Montag, 8.30 Uhr. Ich öffne die Türe zum Atelier in der Längenfeldgasse in Wien, eine Anziehpuppe im Vintage-Look empfängt mich, die Holzstiege knarrt zur Begrüßung und drei Nähmaschinen aus Großmutterszeiten weisen mir den Weg in den ersten Stock. Vorbereitungen für das Fotoshooting der 250 Teile der Prêt-à-porter-Kollektion laufen auf Hochturen, Freisteller für den Online-Shop lenahoschek.com, die Kaffee-Maschine in der Retro-Küche rinnt nonstop. Müde Augen mit dramatischem Lidstrich sehen mich an, ein roter Kussmund lächelt: "Hallo, ich bin Lena."
Lena Hoschek: "Der eigene Stil ist wichtig!"
Erfolgsstory: Lena Hoschek hat sich mit 24 selbstständig gemacht, heute ist sie der Star auf der Berlin Fashion Week. Soeben hat sie zum zehnjährigen Jubiläum ihren neuen Flagship-Store in der Wiener Innenstadt eröffnet.
"Ein weiter Rock macht eine schmale Taille!"
— Von null auf hundert: Warum, glaubst du, bist du so schnell erfolgreich geworden?
Lena Hoschek: Ich hatte immer einen Bohemian-Vintage-inspirierten Stil verfolgt. Ich liebe Muster mit Karos und Blüten, alles gemischt und Teile mit vielen Bändern. Das hat es vor zehn Jahren in der Mode überhaupt nicht gegeben. Auch zu meiner Modeschulzeit war der vorherrschende Stil Avantgarde und Shapeshifting – superschmale minimalistische Schnitte. Da sind meine sehr lebensfrohen Teile ziemlich eingeschlagen. Ich musste meine Kunden aber auch jahrelang erziehen, ihnen klarmachen, dass ein weiter Rock nicht dick macht, sondern eine schmale Taille und eine weibliche Figur zeigt.
"Ich hatte die richtige Person am Telefon"
— Konntest du während deines Praktikums bei Vivienne Westwood in London viel Erfahrung sammeln?
Lena Hoschek: Ja, bei ihr konnte ich hautnah Schnittführung miterleben – das war wirklich toll. Man muss aber auch bedenken, dass man sich bei einem Praktikum viele Dinge selber heraussaugen muss, denn bei laufender Produktion hat niemand Zeit, sich wie ein Kindermädchen um einen zu kümmern. Je mehr man als Praktikant selber aktiv ist, desto mehr lernt man natürlich auch. Und je länger man dort ist, desto wichtigere Tätigkeiten oder Verantwortungen bekommt man übertragen. Ein Praktikum in England muss man sich echt auch leisten können. Ich danke meinen Eltern sehr, die mir das ermöglicht haben, mich unterstützt haben, dass ich überhaupt in London leben konnte, um das Praktikum zu machen.
— Wie hast du überhaupt ein Praktikum bei so einer bekannten Modedesignerin bekommen?
Lena Hoschek: Es ist wirklich gemein, weil es ein guter Zufall war. (lacht) Ich habe viel Glück gehabt, war gerade in London und wollte ursprünglich im Central Saint Martins College of Art and Design noch den Master machen. Es gab einen Wartelisten-Platz, aber leider ist niemand ausgefallen. Dann dachte ich mir, jetzt brauch’ ich schnell ein Praktikum. Ich wusste schon, dass bei Westwood gerne Österreicher und Deutsche genommen werden. Ich habe im Atelier angerufen und gesagt, dass ich die Modeschule gerade fertiggemacht habe und meine Diplomkollektion mithabe. Ich habe einfach die richtige Person am Telefon gehabt. Am nächsten Tag kam ich vorbei und am Montag darauf habe ich schon angefangen. Das Praktikum hat acht Monate gedauert.
"Warum für andere um kein Geld arbeiten?"
— Hast du dich gleich nach deinem Praktikum selbstständig gemacht?
Lena Hoschek: Mein Ziel als Teenager war immer, mich mit 27 Jahren selbstständig zu machen, frag nicht warum. (lacht) Mit 24 Jahren bin ich aus London in meine Heimatstadt Graz zurückgekommen. Ich dachte mir, warum soll ich für andere für kein Geld arbeiten, wenn ich auch für mich um kein Geld arbeiten kann. Das macht null Unterschied für mich. Ans Risiko habe ich nicht wirklich gedacht, weil ich mich ja immer schon selbstständig machen wollte. Die Entscheidung habe ich dann in ein paar Wochen getroffen. Ich dachte mir: Warum noch ewig lange warten und von einem Praktikum zum nächsten hüpfen – ich fange gleich selbst an.
