Wenn der Schäfer Neil Ross von seinem Leben erzählt, dann sollte man genau hinhören. Denn erstens ist das Englisch des Schotten nur mit Müh und Not für einen B2-Sprachniveauler zu verstehen. Und zweitens hat seine Geschichte das Zeug dazu, in Hollywood zum nächsten Liebesdrama stilisiert zu werden: 20 Jahre lang war Neil mit seiner Frau verheiratet, doch dann zog es sie in die Großstadt. Mitkommen? Für Neil keine Option. 35 Jahre lang schon ist er Schäfer, das hier ist seine Profession, sein Leben. Neil blieb alleine zurück – allein mit 3.500 Schafen.

Scotch on the Beach
Mystisch, mannigfaltig, manchmal sogar maledivisch: Welchen Facettenreichtum Schottlands Landschaft, Wetter und Kulinarik bieten.
Meine Schottland-Rundreise
Es ist der vorletzte Tag meiner Schottland-Rundreise. Heute präsentiert sich das Land sehr viel weniger rau als zuvor: Es ist grün, sanft hügelig und von unzähligen Schafen (und einem geschiedenen Schäfer) bewohnt. Später werden wir noch eine Scotch-Whisky-Destillerie besuchen, wo wir lernen werden, dass jener Anteil der Spirituosen, der während der Lagerung im Fass wegen Verdunstung verloren geht, romantisiert "Angels‘ Share" genannt wird. Klischeelevel? Hoch. Begonnen hat aber alles sehr untypisch. Nämlich mit breitem Sandstrand und Meer mit Türkisstich.

Die Äußeren Hebriden
Touchdown in Stornoway. Das Städtchen ist der urbane Mittelpunkt der Äußeren Hebriden, einer Inselformation vor der Westküste Schottlands. Wobei urbaner Mittelpunkt wohl das falsche Bild vermittelt: Nur rund 7.000 Menschen leben hier, das Flughafengebäude ist gefühlt so groß wie ein halbes Fußballfeld. Wer pulsierendes Stadtleben sucht, ist hier falsch, wer auf atemberaubendes Naturspektakel aus ist, genau richtig. Und auch an Geschichte sind die Äußeren Hebriden nicht arm. Sie reicht sogar besonders weit zurück.

Der Steinkreis von Calanais
Ob der Steinkreis von Calanais als religiöser oder spiritueller Ort für Zeremonien oder aber als astronomische Beobachtungsstation errichtet worden ist, kann heute kaum noch nachvollzogen werden. Fest steht nur: Das Monument wurde zwischen 2.900 und 2.600 v. Chr. errichtet, es ist also rund 5.000 Jahre alt. Es wurde also früher als der Hauptkreis der weltbekannten Stonehenge-Formation geschaffen. Anders als der Steinkreis in England kann man jenen von Calanais aber nicht nur aus der Ferne begutachten, sondern durchspazieren – und das völlig kostenlos.

Die Blackhouses von Garenin & Harris Tweed
Nicht gar so weit zurück reicht die Geschichte der Blackhouses. Die traditionellen Häuser und Siedlungen, die typisch für die Äußeren Hebriden sind, vermitteln ein Gefühl dafür, wie die Bevölkerung am Land vor hunderten Jahren lebten. Noch bis in die 1970er Jahre waren die Blackhoueses von Garenin, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden und an der Westküste der Insel liegen, bewohnt. Mittlerweile ist aus der Siedlung ein Freilichtmuseum geworden, das in einer spektakuläreren Naturkulisse eingebetet ist.
Wofür die Äußeren Hebriden außerdem bekannt sind, ist Harris Tweed. Das Gewebe aus Schurwolle zeichnet sich durch Robustheit und gute Isolierung aus. Allerdings kratzt es auch ein wenig, weshalb vor allem Sakkos und weniger Socken oder Unterhosen daraus gefertigt werden. 1993 verabschiedete das britische Parlament sogar ein Gesetz, um „die Authentizität, den Standard und den Ruf von Harris Tweed“ aufrechtzuerhalten. So wie Champagner nur aus der französischen Region Champagne kommen und nur österreichische Produkte als „Steirisches Kürbiskernöl g.g.A“ bezeichnet werden dürfen, stammt echtes „Harris Tweed“ ausschließlich von den Äußeren Hebriden.

