Heinrich der Seefahrer war gar kein Seefahrer. Aber er war Großmeister des Christusritterordens, in dem die Tempelritter nach Verbot und Auflösung 1314 aufgegangen waren. Ich reise durch Portugal, um die Auslöser der portugiesischen Weltexpansion zu begreifen und zu verstehen, warum Bauten, Denkmäler und Mentalität Portugals im 21. Jahrhundert noch immer davon geprägt sind.
Dafür beginne ich aber nicht mit Heinrichs berühmtem Denkmal der Entdeckungen ("Padrão dos Descobrimentos") in Belém vor den Toren Lissabons. Ich reise vielmehr ins fruchtbare mittelportugiesische Ribatejo, wo das aufgeräumte Städtchen Tomar am Fluss Nabao liegt. Auf einem Hügel über der Stadt thront die sogenannte Christusritterburg – in der Glanzzeit des Ordens der Christusritter war Heinrich dessen Großmeister. Durch verwinkelte Gänge erreiche ich das Zentrum der alten Templerkirche, einen sechzehneckigen Zentralbau mit achteckigem Mittelraum, der das "Neue Jerusalem" nach Vorbild der Grabeskirche repräsentieren sollte: Pracht und Reichtum dieses Raumes konkurrieren mit seiner faszinierenden Spiritualität.
Von Anfang an waren die von Heinrich und seinem Orden finanzierten und organisierten Expeditionen eine Kombination aus missionarischer und imperialistischer Unternehmung: der Start von Europas Ausdehnung in die Welt, die jetzt – ein halbes Jahrtausend später – in die Ausdehnung der Welt zurück nach Europa mündet.
Auch wenn der wirtschaftliche Gesamtnutzen der kolonialen Expansion heute umstritten ist: In Portugal haben Geld- und Kulturtransfer Reichtümer hinterlassen, die genug Sehenswertes für mehrere Monate Rundreise bieten würden. Ich muss mich leider dieses Mal mit einer schmalen Woche begnügen. Dabei reicht alleine für die Christusritterburg von Tomar ein halber Tag nicht annähernd aus.
Gleiches gilt für das Kloster der Hieronymiten in Belém. Dieses Symbol für Portugals Macht und Reichtum zur Zeit der kolonialen Eroberungen wird heute täglich von Zehntausenden Kreuzfahrt-Passagieren auf Lissabon-Landausflug be- und heimgesucht. Ich komme an einem Wochentag Ende September: Leider ist es nahezu unmöglich, sich zum Grab Vasco da Gamas, des neben Kolumbus wohl berühmtesten Entdeckers, durchzukämpfen: Zu viele andere Menschen haben den gleichen Plan. Ich begnüge mich daher mit dem Bestaunen des Westportals im manuelinischen Stil: die in Stein gemeißelten exotischen und ozeanischen Motive, all das Seegetier, die nautischen Instrumente, die tropischen Blüten und Pflanzen. Und das Christusritterkreuz, das Zeichen der portugiesischen Entdecker. Diese neue Welt hat überall in Portugal ihre Spuren hinterlassen: nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Literatur, in den Restaurants sowie in Lebensstil und Mentalität der Menschen.
Die Kreuzfahrt-Kolosse ankern unten vor Lissabons Alfama. Vom Aussichtspunkt bei der Kirche Santa Luzia wirken sie wie bedrohliche Gebirge aus Metall und Glas, die der Tejo irrtümlich angeschwemmt hat.
Doch es gibt sie auch hier noch, die stimmungsvollen Plätze, die eigentlich ein Geheimnis bleiben sollten, aber hier von mir doch ausnahmsweise verraten werden. Astrid Röttgen, Reiseleiterin und kundige Begleiterin in dieser Stadt, entführt mich von all den Kulturschätzen müden Krieger in das Pateo 13. Hier werden herrliche gegrillte Sardinen samt einem leichten, spritzigen Vinho Verde zu einem erstaunlich niedrigen Preis serviert. Wir sitzen auf wackeligen Sesseln unter Schatten spendenden Platanen und sprechen über alte Zeiten. Astrid etwa kam in den 1980ern mit dem Zug in diese Stadt des Lichts und wusste sofort: Hier, in Lissabon, will ich leben.
Ich aber bin eher ein Zugvogel. Und bleibe Portugal als modernem Zerrspiegel des Zeitalters der Entdeckungen auf der Spur. Nirgendwo anders hier sind Land und Meer wahrscheinlich mehr verbunden als auf der "Brücke des 25. April" und der "Vasco-da-Gama-Brücke" östlich von Lissabon. Alleine die Fahrt über diese gigantischen Bauwerke auf dem Weg nach Süden in die Stadt Evora im Alentejo (portugiesisch, „jenseits des Tejo“) ist ein Erlebnis. Die Stadt Evora selbst ist eine Art freundliches, lebendiges Freilicht-Museum der portugiesischen Geschichte von der Römerzeit bis zu den Entdeckungen.
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