Er ist neugierig. „May I open it?“, fragt er. Sure, it’s yours! Gefühlvoll reißt Lewis Hamilton die Verpackung auf und seine Augen glänzen. Augen, die so manche Pressesprecherin der Konkurrenz zum Verlieben findet. „Classic Music, I love it!“ Mein Interview-Mitbringsel, eine CD des Wiener Neujahrs-Konzerts, zeigt Wirkung. Lewis grinst von einem Diamant-Ohrring zum anderen.
Lewis der Erste
Michael Schumacher war gestern. Lewis Hamilton ist der neue König der Königsklasse.
Er hat Rekorde zertrümmert
Es ist fünf Jahre her, dass ich dem Racer mit der Rapper-Attitüde gegenübersaß. Er erzählt, dass er total auf Mozart und Pavarotti abfährt. Nur an Rennwochenenden braucht er es emotional, da hört er lieber R’n’B und Hip-Hop. Und vor dem Start immer nur den einen, seinen Liebling, Childish Gambino. Ob sich Hamilton, der hervorragend Klavier spielt und ohnehin Pop-Star-Status genießt, auch eine Musik-Karriere vorstellen könnte? „Jetzt noch nicht“, grinst er schelmisch.
Der Pressemann unterbricht: „Sie vergeuden wertvolle Interview-Zeit. Sie haben nur zehn Minuten!“ Nein, nichts ist vergeudet. Denn Lewis Hamilton, der mir als zickig beschrieben wurde, lässt mich spüren, dass es ihn noch gibt, den aufgeweckten farbigen Jungen mit karibischen Wurzeln aus der englischen Arbeiterstadt Stevenage.
Lewis war ein Scheidungskind, ein schmächtiges Bürscherl. In der Grundschule wurde er von Mitschülern gemobbt, oft auch in die Mangel genommen. Damals zeigt der Bub seine Kämpfernatur. Er nimmt Karate-Unterricht, verschafft sich so Respekt.
Autos faszinieren ihn. Im Alter von vier Jahren darf er in einem Spielwaren-Geschäft ein ferngesteuertes Rennauto ausprobieren. Weil er sich so geschickt anstellt, schenkt es ihm Vater Anthony zu Weihnachten. Lewis weiß: „Fünfzehn Pfund waren viel Geld für ihn.“ Einer der Nachbarn besitzt zu dieser Zeit einen aufgemotzten ferngesteuerten Buggy, fährt damit Meisterschaften. Eines Tages darf Lewis dieses Monster ausprobieren. Und ist auf Anhieb schneller als der Profi. Von nun an bestreitet Lewis Hamilton Modellauto-Rennen gegen Leute, die fünf- bis sechsmal so alt sind wie er. Im Alter von fünf Jahren gewinnt er bereits seinen ersten Pokal.
Sein Siegerlächeln
Gab es diesen einen Moment, in dem klar war: Mein Weg ist der Rennsport? „Den gab es tatsächlich“, erzählt Hamilton mit spitzbübischem Grinsen. Lewis verbringt den Urlaub mit Vater und Stiefmutter in Spanien. Mit Motorrollern erkunden sie die Gegend, entdecken eine Kartbahn. Lewis will fahren, bettelt, fleht den Vater an. Okay! Drei Runden. Lewis Hamilton: „Ich beherrschte auf Anhieb den richtigen Pedal-Rhythmus in den Kurven: Wumm, Bamm, Wumm, Gas-Bremse-Gas.“ Eine Technik mit der er später alle Kart-Rennen gewinnen wird. Vater und Sohn leben nun den Traum von der Formel 1. Dafür nimmt Anthony Hamilton vier Jobs an, arbeitet Tag und Nacht.
