Abenteuerlustig, neugierig und sehr vielseitig ist die Glaziologin Andrea Fischer, die vor kurzem zur "Wissenschaftlerin des Jahres" ernannt wurde. Sie kennt viele Gletscher rund um die Erde, war nebenbei Staatsmeisterin im Eisklettern, ist leidenschaftliche Schitourengeherin und Mutter einer Tochter. Seit mehr als 20 Jahren erforscht sie die Gletscher in den Alpen und weltweit und beobachtet die Veränderung. Wir sprachen mit der Forscherin über ihren Werdegang, Schifahren, Gletscherzungen und warum es Klimaforschung nicht ohne Gletscherforschung geben würde.
Schmelzende Zeiten
Gletscherforscherin und "Wissenschaftlerin des Jahres" Andrea Fischer ist humorvoll und optimistisch. Wie ihr das trotz schwindendem Forschungsgebiet gelingt und was wir alle tun können, erklärt sie im Interview.
— Sie sind aus Tirol und dozieren an der Uni Innsbruck, aber studiert haben Sie in Graz. Wie kam es dazu?
Andrea Fischer: Ich wollte Physik studieren und konnte mich nicht zwischen Physik und technischer Physik entscheiden. Das gab es nur in Linz, Wien und Graz. Für mich war Graz die sympathischste Stadt.
— Wann haben Sie sich für die Glaziologie zu interessieren begonnen?
Andrea Fischer: Interessiert haben mich Gletscher schon immer, weil ich Bergsteigen gegangen bin. Natürlich sind diese Hochtouren schon etwas ganz Besonderes. Ich habe erst relativ spät, gegen Ende meines Studiums, mitbekommen, dass Gletscherforscher ein Beruf ist. Ich habe mich erkundigt und der Nabel der Gletscherforschungswelt in Österreich war damals in Innsbruck. Dort habe ich eine Dissertationsstelle im Teilbereich Satellitenfernerkundung bekommen.
— Was genau machen Glaziolog:innen?
Andrea Fischer: Wir haben in Österreich insgesamt rund 900 Gletscher und wir versuchen, diese gut zu beobachten, indem wir alle zehn Jahre zum Beispiel luft- und satellitenbildgestützt Gletscherinventare machen. Dabei wird bei jedem Gletscher deutlich, wie viel Fläche er verliert. Da wir aber genau wissen wollen, wie viel Wasser von den Gletschern kommt und wie viel Wasser die Gletscher neu speichern, müssen wir ins Feld gehen und sogenannte Massenbilanzmessungen machen. Das bedeutet, wir gehen zum Eis und bauen Pegelstangen ein. Durch das Ablesen dieser Pegelstangen kann ausgerechnet werden, wie viel Wasser ein Gletscher zum Wasserhaushalt beiträgt. Wir machen auch sehr viele Prozessstudien, etwa an Eiskernen. Das Eis in Österreich ist bis zu 6.000 Jahre alt. Aus diesen Analysen geht zum Beispiel hervor, wann ein Waldbrand war, wie das Klima zu gewissen Zeiten ausgeschaut hat oder wie die Biodiversität zu verschiedenen Zeiten zusammengesetzt war.
— Sie wurden zur Wissenschaftlerin des Jahres 2023 ernannt. Was bedeutet das für Sie, was hat es bewirkt und mögen Sie überhaupt Auszeichnungen?
Andrea Fischer: Wir arbeiten bereits seit 20 Jahren als Team an diesem Projekt. Da freut es uns natürlich sehr, wenn wir das Gefühl haben, dass dieser hohe persönliche Einsatz gesehen und wertgeschätzt wird.
Das zeigt uns, dass wir es nicht umsonst machen. Insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Interesse an diesem Thema immer weiter steigt. Das ist sehr schön. Wir kämpfen ja alle in der Wissenschaft ein bisschen um unseren Platz in der Gesellschaft. Denn oft scheint es uns so, als ob durch die geänderten Kommunikationsstrukturen und durch soziale Medien Fake News so überhandnehmen, dass wir einfach froh sind, wenn wir der Welt der Tatsachen ein bisschen mehr Raum einräumen können.
— Da ist es sicher auch von Vorteil, dass so eine Auszeichnung mediales Interesse erweckt und Sie über das Thema sprechen können.
