Es wurmt mich zutiefst, dass ich in Österreich noch nie gewonnen habe!", sagt Sebastian Vettel mit ernster Miene und legt nach: "Es wird höchste Zeit, dass ich diese Statistik ändere." Vettel also, vierfacher Formel-1-Weltmeister, mit einer engen Beziehung zu Rot-Weiß-Rot: Wann immer er kommt, will er sofort ein Schnitzel mit Erdäpfelsalat. Und mit der Familie Auinger verbindet ihn eine lange Freundschaft, besonders zum Gustl, der Mitte der 1980er-Jahre fünf Motorrad-Grand-Prix-Siege einfuhr und heute junge Talente an die MotoGP heranführt.
Der Bube und der König
Es war einmal ein blonder Bub aus deutschen Landen, der aufbrach, um die Welt des Automobil-Rennsports zu erobern. Er reiste nach Österreich, traf auf einen König und einen Ring. Heute ist er selbst ein König und Herr der Ringe.
Also auf in die Steiermark nach Fohnsdorf auf Spurensuche zu Gustl Auinger, der in seiner Garage auf uns wartet. Garage? Nein, fast schon ein Mini-Hangar, in dem eine Reihe 125er-Zweitakt-Metrakit-Bikes hergerichtet und aufgefädelt stehen, für seine "Buam" vom MotoGP-Rookies-Cup. Auch zwei V6-Renault-World-Series-Boliden sind aufgebockt, blitzblank geputzt. Aber das ist Neuzeit, wir wollen von Gustl wissen, was damals war: vor siebzehn Jahren, mit dem König und dem Buben aus Heppenheim.
Garagen-Fund in Fohnsdorf
"Die Formel König war eine Nachwuchs-Serie von 1987 bis 2005. Und weil mein Sohn Bernhard in dieser Serie Rennen fuhr, kannten wir die Vettels. Sie tauchten öfter bei uns im Fahrerlager auf." Zu dieser Zeit besucht die Familie auch immer wieder die Formel BMW, wo der Vorarlberger Christian Klien für das hochprofessionelle JD-Racing-Team fuhr. Im Vergleich dazu war die Welt der Auingers eine völlig andere. Kleiner, überschaubar, ein Familienteam eben: der Bernhard, sein Papa, die Freunde.
Gustl erinnert sich: "Dem Sebastian hat diese Familien-Harmonie total getaugt, er war ja selber immer mit seinem Papa unterwegs." Aber der junge Vettel bekommt auch mit, wenn der Gustl seinen Sohn kritisiert oder gar grantig am Ohr zieht. Wie damals in Oschersleben, als Bernhard völlig unnötig durchs Kiesbett fährt und den Formel-König-Rennwagen stark beschädigt. Gustl Auinger schüttelt heute noch den Kopf: "Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie das Auto ausg'schaut hat!"
Ein König für den Nachwuchs
Und wo ist dieses Formel-König-Monoposto heute? Verlassen steht es da im hintersten Garagen-Eck.
Langsam, fast ehrfürchtig, zieht der Hausherr die schwarze Plane ab. Blau-gelb-rotes Bullen-Design kommt zum Vorschein, vorne 210er-, hinten 260er-Patschen, Slicks, eh klar. Gustl Auinger erklärt: "Die Formel-König-Autos hatten noch einen Gitterrohr-Rahmen und waren mit Alublechen und Glasfaser verkleidet, sie wogen 420 Kilo." Angetrieben von einem aufgemotzten 1400er-Vierzylinder auf VW-Polo-Basis erreichten die 120-PS-Renner in Spa 230 km/h. Und beim Blick ins Cockpit springt ein filigranes Stangl mit einem Mini-Schaltheberl ins Auge: eine stinknormale 4-Gang-H-Schaltung. Gehört so ein Ding nicht ins Museum?
Gustl kommt ins Plaudern, erzählt, dass Sebastian Vettel schon in jungen Jahren im Kart sehr erfolgreich war. Aber der Bub war nicht nur schnell, er konnte auch lästig sein. Und so quält er Red Bull Deutschland bis aufs Blut, will unbedingt die Erlaubnis für einen Formel-Test durchsetzen. Quält solange, bis jemand in Fuschl anruft. Fuschl ruft in Fohnsdorf an, beim Gustl: "Geh bitte, lasst's eam fahren, aber sagt's niemandem was!"
Der Test musste geheim bleiben, denn Formel-Tests waren erst ab einem Mindestalter von 14 Jahren erlaubt, Sebastian war noch 13.
Und am 13. Juni 2001 ist es dann so weit: Ein aufgeregter Sebastian Vettel und sein Vater Norbert kommen nach Spielberg.
Sebastian, erfolgreicher Kart-Youngster…
Das Formel-König-Auto ist bereit. Ein Schalensitz für den Zwetschken-Hintern wird geschäumt, die Sitzhöhe angepasst. Die Kopfstützen sind zwar am unteren Limit, aber gerade noch OK.
"Ich hab gedacht, der Bub ist bis jetzt Gokart gefahren, hat immer von Formel-Autos geträumt und will jetzt zwei Tage auf einer richtigen Rennstrecke Spaß haben", erinnert sich Gustl Auinger. Aber nein! Einmal im Auto, fängt Sebastian an zu fragen: Was ist zu tun? Was ist die Erwartung?
Gustl sagt verwundert: "Geh, fahr einmal, gewöhne dich an die Dimensionen, die du aus dem Kartsport nicht kennst.“ Gemeint war: das größere Auto, die 4,5 Kilometer lange und zwölf Meter breite Strecke, die damals noch A1-Ring hieß.