Besondere Begegnung. Als Lewis mit zehn die britische Kart-Meisterschaft gewinnt, nimmt er sein Herz in die Hand, bittet den übel gelaunten Ehrengast, McLaren-Chef Ron Dennis, um ein Autogramm und eröffnet keck: „Ich will später für Sie Rennen fahren!“ Ron Dennis ist beeindruckt: Von nun an pflügt Lewis mit Unterstützung aus Woking durch die Nachwuchs-Serien. Sitzt 2007 im Formel-1-McLaren. Kennt keinen Respekt, liefert sich mit Doppel-Weltmeister und Teamkollegen Fernando Alonso erbitterte Rangkämpfe. Und weil die beiden sich gegenseitig aufreiben, gewinnt Kimi Räikkönen die bislang letzte Weltmeisterschaft für Ferrari. Lewis Hamilton ist stinksauer, schwört: „Das passiert mir nie wieder.“ Schon im Jahr darauf wird er, mit viel Glück, im letzten Rennen in São Paulo zum ersten Mal Formel-1-Weltmeister.
Lewis ist der beste Fahrer seiner Generation. Wenn es hart auf hart kommt, macht er den Unterschied.
2013 lotst Niki Lauda ihn zu Mercedes. Der Teamkollege dort heißt Nico Rosberg. Hamilton und Rosberg kennen sich aus Nachwuchs-Zeiten, waren angeblich Freunde. Aber jetzt, als beide im besten Auto sitzen, ist die Atmosphäre feindselig. Es scheint, als würden sie einen Klassenkampf führen: Nico, aufgewachsen im mondänen Monaco, gegen Lewis aus dem Arbeiter-Viertel von Stevenage. Lewis Hamilton nickt: „Da ist was dran. Nico und ich haben früher oft gemeinsam in Wohnmobil geschlafen, haben anderen böse Streiche gespielt. Aber wir sind jetzt älter, wollen beide das Gleiche, die Weltmeisterschaft. Da ist kein Platz für Freundschaft.“
Lewis, der König der Formel 1
Lewis ist nun siebenfacher Weltmeister, nach Siegen der erfolgreichste Pilot aller Zeiten. Ewige Rekorde von Michael Schumacher hat er fast alle gebrochen. Aber wer ist der Bessere von beiden? Für Lewis Hamilton spricht, dass er auch scheinbar aussichtslose Rennen gewinnt. Und anders als einst Michael Schumacher ist er dabei ein harter, aber fairer Racer.
Hamilton tickt auch anders. Hat Charisma, will die Welt verändern, auch seinen ökologischen Fußabdruck reduzieren. Er lebt vor, dass man auch als Veganer Spitzensport betreiben kann. Und weiß, dass er ein privilegiertes Leben führt. Davon will er etwas zurückgeben. Als Protagonist der Black-Lives-Matter-Bewegung inspiriert er sein Mercedes-Team, die Autos schwarz zu lackieren. Mit der Aktion Soccer Aid unterstützt er weltweit bedürftige Kinder. Dafür reist er oft nach Indien und Afrika. Und sein erster Satz als 7-facher Weltmeister galt diesen Kindern: „Für alle da draußen, die vom Unmöglichen träumen!“ Tief drin ist er eben doch noch der aufgeweckte farbige Junge aus Stevenage geblieben.
Lewis und Toto: Zwei Siegertypen die nach Perfektion streben.
Im Exklusiv-Talk: Toto Wolff über Lewis Hamilton
– Seit sieben Jahren dominieren Sie und Ihr Team die Formel 1. Mittlerweile haben Sie 14 Titel in Serie – sieben Fahrer- und sieben Konstrukteurs-Weltmeisterschaften – eingefahren. Welche Gefühle, aber auch welche Spuren haben diese Jahre hinterlassen?