— Hast du in der Anfangszeit zu Hause genäht?
Lena Hoschek: Ja, ich hatte daheim meine Nähmaschinen gehabt. Das war aber ein völliger Quatsch. Ich habe ein Arbeitsumfeld gebraucht, um mich selbst zu disziplinieren. Für mich war klar, dass, wenn ich mir schon ein Atelier leiste, muss es auch irgendwo sein, wo ich auch Umsatz machen kann. In einer Lage, wo es Leute gibt, die etwas kaufen möchten oder zufällig reinstolpern. Ich habe dann in einem Hinterhof in der Sporgasse in Graz etwas gefunden – das ist eine super Lage. Ich habe für 50 Quadratmeter 500 Euro im Monat bezahlt. Das war drei Jahre lang mein Atelier und mein Geschäft.
"Das lange Warten hat sich gelohnt"
— Und heute, zehn Jahre später, eröffnest du einen riesigen Store in der Wiener Innenstadt.
Lena Hoschek: Ja, einen Flagshipstore auf 200 Quadratmetern in der Goldschmiedgasse in der Wiener Innenstadt. Auf die aktuelle Kollektion gibt es übrigens zehn Prozent Ermäßigung.
— Eröffnest du den Store aufgrund deines Jubiläums?
Lena Hoschek: Zufall ist es nicht. Ich habe schon im letzten Jahr meine Augen und Ohren offen gehalten und eine günstige Möglichkeit gesucht. Mein größter Wunsch war, genau zum zehnjährigen Jubiläum im November einen neuen Laden zu eröffnen. Doch bis dahin hat sich nichts ergeben. Kurz danach wurde ich auf dieses leerstehende Geschäftslokal in der Innenstadt aufmerksam gemacht. Dass es sich jetzt im zehnten Jahr noch ausgeht, ist ein cooler Zufall. Es war schon lange so gewollt.
— Wirst du das Geschäft am Spittelberg behalten?
Lena Hoschek: Ja, wir behalten noch die Lokalität, aber das Geschäft habe ich zugesperrt – ich müsste sonst das Personal verdoppeln. Ich zahle bereits 35 Gehälter – Vollzeit und Teilzeit. Was ich mit dem leerstehenden Geschäft mache, überlege ich mir noch. Vielleicht ein schönes Dirndl-Geschäft oder ein Outlet?
"Mein Motto: Mehr ist mehr"
— Wie schaffst du es, kreativ zu sein – neben deinen Vertriebs- und Marketingtätigkeiten und der Führung von 35 Mitarbeitern?
Lena Hoschek: Im Austausch über Kleider und Stoffe kommt extrem viel Kreativität auf. Ich bin jemand, der im Diskurs ziemlich sprudelt. Die Frage ist eher, meine Inspiration zu stoppen. Ich kann mich nie einbremsen. Meine Kollektionen sind mit 250 Teilen viel zu groß. Mein Motto war schon immer: Mehr ist mehr. Ich mache im Jahr zwei Dirndl- und zwei Prêt-à-porter-Kollektionen. Für den heurigen Frühling und Sommer habe ich mich von der Provence inspirieren lassen. Erstmalig gibt es dabei Brautmode von der Stange. Couture-Kleider nach Maß werden hier im Atelier designt.
— Geht Dir das Nähen heute ab?
Lena Hoschek:Ja, das Handwerkliche fehlt mir sehr. Aber wenn man keine Zeit hat, hat man auch keine Muse. In der Eile und im Stress schaffe ich es gerade, einen Knopf anzunähen. Sich aber einen ganzen Tag im Atelier hinzusetzen, und zwar alleine, das ist etwas ganz anderes. Ich bin auch jemand, der sich beim Arbeiten gerne ausbreitet. Da liegt dann alles voll mit meinen Stoffen und ich blockiere mindestens zwei Tische. Das ist furchtbar. Und dann lass’ ich auch noch alles liegen, weil ich etwas Geschäftliches zu tun habe.
Zweimal im Jahr zu den Kollektionen ist es aber sowieso Pflicht. Und dazwischen gibt es zum Glück Feiertage und Sonntage – dann kann ich mich im Atelier verwirklichen. Aber ein Nähstück, etwas Probe zu nähen, Handarbeit auszuprobieren – da bin ich jetzt leider einfach zu langsam, weil mir die Routine fehlt.
"Ich bin ein grenzenloser Optimist"
— Was rätst du jungen Designern?
