Drei junge Motorsportler im Porträt.
© Erich Reismann (2), Helmut Eckler (1)
© Erich Reismann (2), Helmut Eckler (1)
September 2024

Racing statt TikTok

Die Generation Z ist ehrgeizig und weiß, was sie will. Vorhang auf für Beweisstücke A, B und C aus dem heimischen Nachwuchsmotorsport.

Eigentlich sind es nur ein paar Schritte, doch die Welt, in der man landet, ist eine komplett andere. Wenig Glamour, kaum Weltstars, keine Politiker:innen und statt prestigeträchtiger Motorhomes für mehrere Millionen Euro stehen hier gewöhnliche Lkw und Zelte. Enger ist es auch. Ich stehe im Fahrerlager der Top-Nachwuchsserien Formel 2 und 3 am Red Bull Ring, die im Rahmenprogramm der Formel 1 fahren. Wer es bis hierher geschafft hat, ist einem Cockpit in der Königsklasse schon recht nahe.

Werbung
Datenschutz Zur Anzeige von Werbung benötigen wir Ihre Zustimmung.
Mechaniker schieben Frontflügel und Reifen von Formel-Rennautos durch ein Fahrerlager.

Buntes Treiben: Das F2/F3-Fahrerlager am Red Bull Ring.

© Helmut Eckler

Formel-3-Fahrer Charlie Wurz

"Ab der Formel 4 oder Formel Regional und ganz sicher in der Formel 3 und Formel 2 sind nur noch die besten jungen Fahrer der Welt im Feld", weiß auch Charlie Wurz. Der Sohn von Alexander Wurz gehört seit diesem Jahr selbst zu dieser Elite, er fährt in der Formel 3.

Charlie Wurz_153_CMS.jpg Helmut Eckler © Helmut Eckler

Kart-Staatsmeisterin Ivonn Simeonova

Ein brauner Holztisch, eine graue Eckcouch drum herum – eigentlich ist an diesem Wohnzimmer in Wien nichts ungewöhnlich. Würde da nicht das viele Gold und Silber vom Holztisch glänzen. Dutzende Pokale funkeln um die Wette und mittendrin die 14-jährige Ivonn Simeonova. "Mit fünf saß ich das erste Mal im Kart", erzählt sie aufgeweckt. Sieben Jahre später, 2023, gewinnt sie die heimische Kart-Meisterschaft in der Junior-Klasse. 2024 gewinnt sie die Serie erneut – und triumphiert auch in der Region Zentraleuropa.

Eine junge Rennfahrerin sitzt auf der Couch und lehnt sich mit ihrem Kinn an einen blauen Rennhelm an, der auf einem Couchtisch voller Pokale steht. © Erich Reismann

Motocross-Europameister Ricardo Bauer

Erneuter Szenenwechsel. Ein Kaffee in Eisenstadt, die Sonne knallt auch jetzt noch, am späten Nachmittag, erbarmungslos herunter. Ricardo Bauer kommt direkt von der Motocross-Strecke, es ist ein Trainingstag. Wobei: Eigentlich ist für den 13-jährigen Burgenländer, der 2022 Motocross-Europameister in der 65-Kubik-Klasse wurde, fast jeder Tag ein Trainingstag: Mentale Übungen, Kraft- und Ausdauersport sind genauso wichtig wie die Praxis auf den Strecken.

Ein junger Motorcross-Fahrer sitzt in einem Kaffee und lächelt. © Erich Reismann

Charlie Wurz, Ivonn Simeonova und Ricardo Bauer: drei österreichische Nachwuchstalente, die in unterschiedli­chen Serien fahren, die an unterschied­lichen Stellen ihrer Karriere stehen, unterschiedlich alt sind. Dennoch lassen sich viele Gemeinsam­keiten finden. auto touring wollte von ihnen wissen: Wie lebt es sich als blut­junge:r Motorsportler:in? Welche Her­ausforderungen gibt es? Wovon träu­men sie? Wie gut lässt sich das Training mit der Ausbildung vereinbaren? Und wie sind sie eigentlich zum Motorsport gekommen?

Ein junger Rennfahrer streckt stolz seinen Helm in die Luft. © Erich Reismann

Rennsport als Familientradition

Letzte Frage, erste Antwort – und eine der eben erwähnten Gemeinsamkeiten: Die Begeisterung fürs Vollgasgeben haben alle von ihren Eltern mitbekommen, wenngleich in unterschiedlichen Ausprägungen. Klar, bei Charlie Wurz weiß man’s: Sein Vater Alex gewann zwei Mal das 24-Stunden-Rennen von Le Mans, ging 69 Mal in der Formel 1 an den Start und ist dem heimischen Publikum als TV-Experte auch heute noch präsent. Der Vater von Ricardo Bauer ist auch ein wenig Enduro gefahren. Nur hobbymäßig, wie er anmerkt, aber doch.

Ein Motocross-Rennfahrer springt mit seinem Motorrad über eine Kuppe. © KTM / fullspectrum media
Der Vater fuhr hobbymäßig Enduro, der Sohn professionell Motocross.

