dass sie vernünftige Arbeitsbedingungen schaffen müssen, und dann kommt irgendwann auch gutes Personal.

Was man als Aspirant never ever annehmen darf, ist das erwähnte "pay-to-fly", wie es in den USA teilweise üblich ist. Das ist furchtbar. Wichtige Grundregel aber: Wenn ich jetzt Piloten-Anwärter bin, und ich probiere es bei ein paar Airlines, scheitere aber immer wieder im Auswahlverfahren, dann sollte ich wirklich in mich gehen und mich fragen, ob ich tatsächlich geeignet bin für den Job. Das heißt gar nicht, dass man die Leidenschaft Fliegen nicht ausüben kann: Nur halt nicht in einem Airbus mit 300 Passagieren, sondern vielleicht nur allein im Segelflieger. Das ist ja um nichts weniger schön. Im Gegenteil: Das ist das purste Fliegen überhaupt, kein Stress, minimale Verantwortung.

– Stichwort Segelfliegen und USA: Ihr berühmter Kollege, Chesley Sullenberger (hier im auto touring-Exklusivinterview nachzulesen), hatte wie Sie einen raren doppelten Triebwerksausfall und wurde durch durch die Medien-Maschinerie getrieben. Haben Sie "Sully", die Hollywood-Verfilmung, gesehen?

jan kurka:Nein. Ich habe kurz einmal überlegt, ob ich mir den Film anschauen soll, weil ihn auch Freunde empfohlen haben. Aber irgendwas hat mich bisher fern gehalten, keine Ahnung. Zur Notwasserung des Kollegen Sullenberger möchte ich aber anmerken: Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn ich ihn mal wo treffe und mich eine Stunde mit ihm beruflich austauschen könnte. Den Film möchte ich mir trotzdem nicht ansehen, weil es halt ein Spielfilm ist und keine Dokumentation. Gerade bei Themen, von denen ich eine Ahnung habe, bin ich recht empfindlich, wenn etwas nicht so gelöst ist wie es der Realität entspricht. Da schau ich mir lieber diese irren alten Flieger-Katastrophenfilme wie "Airport '77" oder sowas an (lacht).

– Nochmal kurz zurück zur heutigen Piloten-Ausbildung. Bei ernsten Vorfällen versagt immer seltener die Technik, sondern eher der Mensch…

jan kurka:Stimmt. Die Ausbildung hat sich verändert. Die Flugzeughersteller wollen große Stückzahlen verkaufen, und die Airlines wollen die Flieger dann mit möglichst geringen Kosten betreiben. Schulungen und Ausbildungen bedeuten, dass die Piloten nicht produktiv sind in dieser Zeit. Und wenn die Unternehmen dringend Bedarf an Piloten haben, diese aber gerade erst in die Fliegerschule eintreten, dann wartet man natürlich schon ungeduldig auf deren Einsatz. Die sollten ja am besten morgen schon zu fliegen beginnen. Dementsprechend wird halt gemäß den gesetzlichen Mindest-Vorgaben geschult, aber leider nur mehr selten darüber hinaus. Natürlich lernen diese Leute auch fliegen, aber es ist tatsächlich so, dass man im regulären Flugbetrieb heutzutage wenig zum manuellen Fliegen kommt. Also zu dem, wie sich Passagiere das vorstellen: Dass da vorne zwei sitzen, die mit ihren Händen steuern. Es wird von guten Fluglinien schon gewünscht, dass man das hin und wieder tut.

Aber: Wenn ich jetzt einen Langstreckenflug hernehme, der 11 Stunden dauert, dann mach ich in Peking den Start und in der Regel überlasse ich zwei Minuten später das Flugzeug dem Autopiloten. Bei der Landung, 300 Meter über dem Boden, schalte ich ihn dann wieder aus und lande selbst. Sagen wir so: Wenn ich nicht schon gut manuell fliegen könnte, lernen würde ich es heute nicht mehr so intensiv. Selbst im Simulator tut man's nur noch dann, wenn einem der Instruktor einen kaputten Autopiloten einspielt. Dabei ist es meines Erachtens unerlässlich, und das wird auch immer so sein, dass ein Pilot sein Flugzeug auch gut mit den eigenen Händen steuern können muss. Wenn nämlich ein Problem auftritt, ist das immer das Erste und das Letzte, worauf es ankommt. Nicht umsonst heißt es in Notfällen: "First, fly the aircraft." 