Das eigentliche Highlight der Äußeren Hebriden
Freilich: All das fasziniert und begeistert. Doch das, was die Äußeren Hebriden wirklich ausmacht, ist weder Stoff noch Stein, sondern die landschaftliche Dramatik. Durchzogen von etlichen Lochs, kargen und felsigen Hügeln und vielen Mooren wird die einfache Fahrt auf den meist einspurigen Straßen der Insel zur eigentlichen Hauptattraktion. Besonders dann, wenn man sich der Küste nähert.
Luskentyre Beach: Malediven in Schottland
Ankunft am Luskentyre Beach. Vom Parkplatz aus sind es rund 200 Meter bis zum Strand. Der Weg führt zuerst durch ein kleines Bachbett, anschließend geht es einen sandigen Hügel leicht bergauf. Ich erklimme ihn Schritt für Schritt, dann, angekommen am höchsten Punkt, breitet sich vor mir Unglaubliches aus: ein großer Sandstrand, der ganz flach ins blitzblaue, fast schon türkise Meer mündet. Okay, bin ich hier wirklich im rauen Schottland oder vielleicht doch auf den Malediven oder in der Karibik? Ich ziehe die Schuhe aus, kremple mir die Hose hoch, wage ein paar Schritte ins Meer. Das Wasser lässt mich schnell spüren, wo ich bin; nämlich doch ein Stückerl weit weg vom Äquator. Aber ganz ehrlich: An diesem Septembertag des Jahres 2024, nach einem glutheißen Sommer, bin ich darüber alles andere als unglücklich.
Spektakuläre Fährfahrt nach Ullapool
Der nächste Morgen. Heute geht es mit der Fähre zurück auf die britische Hauptinsel zum kleinen Küstenort Ullapool. Es ist noch früh und über Stornoway liegt dichter Nebel, als das Schiff ablegt. Keine zwanzig Minuten später durchbricht die Fähre diesen Nebel, der nun wie eine Wand immer weiter in den Hintergrund rückt. Die Sonne ist bereits aufgegangen, doch am Oberdeck ist es noch kalt. Außerdem wartet im Inneren des Schiffes ein „English Breakfast“ mit Baked Beans, Speck, Wurst, Eiern, Black Pudding (Blutwurst) und dem Nationalgericht der Schotten Haggis, sprich Schafsinnereien. Ein Frühstück, bei dem jedem Kardiologen das Herz stehen bleibt. Als Kontrast dazu, werde ich wenige Abende später Austern schlürfen und Muschelsuppe essen.
Highlights in den Highlands
Angekommen auf der britischen Hauptinsel erkunde ich die Highlands. Auch hier zeigt sich wieder: Am packendsten ist eigentlich keine bestimmte Attraktion, keine spezielle Sehenswürdigkeit. Es ist das Land per se mit seinen Hügeln und Wiesen, Bächern und natürlich den zahlreichen Lochs. Das berühmteste davon – Loch Ness – darf natürlich auch nicht fehlen. Nessie hätten wir aber nicht gespottet. Ein weiteres Must-do in Schottland ist der Besuch einer Destillerie, wie etwa der Dalwhinnie-Brennerei.
Die Zentren: Edinburgh und Glasgow
So diametral wie in der vorhin angesprochenen schottischen Küche geht es auch in den beiden Zentren des Landes zu: Edinburgh im Osten ist Schottlands Hauptstadt, Glasgow im Westen mit rund 630.000 Einwohner:innen hingegen die größte Stadt. Glasgow ist rauer und weniger pittoresk, dafür wirkt alles ein wenig echter und man fühlt sich nicht permanent so, als würde man durch ein Filmset spazieren. Genau das strahlt nämlich Edinburgh aus, mit seiner mystischen Altstadt samt Burg. Kein Wunder also, dass sich die Autorin von Harry Potter hier die Inspiration für die Winkelgasse geholt haben soll. In der Victoria Street tummeln sich "Potterheads" um das Café "The Elephant House", wo Rowling Teile ihrer Romanreihe schrieb. Ob die Tourist:innen wissen, dass das eigentliche Café woanders lag und vor Jahren abbrannte? So oder so: Edinburgh ist märchenhaft. Aber auch laut und lebendig, so wie jede größere Stadt. Etwas, das der Schäfer Neil Ross einfach nicht wollte.

Sehenswert: Working Sheepdogs-Vorführung
Der blickt in die Ferne, wohin er sein Rudel von Border Collies vor wenigen Sekunden geschickt hat. Plötzlich tauchen sie wieder am Horizont auf und kommen ungestüm auf uns zugerannt. Im Schlepptau: eine große Schafherde. Neil pfeift vereinzelt, es sind Anweisungen für die Hunde. Aber nur nicht zu viele geben, wie er erzählt, denn: "The more commands you give, the more commands you have to give." Je mehr Kommandos man gibt, desto mehr Kommandos muss man geben.
Es ist fesselnd zu sehen, wie die Hunde ihre Aufgabe genau kennen und perfekt ausführen. Wie sie die Herde trennen und wieder zusammenführen und schließlich ein einzelnes Schaf zu Neil treiben. Der packt es, beruhigt es – und beginnt mit geübten Handgriffen zu scheren. Vielleicht ist das das Material fürs nächste Tweed-Sakko.

Meine 4 Tipps für Schottland
- Non-EU: Wichtig fürs Telefonieren und Surfen: Als Teil von Großbritannien ist Schottland kein Mitglied der EU. Außerdem ist ab 2. April für die Einreise nach Großbritannien eine elektronische Einreisegenehmigung (ETA) für zehn Pfund online zu beantragen.
- Wetterkapriolen: Dass man, so wie ich, fast eine ganze Woche Sonnenschein in Schottland erlebt, ist ein Glücksfall. Die Regel: Regen, Wind, Sonne – und zwar innerhalb kürzester Zeit. Deshalb überlegt einpacken.
- Der Norden: Der Süden ist mit seinen grünen Wiesen und Wäldern wunderschön. Doch die raue und naturgewaltige Szenerie des Nordens war für mich unvertrauter – und deshalb spannender.
- Beste Reisezeit: April bis Oktober. Im Sommer eine erfrischende Abwechslung zur heimischen Hitze. Abseits vom Sommer ist dafür weniger los und so groß wie hierzulande sind die Temperaturschwankungen auch nicht (es ist immer eher frisch).

Information & Buchung
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Mehr Infos unter der Hotline Tel. 01 711 99 34000 und in den Filialen von ÖAMTC Reisen.
ÖAMTC-Länderinformationen: Großbritannien
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