Die Parasportlerinnen Elisabeth und Veronika Aigner im Skidress mit Medaillien um den Hals und Ski in der Hand vor schwarzem Hintergrund.
© Benni Schön
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Dezember 2024

„Meine anderen Sinne sind geschärft“

Vroni Aigner rast mit nur acht Prozent Sehkraft bis zu 120 km/h als Paraski-Alpin-Ass die Pisten runter, ihre Schwester Elisabeth ist ihr Guide. Ein Gespräch über Topleistungen im Parasport, Teamspirit unter Geschwistern und ambitionierte Zukunftspläne.

Die Trainingssaison hat kürzlich begonnen. Wie sieht euer Alltag in dieser Phase aus?

Elisabeth: Im August beginnt das Aufbautraining mit Leistungstests. Wir gehen laufen, wandern und ab November ist Intensivtraining am Berg angesagt. Wir sind heuer am Stubaier Gletscher, sonst in Chile oder der Schweiz mit dem ÖSV-Nationalteam und anderen Nationen. Begleitet werden wir von unserem Trainer Manfred Widauer. Er war davor Cheftrainer von Felix Neureuther und Didier Cuche. Die Zusammenarbeit läuft großartig. Es ist auch für ihn eine spannende Herausforderung, denn er trainiert das gesamte Parasportteam und muss sich für jeden individuell etwas überlegen. Bergtraining heißt um 6.30 Uhr Frühstück, um 7 Uhr am Berg sein, Mittagessen, Nachmittagstraining mit Stabilisationsübungen, Schnelligkeits- und Krafttraining, Besuch beim Servicemann, Videoanalyse, Nachbesprechung, dann essen, duschen, schlafen.

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Zwei Paraskifahrerinnen beim Riesentorlauf auf der Piste.

Die beiden Schwestern achten bei den Rennen stets auf den Abstand und das Tempo. Sie verständigen sich laufend mittels Headsets.

© ÖSV/ CLEMENS DERGANC

Das ist also Spitzensport mit täglichem Training?

Elisabeth: Unsere Leistungen sind vergleichbar mit jenen der besten Skirennläuferinnen, wir wollen überall so schnell wie möglich runterdüsen. Wir trainieren intensiv und hart. Wir fahren bis zu 80 km/h in den technischen Disziplinen, das kann schon was! Auf der Streifabfahrt im Jänner waren es locker 120 km/h.

Veronika: Da hatten wir ein Shooting für unseren Sponsor nach dem Trainingslauf der Männer und haben gemessen. Wir waren nur vier Sekunden langsamer als Ricarda Haaser, die im Weltcup fährt. Wir fahren Slalom und Riesentorlauf. Für die Olympischen Spiele 2026 beginnen wir jetzt wieder mit Trainings und Rennen in den Speed-Disziplinen Abfahrt und Super-G, das haben wir nach meiner schweren Verletzung pausiert.

Elisabeth: Vroni hatte einen Sturz. Sie hat sich alle Bänder in beiden Knien gerissen, den Meniskus verletzt.

Wie habt ihr es geschafft, wieder nach oben zu kommen?

Veronika: Es war eine schlimme Zeit. Es war am 31. Jänner 2021 und ist bei einer Pistenbesichtigung passiert, ein Jahr vor den Paralympics in Peking. Lisi hat mich jeden Tag im Spital angerufen, damit ich in kein Loch falle und keine 12 Stunden nach der OP hat die Reha begonnen, das hat auch geholfen.

Elisabeth: Die Vroni war sehr traurig, als sie alles realisiert hat. Aber wir haben uns allein und step-by-step zurückgekämpft. Wir hatten ein Jahr Zeit. Dann hatte ich noch einen unverschuldeten Autounfall, bei dem ich im Herbst verletzt wurde. Wir haben weitergemacht. Dann fuhren wir zur Einkleidung für die Spiele. Man wollte uns zuerst nicht starten lassen, wir mussten einen sportwissenschaftlichen Check machen …

Veronika: …und durften mit Ach und Krach dabei sein. Wir haben dann zwei Goldmedaillen geholt. Das war ein unglaubliches Gefühl! Jetzt peilen wir die WM 2025 und die Olympischen Spiele 2026 an, diesmal in allen Disziplinen. Da starten auch unser Bruder Hansi mit dem Haberl Nico und unsere Schwester Babsi mit Elisa Schwarz.