Toto Wolff: Ich bin ja schon acht Jahre bei Mercedes. Diese Jahre waren an Intensität nicht zu überbieten. Unser Job heißt ja nicht nur, an den Wochenenden Rennen zu fahren, sondern auch unter der Woche ein Unternehmen zu steuern. Diese vielen Rennen und Meisterschaften zu gewinnen ist natürlich toll. 14 Titel in Serie hat es in der Formel 1, aber auch in der übrigen Sportwelt, bislang noch nicht gegeben. Den Druck, den wir haben, den sieht man nicht. In unserem Sport liegen Glück, Misserfolg und Zufriedenheit eng beieinander. Diesbezüglich waren wir in den letzten acht Jahren extrem gesegnet.
– Gibt es etwas, das Sie noch unbedingt erreichen möchten?
Toto Wolff: Durch Corona habe ich gelernt, dass ich eine bessere Balance zwischen meinem Familienleben und dem Rennsport finden muss. Die Familie ist in den letzten Jahren zu kurz gekommen. Ich bin zwischen den Rennen über 500 Stunden im Flugzeug gesessen, habe 250 Nächte in Hotels übernachtet. Heuer habe ich begonnen, diese Balance wieder herzustellen. Es ist mein Ziel, ausgeglichen zu sein und nicht nur sportlichen Zielen hinterherzulaufen. Aber natürlich will ich meinen Erwartungshaltungen gerecht werden. Es geht mir darum, Perfektion umzusetzen.
– Stichwort Perfektion. Wären all diese Rekorde auch mit einem anderen Fahrer als mit Lewis Hamilton möglich gewesen?
Toto Wolff: Nein, in dieser Kontinuität sicher nicht. Lewis ist der beste Fahrer seiner Generation. Wenn es hart auf hart geht, macht er den Unterschied. Ich glaube trotzdem, dass wir ein sehr gutes Auto haben und auch andere gute Fahrer Weltmeisterschaften damit gewonnen hätten. Wenn es Lewis in diesem Auto nicht gäbe, hätte Valtteri Bottas diese und die letzte Meisterschaft gewonnen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass wir ewig in die Sonne segeln. Es wird sicher auch Jahre geben, die für uns wieder schwieriger werden.
– Jetzt, wo Lewis auch siebenfacher Weltmeister ist, stellt sich die Frage: Wer von beiden, Schumacher oder Hamilton, ist der größte Rennfahrer aller Zeiten?
Toto Wolff:Es gibt Rennfahrer, die in ihren Epochen herausragend waren. Fangio, Ayrton Senna, Michael Schumacher und Lewis. Wobei Sebastian Vettel nicht vergessen werden sollte. Er hat immerhin vier Weltmeisterschaften in Serie gewonnen. Diese Fahrer haben Maßstäbe gesetzt, sind aber nur schwer mit einander zu vergleichen. Sie waren alle zu ihrer Zeit außergewöhnlich. Es sind nur eine Handvoll Fahrer, die ganz besonders waren. Und da ist Lewis ganz vorne dabei.
– Lewis Hamilton war ja eine Erfindung von Niki Lauda. Wie war euer Verhältnis damals und wie ist es heute?
Toto Wolff: Wir sind 2013 beide zeitgleich in diesem Mercedes-Projekt gelandet. Wir kannten uns nicht. Natürlich hat es einige Zeit gedauert, bis wir Vertrauen zueinander gefunden haben, denn Lewis ist ein Mensch, dem es nicht ganz leicht fällt, jemandem zu vertrauen. Der Durchbruch ist uns gelungen, nachdem Nico Rosberg die Weltmeisterschaft gewonnen hatte. Damals waren die Fronten sehr verhärtet. Wir haben uns dann zu einem Vier-Augen-Gespräch in meinem Haus in Oxford getroffen, wo wir einfach alles auf den Tisch gelegt haben. Und so schwierig es auch war, wir sind gestärkt aus dem Gespräch herausgegangen. Seither haben wir eine wirklich gute Beziehung aufgebaut, bis hin zu einer Freundschaft. Natürlich ist es ein freundschaftlich professionelles Verhältnis, denn wir haben ja noch viele gemeinsame Pläne im Projekt Formel 1. Und ja, wir sind auch heute noch nicht immer einer Meinung.