Lena Hoschek: Immer an sich selbst zu glauben. Das Wichtigste ist, dass ihre Teile eine eigene Note haben. Denn wer keinen eigenen Stil hat, kann es vergessen. Die Kollektionen sollten auch von einer Saison zur anderen wiedererkennbar sein.
— Hast du dir von Anfang an gedacht, dass du es schaffen wirst?
Lena Hoschek:Ich habe den Punkt nie gehabt, dass ich mir gedacht habe, ich schaffe es nicht. Mit meinen 24 Jahren habe ich von 400 Euro gelebt, das ist nicht viel. Ich habe sozusagen auf niedriger Flamme begonnen. Wenn ich einmal nichts eingenommen habe, war es auch egal – bei Mama gab es immer etwas zum Essen. Somit hatte ich null Risiko.
Das Coole war aber, dass ich – von der Eröffnung meines ersten Stores am 5. November 2005 in Graz an – Teile verkauft habe. Hätte ich das stationäre Geschäft nicht gehabt, und mich nur abhängig gemacht von Großhandelskunden – also von Boutiquen im Ausland –, dann hätte ich sicher härtere Zeiten gehabt. Ich bin aber generell ein grenzenloser Optimist, sehr willensstark und von mir, von dem was ich tue, überzeugt.
"Muster, Muster, Muster – ich brauche den Mix"
— Wer ist dein Lieblings-Designer?
Lena Hoschek: Mit 13 Jahren war ich Westwood-Fan, danach so mit 15 hat mich John Galliano begeistert – in meinen Augen ist er ein irrsinniger Künstler. Heute ist mein Lieblingsdesigner Dries Van Noten, aber nicht aufgrund der Schnitte: Seine Stoffe und Farbkombinationen sind außergewöhnlich toll.
— Ich sehe, du hast Tattoos. Wie passen sie mit deinem 50er-Jahre-Look zusammen?
Lena Hoschek: Ich liebe den Mustermix. Ich habe nur zwei Tattoos: einen steirischen Panther am linken Unterarm und ein altes Schneiderei-Zunft-Zeichen am Hals, hätte aber gerne noch viel mehr. Dafür hat mein Ehemann mehr als genug. Wenn ein Mann voll tätowiert ist und dann noch ein Hawaii-Hemd trägt, dann ist das meine Ästhetik. Daran kann ich mich nicht satt sehen.
Ich habe nur zwei Tattoos: Einen steirischen Panter am linken Unterarm und ein altes Schneiderei-Zunft-Zeichen am Hals. Dafür hat mein Mann mehr als genug.
"Ich liebe Punk und Metal, genauso wie klassische Musik"
— Du hast auch Palmers-Unterwäsche, Brillen und sogar eine Hotel-Suite designt. Wie wäre es mit einem Auto?
Lena Hoschek: Ich bin ein riesiger Autofan, ich liebe alte Entwürfe. Ich habe immer den Wunsch gehabt, etwas zu machen, das alt aussieht, aber neu funktioniert. Ich finde die wiederaufgelegte Lambretta mit Kickstarter tipptopp. Alle Oldtimer-Fans und auch mein Mann würden sicherlich die Krise kriegen, für ihn ist eine Replika das Schlimmste vom Schlimmen. Ein modernes Auto in den fließenden Formen zu designen, wie es die Aerodynamik verlangt, würde mir nicht so viel Spaß machen, denn was ich sehr liebe und sehr vermisse an neuen Autos, sind Ecken und Kanten. Ein tolles Design-Element aus den 50er- und 60er-Jahren sind die Heckflossen, generell gefallen mir langgestreckte Modelle.
— Glaubst du, haben Frauen andere Ansprüche als Männer an ein Auto?
Lena Hoschek: Glaube ich nicht. Aber das kann ich nicht beurteilen, denn ich bin in meinem Fahrverhalten und Autogebrauch auch eher männlich. Ich fahre schnell und habe auch keine Angst vor steilen Bergstraßen. Ich bin da relativ furchtlos. Ich liebe Autofahren, ich kann sehr gut abschalten dabei. Ein Auto ist eine sehr intime Kapsel, in der ich herrlich laut Musik hören und mitgrölen kann und niemand sieht mich. Sonst ist es auch ein toller Ort, um Telefonate zu führen. Ich rufe gerne Freunde und Verwandte an. Ich habe lange Autofahrten immer schon sehr genossen.
— Bei welcher Musik grölst du mit?
Lena Hoschek: Bad Religion oder sonstige Metal- und Punk-Geschichten. Wenn mein Kopf richtig voll ist und die Musik schön laut, dann komme ich mit leerem Kopf am Ziel an. Ansonsten höre ich auch extrem gerne klassische Musik, im Frühling oder auch vor Weihnachten.
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