– Werde ich als Passagier jemals in einem autonomen Flugzeug ohne Piloten unterwegs sein?

jan kurka:Wenn das System, in dem sich dieses vollautomatische System bewegt, perfekt ist, und mit perfekt meine ich absolut fehlerlos, dann ginge es. Aber es wird, das gebietet die Logik, definitiv nie fehlerlos sein, deshalb werden wir keinen pilotenfreien Passagierflieger erleben. Zumindest nicht die nächsten paar Generationen.

– Wie lange braucht ein Pilot, um im Notfall von Routine auf Ausnahmesituation umzuschalten?

jan kurka:Das geht blitzartig, weil's eh automatisch vom Adrenalin erledigt wird. Die Crux sind bloß lange, ereignislose Flüge, bei denen das eigene Situationsbewusstsein nicht einschlafen darf: Ich muss immer, immer wissen, wo bin ich und welche Möglichkeiten ich habe in der Sekunde eines unerwartet auftretenden Ereignisses. Das ist psychologische Hirnarbeit, die Außenstehende nicht sehen, weil sie halt ausschließlich im Kopf unter der Überschrift "Konzentration" stattfindet.

Deswegen ist das heutige Verkehrsfliegen hauptsächlich ein Denk-Job, bei dem einem der Großteil der manuellen Handgriffe von der Technik abgenommen wird. In einem modernen Cockpit ist man als Pilot, als Mensch, viel mehr dazu gezwungen, sich Informationen selbst zu holen. Man ist nicht mehr so eingebettet im System wie früher, als man es die ganze Zeit aktiv betreuen musste. Theoretisch kann sich ein Pilot heute reinsetzen, 10 Stunden gelangweilt aus dem Fenster schauen, und wenn nichts kaputt geht und über Funk keiner was von einem will, wird das bis zur Landung vorzüglich gut gehen.

Das Problem ist nur: Wenn's nach 5 Stunden fadisiertem Fenster-Rausschauen auf einmal irgendwo "Bang" macht, und man muss erst einmal das Hirn hochfahren und überlegen, wo man überhaupt ist, dann ist man mit den Gedanken schon viel zu weit hinten. Grundregel: Dem Flugzeug immer ein paar Minuten voraus sein. 

– 14 Jahre nach OS 111: Achten Sie beim Landeanflug heute noch auf komische Geräusche?

jan kurka:Nein, beim Landen nicht. Aber was sich bei mir wahrscheinlich schon geändert hat, ist, dass ich heute auch bei kleineren Störungen eher an eine mögliche Eskalation denke. Das hat sicher damit zu tun, dass die Situation damals so unklar war und innerhalb von 9 Minuten vom minimalsten Problem zum maximalsten wurde. Es ist einfach nicht vorgesehen, dass beide Triebwerke gleichzeitig aus dem Nichts kaputt gehen.

– Und wenn Sie heute als Passagier hinten sitzen? Achten Sie dann auf Geräusche?

jan kurka:(lacht) Sofern ich endlich einmal auf meinem Platz sitze und das Flugzeug in Bewegung ist, dann geht's mir genau so gut wie vor vielen, vielen Jahren, als ich als Kind zum ersten Mal geflogen bin. Ich liebe es nach wie vor. Was mich viel mehr ärgert, auch heute als Captain, sind die Flughäfen. Dieser ganze Betrieb, die nicht mehr enden wollenden Sicherheitskontrollen. Für mich ist fast alles, was vor und nach dem Flug passiert, schrecklich unangenehm. Das Fliegen selbst genieße ich noch immer, auch als Passagier. Und was die Geräusche betrifft: Wenn ich mal nicht vorne sitze, sondern in der Kabine, dann höre ich in Flugzeugen, die ich kenne, vertraute Geräusche und find's interessant, zu welchem Zeitpunkt der Kollege vorne etwas tut. In Fliegern, die ich nicht kenne, freu ich mich über Ungewohntes, das ich akustisch so noch nicht kenne.