Der Parasport wird bekannter, aber wir sind weit von Normalität entfernt.

Veronika Aigner, Paraski-Ass

Wie kann man sich deine Seebeeinträchtigung vorstellen?

Veronika: Meine Sehbeeinträchtigung habe ich seit meiner Geburt, für mich ist das ganz normal. In der Nähe sehe ich etwas besser, in der Ferne sehr verschwommen, ich habe 13 Dioptrien, das lässt sich mit Brille nicht kompensieren, das sind acht Prozent Sehleistung. Mein linkes Auge ist inaktiv. Ich sehe Farben und Konturen, keine Details. Mein Bruder und meine Schwester, die auch Rennskifahrer sind, haben die gleiche Sehschwäche. Unsere Mutter sieht nur zu drei Prozent. Das Gehirn kompensiert, meine anderen Sinne sind sehr geschärft.

Elisabeth: Das ist ganz arg. Letztens waren wir Kart fahren, Vroni kannte die Bahn, sie war ohne zu sehen, bei jeder Runde eine Sekunde schneller als ich. Sie prägt sich Wege mega gut ein.

Paraski-Fahrerinnen Elisabeth und Veronika Aigner beißen in ihre Medaillen. © GEPA Pictures
Die Aigner-Schwestern konnten bei den Paralympics in Peking zwei Mal Gold holen.
Zwei Frauen, eine mit Haube, stehen vor einem Haus. Es sind die Parasportlerinnen Vroni und Elisabeth Aigner. © Birgit Schaller
Gestritten wird nie, beteuern die Sportlerinnen.
Nahaufnahme der Schwestern Elisabeth und Veronika Aigner. Mit Stirnband und Haube. © GEPA Pictures
Begonnen hat die Sport-Karriere der beiden Schwestern mit Skikursen am Semmering.

Ist es schwer für dich Ski zu fahren?

Veronika: Ich kenne es nicht anders. Bis neun Jahre bin ich Rennen allein und nach Gefühl gefahren, dann wurde das Tempo zu hoch. Beim Kidscup, dem höchsten Leistungslevel bei Kindern, sind meine Schwester und ich im Duo mit allen mitgefahren – und wurden Dritte. Beim Skifahren konzentriere ich mich komplett auf die Lisi. Sie trägt ein neonfarbenes Trikot. Wir sind mit einem Bluetooth-Headset verbunden. Lisi gibt Kommandos wie „Hopp“ für Links- oder Rechtsschwünge an der Stange. Ich weiß nach der Besichtigung, wie der Kurs verläuft, und fahre hinter ihr. Ich sag dann auch mal „schneller“ und sie: „Wo bist?“ Slalom erfordert schnelle Schwünge, wir halten ein Tor Abstand, Riesentorlauf ist spritziger als Super-G, da sind es zwei Tore Abstand, eine Abfahrt bedeutet längeres Gleiten. Leistung wird in meinem Fall über Faktoren bewertet: je schlechter die Sehleistung, desto größer der Zeitbonus. Ich habe B2-Status, da zählt die Sekunde für 88 Prozent, es gibt noch B1 und B3.

Elisabeth: Ich muss auf den Abstand und das Tempo achten, alles ansagen. Das ist eine Herausforderung, aber ich red eh gern. Ich weiß, dass Vroni im Steilhang Tempo rausnimmt, und stelle mich darauf ein. Es ist auch verhext, wenn ich einen Torfehler mache, dann macht ihn Vroni meist auch. Wenn ich einfädle, sind wir beide draußen. Bei Nebel tu ich mir schwerer als Vroni, ihr ist das egal. Mir sitzt der Druck also direkt im G’nack. (lacht)

Das klingt nach echter Teamarbeit. Wie oft streitet ihr?

Veronika: Wir haben noch nie gestritten, wirklich.