Andrea Fischer: Ja, jetzt war ich die letzten Wochen schon ganz gut beschäftigt (lacht). Aber prinzipiell stehen wir einfach vor der Herausforderung, dass wir das Gletscher-Monitoring in den nächsten Jahren weitermachen wollen. Auch wenn wir wahrscheinlich bereits in wenigen Jahren die ersten Messungen einstellen müssen, sehe ich es als unsere Verantwortung, diese Daten, solange es geht, gut zu erfassen. Damit man auch für andere Regionen auf der Erde weiß, wie schnell es geht, bis die Eisreserven wirklich erschöpft sind und welche Auswirkungen das auf den Wasserhaushalt hat.
— Apropos Wasserhaushalt: In Österreich geht es uns damit sehr gut. Aber könnte das tatsächlich ein Problem werden?
Andrea Fischer: Wir haben einen großen topografischen Vorteil: Die Alpen. An den Alpen hebt sich die Luft und sorgt hier für Niederschlag, auch wenn es rundherum trocken ist. Und das sorgt dafür, dass wir im Alpenraum wahrscheinlich relativ sicher vor großen Wasserknappheiten sind. Allerdings ist die Niederschlagsprognose in den Klimaszenarien unsicherer als die Temperaturprognose. Und das konnten wir in den letzten beiden Wintern sehen, wo es mit einem starken Niederschlagsdefizit sehr große Ausreißer gegeben hat. Anders verhält es sich im Osten Österreichs. Dieser leidet seit Jahren unter Trockenheit im Sommer. Hier besteht beim Thema Wasser auch das größte Managementpotenzial: Wofür wird das Wasser verwendet? Wenn es ums Autowaschen, die Poolbefüllung und ähnliches geht, müssen wir auch Sparmaßnahmen treffen können, um die Versorgung mit dem wirklich wichtigen Wasser sicherstellen.
Nicht jede Reglementierung ist schlecht, wichtig ist die Verankerung in den Köpfen und die Akzeptanz.
— Aber das erfordert auch ein massives Umdenken…
Andrea Fischer: Ja, die Älteren werden sich allerdings noch an die Einführung der Promillegrenze erinnern. Bis zu den 1960er-Jahren durfte man beim Autofahren trinken, soviel man wollte. Wir erinnern uns an die Einführung des Sicherheitsgurts, die damals auch politische Verwerfungen erzeugt hat, die jetzt gar nicht mehr nachvollziehbar sind. Damals ist noch gesagt worden: "Ich halte mich eh fest." Was ich damit sagen will: An gewisse Dinge muss man sich gewöhnen. Es ist nicht jede Reglementierung schlecht, denn die Anzahl der Verkehrstoten ist ja tatsächlich rapide gesunken.
— Das Umdenken beginnt bei jedem einzelnen. Heutzutage können wir uns ja auch ein Fahren ohne Gurt oder Kindersitz gar nicht mehr vorstellen.
Andrea Fischer: Das sind gute Alltagsbeispiele. Das eine ist eine gesetzliche Regelung und das andere ist die Verankerung in den Köpfen und die Akzeptanz. Das muss Hand in Hand gehen. Und da kommt die Wissenschaft ins Spiel, welche anhand von Experimenten herausfindet, dass z. B. das einfache Festhalten im Auto tatsächlich nicht funktionieren kann. Und dann ist die Regelung auch nicht mehr böse, sondern okay.
— Würden Sie jungen Leuten noch empfehlen, in die Gletscherforschung zu gehen? Oder schmilzt das Forschungsgebiet quasi weg?
Andrea Fischer:Auf die nächsten Jahrtausende gesehen, wird uns die Permafrostforschung sicher bleiben, weil ein Teil dieses Gletschereises jetzt schon von Schutt verschüttet wird und wir aus den Bohrkernen in den Blockgletschern wissen: Eis unter Schutt kann mehrere Jahrtausende alt werden. Wer sich also auf Permafrost spezialisiert, kann in Österreich sicher noch die nächsten Jahrtausende arbeiten. Und was die anderen Gletscher der Welt betrifft, zum Beispiel die Eisfelder Grönlands, auf die eine Gruppe von der Uni Graz spezialisiert ist, geht dort diese Phase, in der unsere Gletscher jetzt sind, erst später los. Dort kann man sicher noch ein ganzes Berufsleben verbringen.