Und in Ivonn Simeonova Familie sind ohnehin einige Racer: Von der Rallye-fahrenden Großmutter bis hin zum Vater, der Formel Easter fuhr. "Der Papa will mit mir zu Ende bringen, was er begonnen hat", lacht Simeonova. Nur die Mama sei nicht gar so talentiert am Volant. Allzu häufig sehe sie die beiden nicht. Nachdem sie die zweite Klasse Volksschule in Österreich besucht hatte, zog die Familie zurück nach Bulgarien. Glücklich war die Kartfahrerin dort nicht: "Ich hatte hier meine Freunde und die Rennstrecke war auch nur eine halbe Stunde entfernt." Nach rund dreieinhalb Jahren kehrte Ivonn nach Österreich zurück – ohne Eltern. Seitdem lebt sie bei ihrer Tante. Ohne sie geht gar nichts: Sie managt das Social-Media-Profil ihrer Nichte, fährt mit ihr zu Rennen und unterstützt sonst noch, so gut es geht. 48 Stunden vor unserem Treffen seien sie noch in Schweden bei der Karting Academy Trophy gewesen, einer Serie der FIA, in der die nationalen Motorsportverbände, hier die AMF, ein Nachwuchstalent entsenden, das sich mit der globalen Konkurrenz messen kann. Wegen der Fahrerei habe Simeonovas Tante dieses Jahr schon fünf Mal das Öl in ihrem Auto nachfüllen müssen.

Eine junge Motorsportlerin präsentiert einen Pokal, der die Form von Österreich hat. © Erich Reismann
Als wir mit Ivonn Simeonova gesprochen haben, war sie noch einmalige Kart-Staatsmeisterin. Wenige Wochen später gewinnt sie wieder die Saison.

Mentoren und Sponsoren

Unterstützung ist alles. Das weiß auch Ricardo Bauer, der neben seiner Familie vor allem von Trainer Philipp Ringhofer Rückhalt bekommt, auf und abseits der Motocross-Strecke. Und auch Charlie Wurz fühlt sich von seinem Umfeld "sehr gut unterstützt", wie er sagt. Nachsatz: "Aus dem, was ich von Sponsoren, Eltern und Freunden bekomme, muss ich das Maximum rausholen."

Der junge Rennfahrer Charlie Wurz sitzt sich seinen Helm auf. © Dutch Photo Agency
"Aus dem, was ich von Sponsoren, Eltern und Freunden bekomme, muss ich das Maximum rausholen."

Auf dem Weg zu ihrem großen Ziel, wie bei Charlie ist das die Formel 1, kann Ivonn Simeonova auch auf externe Hilfe setzen: Sie wurde bei "More than Equal" aufgenommen. Das Pro­gramm von Motorsport-Koryphäe David Coulthard und Unternehmer Karel Ko­márek hat das Ziel, Rennfahrerinnen zu fördern, die systematischen Barrieren, mit denen sie konfrontiert sind, einzu­reißen – und die erste Formel-1-Welt­meisterin überhaupt hervorzubringen. In der Praxis bedeutet das etwa, dass Ivonn die Möglichkeit bekommt, bald ein Formel-4-Rennauto fahren zu können.

"Der Motorsport muss unbedingt mehr Mädchen anziehen. Solche Programme helfen dabei. Auch, weil sie den Mäd­chen und ihren Eltern zeigen, dass man es schaffen kann", sagt Charlie Wurz. Dass die erst im Anrennen ist, zeigt auch folgende Anekdote: Als ich Ivonn brav gendernd auf ihre Konkurrentinnen und Konkurrenten anspreche, unterbricht sie mich schnell und mit Grinsen im Gesicht: "Konkurrenten!"

Eine junge Rennfahrerin sitzt auf einer grauen Couch und gestikuliert. © Erich Reismann
"Konkurrenten"!

Zwischen Sport und Privatleben

Und abseits der Konkurrenten? Wie sieht’s bei den Youngsters mit Schule, Freunde, Freizeit aus? Es sind sich gleichende Antworten: Zwischen Motorsport und Privatleben gäbe es eigentlich keinen Unterschied, meint Charlie Wurz: "Man muss das ganze Leben nach dem Sport ausrichten." Ausmachen tue ihm das aber nichts, denn: "Motorsport ist mein Leben." Und klar, ein bisserl Freizeit bleibe schon. Die nutzt er – ebenso wie Ricardo Bauer – am liebsten für Sport. Und Ivonn Simeonova? Bei der Frage nach einem Hobby abseits des Renn­sports winkt sie ab. Von einem Plan B will sie sowieso nichts wissen. Es zählt nur Plan A: die Formel 1.

Ein grün-weißes Formel 3-Rennauto fährt über den Red Bull Ring, davor befindet sich ein rot-weißes, dahinter ein schwarz-oranges Formel-3-Fahrzeug. © Helmut Eckler
Wenn Charlie Wurz (Mitte) nicht gerade Rennen fährt, wie hier am Red Bull Ring, treibt er gerne Sport – oder muss für die Schule lernen. 

Schule statt Status

Viel Zeit für Freizeit bleibe ja so oder so nicht, denn wenn sich Ivonn nicht gerade mit ihren Konkurrenten matcht, geht sie zur Schule, wie das eben auch jene 14-Jährige tun, die keinen Spitzensport betreiben. Dass das Leben als Jung-Motorsportler oft weniger glamourös ist, als sich das man­cher vorstellt, erzählte schon DTM-Sieger Thomas Preining dem auto touring.

Das zeigt auch diese Geschichte: Weil Ricardo Bauer zu Hause unterrichtet wird, musste er vor wenigen Wochen eine große Prüfung absolvieren. Am Montag erst kam er vom EM-Finale zurück, ab Dienstag standen Examen auf dem Programm. "Die Wochen davor waren schon sehr schwierig", erzählt uns Trainer Ringhofer. Und auch Charlie Wurz meint, Zeit für die Schule zu finden, sei herausfordernd. Scherzhafter Nachsatz: "Sonst wird die Mama grantig, dann ist das Leben echt schwer."

Ein Motocross-Rennfahrer fährt auf einer Rennstrecke.
© KTM / fullspectrum media

Kommentare (nur für registrierte Leser)