Elisabeth: Wenn es ein Problem gibt oder etwas nicht funktioniert, dann setzen wir uns hin, sprechen darüber und suchen eine Lösung. Wenn es einem nicht gut geht, reden wir.

Wenn du einen Traum hast, dann schaffst du es.

Elisabeth Aigner, Paraskifahrerin

Was ist, wenn du wegen Lisi aus dem Rennen fällst?

Veronika: Das kann mir genauso passieren!

Elisabeth:Warum soll man da böse sein, wir sind Menschen und Menschen machen Fehler, das ist so.

Veronika: Es ist super, dass wir alle Ski fahren, wir verstehen uns sehr gut. Natürlich picken wir ständig aufeinander, das kann auch mal nerven. Mein Bruder und ich raufen gern. Er neckt mich, dann catchen wir und kugeln am Boden. Das ist lustig.

Elisabeth:Wir geben uns gegenseitig Feedback. Da kommen oft neue Ideen. Wir sind gut darin, Tipps vom anderen anzunehmen.

Ich sehe Farben und Konturen, keine Details.

Veronika Aigner, Paralympics-Gewinnerin

Seit wann fahrt ihr gemeinsam?

Elisabeth: Zuerst ist Irmi mit Vroni gefahren. Es hat mit Skikursen am Semmering begonnen. Dann waren wir alle in der Ski-Mittelschule Lilienfeld. Obwohl die Eltern nichts mit Skifahren am Hut haben, haben sie uns alles ermöglicht. Der Papa hat uns überallhin chauffiert – in die Schule, zu den Rennen. Parallel haben wir die Landwirtschaft, er ist auch Forstarbeiter. Die Mama organisiert, bedient die Medien, steht am Wochenmarkt und hat fünf Kinder großgezogen. Beide sind mental für uns da. Meine Kids, falls ich welche bekomme, werden nicht Skifahren, das ist schon ein irrer Aufwand (lacht). Ich bin bis 17 selbst Rennen gefahren, habe viel gegeben, aber das ist ein ordentliches Gerangel im österreichischen Skisport und hat irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Für Vroni als Guide zu fahren, das war dann super. Wir sind gut eingespielt, die Verbindung als Geschwister hilft enorm.

Wie stark ist die Konkurrenz?

Veronika: Die Paralympics sind hart. Es gibt da eine Dynastie aus China, die können echt Ski fahren. Zwei Italienerinnen kommen auch zurück aus einer Verletzungspause, eine Österreicherin ist sehr stark, unsere jüngere Schwester aber auch. Ich bin gespannt.

Könnt ihr vom Sport leben?

Elisabeth: Vroni ist im Innendienst beim Einsatzkommando Cobra in Wr. Neustadt, ich bin in Graz beim Polizei-Spitzensport in Ausbildung und möchte Hubschrauberpilotin werden. Ich komme gerade von einer Flugstunde. Dort sind wir für Training und Rennen vom Dienst freigestellt. Es gibt für Parasportler sonst kaum finanzielle Unterstützung. Wir haben einen Geldsponsor, einige Kooperationen und kleine Sponsoren. Ich hatte zwei Jahre keinen Job, weil Vroni noch in der Schule war und sie mich allein beim Heeressport nicht genommen haben, obwohl wir als Spitzensportlerinnen beide voll trainieren. Die Firma Eska, die Lederhandschuhe produziert, hat mich geringfügig angestellt. Ich hab Kataloge verfasst, und die Eltern haben auch geholfen. Die Unterschiede zu nicht beeinträchtigten Sportlern sind enorm. Der Erstplatzierte in Kitzbühel bekommt 61.000 Euro, sogar der 40. Rang wird noch von der FIS bezahlt. Wir bekommen gar nichts für die Rennen bezahlt.

Veronika: Der Parasport wird bekannter, aber wir sind weit von Normalität entfernt. Bei unseren Rennen gibt es kaum Zuschauer. Wir trainieren und fahren oft auf den abgebauten Pisten an denselben Orten wie FIS-Rennläufer. Man könnte also schon am Weltcupzirkus andocken. Wir hatten in Cortina Testläufe direkt nach den Abfahrtsläufen. Dort sind 2026 die Spiele. Das war genial. Wir durften die VIP-Location nutzen, es gab einen Warm-up-Bereich, und, ach, die guten Croissants zum Frühstück. Das hat Spaß richtig gemacht.