… kommt nach Spielberg zum Formel-Debut
Als Kartfahrer kennt Sebastian Rennstrecken nur vom Zuschauen, hatte bislang keinen Vergleich. Aber er ist ehrgeizig, lernwillig, macht präzise, was Gustl Auinger ihm sagt.
Zum Vergleich: Ein junger Österreicher wirft sein Auto am gleichen Tag in der ersten Testrunde aus der Jochen-Rindt-Kurve, kommt mit einem wegstehenden Radl an die Box. "Wenn ein Testtag so beginnt, dann ist das Selbstvertrauen weg, was soll da noch kommen?"
Gustl Auinger fasziniert Sebastians Intelligenz. Wie er sich zurücknimmt. Nach Vorgaben fragt. In jedem Turn, Runde für Runde schneller wird. Jedes Rausfahren muss eine Aufgabe enthalten. "Ned einfach nur foan, dass der Wind waht!"
Sebastian liebt den Ring bis heute
Sebastian Vettel sagt heute: "Dieses erste Mal in einem Formel-Auto vergesse ich im Leben nie, ein riesiger Schritt für einen Jugendlichen. Aber an die Enge und das Angeschnalltsein musste ich mich erst gewöhnen."
Gustl versucht, dem Buben nach jedem Aussteigen aus der Konzentration zu reißen. Es wird herumgeblödelt und versucht, Sebastian österreichischen Dialekt beizubringen. Auch heute, bei seinen Buam im MotoGP-Rookies-Cup, besteht Gustl immer wieder auf das Loslassen zwischendurch. "Denk nicht ans Auto oder an die Maschin', geh weg, lenk dich ab, mach a Gaudi, trink was!"
O-Ton Gustl: "Boris Becker hat mit 17 Jahren Wimbledon gewonnen, ich hab mich immer gefragt: Wann war er Kind? Ich will keine Fachidioten, sie müssen auch Lausbuben sein."
Der lernfähige Lausbub aus Heppenheim legt dann am zweiten Testtag nochmals zu, wird schneller und schneller. Obwohl der A1-Ring (heute: Red Bull Ring) extrem fordernd ist. Sebastian scheint intuitiv zu spüren, was ihm hilft, was ihn stört.
Bei dem alten Rennhasen Auinger hinterlässt der 13-Jährige einen bleibenden Eindruck. Trotz Altersunterschied verstehen sie sich auf Anhieb. "Die Chemie hat gepasst!" Auch, dass Sebastian damals schon in seinem Tun so erwachsen, so perfekt organisiert war. "Kann ich nicht" existiert nicht im jugendlichen Wortschatz.
Der Bube ist heute selbst ein König
Auch heute noch, als vierfacher Weltmeister, liebt Sebastian Vettel diesen Ring. Anders als Fernando Alonso, der die Strecke hasst: zu kurz, zu eckig! Vettel wird emotional: "Es ist eine wunderschöne Strecke und erst die Landschaft, so etwas gibt es sonst nirgends. Kein Schnickschnack, hier geht es wirklich nur ums Fahren: bergauf, bergab. Viel mehr als es die Fernsehbilder vermitteln." Auch die Überholmöglichkeiten begeistern Vettel: "Ende der Start-Ziel-Geraden, dann die Spitzkehre ganz oben und wie heißt die dritte oder vierte? Gösser-Kurve, glaub ich!" Wir klären schmunzelnd auf: Die ist jetzt alkoholfrei und heißt Schlossgold… "Na, dann eben die!"
Monza 2008: A Star Is Born
Sieben Jahre später formiert sich bei Toro Rosso ein Dream-Team: Gerhard Berger, der ewige Spitzbub, der genau weiß, wo im Rennsport der Hammer hängt, der weiß, wie man Ziele erreicht. Und der immer noch liebe und nette, aber auch sieghungrige Sebastian Vettel. Das war Power pur. Und dann im September 2008: Regen in Monza. Vettel fährt im Toro Rosso raus. Richtiges Wetter, richtiger Zeitpunkt, richtige Reifen – Pole!
Vettel bleibt cool: "Es ist nicht wichtig, wann ich draußen bin, sondern, was ich draußen tue!" Tags darauf, wieder ein 13., wie Jahre zuvor in Spielberg, fährt der Deutsche überlegen seinen ersten Formel-1-Sieg – und den ersten eines Red-Bull-Autos – ein. Sebastian Vettel war ursprünglich nicht der Fahrer, nach dem Red-Bull-Motorsport-Direktor Helmut Marko unbedingt gesucht hatte. Er kam auch nicht aus Markos Junior-Programm. Aber mit dem Sieg in Monza gab es nur mehr diesen einen Weg – nach vorn. Vettel wird in das Einser-Team zu Red Bull Racing geholt. Der Rest ist Geschichte.
Aber auch der Formel-König, mit dem Sebastian Vettel seine ersten Monoposto-Runden fuhr, hat Geschichte geschrieben: Mit Gustl Auingers Sohn Bernhard am Steuer gewann er den ersten internationalen Titel eines Red-Bull-Autos. Was kaum jemand weiß: Die allererste Formel-König-Meisterschaft gewann 1988 ein gewisser Michael Schumacher.
"Fotos gibt es keine aus der Zeit?", frage ich. Gustl geht in den Nebenraum, vorbei an seinen Pokalen, Medaillen, den alten roten Rennanzug und dem schwarzen Texas Stetson, mit dem er in Amerika die MotoGP moderiert. Er nimmt ein Bild von der Wand. Eine schon etwas verblichene Fotomontage. Private Erinnerungsfotos eines blonden Buben, in einem Formel-Auto drüben am Ring. Und in jugendlicher Handschrift steht geschrieben: "Für Gustl – Als Erinnerung an die zwei tollen Tage am A1 Ring. Sebastian Vettel".
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