Taxi1_CMS.jpg Wolfgang Pree
© Wolfgang Pree
© Wolfgang Pree
Mai 2024

Taxi ohne Fahrer

Autonom Fahren ist kein reiner Zukunftsgedanke mehr. In San Francisco sind Taxis bereits fahrerlos unterwegs. Sie navigieren ganz ohne menschliche Hilfe durch den Verkehr der Großstadt. Eine Erlebnisbericht von Wolfgang Pree, Professor für Informatik an der Universität Salzburg. 

Freitag, 19. Jänner 2024 – ein wolkenverhangener Tag in San Francisco. Ich riskiere es zum ersten Mal über die Waymo-App ein selbstfahrendes Taxi zu bestellen, und zwar in die Sussex Street in einem Außenbezirk von San Francisco nahe der Glen-Park-U-Bahn-Station. Gespannt verfolge ich mit meinen Kindern, wie sich das Fahrzeug unserem Standort nähert. Noch fühlt es sich an, als ob man ein Uber-Taxi bestellt hätte: In der App werden die Position des Fahrzeuges auf einer Karte live angezeigt sowie die Minuten bis zur Ankunft.

Unklar ist, ob auf dem Fahrersitz ein "Backup Driver", also ein menschlicher Fahrer, sitzt, oder ob nur das unbesetzte Fahrzeug auftauchen wird. Zu unserer Freude und Überraschung ist der Wagen bei der Ankunft leer, mit der Anzeige meiner Initialen "WP" am Dach. Wir nähern uns sofort dem nun geparkten weißen Jaguar, können aber die Türen nicht öffnen. Zum Einsteigen muss ich nämlich zuerst auf den "Open"-Button in der App klicken.

Werbung
Datenschutz Zur Anzeige von Werbung benötigen wir Ihre Zustimmung.

Im Auto begrüßt uns eine freundliche weibliche Stimme, die uns erklärt, dass wir uns bitte alle anschnallen und dann in der Waymo-App den "Start"-Button drücken sollen. Meine Erwartung ist, dass das völlig autonome Fahrzeug äußerst vorsichtig und langsam unterwegs sein wird.

Ich habe einen Termin um 12.30 Uhr in Pacific Heights – die Besprechung eines KI-Projektes zur Umsetzung eines Chatbots. Deswegen fahren wir bereits um 11.50 Uhr los, obwohl die Fahrt laut Google Maps nur ca. 25 Minuten dauern sollte. Zu meiner Überraschung fahren wir mit angemessener Geschwindigkeit durch die belebten Straßen von San Francisco. Es fühlt sich so an, als ob ein menschlicher Taxi-Fahrer uns chauffiert, allerdings sitzt niemand auf dem Fahrersitz – als ob wir mit einer Zeitmaschine in die Zukunft versetzt worden wären.

Taxi2_CMS.jpg Wolfgang Pree © Wolfgang Pree
Das Taxi kommuniziert mit Stimme und Anweisungen auf dem Bildschirm.

Video: Waymo-Taxi in Aktion

Datenschutz Zur Anzeige dieses Videos benötigen wir Ihre Einwilligung.
Für die Ausspielung wird eine moderne HTML5 Video Player Lösung namens JW Player genutzt (Datenschutzbestimmungen von JW Player).

Beinahe menschliches Fahrverhalten

Auf dem Weg zu unserem Ziel erleben wir vollständig autonomes Fahren in Perfektion. Mindestens eine Handvoll unklarer oder prekärer Situationen wird mit Bravour gemeistert. Als zum Beispiel ein Pick-up-Truck in unsere Fahrspur ragt, weicht das Waymo-Taxi durch minimales, aber doch eindeutiges Überschreiten der doppelten Sperrlinie elegant aus, da es keinen Gegenverkehr gibt. Ein Verhalten, das eindeutig menschlich wirkt.

Passagiere können sowohl am Beifahrersitz als auch auf der Rückbank Platz nehmen. Vorne wie hinten zeigt ein Bildschirm die Route und die erkannten Objekte an, seien es andere Fahrzeuge, Fußgänger:innen oder Radfahrer:innen. Außerdem kann man YouTube Music hören.

Weitere zwei Waymo-Fahrten durch San Francisco verlaufen, ähnlich wie die erste Fahrt, völlig problemlos. Die letzte davon, vom Union Square zurück zur Sussex Street, sogar bei ungewöhnlich starkem Regen und schlechter Sicht.

Fazit: Wir haben uns in keinem Moment unsicher gefühlt, im Gegenteil. Das Waymo-Taxi hat bei allen drei Fahrten souverän agiert und uns sicher an das jeweilige Ziel gebracht.

The Winner Takes It All

Waymo dürfte der Konkurrenz, insbesondere den Automobilherstellern, meilenweit voraus sein. Es ist verwunderlich und bedauerlich, dass die meisten Automobilhersteller den Megatrend zum Software-definierten Fahrzeug viel zu spät erkannt haben. Beim vollständig autonomen Fahren reduzieren angeblich die Automobilhersteller sogar ihre Anstrengungen, vielleicht weil man erkannt hat, dass deren Budgets und Know-how zur Bewältigung der enormen Komplexität dieser Aufgabe nicht ausreichen.

Damit stellt sich die Frage, ob Waymo dessen System Automobilherstellern überhaupt zur Verfügung stellen wird und diese bereit sind, die Waymo-Technologie zu lizensieren. Ein simples Nachbauen und Umgehen der Patente ist in diesem Fall definitiv keine Option, dafür ist Waymo/Google zu groß.

Digitalisierung und künstliche Intelligenz (KI) als Job-Killer

Die Waymo-Taxis in San Francisco zeigen aber auch schonungslos auf, dass grundsätzlich der Berufsverkehr, seien es Taxis oder Lkw, vollständig automatisierbar ist. Zurzeit stehen dem vermutlich noch die hohen Kosten für die Hardware und Wartung entgegen. Das Beispiel der Waymo-Taxis bietet jedoch einen Vorgeschmack, welche potenziell enormen Umwälzungen unserer Gesellschaft bevorstehen.

Über den Autor: Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Pree ist Leiter der Arbeitsgruppe "Software Engineering" an der Paris Lodron Universität Salzburg. Er befasst sich insbesondere mit Software-Konstruktionsprinzipien und Machine Learning. Sein C. Doppler Labor Embedded Software Systems (2007 – 2014) fokussierte sich in Zusammenarbeit mit der AVL List GmbH auf Echtzeit-Software in Automobilen und Automatisierungssystemen. Die Forschungsergebnisse werden von Chrona zu Produkten weiterentwickelt und sind seit 2019/20 in der nächsten Generation von Elektrofahrzeugen von Daimler im Einsatz.

Kommentare (nur für registrierte Leser)