Elisabeth: Es wäre schön, wenn der Parasport mehr mediale Präsenz hätte. Wir sind Spitzensportlerinnen. Training, Länge der Pisten, Toranzahl, alles ist gleich. Aber wir sind stolz, auf das, was wir erreicht haben. Unsere Familie hat mit ihrer Geschichte den Parasport in Österreich bekannter gemacht.

Und wie ist das so mit vielen Geschwistern?

Veronika und Elisabeth: Genial!

Elisabeth: Ich wollte eigentlich noch einen Bruder, ich habe als Zweitälteste die Kleinen mitaufgezogen. Wir haben es lustig. Gleichzeitig ist da seit jeher diese spielerische Konkurrenz. Jede möchte schneller, besser, wilder als die andere sein und eine Schippe drauflegen.

Veronika: Wir haben auch darum gerangelt, wer gewinnt, die Mama hat das überwacht. Das war ernst, aber nach zwei Minuten haben wir gelacht. So lernt man mit Niederlagen umzugehen. Nach dem Sport reicht man sich die Hand, egal, welche Platzierung.

Es wäre schön, wenn der Parasport mehr mediale Präsenz hätte.

Elisabeth Aigner, in Ausbildung beim Polizei-Spitzensport

Was wollt ihr anderen Sportlerinnen mitgeben?

Veronika: Man muss Spaß an der Sache haben. Auch wenn es hart ist, dranbleiben. Manchmal wird es heftig, aber ich habe immer weitergekämpft, das hat sich ausgezahlt.

Elisabeth: Wenn du einen Traum hast, dann schaffst du es, lass dir nix einreden. Der Weg ist nicht immer leicht, aber der Einsatz lohnt sich. Wir wollen bei der WM und den Paralympics wieder ganz vorne sein. Skifahren ist unser Leben.

Welche Pläne habt ihr nach dem Sport?

Elisabeth: Ich habe viele Ziele: Ich will in die Ausbildung für Hubschrauberpiloten. Ich bin schon Ernährungsberaterin und Personal Trainer. Aktuell mache ich die Matura nach, das ging damals in der HAK nicht wegen dem Skifahren. Vielleicht möchte ich dann Psychologie studieren. Die Kriminalistik interessiert mich, bei der Polizei passt es gut. In meiner Freizeit nähe ich Dreieckstücher, die verkaufe ich auch. Sie sind unser Markenzeichen: Vroni hat eines mit Kuhflecken, ich eins mit Gepardenmuster.

Veronika: Ich bin jung, grade 19, ich liebe das Skifahren. Aber ich möchte Familie, die Lisi wird die coole Tante. In drei Jahren möchte ich gern den Facharbeiter in der Landwirtschaft machen. Ich liebe den Hof, helfe Papa beim Holzschneiden, Mama beim Brotbacken. Ich liebe das Reiten. Unsere Pferde sind Norica, Zugtiere, aber ich reite sie. Ich züchte Hühner, das macht brutal Spaß. Ich will eine kleine biologische Landwirtschaft mit Tieren und einen Bauern heiraten. In zwei Jahren seht ihr mich bei „Bauer sucht Frau“ (lacht). Aber jetzt liegt der Fokus auf dem Skifahren.

Zur Person:

Veronika (21) und Elisabeth (26) Aigner wohnen in Gloggnitz in Niederösterreich.
Auch ihre Geschwister Johannes (19) und Barbara (19) fahren für das Para-Ski-Alpin-Team des ÖSV. Hauptsponsor: Mastercard.

Größte Erfolge:

  • 2 x Gold Paralympics Peking
  • 2 x Gold Weltmeisterschaft
  • 23 x Gold Slalom und
  • 15 x Gold RTL Weltcup,
  • 10 x Gold Slalom und
  • 9 x Gold RTL Europacup.
     

Mehr Infos unter www.skifamilieaigner.at

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