— Stichwort Permafrost. Könnte dieser, wenn er auftaut, für uns Menschen gefährlich werden?
Andrea Fischer:Zurzeit ist es so, dass die Viren und Bakterien, die im Permafrost gefunden wurden, im Labor vermehrt werden konnten. Aber es ist noch nicht nachgewiesen, dass sich diese in einer sehr lebensfeindlichen Umgebung wie dem Hochgebirge mit einem hohen UV-Einfluss tatsächlich selbst vermehren können. Und zwar in einer Menge, die im Unterlauf der Gewässer eine Gefahr darstellen würde. Dazu stehen die Forschungen allerdings erst am Anfang. Beim Permafrost würde ich eher die Gefahr für den Alltag darin sehen, dass er relativ tiefe Lagen reicht.
— Was genau meinen Sie?
Andrea Fischer:Das niedrigste Permafrostvorkommen Österreichs ist auf 1.200 Metern Seehöhe nachgewiesen. Werden diese Vorkommen instabil, kann das die Infrastruktur betreffen und sich nicht nur auf den Straßenerhalt im Hochgebirge, sondern auch auf die Verkehrssicherheit auswirken. Es könnte beispielsweise zu Steinschlägen oder Felsstürzen kommen.
— Sind Sie eigentlich noch viel in der Feldforschung?
Andrea Fischer:Im Feld bin ich heutzutage ca. einmal pro Woche und nicht mehr wie früher fünf bis sieben Tage unterwegs. Da habe ich meine Mitarbeitenden, die jung und kräftig sind.
— Birgt diese Feldforschung auch Gefahren?
Andrea Fischer:Ja, daher sind wir in Gruppen von zwei bis zu sieben Personen unterwegs. Da die Gletscherspalten nicht gut sichtbar sind, müssen wir zur Sicherheit am Seil gehen. Wir haben dafür auch eine sehr gute Ausbildung und absolvieren jährlich zwei Kurse an Sicherheitstrainings, damit wir diese Arbeit machen können.
In Gruppen gehen wir aber auch deshalb, weil wir das Material zum großen Teil rauftragen, außer bei den Bohrungen, da fliegen wir mit dem Hubschrauber. Ansonsten müssten wir um die 1.000 Kilo schleppen.
— Wie lange dauert es, einen Eiskern zu bohren?
Andrea Fischer:Pro Tag können wir bis zu zwei Kerne bei zehn Meter Eistiefe bohren.
— Wird das Eis geschmolzen oder aufgehoben?
Andrea Fischer:Es wird aufgehoben, die modernen Analyse-Methoden funktionieren mit Laser. Da fährt der Laserstrahl nur drüber und es wird ein kleiner Teil dieses Kerns verdampft und chemisch analysiert. Durch die Analysen erhalten wir Information über das lokale Klima, was die Menschen gemacht haben und wie sich die Biodiversität verändert hat.
Zudem gibt es das Projekt Ice Memory, mit dem wir versuchen, Eis für die Ewigkeit zu bewahren. Dazu werden Eiskerne in die Antarktis gebracht. Denn in 50 Jahren wird es andere Möglichkeiten der Analyse geben, die noch weitere Erkenntnisse bringen und es wäre natürlich schade, wenn von den Alpen dann kein Eis mehr da ist.
— Haben Sie eigentlich einen Lieblingsgletscher?
Andrea Fischer:(lacht) Das wechselt immer ein bisschen, denn es tut sich immer woanders irgendwas Interessantes. Wo ich schon seit Jahren sehr viel und umfassende Forschung betreibe, ist am Jamtalferner in der Silvretta und im Kaunertal. Beide sind Teil des Long Term Ecological Research Netzwerks, also der ökologischen Langzeitforschung. Dabei beobachten wir nicht nur die Gletscher selbst, sondern auch, wie schnell es geht, dass die Pflanzen nach oben rücken. Auch der Wasserhaushalt und Änderungen der chemischen Zusammensetzung die sich aus den Schmelzen von Gletscher und Permafrost ergeben, werden erforscht.
— Die Gletscherforschung in Österreich begann 1891, ist das in anderen Ländern auch derart historisch belegbar?
