Es ist ein Irrtum, zu glauben, das sei alles längst Vergangenheit und für die Beschreibung eines afrikanischen Landes unbedeutend. Das Afrika der Gegenwart ist das Ergebnis von mehr als 200 Jahren europäischer Eroberung, Ausbeutung, Kolonisierung, Knechtung, Versklavung, Christianisierung, Islamisierung, von mir auch aus westlicher Erziehung sowie mehr als einem halben Jahrhundert danach, das mit den Versuchen der Afrikaner verging, mit den Folgen all dieser Außeneinflüsse irgendwie fertig zu werden. In unseren Tagen sind es die neuen Mächtigen Chinas, die Afrika als Einflusszone entdeckt haben.
Über Jahrzehnte hinweg wurden angebliche Kenntnisse über den Kontinent also von Vorstellungen geprägt, die sich Europäer von „ihrem“ Afrika gemacht haben. Und es ist nicht einfach, sich von diesen Prägungen freizuspielen. Vor allem dann nicht, wenn das Zeitbudget für eigene Entdeckungen wie in meinem Fall immer beschränkt war. Die überwiegende Mehrheit hat allerdings überhaupt keine Möglichkeit, sich ein eigenes Bild vom Nachbarkontinent zu machen und muss mit den bruchstückhaften Informationen aus Medien und Gesprächen auskommen.
Im Jänner 2011 hatte ich endlich die Gelegenheit, einen kleinen Teil Westafrikas selbst kennen zu lernen. Mit einer Journalistengruppe reiste ich vom westafrikanischen Ghana über Burkina Faso bis an den Niger in Mali und in die von Legenden umwobene Wüstenstadt Timbuktu.
Ich erinnere mich gut, dass ich jede einzelne Minute genoss. Ich musste mir keine Gedanken über die Qualität der Hotels zu machen, denn sie war immer gerade noch erträglich oder miserabel. Auch Sicherheit war kein Thema, denn wir befanden uns aufgrund des abenteuerlichen Fahrstils der Einheimischen ohnehin ununterbrochen in Lebensgefahr, wurden laufend von bewaffneten Soldaten – manchmal sogar in sichtlich betrunkenem Zustand – kontrolliert. Als Mahlzeiten gab es häufig ausschließlich Nudeln, Huhn oder Pizza zweifelhafter Herkunft, dazu entweder kaltes oder lauwarmes Bier. Die Afrikaner selbst waren, geht aus meinen Aufzeichnungen hervor, eigentlich wie die Österreicher, manche super freundlich, andere desinteressiert und abweisend, einige sogar regelrecht ängstlich gegenüber den seltsamen Besucherinnern und Besuchern aus dem fernen, wohl schrecklich kalten Alpenland. Auf diese Art von dem üblichen touristischen Gedanken-Firlefanz befreit, konnte ich all diese wunderbaren Regionen, die ich vorher nur mit dem Finger auf der Landkarte hatte besuchen können, auch einmal in Wirklichkeit in Augenschein nehmen.
Ich erinnere mich an die Fahrten durch das Niemandsland in der Grenzregion zwischen Burkina Faso und Mali, die Sandpiste gesäumt von Affenbrotbäumen. An die Gespräche mit den Soldaten, die uns wohl aus Langweile auf einen Tee einluden und eine halbe Stunde lang in unseren Pässen herumblätterten. An den Maskentanz, den uns die Dogon in der Falaise südliche des Niger zeigten – selbstverständlich gegen ordentliche Bezahlung. An die Nächte in Timbuktu, im Nebenzimmer der katholische Bischof, zu dessen Schutz extra vor dem Hoteleingang malische Soldaten an einer Geschützbatterie Stellung bezogen hatten. Die israelische Touristin im Flugzeug, auf ihrem T-Shirt der Schriftzug „National Pornographic“. Ein skurriles Mittagessen im Diplomatenviertel von Ouagadougou mit Krawatte tragenden staatlichen Aufpassern. Das Fußballspiel mit den Kindern und Jugendlichen neben der Baustelle eines libyschen Luxushotels in Timbuktu, das niemals fertig werden sollte. Und das Geburtstagsfest für einen Freund in einem Holzboot am Niger.
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