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Interviewtermin in den Räumlichkeiten der Aviation Academy Austria.

Kritik an AUA, Passagieren und "Geiz ist geil"

– Apropos Kollegen: Haben sie noch Kontakt zu Co-Pilot Markus Türk, der Kabinen-Crew oder Passagieren von Flug OS 111?

jan kurka:Nein. Zu den Passagieren gab's nie einen Kontakt, das hat sich nie ergeben. Ich weiß, dass es damals viele Anfragen an die AUA gab und sogar Interesse an einem Jahrestreffen bestand, aber das wurde von der Firma nicht weiterverfolgt und eher abgestellt. Zur Besatzung gibt's auch keinen Kontakt mehr, wobei ich eine Kollegin, damals Flugbegleiterin, zufällig unlängst in München getroffen habe, weil wir bei Air China und Austrian das gleiche Crew-Hotel dort in Erding haben. Das war sehr nett und lustig, vor allem, weil's ja nur ein paar Kilometer von dort weg war, wo unser Abenteuer damals passiert ist. Von Markus weiß ich, dass er offenbar schon seit einigen Jahren Kapitän ist. Sicher ein sehr guter. Aber mehr Kontakt gibt es leider nicht.

– Die Kollegin hat bestimmt von einem Passagier schon einmal das unschöne Wort "Saftschubse" gehört. Was sagt der Captain zu dieser Bezeichnung?

jan kurka:Das ist einfach eine ganz schlimme Geringschätzung. Es ist für einen Fluggast völlig vermessen zu glauben, dass er weiß, wofür Flugbegleiter eigentlich da sind. Die Damen und Herren servieren nämlich nur deshalb Kaffee, Tomatensaft und Mahlzeiten, weil nichts passiert. Weil gerade niemand einen Herzinfarkt hat, weil gerade kein Handy-Akku brennt, weil kein schreiendes Baby beruhigt werden muss, dessen Eltern nach x Stunden selbst nicht mehr können. Und, in letzter Konsequenz: Weil kein vollbesetzter Flieger in kürzester Zeit evakuiert werden muss.

Man könnte durchaus sagen, Flugbegleiter machen das Service aus Langeweile, weil sie sonst die ganze Zeit sitzen und warten müssen, dass etwas passiert. Dafür sind sie nämlich eigentlich da, dafür sind sie perfekt ausgebildet, und das können sie sehr gut. Ich finde die Bezeichnung also schlicht undankbar, aber ich weiß auch, dass die Kolleginnen und Kollegen ihr Selbstwertgefühl nicht daraus schöpfen, wie sie von "unruly Pax" (Anm. Passagiere, die sich nicht benehmen können) bezeichnet werden. Mein Rat an Fluggäste: Die Hilfsbereitschaft von Flugbegleitern ist fast grenzenlos, man braucht ihnen nur respektvoll und freundlich zu begegnen.

(Anm.: Lese-Empfehlung zum Thema – "Stille Helden" von unseren Kollegen von Austrian Wings. Toller Artikel zum Alltag von Flugbegleitern.)

– Was halten Sie eigentlich von Passagieren, die für ihren Flug zum Urlaubsziel weniger bezahlen wollen als für das erste nette Abendessen vor Ort?

jan kurka:Darüber denke ich nicht mehr nach. Es fehlt die Zeit, der ganzen Welt zu erklären, warum etwas so und so viel kostet. Natürlich bezahlt niemand gerne mehr als verlangt wird, verständlich. Wenn man einen Flug aber als Produkt betrachtet und das mit anderen Dingen in Relation setzt, für die sehr wohl Geld da ist? Hmm.