Andrea Fischer:Wir sind ca. gleichauf mit der Schweiz und sind weltweit führend. Österreich hat beim World Glacier Monitoring Service insgesamt ein Drittel der gesamten Daten geliefert. Das liegt daran, dass wir nicht nur schon sehr lange, sondern auch sehr viel messen.
— Welche Messmethoden werden heute eingesetzt?
Andrea Fischer:Wir haben in den letzten Jahren und Jahrzehnten sehr viele neue Methoden entwickelt. Die Satellitenfernerkundung und numerische Modellierung sind eine große Hilfe. Wir arbeiten auch mit Orthofotos und setzen jetzt Drohnen ein, da Bereiche zunehmend nicht mehr begehbar werden, etwa durch einen Steinschlag. Die Flächenänderungen sind derzeit sehr groß, wir haben im vorigen Jahr am Jamtalferner zehn Prozent der Gesamtfläche verloren. Das war früher der Änderungsbetrag über 20 Jahre. Und diese Erfassung der Flächenänderung ist natürlich eine Herausforderung. Dabei sind Drohnen ein sehr gutes Instrument.
Gleichzeitig verwenden wir nach wie vor die Methoden von 1891, diese Maßbandmessungen sind simpel, effizient und gut vergleichbar.
— Wie viele Gletscher haben Sie bereits vermessen?
Andrea Fischer:Ich habe ehrlich gesagt nie mitgezählt, aber ich schätze, dass ich wahrscheinlich auf einem Drittel der österreichischen Gletscher schon einmal war. Die meisten dieser 900 sind ja sehr klein, also deutlich unter einem Quadratkilometer.
— Im Ausland waren Sie auch schon auf vielen Gletschern. Wo waren Sie da überall?
Andrea Fischer:Im Wesentlichen kann ich es so sagen: Mir fehlen die Gletscher Grönlands, Islands und Neuseelands. Sonst, glaube ich, habe ich sie alle.
Natürlich war ich nicht auf jedem Gletscher, aber ich war in den meisten Ländern Südamerikas, in den USA, in Zentralasien und afrikanische Gletscher habe ich auch angeschaut. Natürlich war ich in Skandinavien, in den Alpen sowieso, in den Abruzzen, in den Pyrenäen und im Himalaja.
— Sie waren eine sehr begabte Eiskletterin und auch Staatsmeisterin. Wie ist es dazu gekommen?
Andrea Fischer:Ich habe schon in der Schulzeit mit Eisklettern begonnen. Aber dann gab es etwas später einen Quantensprung in der Eisklettertechnik. Die Ausrüstung ist wahnsinnig leicht geworden, es gab dann die ersten Wettkämpfe. Das war eine sehr nette Gruppe, die damals unterwegs war und wir haben uns da gegenseitig gepusht. Es war eine spannende Zeit.
— Und wie lange haben Sie das gemacht?
Andrea Fischer:Von ca. 2000 bis 2007. 2007 habe ich angefangen Skitouren zu gehen und auch Skitourenwettkämpfe bestritten. Die Eisklettersaison ist sehr kurz und es ist von der körperlichen Beanspruchung etwas ganz anderes als Skitouren gehen. Das lässt sich schwer kombinieren. Also ich bin dann auf Skitourenwettkämpfe umgestiegen.
— Was würden Sie sagen, was war Ihr letztes größeres Abenteuer? Beziehungsweise würden Sie sich als Abenteurerin bezeichnen?
Andrea Fischer:Ja. Mir macht es großen Spaß, immer neue Dinge zu erkunden, das gehört zum Abenteuer dazu. Das letzte Abenteuer war der Ball der Wissenschaften (lacht).
— Das Tanzen?
Andrea Fischer:Nein, ich habe gar nicht getanzt. Ich bin keine versierte Ballgängerin und insofern war das für mich aufregender als eine Expedition ins Hinterland von Kirgisistan.
— Dann schon lieber Eistanzen …
Andrea Fischer:Wenn, dann so in der Art: Wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis tanzen (lacht).
Zukunft des Schifahrens
— Wenn die Gletscher schmelzen und der Schnee weniger wird, wie schaut da die Zukunft des Schitourismus aus?
