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Der harte Weg zurück

Notärztin Elisabeth Wechselberger wird auf dem Heimweg selbst Unfallopfer. Ihr Überlebenskampf beginnt.

Ein ÖAMTC-Notarzthubschrauber, Feuerwehr und Polizei bei einem Unfall auf einer Straße. Am Straßenrand ist Schnee sichtbar.

Die letzte Schicht im Krankenhaus ist beendet. Der ­langersehnte Winterurlaub endlich da. Die ­Vorfreude ist groß. Doch Notärztin Elisabeth Wechselberger wird auf dem Heimweg selbst Unfallopfer. Ihr Überlebenskampf beginnt.

Unfall von Elisabeth Wechselberger zVg
Zwei bodengebundene Rettungsfahrzeuge, zwei Notarzthubschrauber, Feuerwehr und Polizei an der Unfallstelle. Sie retten die schwerverletzte Ärztin, © zVg

Der Unfall

Es ist ein trüber, bedeckter 1. Februar im Jahr 2019. Elisabeth Wechselberger, Fachärztin für Anästhesie und Intensivmedizin im Bezirkskrankenhaus Schwaz und Notärztin am Christophorus 4, setzt sich um kurz vor 16 Uhr ins Auto und macht sich auf den Heimweg vom Krankenhausdienst. Nach einer kurzen Fahrt auf der Inntal-Autobahn fährt sie auf die B169 Richtung Brettfalltunnel, dem Eingang zum Zillertal. "Ich kann mich noch genau an diesen Tag erinnern. Plötzlich kommt mir ein Auto auf meiner Spur entgegen, dann dachte ich mir: ‚Heute ist mein Sterbetag, das kann ich nicht überleben‘", schildert die Notärztin ihre Gedanken kurz vor dem Aufprall. Beide Fahrzeuge sind mit hoher Geschwindigkeit unterwegs, alles geht blitzschnell. "Ich wusste, bremsen geht sich nicht mehr aus."

In diesen wenigen Sekunden gehen der Oberärztin viele Gedanken durch den Kopf. "Zu keinem Zeitpunkt verspürte ich Angst, Furcht, Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung. Ich habe nur an mich gedacht und hatte akzeptiert, dass das jetzt mein Ende ist. Ich wusste, ich werde keine Schmerzen haben", erzählt die Tirolerin. Doch dann entscheiden Millisekunden. "Plötzlich habe ich mir gedacht, ich kann versuchen, mit dem Auto rechts auf die Erdaufschüttung zu fahren. Von dort an weiß ich nichts mehr, kein Aufprall, keine Schmerzen, nichts."

Um 16:04 Uhr kommt es zum Zusammenstoß – die Rettungskette setzt sofort ein. Binnen weniger Minuten sind zwei bodengebundene Rettungsfahrzeuge, zwei Notarzthubschrauber, Feuerwehr und Polizei an der Unfallstelle. Die Notärztin ist eingeklemmt und schwer verletzt. "Ich habe anscheinend zu den Ersthelfern gesagt, dass mich niemand anfassen darf, ich eine:n Kolleg:in benötige und mir jemand meine Notarzttasche aus dem Kofferraum ­bringen soll." Mit Hilfe der Feuerwehr wird sie aus ihrem Fahrzeug befreit und mit einem Notarzthubschrauber in die Universitätsklinik Innsbruck geflogen. Im Fahrzeug des Unfalllenkers befinden sich noch zwei Frauen und zwei Kinder. Eine Frau aus dem Unfallfahrzeug wird unter Reanimation in das Bezirkskrankenhaus Schwaz gebracht. Sie überlebt den Aufprall nicht.

Eine Woche Intensivstation

Elisabeth erleidet multiple Frakturen an Wirbelsäule, Brustbein, Rippen, Hämatome, Rissquetschwunden sowie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit Dissektionen (Einrissen in der Gefäßwand) der hirnversorgenden Gefäße. Durch das schwere Schädel-Hirn-Trauma ist ihr Erinnerungsvermögen eingeschränkt. Immer wieder fragt sie, was passiert ist. "Die Übelkeit und der Brechreiz waren das Schlimmste, an die Schmerzen kann ich mich aber nicht erinnern", blickt die heute 40-Jährige zurück.

Nach einer Woche Intensivstation wird sie auf die Normalstation verlegt, langsam wird ihr bewusst, was passiert ist: Frontalkollision zweier Autos. Sie erinnert sich an ein einschneidendes Erlebnis kurz nach dem Unfall: "Unmittelbar nach dem Zusammenstoß sah ich meine verstorbenen Großeltern. Sie haben mich angelächelt, und mein Opa sagte zu mir: ‚Dreh wieder um, Elisabeth, es ist noch nicht Zeit für dich.‘" Diese Begegnung gibt der Ärztin viel Kraft.