Ich will einen Löwen im Auto und keinen Welpen.
– Ist Lewis schwierig? Er trifft einsame Entscheidungen und ist am Funk ist oft ein bissl pampig?
Toto Wolff: Diese Piloten fahren mit 300 km/h durch die Gegend, bedienen dabei noch sensible Systeme. Da kann man nicht erwarten, dass alles diplomatisch formuliert über den Äther geht. Darum geben wir den Fahrern auch den Spielraum, in dem ihre Gefühle durchkommen dürfen. Und am Ende des Tages müssen Fahrer auch polarisieren. Ich will keine geglätteten Typen, ich will Fahrer mit Emotionen. Ich will niemanden in eine Schachtel packen, ihm sagen: „So musst du dich verhalten.“ Ich will die beste Leistung aus ihm herauskitzeln. Ich will einen Löwen im Auto und keinen Welpen.
– Zurück zum Rosberg-Hamilton-Konflikt 2016. Wie konnte das Verhältnis der beiden so eskalieren?
Toto Wolff: Wir haben versucht, das Verhältnis der beiden mit einer strengeren Hand zu managen. Uns war damals nicht klar, dass dieses angespannte Verhältnis historisch bedingt war, also schon über ein Jahrzehnt lang köchelte. Der Rücktritt von Nico hat unterschiedlichste Reaktionen hervorgerufen. Bei uns die Notwendigkeit, auf die Schnelle einen Fahrer zu finden. Und Lewis war angefressen, weil er nicht zurückschlagen konnte. Er hatte den Eindruck, dass Nico sich vor einer Revanche drückt.
– Mercedes ist so dominant. Ist es nicht hoch an der Zeit, dass es mehr Ausgeglichenheit unter den Teams gibt?
Toto Wolff: Mir macht Wettkampf irrsinnig Spaß. Für mich wäre es absolut okay, wenn sich das Kräfteverhältnis irgendwann auch wieder ändert und der Titel wieder heftig umkämpft ist. So sollte die Formel 1 sein.
– War die Entscheidung, die Autos schwarz zu lackieren und so die Black-Lives-Matter-Aktion von Lewis Hamilton zu unterstützen, spontan?
Toto Wolff: Die Themen Rassismus, Diskriminierung und Diversität haben bei uns hohe Priorität. Mercedes wollte nicht nur Lewis unterstützen, sondern auch selbst ein Signal setzen.
– Würden Sie sich dafür auch dem Ruf nach einfacheren Motoren anschließen?
Toto Wolff: Vereinfachte Motoren ist nicht unser Stichwort, ist auch nicht die Richtung, in die wir gehen wollen. Wir müssen auf die Kosten achten, ohne gleichzeitig zu vergessen, wo die Serien-Produktion hingeht. Die Serie ist aber mehr hybrid und mehr elektrisch. In Sachen Technologie, Power und Energie-Effizienz muss die Formel 1 Vorreiter sein. Andererseits wollen wir aber auch Rennsport machen. Und es ist definitiv nicht unser Ziel, einfach nur eine möglichst große Reichweite der Autos erzielen wie in der Serien-Produktion.
– Weder Lewis Hamilton noch Sie haben bis jetzt gesagt, ob Sie in der Formel 1 bleiben?
Toto Wolff: Ja, aber davon gehe ich aus. Ich bin ja auch Miteigentümer des Mercedes-Teams. Was ich gesagt habe, ist, dass sich meine Rolle innerhalb des Teams in den nächsten Jahren verändern wird, aber dabei bleiben werde ich auf jeden Fall. Und was Lewis angeht: Wir sind einfach noch nicht dazugekommen, uns in Ruhe hinzusetzen. Wir werden jetzt die Meisterschaft zu Ende fahren. Danach werden wir die Zeit für Gespräche finden.
Kommentare