Andrea Fischer:Prinzipiell ist der Schnee ein sehr launischer Parameter. Es gibt Jahre, wo es viel Schnee gibt und Jahre, wo es wenig Schnee gibt. Weil das im Wesentlichen von der Witterung abhängt und nicht so sehr vom Klima. Demzufolge ist es auch relativ schwer, da einen guten Trend festzumachen. Tendenziell ist es so, dass die Anzahl der Schneetage sich verringert. Je weiter im Tal unten, desto schneller geht diese Reduktion der Schneetage, wobei die klassischen Skiregionen Arlberg, Kitzbühel, am Alpennordrand sind und dort immer wieder Wetterlagen eintreten, wo auf einmal sehr viel Schnee fällt.
— Wie können die Skigebiete damit umgehen?
Andrea Fischer:Es gilt dann, je stärker der Klimawandel zuschlägt, diese Zeiten, in denen der Schnee liegt, einfach zu nutzen. Für die klassischen Skigebiete ist es so, dass man weniger Naturschneeangebot sehr gut durch technische Schneeproduktion kompensieren kann. Der kann in der Nacht produziert werden, auch wenn tagsüber relativ hohe Temperaturen herrschen. Der ist fest und auch widerstandsfähig gegen Abschmelzung. Da sind wir eher resilient als mit der Naturschneedecke.
— Naturschneedecken sind also mittlerweile sehr selten?
Andrea Fischer:Dazu muss man auch sagen, dass mit dem Naturschneeangebot kein Lift betrieben werden kann. Ich kann mich an meine Kindheit erinnern. Da haben wir auf der Piste die Ski abgeschnallt, sie über einen grünen Fleck getragen und sind danach weitergefahren. Das wäre aus juristischen Gründen heute gar nicht mehr möglich. Wichtig ist die Verkehrssicherungspflicht auf der Piste. Genauso wie die Asphaltfläche auf der Straße muss die Piste eine gewisse Qualität haben. Die ist nur mit technischem Schnee erzielbar.
— Da helfen moderne Beschneiungsanlagen?
Andrea Fischer:Genau. Da geht es darum, in der Vorsaison diese drei Tage Grundbeschneiung mit einer modernen und effizienten Anlage zu nutzen.
— Dürfen wir noch mit gutem Gewissen Schifahren? In Hinblick auf die Ökologie, den CO²-Verbrauch, etc.?
Andrea Fischer:Was ökologisch gar nichts bringt, ist, wenn ich in Tirol aufs Skifahren verzichte und dann ins Burgenland in die Therme fahre. Dann habe ich den schlechteren Fußabdruck, als wenn ich in Tirol zwei Kilometer zum nächsten Skigebiet fahre und der Strom meines Skigebiets aus ökologischen, erneuerbaren Quellen kommt. Und ich glaube, da muss man wirklich individuelle Entscheidungen treffen.
Wichtig wäre auch der Erhalt der regionalen, stadtnahen Skigebiete, denn der größte Fußabdruck kommt einfach aus der Anreise. Daher wären öffentliche Verkehrsmittel zu bevorzugen.
Aber auch wenn die Menschen nur auf der Couch sitzen und das ganze Wochenende 24 Stunden streamen oder shoppen, müssen sie sich darüber im Klaren sein: Auch das ist nicht CO²-neutral. Es stellt sich also immer die Frage, was mache ich statt Schifahren?
Schau hin! Die Bilder von den Gletschern sind so eindeutig, es gibt den Klimawandel. Wichtig ist, wie wir mit diesem Wissen umgehen.
— Geht Klimaforschung ohne Gletscherforschung?
Andrea Fischer:Ich muss immer wieder betonen, dass die Klimaforschung nur in die Welt gekommen ist, weil es die Gletscherforschung gegeben hat und weil die Gletscherforscher nachgewiesen haben, dass sich das Klima ändert. Aufgrund dieses Nachweises zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte sich diese Erforschung der Variabilität des Klimas etablieren. Hinzu kam die Forschung, welche Klimatreiber welche Auswirkungen haben. Diese große Rolle des CO² wurde bereits in den Ursprüngen zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkannt, konnte aber erst ab den 1970er-Jahren quantifiziert werden.