Die Kraft kehrt langsam zurück

Vier Wochen nach dem Unfall wird die Anästhesistin entlassen. Körperlich sehr erschöpft und vom Unfall gezeichnet, machen ihr vor allem Kopfschmerzen sowie Schmerzen der Halswirbelsäule durch das Schleudertrauma zu schaffen. "Noch in der Klinik war ich mir sicher, ich werde meine Liebe zum Sport aufgeben müssen, und auch eine Rückkehr als Anästhesistin und Intensivmedizinerin hatte ich ausgeschlossen", schildert die Oberärztin. Aber Elisabeth gelingt der Weg zurück in ihr Leben. Sie kommt auf Reha nach Bad Häring. Intensive Wochen kommen auf sie zu. Vor dem Unfall war sie leidenschaftliche Sportlerin, viel am Rad und im Gebirge unterwegs. Und dann benötigt sie plötzlich Hilfe im Alltag. An manchen Tagen ist sie glücklich, noch am Leben zu sein, an anderen Tagen verzweifelt sie an den Schmerzen bei jeder Bewegung.

Sukzessive baut die leidenschaftliche Tourengeherin ihre Kraft wieder auf. Lange Spaziergänge im Flachen sowie Gymnastik und Schwimmen stärken ihre Muskeln. "Ewig in Erinnerung wird mir die Ergotherapie bleiben. Ich durfte ein Kissen weben. Mit meiner ausgeprägten Präzision benötigte ich dazu eine gefühlte Ewigkeit", erinnert sich die Ärztin gut. Das Kissen hat nun zu Hause einen Ehrenplatz. Angst hat Elisabeth vor einer posttraumatischen Störung. "Ich habe immer darauf gewartet, dass ich plötzlich nachts schweißgebadet wach werde, Bilder vom Unfall vor mir sehe, Stimmen der Rettungskräfte oder Geräusche eines Hubschraubers höre. Aber davon ist bis heute nichts eingetreten."

Elisabeth Wechselberger Elisabeth Wechselberger
Elisabeth ist leidenschaftliche Tourengeherin. Nach dem Unfall setzt sie alles daran, wieder zu Kräften zu kommen, © Elisabeth Wechselberger
Ich bin gerne Anästhesistin und im Notarzthubschrauber im Einsatz – ich wollte das nicht so einfach aufgeben.
Notärztin Elisabeth Wechselberger

Zurück in den OP: als Ärztin.

Nach sechs Monaten im Krankenstand denkt die Tirolerin wieder daran, in ihren Beruf als Ärztin zurückzukehren. "Ich war gut erholt und wollte wieder arbeiten, wieder im Operationssaal stehen." Und am 2. Februar 2020 – genau ein Jahr nach dem Horrorunfall – hebt sie wieder mit dem Christophorus 4 ab und es kommt zu keinem Flashback. Sie setzt sich wieder hinter das Steuer eines Autos und fährt auch an der Unfallstelle vorbei, problemlos. "Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, ich denke nicht an den Unfall. Das Ganze ist schon sehr präsent, aber es ist jetzt ein Teil von mir", sagt Elisabeth. Sie hört sich auch die Tonaufzeichnung des Notrufs an und sieht sich die Frontalkollision in einem Ausschnitt der Tunnel-Überwachungskamera an. "Außer Dankbarkeit und Zufriedenheit löst dieses Video bei mir nichts aus."

Auch die Unterstützung von Familie, Freund:innen und Kolleg:innen bringt sie durch diese schwierige Zeit. "Zudem wurde mir von Kindheit an ein Gottvertrauen gelehrt, von dem ich noch heute Kraft schöpfen kann. Ich glaube schon, dass mein Weg zurück meiner starken Resilienz zu verdanken ist. Ich war immer eine Kämpferin. Ich bin gerne Anästhesistin und im Notarzthubschrauber im Einsatz – ich wollte das nicht aufgeben." Vier Jahre nach dem Unfall kann die leidenschaftliche Notärztin sagen: "Mir geht es gut, die Erfahrung ist Teil meines Lebens geworden und hat mich psychisch und physisch gestärkt."

Die heute 40-Jährige ist sehr selbstkritisch und legt sich die Messlatte sehr hoch, "nach dem Unfall sicher noch höher".
"Von uns Notfallmediziner:innen wird Maximales gefordert. Mir ist sehr wichtig, dass ein:e Notärzt:in immer einen Plan B hat. Dem gerecht zu werden ist harte Arbeit." So nimmt Elisabeth auch Kontakt mit dem Notarzt auf, der sie an der Unfallstelle behandelt hat. Ein Anästhesist und Intensivmediziner wie sie. "Ich wollte Details zum Einsatz hören und ihn persönlich kennenlernen. Ich bin sehr froh, dass ich optimal versorgt und in das richtige Krankenhaus transportiert wurde."

Elisabeth Wechselberger Elisabeth Wechselberger
Elisabeth hat es geschafft, heute ist sie wieder als Notärztin tätig und rettet anderen Menschen das Leben, © Elisabeth Wechselberger
Antonia Lang Antonia Lang

Autor:in

Antonia Lang schreibt seit vielen Jahren für das Christophorus-Magazin der ÖAMTC-Flugrettung. Ihr Spezialgebiet sind medizinische Themen und Geschichten die das Leben schreibt.

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