Sagen wir so: Es gibt unbestritten Möglichkeiten, bequem und zuverlässig von A nach B zu kommen. Oder eben umgekehrt. Damit meine ich gar nicht, dass Billig-Airlines unsicher sind. Aber wenn eine renommierte Fluglinie etwa einen sehr hohen Aufwand betreibt, um bestmögliche Pünktlichkeit zu erreichen, auch was Anschlussflüge im eigenen Netz und so betrifft, dann kostet das Ticket halt mehr. Wenn das andererseits eine Firma ist, die in der Lage sein will, mit niedrigsten Preisen trotzdem kostendeckend zu arbeiten, dann kann sie im Alltag und im Service halt nicht das bieten wie die andere, wo man ein bissl mehr drauflegt. Fakt ist: Dieser Anspruch des Kunden, für kein Geld die beste Qualität zu kriegen, also wie halt unsere Gesellschaft momentan tickt, das funktioniert langfristig nicht. Und das betrifft nicht nur die Fliegerei.

– Sie fliegen heute für Air China auf der Langstrecke. Warum der Schritt nach Fernost?

jan kurka:Wahrscheinlich Abenteuerlust einerseits, andererseits bin ich ja auch von wo weggegangen. Zur AUA kann ich nur sagen: Ich wollte unbedingt hin, ich war wahnsinnig gerne dort, und ich bin dann sehr gerne weg gegangen. Letzteres hat überhaupt nichts mit den Menschen zu tun, mit denen ich dort gearbeitet habe. Die wären eher ein Grund, um sofort wieder anzuheuern. Ich habe mich einfach rasch vom Unternehmen entkoppelt. Wie es geführt wurde, wie die Management-Entscheidungen waren. Es gab dann eine Möglichkeit, das Unternehmen auf eine Art und Weise zu verlassen, mit der sowohl die Firma als auch ich zufrieden war. Wir haben uns einvernehmlich getrennt, ich erinnere mich aber, dass in diesem Sommer damals außer mir noch sehr viel mehr Cockpit-Personal gegangen ist, 100 Kollegen oder so.

Meine Idee, nach China zu gehen, kam deshalb, weil ich ein paar Piloten kannte, die schon dort waren. Und so ehrlich muss ich sein: Es ist momentan einfach der Markt, der die besten Gehälter bezahlt. Die Chinesen können sich derzeit zwar ihre Co-Piloten selbst schulen, aber wenn du gute Kapitäne mit 20 Jahren Erfahrung brauchst, dann kannst du entweder 20 Jahre auf die einheimischen Schüler warten oder halt versuchen, sie woanders am freien Markt zu erwerben. Und das geht nur mit entsprechenden Gehältern.

Selbst Angreifen: das Bugfahrwerk von OS 111

Hätte es Jan Kurka in einer kurzen Interview-Pause nicht zufällig erwähnt, bliebe dieser Ausflugs-Tipp für Luftfahrt-Interessierte wohl weiterhin unter der Wahrnehmungsgrenze: Das abgerissene Bugfahrwerk der Fokker "Wiener Neustadt" ist heute nämlich im kleinen, aber sehr feinen "Austrian Aviation Museum" in Bad Vöslau, rund 40 Kilometer südlich von Wien, ausgestellt.

Am Tag nach diesem Gespräch habe ich deshalb Frau und Kind ins Auto gepackt, um mir selbst ein Bild vom berühmten Relikt zu machen. Sehens- und besuchenswert!

(Info und Adresse: www.austrian-aviation-museum.com)

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1 Fast könnte man es zwischen den im Museum zu bestaunenden Objekten übersehen: Aufgebockt auf einer schmucklosen Holzpalette, zeugt das Fahrwerks-Teil von der Glanzleistung der OS-111-Crew. © Löger

2 Erstaunlich eigentlich: die vergleichsweise marginalen Unfallspuren an den Vorderreifen. Man kann sich vorstellen, für welche Belastungen Flugzeug-Pneus ausgelegt sind. © Löger

3 Der Sohnemann des Autors hält einen Ausdruck des offiziellen Unfallberichts, der auf dem Museumsstück für Besucher zum Begutachten aufliegt. © Löger

Fazit: Das Schönste an ihrem Job, Herr Kurka?

jan kurka:Diese im Wortsinn bodenständige Welt hinter mir lassen zu können, oben ein bissl nachdenken dürfen, dann aber, ein paar Stunden später, immer wieder in sie einzutreten zu dürfen. Das fasst das Fliegen an sich für mich am besten zusammen. 

interview_kurka_2018-07_MZ_show1_4.jpg markuszahradnik.com © markuszahradnik.com

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