Das waren wirklich große Meilensteine, wo die Gletscherforschung sehr wichtig für die Klimaforschung war. In den Eisbohrkernen aus der Antarktis ist die frühere Zusammensetzung der Luft gespeichert und auch die Temperatur. Das heißt, dieser Beweis, dass sich CO²-Gehalt und Temperatur gleichzeitig ändern, kommt ebenfalls aus der Erforschung der Gletscher, genauer gesagt der Antarktis. Insofern halte ich uns schon für wichtig (lacht).
— Was hat sich in der Gletscherforschung geändert, seit sie dabei sind?
Andrea Fischer:Während zu Beginn meiner Arbeit noch ein Vorstoß der Gletscher zu sehen war, änderte sich das mit Ende der 1990er-Jahre. Seither sind diese sehr starken Gletscherrückgänge zu beobachten und gleichzeitig schärfte sich in der Klimaforschung diese Zuweisung der Rolle des Menschen. Erst um 2005 wurde die Erwärmung auf die Treibhausgasemissionen durch die Menschen attribuitiert, also der Mensch als Ursache angegeben.
— Das ist spannend. Dabei waren bereits die Auswirkungen von FCKW bekannt …
Andrea Fischer:Dass vieles menschengemacht ist, schon, aber zum Beispiel die Ausrufung des Anthropozäns, ist ein großes Thema in der Wissenschaft. Diese Erkenntnis, dass der Mensch wirklich auf großer Skala die Erde beeinflusst. Das ist der große Schritt, der in den Natur- und Geowissenschaften passiert ist.
— Sie haben auch einmal gesagt, man könne die Gletscher nicht mehr vor den Menschen schützen. Wie könnten sie geschützt werden?
Andrea Fischer:Bei sehr kleinen Flächen könnte durch eine Abdeckung die Schmelze verzögert werden, das ist aber nicht großflächig anwendbar. In allen berechneten Szenarien sind die alten Gletscher zum Ende des Jahrhunderts weitgehend verschwunden. Insbesondere in den Ostalpen. Und die Erwärmung der nächsten 30 Jahre ist ja im Voraus schon durch die bisherigen Emissionen festgesetzt. Das heißt, da kann man sehr wenig machen.
— Gibt es überhaupt noch Hoffnung daran etwas zu ändern?
Andrea Fischer:Gegen Ende des Jahrhunderts ist es möglich, wenn die Treibhausgasemissionen so begrenzt werden, dass die Erwärmung auf unter etwa zwei Grad bleibt. Damit es zu einer leichten Abkühlung kommt und sich die Gletscher dann wieder neu bilden können. Das können wir anstreben und für die anderen Gletscher der Erde, die höher gelegen und weit an den Polen sind, wo die Erwärmung dann später wirklich schlagend wird, da kann natürlich noch viel gemacht werden.
— Warum sind eigentlich viele Gletscher nicht mehr weiß, sondern grau?
Andrea Fischer:Das liegt daran, dass einfach der Schnee fehlt. Es gibt weniger Winterschnee als früher und der ist bereits im Juli bis auf die Gipfel hinauf abgeschmolzen. Früher gab es auch noch eine weiße Firnschicht, also mehrjährig liegen gebliebener Schnee. Doch dieses Reservoir, aus dem sich neues Eis hätte bilden können, ist mittlerweile auch durch diese vielen Jahre, in denen Schmelze in großen Höhen stattfindet, weitgehend abgebaut. Übrig bleibt jetzt nur noch dieses sehr dunkle Gletscher-Eis.
— Was wird passieren, wenn die Gletscher abschmelzen?
Andrea Fischer:Wir werden neue eisfreie Flächen haben. Gott sei Dank geht die Vegetation so schnell nach oben, dass dort rasch Grün entstehen wird. Die Frage ist: Wie stabil sind diese Flächen? Wir beobachten momentan eine Häufung von Massenbewegungen. Wo Jahrhunderte das Eis war, muss sich erst die neue Oberflächenform ausbilden, das lockere Sediment abtransportiert werden. Da kann es vorübergehend zu einer Häufung von Muren- Ereignissen kommen, auch zu Steinschlägen und Felsstürzen. Es ist aber auch hier eine Festigung zu erwarten und je mehr Vegetation dort oben entsteht, je höher die Bäume stehen, desto besser.
— Was könnte jeder Einzelne realistischerweise tun, um dem Klima zu helfen?
