Die aktuelle Stadtregierung hat im Koalitionsprogramm eine "autofreie Innenstadt" festgeschrieben, was im Wesentlichen auf ein elektronisch überwachtes Einfahrverbot für alle, die nicht im 1. Bezirk wohnen, hinausläuft. Für Bezirks-Fremde ist nur die Zufahrt zu Tiefgaragen erlaubt. Wie stehen Sie zu dieser Form von "autofreier Innenstadt"?
Nein, ich muss eine kleine Korrektur vornehmen. Ich selbst habe nie von einer autofreien Innenstadt gesprochen, sondern immer von einer verkehrsberuhigten Innenstadt. Und das ist deshalb ein wesentlicher Unterschied, weil im ersten Bezirk zwar nur 16.000 Menschen wohnen, aber rund 150.000 Menschen arbeiten. Ich halte eine völlige autofreie Innenstadt daher für nicht möglich und auch nicht sinnvoll.
Für mich ein gutes Beispiel ist ein Bandagist, der sein Geschäft im ersten Bezirk hat und dessen Kunden zum großen Teil körperlich beeinträchtigt sind. Die kommen jetzt nicht mit dem Rad und haben oft auch Schwierigkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu kommen. Die nutzen natürlich das Auto. Von daher wird es gewisse Möglichkeiten geben müssen.
Aber Sie haben völlig recht, eine verkehrsberuhigte Innenstadt ist das Ziel. Technisch begleitet, technisch überwacht und mit beschränkten Verkehrsströmen, das halte ich für sinnvoll. Wir wollen auch diese sinnvolle, funktionale und soziale Durchmischung im ersten Bezirk aufrechterhalten. Es soll ein lebendiger Bezirk, ein lebendiger Teil unserer Stadt bleiben. Aber wir harren der Umsetzung. Dafür war es notwendig, eine Novelle der StVO vorzunehmen.
Meines Wissens ist auch die Bezirksvertretung im ersten Bezirk, mit einer Ausnahme, parteiübergreifend dafür. Und von daher finde es sinnvoll, dass die Stadt gemeinsam mit den Verantwortlichen im Bezirk da eine Lösung findet.
Sollte es im 1. Bezirk tatsächlich zu einem Einfahrverbot kommen, erwarten wir, dass es ähnliche Wünsche auch in anderen Bezirken geben wird. Wie sehen Sie das?
Vorerst würde ich glauben, dass die räumliche Situation eine solche Beschränkung möglich macht, aber Verkehrsberuhigung führen wir in allen Teilen der Stadt durch, immer auch in enger Abstimmung mit den Bezirksparlamenten und den Bezirksvorsteherinnen und Bezirksvorstehern und den Anrainern. Es muss das Ziel sein, den Verkehrsfluss zu erhalten, aber trotzdem die Aufenthaltsqualität zu verbessern.
Der Lobautunnel liegt seit drei Jahren auf Eis. Unabhängig davon steigt der Verkehr auf der A23 weiter an. Braucht es Ihrer Meinung nach den Lobautunnel oder sind andere Maßnahmen zielgerichteter?
Ja, es fehlt der Lückenschluss einer größeren Umfahrung. Diese 118 Kilometer stellen nicht nur eine Umfahrung für Wien dar, sondern bieten auch für Niederösterreich zusätzliche Perspektiven in der Erweiterung und Ausbildung von Siedlungen und Wirtschaftsstandorten. Und von daher halte ich es für unerlässlich, dass die entsprechenden Beschlüsse, das entsprechende Gesetz, umgesetzt wird.
Ich sehe darin eine ganz starke Notwendigkeit aus mehreren Gründen. Zum einen halte ich es für gut, dass die allermeisten Städte und Gemeinden Umfahrungen haben. Das ist richtig, um die Bevölkerung zu entlasten. Für mich unverständlich ist, warum in der mit Abstand größten Stadt in Österreich eine solche Umfahrung nicht möglich sein sollte. Noch dazu ist es ein Projekt, das über mehr als 15 Jahre umfassend geprüft worden ist.
Zweitens ist es ein Projekt, das eben keine Brücke über ein Naturschutzgebiet vorsieht, sondern einen Tunnel, der 60 Meter unter der Erde ist, vor dem Naturschutzgebiet Lobau beginnt und nach dem Naturschutzgebiet Lobau wieder auftaucht. Wo also kein Grashalm beeinträchtigt und kein Frosch verschreckt wird. Und trotzdem, das ist der dritte Punkt, werden alle Ortskerne im 22. Bezirk entlastet, die derzeit unter ganz starker Verkehrsbelastung leiden.
Zudem sehen wir darin auch eine Möglichkeit, den internationalen Durchzugsverkehr aus der Stadt zu bringen. Unseren Berechnungen nach wird hier ein nicht unwesentlicher Teil dann nicht mehr über die Südostrangente laufen.
Es ist natürlich eine große infrastrukturelle Maßnahme. Aber das sind wir gewohnt. Ich kann mich erinnern, wie wir die Donauinsel gegen heftigsten politischen Widerstand durchgesetzt haben. Da hat es viel Kritik gegeben. Heute wissen alle, das ist nicht nur eine ganz wesentliche Maßnahme des Hochwasserschutzes, sondern ein großartiges Naherholungsgebiet. Also manchmal muss man den Mut zu Entscheidungen haben, die über Jahrzehnte Bestand haben.
Die Stadt Wien hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 den Fahrzeugbestand auf rund 530.000 Stück zu senken. Welchen Stellenwert hat Ihrer Meinung nach überhaupt noch der private Pkw in der Stadt?
Es gibt eine starke Veränderung der Nutzung von Pkw in einer Großstadt wie Wien. Das wird von uns auch unterstützt durch den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel. Das ist für uns eine starke Maßnahme, um eben eine Wahlmöglichkeit zu bieten, dass Menschen für sich selber entscheiden können, welches Mobilitätsinstrument sie wählen.
Vor der Tür haben wir die größte U-Bahn-Baustelle Europas und wenn dieses Ausbauprogramm in den nächsten Jahren abgeschlossen ist, werden es 1,3 Milliarden Menschen sein, die mit den Wiener Linien unterwegs sind. Wir bauen auch den Fahrradbereich aus.
Aber es wird auch in Zukunft Menschen geben, die mit dem Auto fahren müssen oder wollen. Das soll dann auch noch möglich sein.
Laut Modal Split (Verkehrsverteilung OHNE Einpendler) werden 74% aller Wege in Wien mit Öffis, dem Rad oder zu Fuß zurückgelegt. Dieser Anteil soll bis 2030 auf 85% steigen. Wie bringt man Menschen Ihrer Meinung dazu, vom Auto auf andere Verkehrsmittel umzusteigen?
Um den Modal Split weiter Richtung öffentlichen Verkehr zu entwickeln, ist es notwendig, das Ausbauprogramm der öffentlichen Verkehrsmittel weiterzuführen und gleichzeitig auch den Zugang möglichst kostengünstig zu halten, wie mit dem Jahresticket der Wiener Linien, das 1 Euro pro Tag vorsieht. Und wir haben ein sehr engagiertes U-Bahn-Ausbauprogramm. Wir haben aber auch unser Straßenbahnnetz immer schrittweise ausgebaut. Wir bauen jetzt eine neue Straßenbahnlinie 27. Wir sind weltweit am sechsten Platz, was das Straßenbahnnetz betrifft.
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