Andrea Fischer:Wenn ich die letzten Jahrzehnte anschaue, sind Konsum und Mobilität sehr stark angestiegen, gleichzeitig auch der gefühlte Stress der Menschen. Ich glaube, wenn wir anfangen, ein bisschen Stress abzubauen, können wir auch sehr klimapositiv agieren.
— Reisen Sie noch privat?
Andrea Fischer:Nein, ich bin so unverschämt und habe die letzten Jahre Urlaub in Tirol gemacht, ich hatte keine Lust, mit dem Auto weit in den Urlaub zu fahren. Privat bin ich 2012 das letzte Mal geflogen. Ich genieße dieses Entschleunigen. Ich habe festgestellt, dass, wenn ich irgendwo in der Nähe an einem Bacherl sitze und zuschaue, wie das Wasser plätschert, es für mich sehr entspannend ist.
— Sie sagten in einem anderen Interview, dass wir an die "Herausforderungen des Klimawandels positiv herangehen sollen"…
Andrea Fischer:Ja, also gerade dieses relativ angenehme mediterrane Klima, das wir in den letzten Jahren haben, ist auch für den Tourismus ein Vorteil. Natürlich muss viel umgestellt werden, auch in der Landwirtschaft, aber ich glaube, dass es durchaus auch Vorteile gibt, die die neuen Bedingungen bieten können. Und die müssen wir erkennen und nutzen. Nicht darüber jammern, dass es jetzt anders ist, sondern einfach dieses andere zu unseren Gunsten wieder nutzen. Das ist auch die Stärke, die das Überleben der Menschen in einem sehr turbulenten Klima in den Alpen in den letzten Jahrtausenden ermöglicht hat.
— Was hoffen Sie mit Ihrer Forschung noch zu bewirken?
Andrea Fischer:Wir hoffen mit unserer Forschung zu bewirken, dass jeder eine Chance hat zu sehen, was mit den Gletschern passiert, was sind die Ursachen dieser Veränderung und wie wollen wir damit umgehen? Im Unterschied zum Klimawandel der kleinen Eiszeit, wo vermeintliche Hexen verbrannt wurden, was ja nicht so viel gebracht hat, wissen wir heute, woher es kommt. Und da hoffe ich, dass wir eine gute Basis für einen öffentlichen Dialog schaffen, was uns als Gesellschaft wichtig ist. Was könnten wir tun, was wollen wir tun?
— Was würden Sie jemandem sagen, der den Klimawandel leugnet?
Andrea Fischer:Schau hin! Ich meine, die Bilder von den Gletschern sind so eindeutig, dass ganz klar ist, da gibt es den Klimawandel.
Entscheiden wir uns weiterhin dazu, die Atmosphäre aufzuheizen, dann wissen wir auch, was auf uns zukommt und können uns entsprechend vorbereiten. Wir müssen dann die Folgen in Kauf nehmen und versuchen, sie kleiner zu machen, aber dann ist es eine bewusste Entscheidung. Ich finde es immer wichtig, Dinge nicht einfach passieren zu lassen, sondern wenn man es eh schon weiß, eine bewusste Entscheidung zu treffen.
— Sie blicken also noch optimistisch in die Zukunft?
Andrea Fischer:Ja, weil ich glaube, wir schaffen das. Ich bin zutiefst überzeugt: Die Menschheit hat schon viele Herausforderungen geschafft und das ist halt eine dieser Herausforderungen.
Mehr Infos zur Unterstützung und Förderung des Langzeitmonitorings erhalten Sie unter Verein Gletscher und Klima.
Infos Andrea Fischer
- geboren 1973 in St. Johann/Tirol
- Wohnt nahe Innsbruck
- Mutter einer Tochter
- 2023 Ernennung zur "Wissenschaftlerin des Jahres" des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten
- Arbeitsgebiete: Glaziologie, Klimaforschung und Gebirgsforschung.
- Stellvertretende Direktorin am Institut für interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW)
- seit 2011 Privatdozentin an der Uni Innsbruck
- 2003 Doktorat Universität Innsbruck am Meteorologischen Institut
- 2002 Staatsmeisterin im Eisklettern
- 1991 - 1999 Studienabschluss in technischer Physik und Umweltsystemwissenschaften an der Universität Graz.
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